Vierter Auftritt.

[81] LYSANDER der unterdessen eingetreten. Es ist ein böser Morgen mir, ich wünsch dir einen besseren und ihnen schönes Fräulein, daß Sie sich in dem Morgen selbst zu sehen glauben, dann ist er wunderschön und gut.

OLYMPIE. Man soll nicht lange leben, wenn man sich selbst gesehen.

LYSANDER. Er bleibt doch stets ein schlechtes Abbild nur von Ihnen, so schwindet die Gefahr und ich kann Ihrer künftig wenigstens dabei gedenken.[81]

OLYMPIE. So sehen Sie mich lieber selbst recht oft, um mich nicht zu vergessen.

LYSANDER. Die Einladung macht mir den Abschied noch viel schwerer, der mir schon unerträglich war.

VIREN. Du willst nun wirklich reisen?

LYSANDER. Ich wollte es, eh ich Euch hab gesehen, in diesem Augenblicke wird's mir leid.

VIREN. So mache ich es wie mit meinem Zahn er schmerzte mich, ausreißen sollte ihn der Arzt, doch wie er mich auf seinen Schmerzensstuhl gesetzt, wie ich die Zange nur gesehen, da schwindet aller Schmerz, ich springe auf, bewahre meinen Zahn, er ist gesund.

LYSANDER. Doch meine Ehre wird durch längeres Verweilen krank, es naht ein großes kriegerisches Unternehmen, ich muß zu meinem Regiment nach Engeland zurück und noch ein andrer Grund verpflichtet mich.

VIREN. Ich wette gleich, der ist nicht gültig.

LYSANDER. Er wird mir schwer zu sagen, ich mag Olympien mit meinen Diensten, mit der Bezeugung von Anhänglichkeit nicht länger lästig fallen, ich war zu lange schon ein unbescheidner Bettler, der sich nicht weisen ließ. Vergessen Sie, wo meine Neigung mich hat tadelnswerth gemacht.

OLYMPIE. Sie tadelnswerth? – Nein edler Freund, wenn ich Ihr Lob nicht laut gesagt, so war es nur Bescheidenheit, daß Sie mein Lob nicht ehren könnte.[82]

LYSANDER. Der Abschied ebnet manchen Widerspruch, die Freundschaft darf zu dem Entfernten freier sprechen. Ein kurzer Brief von Ihnen wird mir da viel mehr gewähren, als mir Ihr schöner Mund bisher gesagt, in meinen Träumen weich gebettet, wird mich die harte Wirklichkeit nicht stören; das tägliche Geschäft des Dienstes, das von dem Lauf der Sonne zwar geordnet, doch oft die Nacht nach seinem Willen braucht, wird tausendfach den Ring der Sehnsucht schnell durchschneiden der mich zu Ihnen bannt, bald wird uns Beiden bessre Zeit, doch wird es mir so warm und schluchzt mir in der Kehle und sticht mir in den Augen, da ich dies Stammbuchblatt nach guter alter Sitte überreiche, daß sich daran die Rechnung alter Zeiten schließe, und neue Zeiten knüpfe.

VIREN. Hör Bruder, du machst mich traurig. Olympie kann dir nicht in die Augen sehn, ich schreib zuerst, sie muß sich sammeln.

LYSANDER. Ich lasse meinen alten Kammerdiener hier zurück, der soll mir täglich schreiben, wo Sie gewesen sind Olympie, und seh ich bald an Indiens Küsten die Perlenfischer in die Tiefe tauchen, mit voller Hand zurücke kehren und mir die runden Perlen vor die Füße schütten; da will ich einen Perlenkranz zum Sinnbild meiner Thränen flechten, daß ich nicht mehr an Ihrer Seite an der Nachtigallen-Insel in dem klingenden Gesang lustwandeln kann.[83]

OLYMPIE. Ich wollt' sie kehrten bald mir wie der diese schönen Abende, wo Strom und Himmel gleich in Gluth getaucht, die Erd in Blumen und in Sang von einer Herrlichkeit des Lebens schien entbrannt, die sich in jener indischen Welt erst ganz verkündet, zu der Sie jetzt auf Flügeln hoher Ehre eilen.

VIREN. Ich habe hier geschrieben, liebe Schwester, in deinem Namen, erst ließ es mit Bedacht, ich bin gewiß, dies Blatt wird unserm Freunde viele Freude bringen.

OLYMPIE hat gelesen. Es ist ein viel bedeutend Wort – bedenk es Bruder – es hat noch Zeit.

VIREN. Es hat nicht Zeit, es ist ein Wechsel, der lange schon ist abgelaufen, ich gebe keine Frist.

OLYMPIE. Großmüthig möcht ich lieber sein als undankbar, so sei denn frei und ohne Überredung nach meines Herzens voller Überzeugung, der Frage Antwort aufgeschrieben. Sie schreibt. Der Himmel straf mich, wenn ich dies Wort kann brechen. Hier hast du Bruder.

VIREN. Ich les es nicht, in deine Hand Lysander komm das Stammbuchblatt.

LYSANDER liest. »Für einen Augenblick warst du nur in Cardenio verliebt, er hat dich stolz verschmäht, Lysander, den du so oft verschmähet hast, liebt dich noch anspruchlos unwandelbar, er hat dir viel gegeben, was giebst du ihm zum Lohne, wenn er[84] einmal für so viel Lieb und Treue seinen Lohn verlangt?« Ich bitte dich Viren ließ weiter, sieh es flimmert mir so vor den Augen, das kommt vom Blute.

VIREN liest. »Ich geb ihm Herz und Hand. Olympie.« Ja Schwester, daran erkenn ich dich, aufrichtig bist du und auch groß geartet.

OLYMPIE. Jetzt lobe nicht, was mich so schamroth macht.

LYSANDER. Zu deinen Füßen himmlische Güte, laß mich besinnen, wie mir geschehen, wie ich dich Himmlische soll begrüßen, was ich dir biete, arm ist die Hand, mein Herz ist dir eigen, ach so ist nun erfüllet mein Flehen; alles Schrecken die Winde verwehen und ich erkenne nun wieder die Welt, die nur von neuem so wohlgefällt. Was ich tief im Herzen träumte, was ich nimmer möglich meinte, ist nun alles schon geschehen, liegt vor mir so klar und wahr – ich allein, ich bin noch falsch. Nein noch kann ich dich nicht schauen, schwere Schuld drückt noch mein Herz früher sollt ich dir vertrauen, noch empfang ich nicht die Hand, die so offen, die so rein sich in jeder Linie fand, die so weiß, so mild, so gut, strahlt vom blauen Himmelsblut.

OLYMPIE. Welche neue Sorge kömmt quälend über den Treuen, den Vielgeprüften, täuschet ihn wohl ein zarter Sinn.[85]

LYSANDER. Viel geprüfet, oft bewähret, hab ich einmal unterlegen der Versuchung meiner Sinnen. Schwer muß ich mich selbst verklagen, ja Olympie, ich war's, der in Ihrem Zimmer nächtlich sich versteckt und Sie erschreckt, als ich kaum ins Zimmer kommen, reute mir schon mein Beginnen, wollte flieh'n, als es zu spät, büßen wollt ich, stille wartend, in dem Schranke eingeschlossen, für die Schlafende zu beten, doch viel mehr noch für mich selber, ach Sie selber öffneten jene Thür, die mich verborgen, übermannet von Versuchung küsse ich die keuschen Wangen und entfliehe Ihrem Schreien, vieler Jahre heiß Verlangen war der Kuß und doch kauft ich in mit meinem Leben gern von meinen Lippen ab.

OLYMPIE. Frevelnd war dies böse Beginnen, größeres Schrecken folgte ihm leicht.

VIREN. So genau ist nichts zu nehmen, wer bestände da wohl rein.

OLYMPIE. Leicht und fröhlich ist das Verzeihen, von dem Boden heb ich Sie auf, die Lippen glühen von der Erinnerung der raschen That, Liebe entschuldigt der Liebe Trug, schon muß ich Sie lieben, da ich Sie also habe verführt. Sie küßt ihn. Was dich du ernste feste Seele konnt zu solchem Truge bringen ach, es war auch meine Schuld, hab ich dir oftmals hart begegnet, deiner Dienste doch heimlich erfreut. Sie küssen sich.[86]

VIREN. Wie Vertrauen lüftet den Busen, denen das Schicksal den harten Fels hoher Gefühle und kühner Gedanken bei dem Sturme des alten Olymps auf die kühnen Herzen geschleudert, nun der Olymp ist endlich gewonnen, ist er wie Eis in der Sonne zerronnen, hohe Gefühle und kühne Gedanken schweigen im ganz ordinairen Kuß, und sie küssen sich auch wie die andern.

OLYMPIE. Ruhig fühl ich mich dir ergeben.

LYSANDER. Selig Verzeihen, selig Vertrauen wäre der Morgen doch Ewigkeit, wäre die Ewigkeit solch ein Morgen, der die Sorgen in Liebe gelöst.

OLYMPIE. Süß Erkennen erster Liebe, Aufgang Untergang der Welt.

VIREN. Doch der Abend sei noch schöner, heute Abend soll Hochzeit sein, und der lustige Freudenreihn schlinge sich durch den Liebesschein.

OLYMPIE. Ach die Feier stört sicher die Freude, Heimlichkeit machet so ruhig beglückt, laß mich der bräutlichen Tage auch freuen.

LYSANDER. Bruder, ihr Wunsch ist mir Befehl.

VIREN. Ei was hab ich von alle dem Kosen wenn ich die Lust an der Feier nicht hab, auch um den bösen Ruf zu tilgen, den die Nacht verbreiten kann, nennen wir sie den Polterabend und dies heute soll Hochzeit sein, und ein köstliches Hochzeitgepränge blende die Augen der städtischen Menge, daß ihr die[87] böse Zunge erlahme, sehen sie dieses Festes Dame, keiner waget zu lästern kühn, was so offen vor ihnen erschien.

LYSANDER. Nur Olympiens Wille geschehe.

OLYMPIE. Was die Klugheit des Bruders gerathen, was dich erfreuet, ist mein Entschluß.

VIREN. Nun so ist denn alles entschieden, aber das Eine hätt ich vergessen über die große Freudigkeit. Sage wie kamst du denn in das Haus und wie kamst du wieder heraus.

LYSANDER. Wollt Ihr mir schwören, Ihr wollt Euch nicht rächen? – Doris verrieth so schändlich dies Haus, doch sie hat mein Glück geschaffen, schaffet sie fort, ich vergüt ihr den Dienst.

OLYMPIE. Doris, so hat es mir doch geahnet, aber verdienet hab ich es nicht, hab sie dem Elende einst entrissen, zum Verderben ist sie bestimmt.

VIREN. Hätte es doch in ihr nicht gesuchet, doch alles ist einerlei, nehmt nur jetzt Abschied von einander, viel zu beschicken ist noch heut und gar eilig nenn ich die Zeit.

LYSANDER. Muß es wirklich geschieden sein? Eine Unruh lebt mir im Kopfe, wie in der Mitte von vielen Straßen, steh ich hier zweifelnd, tausend Dienste möcht ich leisten, fast vergeß ich darüber die Sorge, fast vergeß ich darüber den Kuß.[88]

OLYMPIE. Freudig sei der erste Abschied, eilend komm zu mir zurück.

LYSANDER. Aber die Sorge ich kann sie nicht brechen und dein Kuß wirft sie doppelt mir zu, ach wie nahe ist unser Scheiden und wie zweifelhaft Wiedersehn.

VIREN. Ei die alte Geschichte vom Kriegziehn, war doch wahrhaftig nur ein Spaß.

LYSANDER. Nein ihr Lieben, mich rufet die Ehre, bindet mich an der Kanone glänzenden Lauf. Sage Olympie, du entscheide, ob ich sie verlassen soll.

OLYMPIE. Meinetwegen hast du schon einmal dich von dem Wege der Tugend gewendet, wohl um so fester muß ich dich binden an den ernsten und rühmlichen Lauf, wo du auch wandelst im Kriege und Frieden, ruhig folg ich dir bis in den Tod und so sind wir nimmer geschieden, uns bezwinget nimmer die Noth.

LYSANDER. Nun so wäre denn alles entschieden, alles wird immer durch dich so gut, ewig leb ich nun in Frieden, lebe wohl mein Herzensblut. Ab.

VIREN. Sehr wunderlich erscheinen mir die Weiber und die Liebe, ein wenig Eigensinn und weiter ist es nichts; als du Cardenio gesehen, da hätt ich nie geglaubt, dich mit so froher Überzeugung durch Lysanders Hand beglückt zu sehen.

OLYMPIE. Erwecke nicht die wilden tobenden[89] Gefühle, jetzt kenne ich die irdsche Leidenschaft, die mich Cardenio verbunden, was wußte ich von ihm und er von mir, ein Wahnsinn ist mir jene Liebe jetzt, doch theilet sie die ganze Seele mir für immer, weil ich die eine Seite ewig fürchte, die sich zur Erde hingewandt, ich kenn das Meer, ich scheu es, weil ich liebte, und blicke in das Land, weil es so fest begründet, mir Ruh und Nahrung giebt und seh ich rings die Wälder sich erregen, so überred ich mich, es sei auch Wellenspiel und Lust und halt mich am Bewußtsein dieser Freude und bald wird dies Bewußtsein mir zur Pflicht. Mein bessres Selbst gehöret ganz Lysandern, was kümmert ihn mein schlechtrer Theil, den die Natur Cardenio bestimmte, den strenge Tugend bald vernichtet. Ab.

VIREN. Das klingt sehr hoch, doch wenn mans destillirt, so kommt dasselbe raus, was man so selbst im Laden führt. Ab.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 81-90.
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