Die vermeinte Jungfrau Lille

[98] Mündlich.


Prinz Eugen.


Lill, du allerschönste Stadt,

Die du bist so fein und glat,

Meine Lieb, die brennt in Flammen,

Dich lieb ich vor allen Damen,

Lill, du allerschönste Stadt.


Stadt Lille.


Lieber Herr, was saget ihr,

Wer seyd ihr, was macht ihr hier,

Was die Reiter, die Soldaten,

Eure tapfern Kameraden,

Liebster das erzählet mir?


Prinz Eugen.


Ich bin der Savoyer Held

Bekannt genug in aller Welt,

Prinz Eugen bin ich genennet,

Der zu dir in Liebe brennet,

Lill, du allerschönste Braut.


Stadt Lille.


Lieber Herr, fort packet euch,

Gehet in das deutsche Reich,

Denn ich habe zum Galanten,

Zum Gemahl und Caressanten,

König Ludwig von Frankreich.


Prinz Eugen.


Liebste deine Schönheit groß

Ziehet mich in deinen Schooß,

Mit Gewalt will bey dir schlafen,

Schrecken dich nicht meine Waffen,

Machen Hochzeitfeuer an.


[98] Stadt Lille.


Lieber Herr von großer Macht,

Glaubet mir, ihr seyd verlacht,

Meine Werk und Bastionen

Citadell und halbe Monden,

Bouffler schützet meine Ehr.


Prinz Eugen.


Halt das Maul und schweige still,

Hör was ich dir sagen will,

Hab ich nicht in Ungerlanden

Türken schon gemacht zu schanden,

Hundert tausend, noch viel mehr?


Stadt Lille.


Lieber Herr, das glaub ich wohl,

Daß ihr damals waret toll,

Aber ihr habt nichts zu schaffen

Jezo mit den türkschen Affen,

Sondern mit dem Lilien Glanz.


Prinz Eugen.


Ihr Constabler frisch daran,

Feuert hundert tausend Mann,

Donnert daß es kracht in Flammen,

Daß kein Stein hält mehr zusammen,

Lill, du unglückselig Weib.


Stadt Lille.


Meint ihr denn, daß mein Vandom,

Mir nicht bald zu Hülfe komm,

Der mit hundert tausend Franzen,

Den Holländern lehrt das Tanzen,

Eh mein Kränzlein mir verbrannt?


Prinz Eugen.


Lill, mein Engel und mein Lamm,

Ich weiß dir den Bräutigam,

Kaiser Karl, der Weltbekannte,[99]

Ich bin nur sein Abgesandte,

Und des Kaisers General.


Stadt Lille.


Ey wohlan, so laßt es seyn,

Karle sey der Liebste mein,

Denn der Ludewig veraltet,

Und die Lieb ist ganz erkaltet,

Karl ist noch ein junger Held.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 98-100.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Knaben Wunderhorn
Ludwig Achim's von Arnim sämtliche Werke: Band XVII. Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano. Band 3
Sämmtliche Werke, Neue Ausgabe. Herausgegeben von Bettina von Arnim und Wilhelm Grimm. Band 06: Des Knaben Wunderhorn I und II. - Reprint der Ausgabe von 1857
Des Knaben Wunderhorn Band 2
Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L.A.v. Arnim und Cl. Brentano. Neu bearbeitet von Anton Birlinger und Wilhelm Crecelius; ... in Holz geschnitten von C.G. Specht: Band. 1
Ludwig Achim's Von Arnim Sämmtliche Werke: Des Knaben Wunderhorn. T. 3 (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon