XIV

[146] Lange hatte Lydia in ihrer Betäubung gelegen. Als sie wieder erwachte, saß neben ihr der Prinz.

– Jetzt wird uns Niemand mehr trennen, Therese – sagte dieser, ihre Hand an die Lippen drückend.

Lydia sah mit scheuen Blicken umher; – laß uns fort von hier, Arthur – bat sie, – die Stürmer könnten wieder aufmachen – – –

Die Rechte auf den Arm des Prinzen, die Linke auf die Schulter Salvadors gestützt, verließ sie das Haus des Schreckens. Der Weg bis zum Hotel des Prinzen war nicht weit, und wenig[146] besetzt. Dennoch brauchten sie fast eine Stunde, ehe sie es erreichten.

Der Prinz führte Lydia nach seinem Lieblingsaufenthalt, dem Gewächshause. Salvador hatte sich, betäubt durch die verschiedenen Eindrücke, welche er im Laufe des Tages empfangen, in das kleine Vorzimmer in eine Ecke gekauert und war bald in tiefen Schlaf gesunken.

Lydia glaubte in einen Feenpallast zu treten. Durch das schräge gläserne Dach strömte das blinkende Mondlicht mit zauberhaftem Glanze hernieder. Eine feuchtwarme Atmosphäre, gewürzt mit dem Wollustathem von unzähligen exotischen Blumen umfing die Eintretenden. Tausend blinkende Tropfen funkelten auf den vielgefalteten Blättern der Gewächse, das dunkle Grün war von dem Glanz des Mondes mit silbernem Hauch übergossen. Lydia, durch diesen Anblick übermannt, vergaß die peinlichen und schrecklichen Eindrücke, die noch vor wenigen Augenblicken ihre ganze Seele mit ahnungsvollem Schmerz erfüllten, und gab sich ganz dem Genusse der Gegenwart hin.[147]

Sie hatte sich auf den Divan hingestreckt; der Prinz saß auf einem niedrigen Tabouret neben ihrem Lager, mit begeisterten Blicken auf ihr kindlich reines, entzücktes Antlitz schauend. Keins von Beiden sprach ein Wort. – Aus der Ferne rollte der Donner des Geschützes zu ihnen herüber – – – – aber in selige Selbstvergessenheit gesenkt, hörten sie ihn nicht.

– Arthur – sagte endlich leise Lydia – – hier ists schön, schön – zum Sterben.

Ihr schönes Auge leuchtete voll schwärmerischen Glanzes in das des Prinzen.

– Nicht so, Therese! warum sterben, jetzt, wo ein neues Leben für uns aufgegangen.

– Nenne mich nicht Therese, Arthur! nenne mich Lydia.

– Lydia! – sagte erstaunt der Prinz, der diesen Namen im Munde Alicens gehört zu haben glaubte. – Bist du nicht Therese?

Lydia erklärte ihm, warum sie in Straßburg den Namen »Therese« angenommen.[148]

Das ganze verrätherische Geheimniß des Fürsten Lichninsky lag jetzt klar vor seinen Augen. Warum aber Alice ihm die Anwesenheit Lydias verschwiegen, das konnte er nicht begreifen. Er äußerte sein Bedenken so schonend wie möglich.

– Nein, du thust ihr Unrecht. Sie hat ja nichts von meiner Liebe zu dir gewußt.

– Du hast Recht, Geliebte. – Es war also Lüge, was mir der Verräther Gilbert erzählte, von deiner Gefangenschaft bei der Herzogin Nagas?

– Gilbert – sagte nachsinnend Lydia, die die letzten Worte des Prinzen nicht mehr gehört hatte – warum schauderts mich bei dem Klange dieses Namens? ists mir doch, als bedeute er etwas Schreckliches, als sei es der Name des bösen Engels, der mein Leben vergiftet.

– Du wirst Ruhe vor ihm haben – sagte der Prinz düster – sein Tagewerk ist vollendet. Er fiel unter dem Dolche Salvadors.

Lydia fuhr mit der Hand über die Stirn. Trotz der großen Gewalt, welche sie ihrer Erinnerung[149] anthat, vermochte sie glücklicher Weise den Schleier, der in dem Augenblick über ihr Bewußtsein sank, als sie Gilberts Stimme vernahm, nicht zu durchbrechen. Jene Stimme tönte ihr aus einer Vergangenheit herauf, deren Schmerzen sie einst zum Wahnsinn geführt hatten – – – –

Der Prinz sah ihr ängstliches Ringen nach Klarheit: erkannte an ihren Blicken, daß jener Schleier etwas Furchtbares bedecken müsse, und suchte sie von ihrem Nachsinnen abzuwenden.

– Du wirst der Ruhe bedürfen, Lydia – sagte er, sanft ihre Hand von der Stirn ziehend.

– Nein – erwiederte sie mit hochathmender Brust – aber es ist so schwül hier. Meine Sinne sind betäubt. – – –

In der schüchternen, mädchenhaften Lydia war durch eines jener Räthsel unserer Natur, die zu lösen nie gelingen wird, wie mit einem Zauberschlage plötzlich eine tiefe, ihr ganzes inneres Leben umkehrende Veränderung vorgegangen.

Lydia war einer jener seltenen weiblichen Charaktere, die eine ihnen selbst unbekannte[150] heroische Stärke idealer Empfindung unter der sanften Hülle schüchterner Jungfräulichkeit verbergen. Das große Unglück ihres Lebens, die furchtbaren Erfahrungen, welche sie einst in die Nacht des Wahnsinns getrieben, waren eben so sehr eine Folge der erstern, wie der andern Eigenschaft.

