Die Freiheit der Presse in Bayern

In dem Gange der Natur und der Geschichte ist nicht zu unterscheiden, was Ausgang, Weg oder Ziel sei; alles kehret in einem ewigen Kreislaufe zu sich selbst zurück. Doch welcher Ring der unendlichen Kette in jeder Stunde der Beobachtung an dem Menschengeschlechte vorüberziehe, das mag man erkennen – es bildet den Geist der Zeit. Die unsere ist bemüht, die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft anders zu gestalten, und sie strebt vor allem, die ausübende Gewalt den Händen eines alleinigen Herrschers dadurch zu sichern, daß sie die Fürsten der beratenden und gesetzgebenden Macht der öffentlichen Meinung unterwirft. Man widersetzt sich vergebens dem starken Willen der Zeit. Die öffentliche Meinung bildet eine Volksbewaffnung, die unbesiegbar ist und welcher das stehende Heer der Regierungsgedanken früher oder später unterliegen muß.

Alleinherrschaft kann nur bestehen, solange das Volk in Stände zerfällt, welche, in einer unwandelbaren Ordnung übereinandergebaut, die festen Stufen bilden, welche gemächlich zum Throne führen. Diese dauern nur so lange, als Familien und Körperschaften sich an Macht und Reichtum einander überragen, und Macht und Reichtum, sei es als erworbener oder als ererbter Besitz, folgen allein der Geistestätigkeit. Sobald, wie in unserer Zeit, die Bildung des Geistes sich durch die ganze Gesellschaft ausgebreitet hat und hierdurch die Ansprüche auf den Genuß des Lebens höher und allgemeiner geworden sind – und ein Wunsch ist schon der halbe Besitz – sobald eine solche Gleichheit eingetreten ist, da kann auch die Vorherrschaft irgendeines Standes nicht länger mehr bestehen, und nur mit Unwillen duldet[822] man ihre Fortdauer. Das ist der Geist des Mißbehagens, der unter den Völkern wandelt, der nicht zu fürchten, aber zu achten ist. Ihn ableugnen, bedrohen oder schelten, das bannt ihn nicht. Man muß ihn begreifen und versöhnen. Das Mittel hierzu ist einfach und alleinig.

Reichtum und Macht sind beschränkt in ihrem Maße; es kann nicht jeder alles haben; das erkennt auch der einfältigste und eigensüchtigste Mensch. Aber es bedarf auch nicht des Besitzes eines Guts, um die lärmende Habgierde zu beschwichtigen, sondern nur der ungehinderten Freiheit, darnach zu streben. Es ist eine große Lehre der Regierungskunst der Menschen: hoffnungslose Bürger sind gefährlich, denn sie sind auch furchtlos. Die Ausbrüche der Unzufriedenheit, welche Thronen erschütterten, hatten wie Erdbeben in starken Trieben und Kräften ihren Ursprung, die aus den verborgenen und engen Räumen, in welchen sie eingeschlossen waren, sich zu befreien suchten. Es war ein Gebrechen der bürgerlichen Gesellschaft, daß jeder wie ein Baum festgewurzelt stand, von Geschlecht zu Geschlecht nur immer die nämlichen Früchte tragen und auf der Stelle, wo er zur Welt kam, auch sein Grab finden sollte. Dem Adlergeiste wurden die Flügel beschnitten, daß er sich nicht über den Boden, über Dürftigkeit und Geringschätzung erheben möge. Die Bahn war lang und eng; nur immer einer konnte nach dem Preise des Zieles rennen, der zufällig Vordere konnte durch Kraft und Schnelligkeit nicht mehr überholt werden. Der Wunsch nach Veränderung des Besitzes der Lebensgüter mußte alle beseelen, sobald, nachdem die Regierungen das Geheimnis ihrer Macht und Schwäche verraten hatten, die Erfüllung dieses Wunsches sich als möglich zeigte.

Um die Fürsten und ihre Völker vor dem Verderben zu bewahren, das aus jenem Geiste des Mißvergnügens und der Habsucht entspringt, muß in allen bürgerlichen[823] Ständen bedeutenden Menschen die lang verschlossene Laufbahn wieder geöffnet werden, die Freiheit nämlich, ihre vorwaltende Geisteskraft zu gebrauchen und geltend zu machen. Dieses kann nur geschehen durch Gewährung der Redefreiheit, der mündlichen in volksvertretenden Versammlungen und der schriftlichen durch die Presse. Auf diese Weise bildet sich eine sittliche Demokratie, wodurch die Entstehung der so gefährlichen, unheilbringenden numerären Demokratie allein verhindert werden kann. Eine unhaltbare Moral hält viele ab, diese Absicht zu bekennen, aber redliche Männer dürfen ihre Triebe eingestehen, während die Sünder, weil sie solche sind, heucheln müssen.

Die öffentliche Meinung ist der bestehenden Ordnung der bürgerlichen Dinge nicht hold, und das macht die Freiheit der Rede um so nötiger. Die öffentliche Meinung ist ein See, der, wenn man ihn dämmt und aufhält, so lange steigt, bis er schäumend über seine Schranken stürzt, das Land überschwemmt und alles mit sich fortreißt. Wo ihm aber ein ungehinderter Lauf gegeben ist, da zerteilt er sich in tausend Bäche mannigfaltiger Rede und Schrift, die, friedlich durch das Land strömend, es bewässern und befruchten. Die Regierungen, welche die Freiheit der Rede unterdrücken, weil die Wahrheiten, die sie verbreiten, ihnen lästig sind, machen es wie die Kinder, welche die Augen zuschließen, um nicht gesehen zu werden. Fruchtloses Bemühen! Wo das lebendige Wort gefürchtet wird, da bringt auch dessen Tod der unruhigen Seele keinen Frieden. Die Geister der ermordeten Gedanken ängstigen den argwöhnischen Verfolger, der sie erschlug, nicht minder, als diese selbst im Leben es getan.

Der freie Strom der öffentlichen Meinung, dessen Wellen die Tagesschriften sind, ist der deutsche Rubikon, an welchem die Herrschsucht weilen und sinnen mag, ob sie[824] ihn überschreiten und das teure Vaterland und mit ihm die Welt in blutige Verwirrung bringen, oder ob sie sich selbst besiegen und abstehen soll. Cäsars Schatten zeigt warnend nach der Bildsäule des Pompejus.

Die Abgeordneten der deutschen Bundesfürsten, man weiß es, sind jetzt ernst darauf bedacht, ein gemeinschaftliches Preßgesetz für alle deutschen Staaten auszusinnen. Der Tag, der es uns bringt, wird ein großer Tag der Weltgeschichte sein; denn an ihm wird kund werden, ob Mirabeau wahr gesagt oder ob der wegen seiner Blutschuld wild umhergetriebene Geist endlich um der Tugenden seiner Enkel willen den Frieden und die Ruhe seiner Asche fand.

Gleichförmig soll dieses Gesetz sein, und das ist wohlgetan. Wie könnten die Herzen der Völker sich befreunden, solange ihre Köpfe auseinander stehen? Zur Erhebung gehört eine Geisteskraft, welche die Gunst der blinden Natur verteilt; aber die Tugend der Herablassung vermag sich jeder anzueignen. Östreich und Weimar, Württemberg und Bayern, Nassau und Frankfurt haben verschieden gestaltete Preßgesetze. Diese sollen alle in dem Bette des Prokrustes sich gleichgemacht werden. Welche Art der Einrichtung man hierbei für die schmerzlichste achte, ob die Verkürzung oder die Ausdehnung, dieses hat Bayern kundgetan, indem es in seinem neuen Preßgesetze nur Schutz gegen die Gefahr der Verstümmelung gesucht hat.

Man kann sich die traurige Betrachtung nicht aus dem Sinne schlagen, daß Bayern wohl unterrichtet gewesen sein müsse von den schon im stillen gereiften Beschlüssen, welche die Bundesversammlung über die Freiheit der Presse fassen werde, und daß es in seine eigne Gesetzgebung nichts werde aufgenommen haben, was mit der bevorstehenden allgemeinen Anordnung im Widerspruche stünde. Darum eile jeder, der sein Vaterland[825] liebt, auszusprechen, was er für die Freiheit der Presse wünscht und fürchtet. In wenigen Wochen ist vielleicht jede Klage straffällig und fruchtlos. Wir müssen denken, es stünde unserem Wohnorte eine Belagerung bevor, und wir wollten schnell, ehe die Tore geschlossen werden, noch einmal im freien Felde frische Luft einatmen.

