Die Pilger auf dem Meere.

[250] Auf dem Schiffe erscheinen Ahasverus, Cardenio, Celinde unter einer großen Zahl anderer Pilger.


AHASVERUS.

Wie die Anker sind gelichtet,

Und die Segel aufgerichtet,

Hoch im Kreuz an jedem Mast,

Zieht das Schiff schon ohne Rast

Zu dem heilgen Kreuze hin;

Mir nur fehlt der gläubge Sinn

Der durch Gnade und Erbarmen

Kann zu dem Gebet erwarmen.

CELINDE.

Büßen wollt ich in den Leiden,

Von der Sünde wollt ich scheiden,

Doch sie läßt mich noch nicht los,

Heimlich lebt in meinem Schooß

Meiner Sünde Zeugniß fort,

Quälet mich an jedem Ort,

Wechselt Reue mit Verlangen,

Kühnen Muth mit schwachem Bangen.

CARDENIO.

Wie der Thürme goldne Spitzen

Nun zum letzenmal mir blitzen,[250]

Doch die Glocken durch das Meer

Klingen einmal noch hieher;

Wiederhallet noch einmal

In dem Herzen alle Qual,

Sinket dann in Überschwemmung,

Alte Zeit löscht ewge Trennung,

Und ich ahne neues Leben

In des Schiffes bangem Schweben.


Thränen rauschen in dem Weste

Und versunken ist die Feste,

Hohe Berge allzugleich,

Selger Jugend Hoffnungs-Reich,

Schaum der Welle ist mein Haus,

Oben Himmel, unten Graus,

In der öden Wellenwüste

Seufz ich nach des Himmels Küste,

Wo er einst berührt die Erde,

Daß der Sohn des Herren werde.


Sehnsucht meiner sündgen Tage,

Morgenland voll heilger Sage,

Schließe auf dein Wundergrab,

Daß ich steig zu dir hinab,

Daß ich steig zu dir hinaus,

Schuldlos ohne Reu und Graus,

Laß mich Gnad bei dir erwerben,

Sei's im Leben, sei's im Sterben,

Und die heilge Todte finden,

Die mich weckte aus den Sünden.

GELINDE.

Was ich herzte, was mich reute,

Was mich schmerzte und erfreute

Schwindet jetzt vor dem Geschick;

Dunkel wird des Himmels Blick,

Schwarze Wolken ziehn herauf,

Und das Schiff nimmt andern Lauf![251]

CARDENIO.

Weil dem Himmel wir gehören,

Darf der Sturm uns nicht mehr stören,

Weil wir uns zum Heil gewendet,

Gottes Gnade niemals endet.

AHASVERUS zu beiden.

Hoffend seht ihr in die Weite,

Und nach langem schweren Streite

Labet euch der Palmenwald.

Mancher wird darüber alt,

Nimmer noch gelang es mir

Daß ich kam zur Grabesthür,

Stürme, Hunger, Krankheit, Kriege,

Hemmten alle meine Züge,

Daß ich mich noch immer quäle

Um mein Heil, um meine Seele.


Wenige von diesen allen

Mögen hin zum Grabe wallen,

Viele schreckt zurück die Noth,

Andre übereilt der Tod,

Andre zieht der Geiz noch ab

Von dem gnadenreichen Grab;

War dies Schiff die Welt zu nennen,

Sagt, wer möchte Gott erkennen?

Über dieser Welt steht Jene, –

Sünder sind auch Gottes Söhne.


Was da treibet all und jeden,

Hört Ihr in des Volkes Reden;

Leget ab des Hochmutes Sinn,

Wendet euch zum Armen hin;

Was ihr lerntet, half euch nicht

Zu dem ewig wahren Licht,

Doch wo viele sind beisammen,

Zeigen sich der Andacht Flammen,

Wie der Blitz, wo Wolk an Wolke,

Zündet Andacht sich im Volke.[252]

KAPITÄN. Platz da alter Jude, hier wollen sich gute Christen hinsetzen.

CARDENIO. Laßt ihr den Alten mir nicht ungestört, bei Gott es geht nicht gut.

AHASVERUS. Ich bitte dich mein Sohn, vergiß dich nicht, ich find auf jener Seite meinen Platz.

CARDENIO. Nicht doch, da schlagen ja die Wellen ein und können dich erkälten.

AHASVERUS. Mein Gram schlagt noch lebendiger und wärmer.

CELINDE. Wir setzen uns zu dir auf jene Seite.


Alle drei nach der andern Seite.


KAPITÄN. Es ist mir lieb daß sie abzogen, es möchte sonst nicht gut gegangen sein, ein Kapitän, seht, ist Gott Vater Sohn und heilger Geist auf einem Schiffe, ihm darf man niemals widersprechen, ein Kapitän ist so was Großes als ich das gar nicht sagen kann, sein Wille ist seines ganzen Schiffes Himmelreich – Gotts Wetter, ich glaube doch, wir kriegen heut noch Sturm.

LICHTERZIEHER. Es wird alleweile schon so düster, daß einer bei Tage Licht anstecken möcht.

KAPITÄN. Da kann er was verdienen von der lieben Sonne, Lichterzieher, um Gottes Willen sag er mir was macht er auf dem Meer? ja wenns geschmolzen Talg wäre und unser Tauwerk Dochte, da wärs für ihn so ein gefunden Fressen.[253]

LICHTERZIEHER. Nein fressen möcht ichs doch nicht.

KAPITÄN. Macht mir nicht solche Pfiffe vor. Was will er in Jerusalem, ist er so fromm?

LICHTERZIEHER. Nein mit der Frömmigkeit da gehts wie mit den Krebsen, seit ich so bei ihm bin, aber seh er nur, sie brauchen in Jerusalem einen Lichterzieher.

KAPITÄN. Je du mein Himmel was brauchen sie denn in Jerusalem für Lichter – ich denke da ist es immer Tag.

LICHTERZIEHER. Potz blauer Montag, Ihr fahrt um die ganze Welt und wißt von der ganzen Welt nichts, bei der Auferstehung aus dem Grabe werden allein über zehntausend Lichter verbrannt.

KLEINER BUBE. Ei das muß prächtig lassen, da muß ich auch dabei sein.

KAPITÄN. Allerweltskröte, bist du auch da.

REICHER PILGER. Je du Kleiner, sag mir wo hast du denn gesteckt als wir abfuhren; du bist doch größer als eine Maus und sie haben alle Ritzen nach dir durchleuchtet, sei nur nicht blöde.

KLEINER BUBE. Seht gnädger Herr, ihr ließet euch eine Schildkrötensuppe kochen, die Schale blieb im Schiffe liegen, darin versteckte ich mich und sprang ins Wasserfaß zu den andern Schildkröten, da hat mich keiner aufgesucht.[254]

REICHER PILGER. Böser Bube, wenn meine Schildkröten nun davon absterben, was habe ich dann auf der Reise?

KAPITÄN. Die Wetterkröte, da werf ich dich gleich über Bord, wer zahlt mir denn die Kosten die du mir machst; hast du was mitgenommen von deinem Vater?

KLEINER BUBE. Ei freilich. Da hat er meine Frühstückssemmel, dafür bin ich schon oftmals über Fluß gefahren und drüben sind mir alle Wirthe schon bekannt, ich habe eine Base drüben die wäscht für alle.

REICHER PILGER. Du Narr, wir sind ja ich zum Übersetzen eingerichtet übern Fluß, das geht jetzt übers Meer.

KLEINER BUBE. Nun wie das Wasser heißt, das ist mir einerlei, sind wir bald drüben, ich muß so gegen Abend noch wieder zu Hause sein, sonst wird der Vater böse, er leidets nicht daß ich zur Base gehe.

REICHER PILGER. Nun seht den Unverstand! – wir steigen erst bei Jerusalem ans Land, das ist noch weit.

KEINER BUBE. So sputet euch Herr Fährmann, vielleicht ists gar noch eine Strecke Weges von Jerusalem bis zu der Base.

KAPITÄN. Du dummer Junge, Jerusalem liegt ja auf einer andern Welt, wir bleiben einen Monat unterweges.[255]

KLEINER BUBE. Ach allerliebster Herr Fährmann, da thun Sie mir den einzigen Gefallen und halten ein Bischen still und kehren Sie um, das geht ja gar nicht an, der Vater schlägt mich todt wenn ich die Nacht ausbleibe.

KAPITÄN. Ja, hat sich was! –

REICHER PILGER. So armes Volk wächst doch auf wie's liebe Vieh; Junge, wie können wir denn umkehren, das kostete ja mehr als du in deinem Leben je verdienen kannst.

KLEINER BUBE. Ach Gott, du gnädger Gott wie wird mirs gehen!

REICHER PILGER. Nun Jüngchen mach doch kein Geschrei, was hast du Großes zu verlieren bei dem Vater, der ist ganz sicher ein armer Lump wie du, ich will dich unterstützen, wenn du mir treu willst sein und aufmerksam mich kannst bedienen.

KLEINER BUBE. Hab ich denn viel zu thun?

REICHER PILGER. Nicht viel, wenn du es nur zu der gehörigen Zeit willst thun. Sieh, Morgens trink ich erstlich meinen Quittenschnaps, das ist so ein geflochtenes Fläschchen, steht in dem Schranke rechter Hand, dann trink ich eine halbe Stunde später meinen guten Kaffee mit Rahm, sieh dort, da steht die Kuh die mußt du fleißig futtern und dann melken, die Milch abrahmen ...

KLEINER BUBE. Das nennt ihr eine Kuh, mein[256] gnädger Herr, ich trau mich nicht heran, das Thier hat Hörner und Pferdefüße, das ist Satanas; so hat die Base mir ihn beschrieben.

REICHER PILGER. Was ist der Mensch wenn seine Eltern nichts an ihn wenden können, da danke ichs dem selgen Herrn Vater in der Grube noch wie er mich hat so trefflich unterrichtet. – Nun mit der Kuh, das wird sich alles geben, glaub mir mein Sohn, so eine Kuh, in einem Kasten festgebunden, die kann dir keinen Schaden thun. – Nach meinem Kaffee esse ich was Frischgebackenes.

KLEINER BUBE. Das ess' ich auch recht gern, die Base hat mir immer was beiseit gelegt, und sagte mir der Haase hätt's verloren.

REICHER PILGER. Ei sieh du Spitzbub, weißt auch schon was schmeckt. Nachher da giebst du mir den Augenbader, die Toilette, warm Wasser, schäumest Seife ...

KAPITÄN. Segel ein, Segel ein, aufgerefft. Ihr Hunde wollt ihr laufen. Ihr Bestien, will euch mit dem Endchen Beine machen.

REICHER PILGER. Schrei er nicht wie ein Stier, ich kriege sonst mein Nervenzucken, was giebts?

KAPITÄN. Krieg er die Schwerenoth, das giebt einen Windstoß, ich sehe in der Luft eine Wetterscheide die Wasserhose zieht uns an.

REICHER PILGER. Zieht doch aus die Wasserhose[257] daß sie euch nicht mehr anzieht, wir brauchen euch ja jetzt nothwendig, da der Weg so uneben wird.

KAPITÄN. Halts Maul. Hannes zum Bogspriet. Wie hat sich der Bengel, fällt wie ein Fisch von der Angel, fort ist er. Johann machs besser.

REICHER PILGER. Aber das leide ich nicht, der arme Mensch soll herausgezogen werden, was hat der arme Mensch gethan?

KLEINER BUBE. Es soll gleich geschehn, ich kann schwimmen, ich spring ihm nach. Springt über Bord.

REICHER PILGER. Kleiner Bube, kleiner Bube, was machst du, Wasser hat keine Balken. O du mein Jesus, was ist das für eine vermaledeite Reise, ach wäre ich doch niemals auf den verfluchten Gedanken gekommen fromm zu werden, könnte jetzt so ruhig vor meinem Keller sitzen unter der Laube, mir ein Glas Wein nach dem andern reichen lassen. Zieht doch den Knaben heraus, er ist in meinen Diensten.

KAPITÄN. Mach er mir kein Bauchweh, fort. Er pfeift.

CARDENIO zu Celinden. Sieh dort den schwarzen Riesen, er schreitet durch die Wolken und hütet seine weiße Heerde auf den Meereswogen, die Segel und der Meeresschaum sind in dem Dunkel schwer zu unterscheiden, des freue dich Celinde, wie Meeresschaum tritt sein Fuß unser Schief danieder, wie oft hast du[258] mit Sehnsucht von dem Tod gesprochen, vielleicht will es gesellig uns vereinen, die so getrennt fürs ganze Leben und doch verbunden hält ein wunderbar Geschick.

CELINDE. Noch weißt du nicht das Schwerste, das mich drückt.

CARDENIO. O sprich, wenn ich auch durch Mitleid es dir nicht erleichtern kann, so thut das Klagen der gepreßten Seele dennoch wohl.

CELINDE. Bewahr ich dies Geheimniß treu, so spare ich dir Sorgen, und dies Gelübde that ich heut dem Himmel, es dir nur in dem Augenblicke zu vertrauen, wo's unvermeidlich ist.

CARDENIO. Wie bist du so besorgt um mich, gedenk wie viel ich tragen kann, da ich so vieles hab verwunden, ich weiß der Himmel legt noch schwere Buße auf; dein Schweigen ist mir Buße.

CELINDE. Vielleicht war mein Geheimnis nur ein Werk der Bangigkeit, die aus dem leuchtenden Gewitter mir entgegenströmt, davon die Haare sich schon schreckhaft aufwärts richten. Ich wollte diese Stunde wär vorüber, sieh meine Mutter schwebt mir vor dort wo die Wolken so in grauen Zügen durch einander wirren, sie drohet uns: nein Mutter, du hast dein Recht auf mich verloren, seit ich den Himmel hab erkohren.

CARDENIO. Du schwärmst Celinde, doch schwäme glücklicher, dein Kampf ist ausgekämpft, auch wenn[259] du bist besiegt. In diesem Sturm freut sich mein ganzes Wesen seines Ebenbildes, mich quält hier nicht der Vorwurf allgemeiner Ruhe, der mich in schönen Frühlingsgärten hat erschreckt, sieh die Verwirrung so recht gründlich an, so ist es noch in mir – und es wird Stille folgen auf den Sturm. Sieh diese Welle die hoch über uns sich hinzustürzen scheint, jetzt unter uns laut an des Schiffes Wänden tobt und brauset, so stand ich auch, so wüthete ich auch entgegen aller menschlich ruhigen Verbindung, nach meines Geistes wildem Takte sollt sie springen. Doch sieh wie diese große Welle auch nicht ruhig ist, denn auf der großen regen sich viel tausend kleine, der Wind zieht ihre Spitzen in die Luft und jagt sie uns so scharf wie Hagelkörner in die Augen, so war auch ich nicht ruhig in dem Treiben, wie mancher tolle Einfalt hat mich tagelang gequält zerrissen der unerquicklich blieb, so mir wie andern und kaum den Augenblick den er so lang bereitet füllen konnte.

CELINDE. Gedenk des Guten auch was du mit kühnem Muth verbreitet und wie ich jetzt gelehnt an dich ein schrecklich Schicksal, furchtsam zwar doch nicht verzweifelnd trage. O gieb mir Trost, ich hab so oft vom Tod gesprochen, ihn mir gewünscht und jetzt, wo er mir nahe ist, da uns ein dünnes Brett von ihm nur scheidet, scheint er mir so ganz schrecklich so ganz unmöglich. Cardenio ich fleh dich an, ich[260] will nicht sterben, ich kann nicht sterben, nicht so vor Gottes Angesicht erscheinen, bedecke mir die Augen wenigstens daß ich dies Schrecken nicht darf schauen; vergebens hab ich diese Furcht in mir zurückgedrängt, sie füllet meine ganze Seele. Ich will nicht sterben, nein ich kann nicht sterben.

CARDENIO. Du armes Mädchen, du athmest noch, du fühlst noch lebst du ja, kannst du des Sterbens denken, gedenk des Lebens noch viel mehr.

CELINDE. Ich weiß vom Leben nichts, zum erstenmal Cardenio fühl ich die Worte nicht die du mir sagst, ich seh den Blitz der hoch am Himmel flammt und hoch der schwarzen Welle weißen Schaum nur zeigt. Cardenio, ich fleh dich an errette mich.

CARDENIO. Halt dich recht fest an mir, laß mich nicht los, wie auch das Schiff mag wanken, was auch mit uns geschehen mag, mit diesem Tuche hefte dich recht fest an mich und bete.

CELINDE. Du gnädger Gott es hilft, ich fühl mein Herz, es füllt sich wieder. O dieses Elend mußte auch noch kommen über uns, war unser Wille nicht so gut.

AHASVERUS. Nur meiner Sünden wegen wird euch die Fahrt zum heilgen Grabe schwer.

KAPITÄN. Was sprecht ihr alter Jude, bei Gott ich glaubs, ihr seht mir aus als hättet ihr den Herrn schon verspottet, es ist ein unnatürlich Wetter.[261] He da Conrad, schmeiß den Stall mit der Kuh über Bord.

REICHER PILGER. Was soll denn das sein, Herr Jesus, ist hier Gerechtigkeit und alles aus, wo krieg ich morgen Milch zum Frühstück.

KAPITÄN. Wer weiß ob du nicht morgen selbst ein Frühstück bist für die Fische.

REICHER PILGER. Wenn Sie so schlechtdenkend sind, da halt ich nicht was ich versprochen, wer weiß es noch ob Sie nicht ungleich sind gefahren, das Schiff geht gar nicht recht wies sollte, ich bin zum Sterben krank, die Medizin ist mir zerbrochen, ach Gott, wie bin ich doch zu diesem Elend gekommen.

KAPITÄN. Laßt uns zu Gott wenden, wir können nichts mehr thun. Wüßt ich nur ein Gebet, je sackerment mir fällt keins ein, will einen guten Schnaps erst nehmen, dann geht es besser mit dem Beten. Er trinkt. Sind wir gleich Protestanten, wir rufen doch die Heiligen an, Donner und Wetter, ich weiß keinen. He noch ein Schnaps. Taback her.

MATROSE. St. Elmo soll was gelten in dem mittelländschen Meere, wir nehmen einen Paß von ihm, er ist so richtig wie der Amerikansche Paß. Wein her.

REICHER PILGER. Meinen Magenwein! nehmt nicht meinen Magenwein, ich kann nicht schlafen ohne Magenwein.[262]

MATROSE. Das Wasser ist nicht hart, denn es hat keine Balken, es schläft sich gut darin.

REICHER PILGER. Ich geb euch hunderttausend Thaler, wenn ihr mich schafft gesund ans Land.

KAPITÄN. Ein schön Stück Geld, wer eine Brücke schlagen könnte in die Luft, der möcht es sich verdienen, ergebt euch dem Teufel, der kann so was.

REICHER PILGER. Wie mach ich das?

AHASVERUS. Bewahre euch der Herr, den Teufel meidet, ich weiß von seiner Macht. Ihr zagenden Verzweifler, ich bin ein schwerer Sünder, werft mich ins Meer, denn mich allein will der Sturm vernichten, mich werft ins Meer, so ist des Himmels Wille rasch erfüllt und ihr könnt ruhig zu dem heilgen Grabe wallen.

KAPITÄN. Werft ihn hinein, er will es haben.

CARDENIO. Bei Gott ich leid es nicht, so lang ich noch die Arme regen kann.

REICHER PILGER. Wir solltens doch versuchen, ob es hilft.

CELINDE. O schont des alten Mannes, er klaget sich in Wahnwitz an, sein Herz ist ohne Missethat, doch ich bin schuldig.

CARDENIO. Du scheutest eben noch den Tod und willst dich jetzt für andre opfern.

CELINDE. Ich häng an dir und ich bin stark.

KAPITÄN. Fort mit euch dreien, ihr seid Wettermacher[263] wie die Türken, die wissen auch so was der Wolken Lauf zu richten, ich hab es oft gehört.

SCHIFFSLEUTE. Fort hinaus mit ihnen über Bord, wir habens all bemerkt, sie sind so heimlich und verdächtig.

REICHER PILGER. Bewahre Gott ihr Leute.

KAPITÄN. Sonst muß der Kuhstall über Bord.

REICHER PILGER. Ihr scheint so armes Volk ihr könnt leicht sterben, ich will für eure Frau und Kinder sorgen, schreibt mir nur die Adresse auf.

CARDENIO. Schweigt ihr Nichtswürdigen, ich fühls daß ich der Menge muß erliegen, doch wehe euch, wer leben soll der lebt im Sterben.

CELINDE. Geliebter, ja, ich sterb mit dir verbunden.

AHASVERUS. Erbarmet euch der Jugend.

SCHIFFSLEUTE. Hinunter in das Meer, fort das Schiff versinkt sonst.

CARDENIO. Gott verzeihe euch! Ahasverus, Cardenio, Celinde werden ins Meer gestürzt.

REICHER PILGER. Was habt ihr gethan, Leute das ist große Sünde.

MATROSE. Hat er es nicht geschehen lassen?

REICHER PILGER. Ich dachte nicht, daß ihr es würdet thun.

KAPITÄN. Ich nehm das Volk auf meine Seele, es waren Wettermacher, seht der Sturm läßt[264] nach, die Wolken brechen sich, der Himmel scheint hindurch.

SCHIFFSLEUTE. Ich seh den Himmel mit seinen Wolken für einen Dudelsack an. Das Meer sieht so schlaff aus wie ein ausgelaufener Weinschlauch.

