[256] Numitorius. Die Vorigen.
RUFFUS.
Komm Numitorius! hier ist ein Streit
entstanden, der am sichersten durch Dich ...
NUMITORIUS.
Virginia! Du hier?
VIRGINIA.
Ach Herr! und hier,
als aus dem Tempel ich nach Hause kehrte,
von einem Grausamen beschimpft, der mich
als seine Sklavinn mit sich schleppen will![256]
NUMITORIUS.
Als Sklavinn? träumest du? Sie Sklavinn? Sie?
Virginia? die Tochter meiner Schwester?
MARCUS.
Von Sylvien – jetzt meiner Sklavinn noch –
ward sie geboren, und durch sträflichen
Betrug, der unfruchtbar, des Gatten Haß
befürchtenden, Gemahlinn des Virgin
verkauft.
NUMITORIUS.
Und dieß, o Marcus! glaubest du?
Man täuschet dich, vielfältig täuscht man dich.
Eh meine Schwester dem Gemahl dieß Kind
geboren, hatte sie schon Kinder ihm
gebracht. Ein Träumer nur kann unfruchtbar
sie nennen; nur ein Träumer ihren Kauf
des Sklavenkinds behaupten: denn sie bracht
in meinem Haus Virginien zur Welt.
MARCUS.
Doch wie? wenn eben so wie den Virgin,
man Dich betrogen hätte? – Glaubst du wohl
allein der Mann zu seyn, deß Falkenblicke
kein Netz der Weiberlist verborgen bleibt?
NUMITORIUS.
Dir selbst, o Marcus! setz' ich diese Frage.
Dein Irrthum stammt gewiß von Weibern her;
vielleicht von Sklavinnen, die Sylvien
zu stürzen, den Betrug erdichteten.
MARCUS.
Und wenn selbst Sylvia mir ihn entdeckt –
aus Reu sich selber angeklaget hätte?[257]
Wenn andre Zeugen mehr – – Doch alles dieß
hört ihr nach wenig Stunden vor Gericht.
Dort leg' ich Rechenschaft, nicht hier euch ab.
NUMITORIUS.
Ach, übereil dich nicht, betrogner Mann!
Du würdest diesen Schritt zu spät bereuen.
Beladen mit dem Haß der Freyen Roms,
verabscheut in den Herzen aller Mütter,
verspottet von dem Rest der Sterblichen,
zögst du gewiß mit Reu vom Forum ab.
Es ist ein harter Rechtsstreit, einem Vater
wie Dieser ist, die Tochter abzurechten,
ein Wagestück, den Nahmen einer Gattinn
wie Diese war, im Grabe noch zu schänden.
Erwäg dieß wohl, o Marcus.
RUFFUS.
Es ist wahr!
Virginius war stets ein Ehrenmann
und tapfrer Krieger.
QUINTUS.
Ihn verehrt ganz Rom.
MARCUS.
Und Niemand mehr als ich. Mit Gram im Herzen
bestreit' ich ihn. Doch darf ein Sterblicher
verwerfen, was der Götter Huld ihm schenket? –
Ich fodre drum aus Pflicht mein Eigenthum;
und Er, der Ehrenmann – vernimmt er nur
die Gründe meines Rechts – verschmerzet leicht
ein Gut, das unrechtmäßig er besaß.
VIRGINIA.
O Himmel! sollt ich wirklich Sklavinn seyn,[258]
nicht frey, nicht Römerinn? O Götter! Götter!
in welchen Jammer stürzt ihr plötzlich mich!
MARCUS.
Mich rührt dein Mißgeschick: – doch tröste dich!
vielleicht wirds minder hart, als es nun scheinet.
Glaub, ich bin Mensch, behandle menschlich auch
den Sklaven. Zeig nur nicht den ersten Tag
durch Widerstand dich unwerth meiner Huld! –
Folg mir!
VIRGINIA.
Nein Grausamer! und schuff mich auch
der Himmel, wie du sagst, zur Sklavinn dir,
von allen deinen Rechten über mich
sollst du des einzigen, mich ungestraft
zu tödten, dich erfreu'n!
MARCUS.
Ha, welch ein Trotz!
Nun fühle die Gewalt! ergreifft sie Knechte!
VIRGINIA.
Helft Römer! schützet, oder tödtet mich!
Buchempfehlung
Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«
74 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro