Das todte Sündenkind.

[276] Felsenküste. Cardenio und Celinde in zerrissenen Kleidern.


CARDENIO. Im Anblick eines Meers vertrocknet meine Zunge, ja sie gehorcht nicht mehr dem Geist, der tröstlich manches Wort dir sagen möchte. Armes Mädchen, ist dieses meine Hand, die ich dir mühsam reiche?

CELINDE. Sie dienet noch zur Stütze mir, der Schwerbelasteten, da du mein hoher Freund in Schwäche selbst versinkest.

CARDENIO. Ich hör dich wieder, du bist mir nahe, ich sehe dich, seh deiner Wangen Todtenblässe und deiner Augen ausgestorbnes Licht, und doch bist du mir reizender als sonst in Sinnenlust, du bist der einzge Mensch, so weit mein Fuß dies öde Land durchirrt. O sprich, wo blieb denn diese wunderbare Stadt die sich mit bunten Zinnen von grünen Wäldern rings umwogt, vor unsern Augen in dem Frühlicht zeigte, fast meine ich, daß blinder Irrthum, Wahn und Krankheit schon den Traum und Wirklichkeit in mir vermischt seit uns der Menschen Wahn ins Elend stürzte.

GELINDE. Es war kein Wahn, ich sah die Stadt, ja das Gewühl der Menschen konnte ich bemerken und schämte mich daß ich halbnackt dort einziehn sollte.

CARDENIO. Sie schwand wie Morgenwolken in dem Thau, ach wär nur Thau geblieben auf der Wüste.[276] Ein Zweifel hemmet jeden meiner Schnitte, ein Unbestand wie diese ruhelose Meeresöde, erhebet sich vor mir und wie die Möwen niederstreifen, die Fische heben aus der Fluth und tödten in der Luft, so sehn ich mich, so flehe ich hinauf in stummem Jammer, daß uns ein Todesengel aus der Elendsfluth erhebe.

CELINDE. Nie hätte ich gedacht, daß du verzweifeln würdest wo ich noch hoffe.

CARDENIO. Ach nicht um mich, dein Elend löscht mir jede Hoffnung aus; dein Körper schwillt von Krankheit und von schlechter Nahrung.

CELINDE. Ich denk nicht meines Elends das du siehst, nicht meiner wunden Füße, es giebt ein größres Elend das ich in mir trage und das du noch nicht kennst.

CARDENIO. Was giebts für Noth, die nicht auch mir die Haare auf dem Haupte vorzeitig bleichte.

CELINDE. Ich trage noch viel härtre Noth, doch ich will schweigen, wie ich mir vorgenommen, bis sie zu dir um Hülfe schreit.

CARDENIO. Entsetzlich, durch Sturm und Fluth, durch Fels und Dorn treibt uns die Wuth des Schicksals, daß wir entblößet durch die Wüste ziehen wie wilde Thiere, und doch versteckest du dein Inneres, das Einzige was jeder offen zeigen sollte, was uns erhebet über Thiere, die nur am Äußern sich erkennen.[277]

CELINDE. Wirst du es wissen, so wirst du wünschen, daß ich es dir verschwiegen hätte.

CARDENIO. Schweigen – kannst du mit Schweigen es vernichten. Sprich alles aus, dann weiß ich erst, daß du im Geiste mit mir eins; seit aus die Bahn der Tugend schied, darf uns Vertrauen um so enger binden.

CELINDE. Weh mir, die Tugend schied uns und die Natur verbindet mich noch dir.

CARDENIO. Diesen Jammer sollte böse Lust bestehen können.

CELINDE. Ach du versteh mich nicht, es giebt ein größres Elend als die Sünde, der Sünden Folge, Frucht und Ausgeburt. Ach weh mir Unglückseligsten in meiner Schwäche sink ich nieder, in wenig Stunden bin ich Mutter, mein Kind hat keinen Vater dem ich es nennen mag, denn seinen Vater wird der erst Liebesgruß zur Qual.

CARDENIO. Nun weiß ich alles und erschrecke meiner Blindheit. Ja wohl, es gab noch einen größern Schmerz und über menschliche Erfindung weit hinaus geht wahres Elend. Dich soll ich leiden sehen und verderben durch mich, denn hier ist alle Hülfe fern, ich höre schon das Kindlein schreien an der erstorbnen Brust und drücks umsonst an meine, die ihm nicht Nahrung geben kann, und lauf mit ihm zur Wüste und schrei die säugenden wilden Thiere an. Wie[278] kann ich dir hier in der Wüste helfen, wie weiß ich was dir dienen kann? Schon wird es Nacht. Die Thiere haben ein geheim Erkenntniß von allem was ihnen taugt und schadet, das Lamm sucht kaum geboren unter Steinen süßes Kraut zu seiner Nahrung die Bienen kennen aus der Höh den Blumenkelch der ihnen ist eröffnet, der Mensch hat nichts, nichts, worauf er angewiesen – als Liebe – Leise zu sich. die ward mir nicht!

