Wunderliche Zumuthung

[339] Geschichte des Lutherischen Gesangbuchs von Schmidt.

Altenburg, S. 276.


Einsmals zu Frankfurt an dem Main

Viel Fürsten thäten ziehen ein,

Ihrer lutherischen Religion gemäß,

Nach dem Stift zu St. Barthelmäs.

Als dieser Schluß ward offenbar,

Vom Volk ein großer Zulauf war;

Da nun ein Zeichen ward geläut,

Dadurch die Predigt angedeut,

Siehe, da kam ein Priester dar,

Der dem Papstthum anhängig war:

Trat auf die Kanzel stracks hinauf.

Des wundert sich des Volkes Hauf,

Thät sich doch nicht besinnen lang,

Sondern fing bald an den Gesang:

Nun bitten wir den H. Geist

Um den rechten Glauben allermeist.

Da nun der Gesang vollendet was,

Das Evangelium er las,

Das Volk mit Fleis solchs höret an,

Doch, da ers wolt erklären dann,

Woltens nicht hören überall

Fingen an mit frölichem Schall:

»Nun freut euch lieben Christen gemein

Und laßt uns frölich springen.«[339]

Der Pfaff stand, wundert ob den Sachen,

Weil man am Gesang kein End wolt machen;

Da stand er und ward gleich erstart,

Letzlich er halb unsinnig ward,

Lief von der Kanzel ungestüm,

Und ging mit großem Zorn und Grimm,

Zu einem Jülichschen Fürsten dar,

Denn sonst noch kein Fürst drinnen war,

Klagt ihm, er würd von seinem Ort

Mit Gewalt, ohn Recht gedrungen fort,

Und könnt sein Amt verrichten nicht,

Das wollt er klagen ihm hiermit,

Und sollt er ihm auf diese Klag

Zeugniß geben am Jüngsten Tag.

Der Fürst sprach: »Lieber Priester mein,

Die Fürsten kamen überein,

Daß sie wolten an diesem Ort,

Anhören das Göttliche Wort,

Von einem, welcher zugethan

Ihrem Glauben und Religion,

Solchem, der Fürsten Schluß gemein,

Solt ihr nicht widerstanden sein.

Zudem kömmt mir beschwerlich für,

Daß ihr habt zugemuthet mir,

Ich soll von dieser eurer Klag

Zeugniß geben am Jüngsten Tag,

Denn dort entweder werdet ihr

Nicht kommen wiederum zu mir,

Oder, wenn solches schon geschicht,

So werd ich euch doch kennen nicht.«

Hierauf lief der Pfaff davon mit Grimm,

Und warf die Sanduhr ungestümm

Beim Altar aufn Boden hin;[340]

Flucht und schwört mit tollem Sinn.

Das Volk insgemein ob diesen Sachen,

Muste des tollen Pfaffen lachen:

»Nun bitten wir den heilgen Geist

Um den rechten Glauben allermeist.«

Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 339-341.
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