Als sie ihre erste Liebe verrathen sah und durch jene entsetzliche Katastrophe, welche den Schluß einer frühern Erzählung bildete, zum Bewußtsein zurückgekommen war, konnte die aufkeimende Liebe zum Prinzen während ihres Aufenthalts in Straßburg noch nicht einen Aufschwung nehmen, der ihre ganze Seele mit fortgerissen hätte. Wäre sie vom Prinzen nicht getrennt worden, wer weiß, ob die fast leidenschaftslose Freudigkeit, mit der sie am Prinzen wie an einem Bruder hing, je eine tiefere Saite ihres Gemüths angeschlagen hätte. Aber ihr Gefühl einmal angeregt, entwickelte sich, so lange zurückgedrängt, mit doppelter Macht. Getrennt vom Prinzen, suchte ihre Phantasie einen andern Ausweg; sie gerieth in die Hände des Paters Angelikus und wurde religiöse Schwärmerin.[151]

Wie welkes Laub vor dem Hauche des Frühlings, zerstob ihre fromme Sentimentalität vor dem Athem wahrer Leidenschaft. Statt einer künstlichen geruchlosen Blume blühte die süßduftende Centifolie einer tiefen gluthvollen Liebe in ihrem Herzen empor. Lydia's Herz war nach seiner Wiedergeburt in stiller, aber kräftiger Entwicklung bis zur vollkommenen Reife gediehen; so bedurfte es nur eines warmen Sonnenstrahls, um die schwellende Knospe plötzlich zur vollsten Blüthe zu entfalten.

Der Prinz selbst war überrascht über die Wärme Lydia's, die er früher nicht geahnt hatte. Inniger umfing er die Bebende; glühender strömten seine Küsse auf Mund und Wangen. Seine Brust klopfte gewaltig; sein Blut jagte mit rasender Schnelligkeit durch die Adern.

Wie übermannt von der Uebermacht seiner Empfindung entriß er sich den Armen Lydia's und stürzte neben ihrem Lager auf die Knie.

– Lege Deine Hand auf meine Stirn, Geliebte, und kühle die Gluth, die mich verzehrt – bat er.[152]

Lydia lächelte mit seliger Verklärung auf ihn herab. Ihre Augen glänzten in wonniger, überquellender Sehnsucht, die Gluth ihres Innern warf einen rosigen Wiederschein auf ihre Wangen. Es war die Morgenröthe des künftigen schönen Liebelebens.

Von Neuem umfing er sie; er zog sie näher zu sich heran und preßte sein heißes Gesicht auf ihr fieberhaft klopfendes Herz. – – Da – der Prinz taumelte, von einem Faustschlage getroffen, einige Schritte rückwärts. Lydia stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als sie Salvadors zürnende Gestalt erblickte. Die ungeheure Gewalt, welche sich der Knabe in diesem Augenblicke anthat, um nicht auf seinen Gegner loszustürzen, machte ihn sprachlos. Aber während seine Rechte krampfhaft des Griffs des Dolchs hielt, sprühten Funken des Hasses und der Erbitterung aus seinen rollenden Augen und aus seinem, von den wilden, schwarzen Locken umdüsterten Gesicht. So stand er, den Angriff des Prinzen erwartend.[153]

Aber der Prinz stand kalt und regungslos ihm gegenüber.

Es trat eine minutenlange, unheimliche Stille ein, während welcher man nur den heftigen Schlag dreier, von Erbitterung, Angst und Verzweiflung erfüllten Herzen hätte vernehmen können.

Endlich erhob der Prinz sein Gesicht. Fast wehmüthig sah er dem Knaben in das von Thränen des Schmerzes erfüllte Auge.

– Du liebst sie also? – sagte er sanft, auf Lydia deutend.

– Nein, ich verachte sie – erwiederte mit bebender Stimme Salvador, doch schon im nächsten Augenblick lag er zu ihren Füßen.

– Sag', daß Du ihn hassest, wie ich ihn hasse – schluchzte er – sag', daß Du schliefst und nichts von Dir wußtest, als seine Arme Dich umfingen – so will ich ruhig sein und Deinem Winke gehorsam. Sprich, Du liebst ihn nicht? –

– Nein, Salvador, ich kann nicht lügen; er ist ein edler Mann und keines Verraths fähig –[154]

– Aber Du liebst ihn nicht, nicht wahr? – bat dringend der Knabe, seinen Dolch fester fassend.

– Ja, ich liebe ihn – sagte Lydia, den leuchtenden Blick auf den Prinzen gerichtet, der mit gekreuzten Armen dastehend, jede Bewegung des Knaben verfolgte.

– Dann mußt Du sterben, Verrätherin – rief der Knabe, den Dolch aus der rothen Schärpe ziehend.

Aber in dem Augenblick, als die Spitze des Dolchs den Busen Lydias berührte, fühlte Salvador seinen Arm von einer kräftigen Hand gefaßt, so daß der Dolch klirrend zu Boden fiel.

Der Prinz, auf dessen bleiche Stirn die ruhige kalte Hoheit zurückgekehrt war, welche gewöhnlich darauf thronte, wies mit der Hand nach der Thüre.

– Wohl Dir – rief er mit donnernder Stimme, daß Du Dir durch den Tod Gilberts einen so gewichtigen Anspruch auf meine Dankbarkeit verschafft – und nun hinweg![155]

Salvador raffte seinen Dolch empor, erhob noch einmal seine Hand, wie zum Fluche über Lydia, und stürzte hinaus – –

Er irrte lange umher, ohne zu wissen, wohin. Als seine Besinnung zurückgekehrt – fand er sich wieder am Palais des Prinzen, und vor ihm stand – der Pater Angelikus. – – –[156]

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 2, Mannheim 1849, S. 146-157.
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