KAPITÄN. Zieht die Segel auf.

SCHIFFSLEUTE. Wir sind so müde. Ich kann nicht stehen.

KAPITÄN. Das kommt vom Saufen.

REICHER PILGER. Au weh, wie schmerzt mir der Leib, wie ist mir der Kopf so wüst. Hätt ich jetzt nur meinen Magenwein, ich sage ihnen Herr Kapitän, den zieh ich ihnen von der Fracht ab. Aber ihr Kinderchen weil wir doch unser Leben salvirt haben, so laßt uns singen nun danket alle Gott.

KAPITÄN. Singt nur, ich habe keine sonderliche Stimme, ich will mir eine Pfeife anstecken.

LICHTERZIEHER. Sagt doch, was ist denn das für ein großes Schiff, was da hinter dem Vorgebirge herauskommt.

KAPITÄN. Ein Schiff! Wahrhaftig, war ich blind! Das ist ein Engländer, ein englisch Kriegsschiff wir sind verloren, meine Pässe gelten nicht. Es ist ein englisch Kriegsschiff. Kein Segel ist aufgezogen das kommt von eurer Faulheit ihr Bestien, ihr Hunde, ihr Maulaffengesichter, ihr Bärenhäuter, ja komme einer mir nur nahe.[265]

MATROSEN. Wir wollen uns wehren, unser Schiff segelt gut, wenn wir nur erst ein Paar Segel auf haben, unsre Kanonen schießen auch.

REICHER PILGER. Lieben Leutchen, wehrt euch recht tapfer, ich will unten heruntergehen.

KAPITÄN. Heiliger Gott, könnte ich nur in die Bosheit, in die rechte Furie kommen. Ja ihr Leute, wir wollen uns brav halten, jeder an seine Kanone, sterben kann unsereiner nur einmal; soll es einmal sein so ist es nicht anders; macht aus der Noth eine Tugend; es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben. Ein ferner Schuß. Halt Leute! – Ich kann nicht in die Bosheit kommen. Wie die Verfluchte Kugel sauste, streicht die Segel.

REICHER PILGER kuckt heraus aus dem Verdeck. Ist alles vorüber? Sind viele todt? Noch ein Schuß. Au weh, warum sagt er mir nicht daß noch geschossen wird? Zieht den Kopf herein.

KAPITÄN. Alte fette Schnecke, zieh deinen Kopf herein oder ich tret dich. Ach Kinder welcher Teufel hat die Engländer hergeführt, Kinder kniet nieder und betet.


Ein englisches Boot legt an, Bromly, Lysander mit Matrosen und Schiffssoldaten treten ein.


BROMLY. Ich glaub hier ist ein Hinterhalt im Schiffe, ihr haltet dicht zusammen, sie möchten uns gefangen nehmen, sie haben sich versteckt.[266]

LYSANDER. Da liegen sie in allen Winkeln auf den Knieen. Ergebt euch.

KAPITÄN. Ach ja mein allergnädigster Herr Engländer, recht gerne.

LYSANDER. Wie habt ihr euch, wir werden euch nicht spießen wie die Türken, ihr lebt wie wir, das Schiff ist unser.

REICHER PILGER kriecht hervor. Mein gnädger Herr ist das gewißlich wahr? Die Herren Englischmänner leben gut, mir haben sie hier alles in dem Sturme ausgetrunken, ein gut Glas Portwein wäre mir willkommen.

BROMLY. Mein guter alter Herr, das will ich ihnen reichen, sie scheinen mit der Seefahrt noch nicht sehr vertraut, was hat sie auf das rauhe Element geführt?

REICHER PILGER. Ich wollte nach Jerusalem, nur der Gesundheit wegen, aus Furcht vor einem Schlagfluß, ich meine nun, die Herren Engländer sind zu galant um uns auf unsrer Fahrt zu hindern.

BROMLY. Mein werther Herr, darüber kann ich ihnen nichts berichten, sehr möglich daß wir jetzt bei Acre landen, das weiß der Kapitän allein. Doch weil sie sich als Pilger uns genannt, sind wohl auf diesem Schiff mehr Pilger, wir suchen drei die uns durch Blut und Freundschaft sind verwandt.[267]

REICHER PILGER. Herr Kapitän, sie müssen doch dem Herrn die Pilger zeigen.

KAPITÄN. Da stehen sie beisammen, es sind nicht viele.

