Die Nachtwandler

[261] Konrad, der Degenfelder hat

Sein edles Fräulein in die Stadt

Zur Hochzeit mitgenommen,[261]

In ein Gespräch gar mancherley

Sind da die Frauen kommen.


Jakob von Gültlings Frau zeigt an:

»Viel Tugend hat mein Edelmann,

Viel Tugend thut er üben,

Er ist besonnen, hat Vernunft,

Er thut mich herzlich lieben.


Doch leget er sich trunken nieder,

Er oft gar schnell erwachet wieder,

Ein'n Streich hat er empfangen

Vor Mastrich in dem Niederland,

Der thut ihm noch anhangen.


Dann springt er von dem Bett herab,

Daß ich mich oft verwundert hab,

Wehrt sich um Leib und Leben,

Doch thut er sich auf freundlich Wort

Ganz stille niederlegen.«


Des Degenfelders Frau zeigt an:

»Die Tugend liebt mein Edelmann,

Doch thut er dies oft üben,

Im Schlafe geht er manche Nacht,

Thut mich damit betrüben.«


Indem sie dies Gespräch vollendt,

Ging schier die Hochzeit auch zu End,

Da ging es an ein Scheiden,

Allein die beiden edlen Fraun

Lebten da länger in Freuden.[262]


Junker Jakob ward lustig gemacht,

Daß er ist blieben über Nacht,

Doch gar mit grossen Bitten,

Viel lieber wär er mit Gesind

Zur Wohnung gleich geritten.


Mit Trinken sezt man stark an ihn,

Der Junker dacht in seinem Sinn:

»Ich muß mich wohl vorsehen,

Daß ich die Sach nicht mach zu grob,

Will mich bey Zeit ausdrehen.«


Sie lebten all in Freuden groß,

Den Degenfeld die Frau umschloß,

Und küßte ihn vor allen;

Sobald die andern solches sahn,

Hats ihnen wohlgefallen.


Junker Jakob saß an dem Tisch,

Den Degenfeld an der Hand erwischt,

Aus Lieb thät er sie drücken,

Sprach ihm daneben freundlich zu,

Thät sich an ihn auch schmücken.


Ein Umtrunk bald herummer ging,

Junker Jakob wieder anfing,

Hat ganz freundlich gebeten;

»Den bring ich euch zur guten Nacht.«

Vom Tisch ist er getreten.


Als bald er sich zur Ruh begab,

Sein Knecht zog ihm die Kleider ab;

In einer Kammer kleine[263]

Befahl er sich dem lieben Gott,

Legt sich ins Bett alleine.


Zu plaudern noch Herr Konrad kam,

Doch als er Gültlings Schlaf vernahm,

Wollt er ihn nicht erwecken,

Und als er noch ein Bett ersah,

Thät er hinein sich strecken.


Da es nun war um Mitternacht,

Der Teufel hat sein Spiel gemacht,

In dieser Kammer kleine,

Da die zween Junker gelegen sind,

Der Mond schien hell und reine.


Konrad von Degenfeld aufsteht,

Und in dem Schlaf nachtwandeln geht,

Wie er sonst oft thut pflegen,

Das Deckbett schlug er um sich rum,

Darunter er gelegen.


Jakob erwacht und blicket hin,

Konrad geht still im Schlaf auf ihn,

Als wollt er ihn verfolgen,

Da springt er auf vor dem Gespenst

Und sucht nach seinem Dolche.


Er tappt umher, und auf der Erd

Greift er des Degenfelders Schwerdt,

Thuts gegen ihn erheben:

»Nun steh und sage, wer du bist,

Sonst geh ich dir ans Leben.«[264]


Als Konrad noch kein Antwort gab,

Entsetzt sich Gültling sehr darob,

Wehrt sich um Leib und Leben,

Vermeint es wär ein Teufelsspuck,

Thät viele Stich ihm geben.


Tödtlich verwundet sinkt zur Erd

Der edle Degenfelder werth,

Indem da thut erwachen

Der Schultheis und das Hausgesind,

Niemand wußt von den Sachen.


Ein Lichtlein schlägt er an geschwind,

Der Kammer eilt er zu geschwind,

Junker Jakob thät anfangen;

»Was ist das für ein Teufelsspuck

Der mich hat angegangen.«


Das Licht nimmt er in seine Händ,

Und es zur Erde niederwendt,

Als er den Mord gesehen,

Da schrie er Jammer immerfort:

»Ach Gott, wie ist mir geschehen!«


Erst wollte er's ganz glauben nicht,

Dem Konrad küßt er das Gesicht,

Der Schultheis schrie mit Bangen:

»Herr Jakob gieb dich mir geschwind.«

Herr Jakob ward gefangen.


Bis Morgens früh ein Stund vor Tag,

Dem Ritter man das Urtheil sprach,

Da ward das Thor geschlossen,[265]

Die Fuhrleut, fremde Wandersleut

Hat man hinaus gelassen.


Darnach sie wurden zugesperrt,

Viel Bürger mußten wohlbewehrt

Zum Markte eilend kommen,

Die ganze Stadt des Wunder nahm,

Wie sie das hat vernommen.


Ein schwarzes Tuch ward da bereit,

Und mitten auf den Markt gespreit,

Auch eine Bahr daneben,

Herr Jakob nahm seinen Mantel ab,

Thät ihn seinem Jungen geben,


Ein seidnes Tuch war da zur Hand,

Die Augen er sich selbst verband,

Und thät aufs Tuch hinschreiten,

Darauf kniet er mit Heldenmuth,

Stellt beyde Händ in die Seiten.


Indem der Meister sein Werk verricht,

Trit ihm der Teufel unters Gesicht,

Das sag ich unverholen,

Wie gern hätt er ihm Leib und Seel

In dieser Stunde gestohlen.


Er aber beständig blieben ist

In dem Vertraun auf Jesum Christ,

Ist ritterlich gestorben,

Die ewge Freud und Seligkeit

Hat er damit erworben.[266]


In die Bahr hat man ihn gelegt,

Mit einem schwarzen Tuch bedeckt,

Die ganze Gemeind thät klagen,

Er ward von ehrlichen Leuten da

Ganz traurig weggetragen.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 261-267.
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