Erste Vorlesung

Einleitung und übersichtliche Darstellung der Befreiungskämpfe


Wenn ich heute den Faden meiner Geschichtsvorträge wieder aufnehme, welche, bereits zwei Jahrgänge umfassend, dazu bestimmt waren, meinen Hörerinnen ein klares, anschauliches und zusammenhängendes Bild der deutschen Geschichtsentwickelung seit dem westphälischen Frieden bis auf die Gegenwart zu geben, so thue ich es unter der Voraussetzung, daß Sie mir gerne bis an das Ende meiner Aufgabe folgen. Aber auch denen, welche das Vorangegangene nicht gehört, glaube ich doch insofern ein abgerundetes Ganze versprechen zu dürfen, als ja erst nach den Befreiungskriegen eine selbstständige innere politische Entwickelung unseres Vaterlandes sich Bahn brach, und diese Zeit somit eine Epoche für sich bildet. Auf den inneren Kämpfen, die den äußerlichen folgten, auf dem endlichen Siege der Ideen, die damals schon lebendig waren, beruht unsere Gegenwart, und diese gegenwärtige Zeit voll und richtig zu verstehen, in ihr zu leben und zu wirken mit klarem und bewußtem Geiste, dies ist ja doch wohl die Aufgabe und der höchste Lebensgenuß eines jeden gebildeten und denkenden Menschen. Jeder Einzelne nimmt Theil an der Entwicklung seiner Zeit und seines Vaterlandes, aber er wird die erstere nur vollständig verstehen und würdigen lernen, an der Hand der historischen Thatsachen, die derselben vorausgegangen sind. Wer [1] lange gelebt, hat sie zum Theil erlebt, der jüngeren Generation aber muß man sie, sobald sie reif genug geworden ist, dieselben zu verstehen, im klaren Zusammenhange mitzutheilen versuchen, und dies ist die Aufgabe, welche ich mir hier gestellt habe. –

Nach dem Grundsatze, den ich immer befolgt, werde ich auch dieses mal wieder den Hauptnachdruck auf das kulturhistorische Moment, auf die Entwicklung der geistigen und sittlichen Anschauungen unseres Volkes legen, und in diesem Sinne auch die Literatur in den Kreis meiner Betrachtungen ziehen, in so weit dieselbe direct auf die politischen Anschauungen des Tages eingewirkt und dieselben mitbestimmt hat.

Es ist uns ja bekannt, wie die deutsche Muse lange Jahre hindurch die einzige himmlische Leuchte und Trösterin unseres gedrückten Volkes gewesen, und wie sie, durch Schiller's Mund vornehmlich, in dessen Seele die Ideen und Vorstellungen trug, welche später, als unzerstörbare Saamenkörner der Zukunft, eine höhere Ernte vorbereiten sollten. Aber diese Muse des vergangnen Jahrhunderts stand trotzdem abseits und weit getrennt von dem wirklichen Leben der Nation, während Jene des neuzehnten Jahrhunderts mit ihr gelitten und geduldet hat, und nach und nach so tief mit ihr verwuchs, daß wir heute schon im ahnungsvollen Geiste ein späteres Dichtergeschlecht zu schauen vermögen, welches dereinst die jüngsten, die Jahre von Deutschlands endlicher Wiedergeburt, – seinem endlichen erfolgreichen Aufschwung, feiern und verherrlichen wird. –

Bis zu den untersten Stufen und Anfängen dieses Aufschwungs aber führt mich nun zunächst meine Aufgabe zurück, zu der Anknüpfung an die Momente, welche die Abschüttelung der Fremdherrschaft in Deutschland herbeiführten. Gestatten Sie mir darum einen kurzen Rückblick auf jene Tage. Die[2] furchtbaren Klänge der französischen Revolutionsglocke hatte die Völker des europäischen Continents aus dem dämmernden Traumleben erweckt, in welche sie der fürstlich-väterliche Absolutismus des 18. Jahrhunderts eingelullt hatte. – Dieses Erwachen sollte jedoch nicht sofort der seither unterdrückten und mißachteten Freiheit und Selbstregierung der Völker zu Gute kommen, sondern dem Eroberer und Despoten, der mit der Schärfe des Schwertes das Bestehende, wie das Nationale niederschlug, und dem wir es nur erst in zweiter Linie zu danken vermögen, wie er damit zugleich, und namentlich in Deutschland, alt Verjährtes und Vermodertes zu Falle brachte. – Dafür lastete aber auch auf keiner andern Nation seine Hand so schwer und vernichtend, als auf der unserigen. Unser Volk auszustreichen aus der Reihe der Nationen, war das mehrfach ausgesprochene Ziel seines unersättlichen Ehrgeizes, und mit Flammenschrift haben uns seitdem diese Jahre der tiefsten Erniedrigung immer und immer wieder zur Einheit und zum Widerstand gegen den Despotismus gemahnt. –

Aber als die Morgenröthe einer neuen Zukunft sahen wir alsdann die Flammen Moskau's emporlodern, sahen wir Napoleon rath- und muthlos auf den Trümmern der alten Czaarenstadt neue Pläne schmieden, in dem Augenblicke, wo der Wendepunkt seines Schicksals eintrat und nach göttlichen und menschlichen Gesetzen eintreten mußte.

Folgerichtig sollte ich nun an jenes erste, große Mißgeschick des Eroberers eine eingehendere Darstellung der deutschen Befreiungskämpfe anreihen, – aber diese nationale Epopöe wurde uns ja Allen schon, so zu sagen, an der Wiege gesungen, und ich werde mich darum nur darauf beschränken, in kurzem knappem Ueberfluge als Einleitung die Jahre 13 und 14 durchzunehmen, dabei namentlich jene Momente betonend, die mehr der politischen und diplomatischen als der heroischen Geschichte jener Tage angehören, weil aus den[3] Drachenzähnen, die schon damals unter die Saat der herrlichsten und größten Heldenthaten ausgeworfen wurden, hauptsächlich jene Uebel und Schmerzen erwuchsen, durch welche die deutsche Nation, nach Außen, wie nach Innen, noch während des heißen Kampfes schon um die Hälfte ihres Siegerpreises betrogen wurde.

Mit um so leichterem Herzen aber darf man heute eine Darstellung der Kämpfe für Einheit und Freiheit von 1815- 1870 unternehmen, als es sich dabei seit zwei Jahren um eine nahezu vollendete Epoche handelt. Wir stehen heute auf dem Boden einer neuen Aera und wie ich mich bemühen werde, so weit es meiner schwachen Kraft möglich ist, mit jener Objectivität, welche die erste Pflicht des historischen Erzählers ist, eine Zeit die uns noch so nahe liegt, zur Erscheinung zu bringen, so werde ich doch zugleich offen und sonder Scheu das Verwerfliche und Unsittliche charakterisiren.

Doch wenden wir nun unsere Gedanken zu dem Jahre 1812 zurück, vergegenwärtigen wir uns die, unter den entsetzlichsten Leiden fliehende, französische Armee, die an 600,000 Mann betragend, so stolz einst ausgezogen und die nun bis zum 20. Theile zusammengeschmolzen, als ein Haufe von zerlumpten Krüppeln und Bettlern zurückkehrte. Nicht ganz so tragisch hätte sich das Ende des russischen Feldzuges zu vollziehen brauchen, wenn Napoleon nicht in verblendetem Geiste, auf einen günstigen Friedensschluß wartend, fünf kostbare Wochen neben dem zerstörten Moskau verschwendet hätte, während der russische Herbst ihm noch einen leidlichen Rückzug gestattete. Aber Kaiser Alexander, von dem dieser Friedensschluß abhing, blieb jetzt unbeugsam; neben ihm stand der edle, deutsche Patriot, der Freiherr v. Stein, und stärkte ihn im Widerstand gegen die eigne Familie, wie gegen die mit dieser verbundenen russischen Friedensparthei. Die[4] große Frage war diese, ob Rußland nur das eigne Land vertheidigen und vom Feinde säubern, oder ob es den Krieg nach Deutschland hinüber tragen und damit einen Funken zur Flamme entfachen sollte, der überall in den Herzen der Deutschen glimmte, die nur darauf harrten, einen heiligen Volkskrieg gegen den allgemeinen Unterdrücker beginnen zu dürfen, wie ein solcher sich in Rußland soeben entzündet hatte. Aber die Entscheidung lag ja leider nicht beim Volke, sondern in den Händen der Mächtigen – in denen von Kaiser Alexander zunächst – und dann in weiterer Folge bei Franz von Oesterreich und Friedrich Wilhelm von Preußen. Gezwungen hatten die beiden deutschen Großmächte ihre Contingente zu Napoleon's Armee gestellt, um derselben den Rücken zu decken. Sollten sie nun den früher Verbündeten, den russischen Kaiser, von dem nur die Gewalt sie getrennt hatte, bekämpfen? sollten ihre Truppen jetzt unter französischen Marschällen die verfolgenden Russen aufhalten und dieselben von den deutschen Grenzen zurückdrängen?