LYSANDER. Von denen ist es keiner. O des vergeblichen Bemühens, um uns zu täuschen ist das Meer so groß!

LICHTERZIEHER. Ach Herr, wenn ich sprechen dürfte, es sind auch noch drei Pilger hier gewesen.

LYSANDER. Wie sahn sie aus.

LICHTERZIEHER. Ein ganz uralter Jude mit langem Barte, ein junger schöner Herr, ein junges hübsches Mädchen.

LYSANDER. Sie sinds, sie sinds, wo haben sie euch denn verlassen?

KAPITÄN. Es war ein großes Unglück, gnädger Herr, – sie sind beim Sturme vom Verdeck gestürzt.

LYSANDER. O Himmel welch ein Jammer!

LICHTERZIEHER. Ihr Herren darf ich reden. Ich sage euch, kein Sturm hat sie herabgestürzt von dem Verdecke; – die Bosheit dieser Leute hats gethan; in ihrer Thorheit meinten sie die Pilger hätten uns den Sturm gemacht, der Alte hatte was von einem Hexenmeister, ich muß es selber eingestehn, allein das ist doch keine Manier, mit Passagieren also umzugehen.

REICHER PILGER. Ich hab das auch gesagt.

KAPITÄN. Es ist nicht wahr, ihr habt mir beide[268] nichts gesagt und da es alle wollten, und da der alte Mann sich selber hatte angeklagt, so meinte ich es müßte also sein, es war ein alter Schifferglaube.

BROMLY. Dir soll dein Recht gesprochen werden ich habe keine Worte meinen Schmerz und meine Wuth zu nennen. Was thaten dir die beiden schönen jugendlichen Zweige eines edlen Stammes, – o es ist unerhört, was roher Aberglaube noch für Wahnsinn zeugt.

LYSANDER. Sprich du verruchter Mörder.

KAPITÄN. Ich weiß von gar nichts, ich habs in aller Unschuld so gelitten, der Sturm, die Wellen, das Geschrei die drängten auf den Alten ein, der junge Mann wollt ihn vertheidigen, es gab ein Schlagen das Mädchen hielt sich fest an ihn, sie waren nicht des Stehens auf dem Schiffe sehr gewohnt, sie fielen in das Meer ich weiß nicht wie, weiß einer, wer es hat gethan?

MATROSE. Der Hannes wars, der von dem Maste fiel ins Meer, er hat schon seinen Lohn.

LICHTERZIEHER. Nein mit Erlaubniß, das ist nicht an dem, der fiel viel früher.

MATROSEN. Du willst uns Lügen strafen.

BROMLY. Schweigt, ein strenges Recht soll über euch gesprochen werden.

LYSANDER. Es giebt die Rache nicht den herrlich vielgeliebten Mann uns wieder, der hier im ganz gemeinen Schicksal ist gefallen, es war der Frau geliebter[269] Bruder, o könnt ichs ihr verschweigen auf dem Schiffe.

BROMLY. Du hast noch eine Frau! – jetzt hast du dich verrathen – ich bin verschwiegen – nur nenn mich einmal Freund.

LYSANDER. Mein theurer Freund wie freu ich mich an deiner Brust die Thränen zu verbergen, die dem Soldaten nicht geziemen.


Sidney kommt mit Soldaten.


SIDNEY. Ihr bleibet lange, schon glaubte ich ihr fändet Gegenwehr, was hat das Schiff geladen?

KAPITÄN. Wollne Tücher, Leinenzeug.

SIDNEY. Das kommt uns sehr gelegen, ihr müßt mir aus dem feinsten Leinen eine Windel schneiden, die Wäscherin von deiner Kompagnie Lysander, hat eben einen schönen Knaben in die Welt gesetzt, ich meine schon daß er dir ähnlich sieht.

LYSANDER. Mein guter Freund, mein gnädger Gott, o halt mich Bromly, daß ich nicht im freudgen Jubel in das Meer mich stürze, dem armen Schwager nach; ach daß mein Dienst mich hier noch hält, daß ich den ersten Jubel muß versäumen.

SIDNEY. Ich will ihn jetzt für dich schon thun, du übernimmst ihn auch ein andermal für mich.

LYSANDER. Und wärs vorm glühenden Munde der Kanone. Er geht ab.[270]


Quelle:
Achim von Arnim: Sämmtliche Werke. Band 16, Berlin 1846, S. 250-271.
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