Das bayrische Edikt über die Freiheit der Presse verleugnet standhaft seinen eignen Namen; denn von Freiheit ist darin nirgends, sondern überall nur von Beschränkung die Rede. Es ist, was in der württembergischen Verordnung geschehen, durchaus nicht bestimmt worden, wie und über welche Gegenstände man frei seine Meinung äußern dürfe, so daß es ganz der Willkür überlassen bleibt, abzuurteilen, was in einer Schrift Erlaubtes oder Verbotenes enthalten sei. Die für Bücher bewilligte Zensurfreiheit kann nicht als eine ernste Huldigung unserer Zeit angesehen werden; denn diese hat, Östreich ausgenommen, schon früher in ganz Deutschland bestanden. Aber auch über der einzigen freundlichen Stelle des Edikts schwebt etwas Schwüles, das uns ängstlich macht, nämlich die Bemerkung, daß Verfasser, Buchhändler und Drucker ihre Schriften keiner Zensur zu unterwerfen hätten, »wenn sie nicht allenfalls bei kostbaren Werken, zur Sicherung ihrer bedeutenden Auslagen, selbst darum nachsuchen wollen.« Es ist so leicht, furchtsame Menschen zu ängstigen, daß solche Einladungen zu einer freiwilligen Zensur von Erfolg sein müssen, vorzüglich bei Buchhändlern und Druckern, welche, den Ruhm und den Eifer des Schriftstellers nicht teilend, nur den Vorteil ihres Gewerbes im Auge haben. Auf diese Art könnte eine freiwillige Sklaverei der Presse herbeigeführt werden, die, weil sie verdient, um so verderblicher wäre. Ist endlich diese für Bücher bewilligte Zensurfreiheit etwas mehr als ein[826] Blendwerk, da alle Buchhandlungen, Antiquarien, Lesebibliothekinhaber und Vorsteher der Leseinstitute bei einer großen Geldstrafe verpflichtet sind, ihre Katalogen der Polizeiobrigkeit, unter deren Aufsicht sie im allgemeinen gesetzt sind, zu übergeben, welches nur eine Zensur unter einer andern Form ist? Die Vorschrift, daß Schriften auch noch in den Händen ihrer Käufer einer Polizeiaufsicht untergeordnet sind, ist an Strenge ohne Beispiel in Deutschland.

Und selbst von dieser trügerischen Freiheit sind alle politische Zeitungen und periodische Schriften politischen oder statistischen Inhalts ausgenommen. Diese sollen einer dafür angeordneten Zensur unterworfen bleiben.

Wenn die Zensur der Zeitschriften sich darauf beschränkte, nur solche Äußerungen zu unterdrücken, die, würden sie verbreitet, den Verfasser nach dem Gesetze strafbar machten, dann wäre sie vielleicht zu dulden. Aber sie begnügt sich damit nicht; sie schreitet stundenlang vor dem Gesetze her und macht Staub, um ihm Platz zu machen. Also ist sie verdammlich; denn sie verbietet, was, ist es einmal geschehen, die Gesetze nicht bestrafen dürften.

Wo die Rede in den Tagesblättern nicht freigegeben ist, da beraubt sich die Regierung des einzigen Mittels, die Gebrechen des Staates zu erfahren und Aufklärung über die Verwaltungsmißbräuche zu erlangen, welche die Beamten verschulden. Sie beraubt sich des Vorteils, den sie aus dem Anhange der öffentlichen Meinung ziehen könnte. Denn es mögen unter solchen Verhältnissen in den Zeitschriften noch so viele freie, unabhängige und dem Vaterlande ergebene Stimmen die Sachen der Regierung aus eignem Antriebe verfechten, so wird sich das Volk dennoch niemals von ihnen leiten lassen, sondern überall die Bauchrednerei der Minister zu hören glauben,[827] welche ihre eigne Meinung mit verschiedenen nachgeahmten fremden Stimmen aussprechen.

Preßfreiheit ist ein bedeutungsloser Schall, wenn die Zeitschriften von ihr ausgenommen sind. Will man der öffentlichen Meinung ernstlich eine Teilnahme an der Staatsregierung gönnen, so muß ein freies Urteil über Gesetzgebung und Gesetzgeber, das sich ausspricht, ehe noch die Gesetze unabänderlich geworden sind, verstattet werden. Dieses stets geharnischte Wort muß aber täglich die Runde machen und alle Posten und Schildwachen der Staatsverwaltung untersuchen. Wenn es nur alle Jahre einmal in einem schwerfälligen Buche langsam umherreist, dann kömmt es zu spät, und sein Tun ist fruchtlos.

Die Bestimmung des bayrischen Edikts, daß periodische Schriften, selbst bloß statistischen Inhalts, einer Zensur unterworfen sind, enthält einen Zusatz von Beschränkung der Preßfreiheit, der über den guten Willen, den die Gesetzgeber auch nur gehabt haben könnten, durchaus irreführt. Eine Regierung mag ihre Gründe haben, die öffentliche Meinung so zu regeln, daß sie mit ihren Anordnungen im Einklang stehe, es liegt dieses im Begriffe der Alleinherrschaft; sie mag daher den Tadel bestehender Einrichtungen untersagen und darum die Urteile über öffentliche Angelegenheiten vor ihrer Bekanntmachung durch die Presse einer Prüfung unterwerfen. Wenn aber auch statistische Nachrichten ohne Zensur nicht gedruckt werden dürfen und dem Volke nicht bloß das Recht, seine Meinung über Tatsachen zu äußern, sondern auch die Kenntnis dieser Tatsachen selbst entzogen werden und alle Staatsverhältnisse zu Kabinettsgeheimnissen gemacht werden sollen, so bedauert man schmerzlich die unabänderlichen Verhältnisse, welche die sonst so freisinnige bayrische Regierung abgehalten haben mochten, das milde Verfahren, das[828] sie in der Ausübung wegen der Preßfreiheit beobachtet, nicht auch zu einem Gesetze zu erheben und der Nachkommenschaft als ein schönes Recht zu überliefern.

In dem württembergischen Gesetze über die Preßfreiheit sind die von den Landständen veranstalteten und mit ihrer Genehmigung herausgegebenen Druckschriften aller Zensur ausdrücklich entzogen worden. Das bayrische Edikt hat diese Bestimmung nicht aufgenommen. In den öffentlichen Sitzungen der bayrischen Stände wird man, es ist dafür gesorgt, die ausgesuchteste Gesellschaft finden, kühne und freie Reden werden vielleicht darin gehalten werden, aber deren Stimme wird in den Sälen verhallen und nicht zu Ohren des Volkes kommen.

Gegen die Vorschrift, daß Staatsdiener nichts von dem, was ihr Geschäftskreis sie Bemerkenswertes erfahren läßt, weder ihren Mitbürgern noch Ausländern durch den Druck mitteilen dürfen, ist nichts einzuwenden. Es ist dieses ganz folgerecht und dem übrigen angemessen. Nur sollten Männer, denen solche Pflichten aufliegen, nicht Staatsdiener sondern Hofdiener genannt werden.

Überflüssig wäre eine Rüge dessen, was in dem bayrischen Gesetze wegen der Untersuchung und Bestrafung der Preßvergehen bestimmt worden ist. Diese seine Schwäche ist nur die notwendige Begleiterin der größern Gebrechen, mit welchen die neue Staatsverfassung zur Welt kam. Das öffentliche gerichtliche Verfahren, die feste Säule der bürgerlichen Freiheit, das Geschwornengericht, diese einzige Bürgschaft eines über Leidenschaften und Schwachsinn erhabenen Richterspruchs, ist im allgemeinen versagt geblieben; wie hätte man es in einzelnen Fällen verstatten können? In der Untersuchung der Preßvergehen ist der Polizei und den andern verwaltenden Behörden ein unheilbringender Spielraum gegeben. Die Eigensucht des Klägers findet an der Gerechtigkeit[829] des Richters keinen Einhalt; denn Kläger und Richter sind die nämlichen. Die Beamten, welche, zwischen Fürst und Volk in der Mitte stehend, ihren Vorteil dabei finden, kein aus Liebe, Tugend und Gerechtigkeit geflochtenes Band zwischen beiden entstehen zu lassen, und darum die öffentliche Meinung, diese erhabene Sonne und unbestochene Wächterin, die alles an den Tag bringt, hassen und verfolgen, diese nämlichen Beamten klagen die Preßvergehen an und richten und strafen sie zugleich.

So wäre denn das deutsche Volk abermals in seinen Hoffnungen getäuscht worden, und dessen biedere Fürsten hätten ihren schwer erworbenen Gewinst aus dieser geschäftigen Zeit dem Vorteile ihrer Amtmänner von neuem hingegeben.[830]

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 1, Düsseldorf 1964, S. 799-800,822-831.
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