Das muthige und listige Schneiderlein Sankt.

[174] Die Großmutter nickte dem Kinde, nachdem es geendigt, Beifall zu. Nun trat Fritz auf den Plan, und erzählte lebhaft in Ton und Gebärde:

Wer kennt nicht die Geschichte vom Schneiderlein, der Sieben auf Einen Schlag getödtet hat? Es sind dieß bekanntlich zwar nur sieben Fliegen gewesen; aber der Schlag hat doch gegolten;[174] und der Streich weckte seinen Heldenmuth, daß er beschloß, auf Abenteuer auszugehen, und sich irgend eine Königstochter zu erobern. Darum machte er sich alsogleich einen Harnisch aus Goldpapier, und schrieb darauf mit großen Buchstaben: Sieben auf Einen Schlag, und ging fort, in die weite Welt hinaus, Helden-Abenteuer aufzusuchen und, so Gott will! auch muthig und glücklich zu bestehen. Nun wissen wir alle, wie das Männlein an den Hof eines Königs gekommen, und dort um die Hand der Königstochter geworben; und wie er den Bären geschraubt und gefangen, und das Wildschwein und das Einhorn getödtet hat; was ihm denn alles auferlegt worden zur Probe seines Heldenmuths und ritterlichen Sinnes. Schon dachte sich Jäcklein, nachdem er dieß alles verrichtet: Jetzt gehört sie mein, die schöne Königstochter! Da sprach der König zu ihm: »Du hast bisher drei Unthiere getödtet, mit mannhaftem Muthe; und du verdienst deßhalb alles Lob. Aber nun sollst du es auch mit Unmenschen aufnehmen, mit drei großmächtigen, fürchterlichen Riesen, die in dem Walde gen Osten zu hausen, allen Reisenden zum Schrecken. Wenn du auch diese erlegst, so will ich dir alsogleich meine Tochter zur Frau geben.« Jäcklein sagte: Das will ich thun, Herr König! Und er ging fort,[175] nachdem er das Nöthige mitgenommen; und, als er in den Wald kam, legte er sich nieder unter einer großen Buche, und that, als ob er schlafe. Bald kamen die drei Riesen herbei; und wie sie das Männlein liegen sahen, und die Inschrift auf dem Harnisch: Sieben auf Einen Schlag, so lachten sie drob, und sagten: Dieß wär' uns ein Held! Jäcklein aber sprach: Nehmt's mit mir auf, ihr Bengel, wenn ihr Muth habt! Darob lachten die Riesen noch mehr, und sie sagten: Das wollen wir, kleiner Butzel! Jäcklein sprach weiter: »Nun, so laßt uns denn drei Proben machen, wer der stärkste sey; und wer in allen dreien gewinnt, der ist Sieger; und wer verliert, der muß sich gefangen geben.« Den Riesen gefiel der Spaß, und sie sagten, daß es ihnen so recht sey; und er sollte nur die Proben bestimmen. Da sagte der Schneider: Zum ersten, wer einen Stein zum Höchsten wirft, der soll Sieger seyn. Die Riesen nahmen sogleich einer nach dem andern große Felsstücke, und warfen sie in die Höhe; und es dauerte bei eines jeden Wurfe ein', zwei bis drei Minuten, bis der Stein zurück fiel auf den Boden, den er jedes Mal tief aufwühlte, daß die Erde umher stäubte. Zuletzt hob auch Jäcklein ein Steinlein vom Boden auf, und sagte zu den Riesen: Nun fangt an zu zählen,[176] wenn ich werfe; und daß ihr euch ja nicht verzählet! Wie er nun warf, und sie das Ding fliegen sahen über die Bäume hin, da zählten sie: eins, zwei, drei bis tausend; und wiederum eins, zwei, drei bis zwei tausend; und der Stein wollte immer noch nicht zurückkommen; und also gaben sie sich für dieß Mal gefangen. – Nun müßt ihr aber wissen, daß das kein Stein gewesen ist, den der Schneider geworfen, sondern ein Vögelein, das er im Vorschuß des Aermels verborgen hatte; und das Vögelein ist davon geflogen, und ist freilich nicht mehr zurückgekommen. – Nun gab Jäcklein die zweite Probe auf, und sagte: Wer einen Kieselstein zerdrückt, und am meisten zermalmt, der soll zum anderten Mal Sieger seyn. Die Riesen ließen sich herbei zum Probestück; und der eine zerdrückte den Stein in lauter Brocken, der andere zermalmte ihn zu kleinem Schrot, der dritte so, daß es aussah, wie feiner Streusand. Da waren sie nun begierig, was der kleine Held mehr verrichten wollte. Dieser hob, ohne ein Wörtlein zu sagen, einen Kieselstein auf, und er zerdrückte ihn so, daß Wasser davon floß. Also mußten ihm die Riesen zum zweiten Male den Sieg zugestehen. – Ihr werdet wohl denken, daß auch dieses Mal eine Schelmerei des kleinen Schalks dahinter gesteckt sey. Und es war auch so;[177] denn er hatte einen Topfen oder Milchkäs im Aermel verborgen gehabt, und ihn dem Steine untergeschoben und zerdrückt; was die plumpen Riesen nicht gesehen noch errathen haben. – Daraus ist zu lernen, wie viel mehr Witz vermöge, als Stärke. – Nun aber, da es zur letzten Probe kommen sollte, da dachte Jäcklein: Was ist es, wenn ich sie auch jetzt wieder besiege? Sie werden mir kein Wort halten, sondern mich auslachen, und wohl gar auffressen zum Dank. Da fiel's ihm noch zur rechten Zeit ein, und er sprach: Zum dritten und letzten Mal, wer am weitesten und besten fliegen kann, der ist Sieger ein für alle Mal. Die Riesen dachten: So weit, als der kommt mit seinen kurzen Armen und Beinen, so weit mögen wir auch kommen. Und sie sagten: es sey ihnen recht, und er sollte nur gleich den Anfang machen. Also kletterte Jäcklein an einer hohen, hohen Buche hinauf bis zum Gipfel; dann, flugs! machte er einen Sprung, hupfte aber, wie ein Eichhörnlein, von Ast zu Ast, und hielt sich an Zweig zu Zweig, bis er endlich, zwar etwas unsanft, auf dem Boden angekommen. Da machte er sich gleich wieder auf die Beine, schrie: Juhe! und that einen Burzelbaum. Die Riesen droben, wie sie sahen, daß der drunten so frisch und wohl angekommen, säumten nicht lange; und der erste wagte sogleich den[178] Sprung, und plumpfte mit gewaltiger Last zu Boden, daß ihm alle Rippen enzwei brachen, und sogleich den Geist aufgab. Da riefen ihm die zwei zu: Wie ist's? Jäcklein verstellte seine Stimme, und antwortete statt des Riesen in tiefer, grober Stimme: Recht gut! Dann sprang auch sogleich der zweite nach, und fiel maustodt, wie der erste. Da fragte der droben: Warum steht ihr denn nicht auf? Jäcklein nahm wieder die Stimme des Riesen an, und sagte: Wir liegen gut. Also hupfte auch der dritte nach, und brach sich Hals und Bein, daß er kaum mehr röcheln konnte, und bald darauf auch verschied. Jäcklein, wie er nun alle drei todt vor sich liegen sah, zog sein Schwert, das so groß war, wie ein Transchiermesser, und schnitt in guter Weile allen dreien die Köpfe ab. Sodann knüpfte er eines ihrer Häupter mit den Haaren an einen großen Stecken, und ging freudigen Muthes zurück in das Schloß des Königs. Zu dem sagte Jäcklein: Hier bringe ich Euch einen Riesenkopf; wollt Ihr die andern zwei auch haben, so laßt sie selbst holen. Da nun der König sah, welche Heldenthaten der kleine Mann verrichtet (Jäcklein sagte ihm aber nicht, welche Kunstgriffe er angewandt) – so konnte er seinen Heldenmuth nicht genug bewundern und preisen, und er nahm nun keinen Anstand mehr, ihm seine[179] Tochter zur Frau zu geben. In wenigen Tagen drauf war Hochzeit, und beide lebten zusammen in Frieden und Freuden gar viele Jahre, bis an ihr seliges Ende.


* * *


Fritz, nachdem er auserzählt hatte, flog auf die Großmutter zu, ohne das Urtheil der Uebrigen zu beachten. Die streichelt' ihm die langen Haare aus dem Gesichte und legte und putzte sie zurecht, was sie so oft zu thun pflegte, als sie mit ihrem Liebling besonders zufrieden war. »Großmutter, sagte Fritz, der ihre gute Laune zu benutzen suchte – geh! und erzähl' uns doch nochmal die lustige Geschichte, weißt! von dem Schwäble, der das Leberle gessen hat.« »Schelm! – sagte die Großmutter, und gab ihm einen Backenstreich – du möchtest wieder einmal die Schwaben ausspotten.« »Nein, gewiß nicht! sagte Fritz. Und hör', Großmutter, wenn du die Geschichte erzählst, so will ich dir auch noch eine erzählen, und zwar eine gar lustige.« Die Großmutter ließ sich herbei, und begann:


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Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Büchlein für die Jugend. Stuttgart/Tübingen/München 1834, S. 174-180.
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