CELINDE. Schon fühl ich einen Jammer meine ganze Brust erfüllen, nach Wasser sehnt sich meine Lippe, mein Herz – wie eine Liebe schmerzlich mich so ganz erfüllte, so fühl ich jetzt mit sehnendem Gefühl den einen Durst. O schafft mir einen Trunk, nur einen Tropfen, der am Grase hängt.

CARDENIO. Hilf Gott, mir schwinden alle Sinne, wohin ich seh nur dürrer Staub und salzig Wasser, doch dort, da bebt es in der Luft, da winket mir ein liebend Bild, da find ich Trost. Ab.

CELINDE.

Ich sitz allein

Im Sonnenschein,

Und wein und wein!

Die Sonn allein

Verläßt mich nicht;

Ihr Angesicht

Sie wendet's nicht,

Und Gott den Herrn

Glaub ich von fern[279]

In ihr zu sehn,

So schön, so schön!

In jeder Well

Sein Bildniß hell,

In meiner Brust

Mir unbewußt

Steht auch sein Bild

So mild so mild!


Eine Gestalt, Olympiens Mutter, erscheint.


DIE GESTALT.

Sei mir gegrüßt

Hier in der Wüst,

Bist unbekannt

Mit Sonnenbrand,

Mit Gram und Noth

Ums tägliche Brot.

CELINDE.

Woher kommst du

In stiller Ruh,

Du freundliche Frau,

Der ich vertrau

Mein ganz Geschick

Beim ersten Blick.

Mein Auge bricht.

Hilfst du mir nicht,

Mein Kindlein klein

Bleibt ganz allein,

Wie wird es schrein,

Allein, allein!

DIE GESTALT.

Die Mutterwehn

Mußt du bestehn;

Das Erstemal

Macht Furcht zur Qual

Es endet Schmerz

So wie der Scherz,[280]

So wie die Nacht,

Eh mans gedacht.

Sei nur nicht bang,

Ich wohn hier lang,

Ich bin allein,

Das macht mir Pein;

Hätt gern ein Kind,

Wenn zieht der Wind,

Wenn ich erwacht

Um Mitternacht.

CELINDE.

Der kalte Wind

Mein armes Kind,

Er tödtet's schnell.

Die rasche Well

Entführt es mir,

Wo blieb ich hier.

DIE GESTALT.

Sieh diese Kluft

Voll Rosenduft,

Und Lagerstätt

Mit weichem Bett,

Da steig hinab.

CELINDE.

Es ist mein Grab.


Sie wird in die Felsenhöhle geführt. Es kommt ein Storch, der ein Kind im Schnabel trägt und in die Felskluft mit eilendem Fluge einstreicht, ihm nach singt eine Wolke ziehender Störche von oben.


Hast du schwer am Kind getragen,

Mußt sie mit den Flügeln schlagen,

Hast du müssen lange reisen,

Mußt sie mit dem Schnabel beißen.

Schone nicht, sie ist jetzt schwach,

Daß die Liebe in der Noth

Reue schmerzlich leidend nach,

Liebe macht so schwer den Tod.[281]

DER STORCH streicht aus der Höhle und singt.

In meiner Wuth

In der Reisegluth,

Hab ich das Kind erdrückt,

Weh wie sie zum Himmel nun blickt,

Kann nicht mehr bleiben am traurigen Ort,

Nehmet mich Brüder im Sturme mit fort.


Er fliegt fort.

Die Gestalt kommt aus der Höhle, Celindens todtes Kind auf dem Arme.


DIE GESTALT.

Mir lebst du fort

Du liebes Kind,

Dein schuldlos Wort

Erwacht geschwind

In dunkler Gruft

Und zu mir ruft:

O Mutter mein

Will artig sein,

Ich liege still

Nach Gottes Will! –

Die Mutter dein

Bleibt ganz allein,

Sie büßet ab

An deinem Grab,

Die Milch ihrer Brust

Sie spritzt auf die Gruft,

Ihrer Thränen Lauf

Weckt die Blumen auf,

Ihre Trauerzeit

In der Einsamkeit,

Macht sie schnell bereit

Zur Ewigkeit.


Es kommt ein Chor nächtlicher Pilger.


DIE PILGER.

Kommt gute Frau

Fort auf dem Thau,[282]

Wir sind gesellt

Vom Herrn der Welt,

Seiner Gnade Werk

Vollbringt die Stärk,

Seiner Weisheit Kraft

In uns Geistern schafft.

DIE GESTALT.

Ich eil geschwind

Mit meinem Kind

Zum Thron des Herrn

Beim Morgenstern.


Sie schwebt mit den Pilgern fort.


CARDENIO. Celinde! – Celinde! – An diesem Felsen hab ich sie verlassen. – Celinde! Ich bring dir einen frischen Trunk, komm schnell, sonst läuft er wieder durch die Fingerritzen meiner ausgedörrten Hände! – Entflossen ist er wieder, weh mir und dir! – Celinde! Er läuft suchend umher. Hat dich der Sturm entrissen, der noch am Ufer wüthet. Willkommen Tod erfaß auch mich, o finde mich, aus Milde nimm mich fort aus dieser Schmerzenswelt.

CELINDE tritt schwach aus der Höhle. Cardenio, wo ist mein Kind, mein süßes Kind, trägst du es in den Armen, hast du es in dem Meer gebadet?

CARDENIO. Unglückliche, dein Kind, trägst du es nicht in treuer Mutterhaft?

CELINDE. Mein Engelskind! Mein einziges Kind! Wo ist die liebe Frau, die es zum Kuß mir reichte.

CARDENIO. Du Unglückliche, dein letztes Gut,[283] Vernunft hast du verloren, nicht um dein Unglück zu vergeben, nein um gedoppelt es zu wähnen.

CELINDE. Es ist kein Wahn, beim heilgen Morgenstern, der in die Fluth sich senkt, ich hab ein Kind geboren. Es ist kein Wahn, noch weiß ich wie du mich verlassen um kühlend Wasser mir zu suchen, die gute Frau hat mich getränket und gespeist.

CARDENIO. Was fabelst du von einer Frau wohl hört ich in der Wüste Löwen brüllen, sie sahen mich bestürzet an, als ich in meinem Jammer stand vor ihnen und flüchteten sich fort von mir, weh uns wenn sie mein trauernd Haupt verschont, um Kindes lächeln zu zerknirschen. O schwere Nacht, willst du endlich weichen, o armes Kind in Nacht empfangen und geboren, so hast du nie das Licht geschaut!

CELINDE. Unselger Mann, ach wärst du nur bei mir geblieben, du schütztest nicht dein Kind, du gabst es preis den wilden Thieren.

CARDENIO. Wohl giebts ein wildes Thier, wogegen ich zu schwach bin dich zu schützen, es ist kein Adler der in hohe Luft die Menschen trägt und an den Fels zerschmettert, nein aus der Tiefe langt er zu dir auf, wo dich die Sünde an die Erde bindet.

CELINDE. That ich dir unrecht so verzeih der Mutter. Mein Kind! Wie reich wär ich in ihm, mein lang verschwundnes Glück, du wärst mir gegenwärtig, du liebtest mich in ihm und seinen Dank könnt[284] ich mit tausend Diensten abgewinnen. Mein armes Kind, es sah die Frau so mild, so gütig, aus, die es entführt, sie glich Olympien. Mein Kind, mein Kind!

CARDENIO. Zerfleische nicht den Arm, reiß nicht dein Haar vom Haupte, der Buße Pflicht ist nimmer zu verzweifeln, wir leben über unser Leben schon hinaus, ein geschenktes Jahr. Es wird jetzt hell, jetzt läßt sich an dem Boden sehn, ob wilde Thiere, ob ein Mensch dein Kind geraubt.

CELINDE. Sieh her! hier glaub ich ging ein Löwe.

CARDENIO. Es ist mein Fußtritt, halb vom Sturm verweht und keinen andern kann ich mehr erblicken, nicht Spur von Menschen oder Thieren, kein Blut. Wer zeigte dir die Höhle, schön geschmückt von Blumen duftend.

CELINDE. Dieselbe Frau die mir mein Kind geraubt, doch jetzt besinn ich mich, mein Kind war gar zu blaß, und seine Augen waren fest geschlossen, es hatte keine Wärme, keinen Athem, als sie es mir gereicht, und als sies von mir nahm, da nahm sie mir den Ring, den du mir gestern anvertrauet, als er von deinem Finger fiel, und küßte ihn und sagte dann, es sei der ihre, ich lag in halber Ohnmacht nieder, und wie in einem Buche das zerrissen, kann ich nur langsam was ich sah verbinden.

CARDENIO knieet nieder. Sie wars, sie wars,[285] Olympiens Mutter, lob Gott den Herrn, der seine Gnade in der Wüste uns erscheinen läßt. Gedenk der Qual wenn wir dies arme Kind, die Frucht der Sünde in Noth verschmachten sähen. Gelobt sei Gott der Herr, er hats zu sich genommen, er schauet wie die Sonne die durch Nebel bricht, auf Wüsten wie auf Städte nieder, die Menschen wandeln vor ihm wie Gedanken, und er vergißt nicht einen. Ihm sei ein Tempel in der Wüste aufgerichtet und unserm Kind ein Grab.

CELINDE. Mein Kind, mein Kind, so ist der Herr mit dir, gelobet sei der Herr.

CARDENIO. Ich fühl mich stark zum Dienst des Herrn, in dieser Einsamkeit will ich mein Leben sühnen.

CELINDE. Fern ist hier süßes Wasser.

CARDENIO. Sieh her, wer Gott vertraut den läßt er nicht verschmachten. Kaum heb ich diesen Stein zum Altar auf, so springt ein Quell heraus der mich erfrischt.

CELINDE. Ich kann nicht von dem Wasser trinken, ich sehe einen blutgen Strahl darin, das Blut von unserm Kinde. Ich soll verschmachten, soll nicht Gnade finden.

CARDENIO. Verkennst du so das Morgenroth das sich der Meeresfluth enthebt, sieh jene Dattelbäume[286] in der Nähe, die uns der Fels versteckte, vertraue Gott und er verläßt dich nie.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 276-287.
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