Da war Einer unter den preußischen Generälen, der dies nicht vermochte, der die Lage klar durchschaute und der auch wußte, daß das, was er empfand, eben so lebendig in der Brust des geringsten Soldaten lebte. Graf York, der Anführer des preußischen Corps, das unter dem Befehle des Marschall Mac Donald in Kurland stand, durfte in jenen Tagen der schwersten Entscheidung und des Kampfes, der sein Innerstes durchwogte, mit Ulrich von Hutten rufen: »Ich hab's gewagt.« Keiner stand ihm schützend zur Seite, nicht sein König, nicht dessen Minister, nur sein treues deutsches Herz sprach laut und vernehmlich, und so nimmt er es auf seine eigne Verantwortung, mit dem russischen Feldherrn, mit Graf Diebitsch, zum Zwecke einer Vereinigung der Russen und Preußen, zu unterhandeln.

Aber mit Recht mochte er seinen Officieren, die jubelnd[5] diesen Entschluß begrüßten, sagen: »Ihr habt gut reden, Ihr jungen Leute, mir Altem wackelt der Kopf auf den Schultern.« Er selbst jedoch wankte nicht und die Convention von Tauroggen, die er auf eigne Gefahr hin mit den Russen abschließt, sich dadurch verpflichtet auf dem Gebiete zwischen Memel und Tilsit stehen und neutral zu bleiben, wird der Grund- und Eckstein der deutschen Befreiungskämpfe. Sein König zwar verwirft den Vertrag', er entsetzt den rebellischen General seines Commandos, weil er ja äußerlich noch nicht mit Napoleon brechen durfte, vergebens, kein Anderer will den Oberbefehl übernehmen und York ergibt sich darein, für einen Augenblick als Meuterer zu erscheinen. »Mit blutendem Herzen,« so schreibt er, »zerreiße ich die Bande des Gehorsams und führe den Krieg auf eigne Hand, die Armee will den Krieg gegen Frankreich, das Volk will ihn, der König will ihn, aber der König hat keinen freien Willen! Die Armee muß ihm diesen Willen frei machen!« Es war wie er sagte; Jeder der noch deutsch dachte, wollte den Krieg und auch Alexander sprach nun das entscheidende Wort aus, daß er keinen Frieden mit Napoleon schließen werde, ehe auch Deutschland befreit sei. – Königsberg in Ostpreußen ist nun die erste deutsche Stadt, von der die Bewegung ihren Ausgangspunkt nimmt; dort sehen wir jetzt neben York die Männer stehen, die er eigentlich nicht mochte, Stein mit Arndt, deren Hülfe aber jetzt unumgänglich nothwendig ist, denn die Entfesselung der Volkskraft, von Scharnhorst schon lange in der Stille vorbereitet, muß nun die Losung werden. Vorerst wurden jetzt die alten preußischen Landstände, deren Macht einst Preußens Fürsten gebrochen, die sie lange vergessen und vernachlässigt, in dieser Stunde der Gefahr von den Volksmännern wieder herbeigerufen, um dem, was sich jetzt vorbereitete, die gesetzliche Sanction zu geben. Sie beschlossen eine Volkswehr einzurichten,[6] den Landsturm, alle Männer bis zum 60. Jahre aufzubieten und diese mit den regulären Truppen zu vereinigen. So erinnerte man sich in dieser Stunde, als der Geist der Väter neu aufflammte, auch wieder der alten vergessenen Institutionen und sowie das Volk jetzt in Ostpreußen, auf diese gestützt, freiwillig den ersten Schritt zum Widerstande thut, nimmt es auch die ganze Verantwortung dafür auf sich, und schon zu Anfang Februar des Jahres 1813 sehen wir ganz Ostpreußen vom französischen Joche befreit. Mochte man auch am Hofe dies Alles mit Furcht und Schrecken aufnehmen, mochte selbst der König, als er von der Convention erfuhr, in die harten Worte ausbrechen: »Da möchte Einem ja gleich der Schlag rühren!« in der Nation fanden diese Vorgänge den jubelndsten Wiederhall. Napoleon hatte, natürlich im eignen Interesse, – denn noch bestand ja sein Bündniß mit Preußen, und jene muthigen Befreier erschienen als Rebellen, – eine neue Werbung gestattet, und nun bedarf es hier keiner Wiederholung, um den Enthusiasmus zu schildern, welcher sich jetzt erhob, wie Alles sich herbeidrängte, wie der Bürger sein Handwerkgeräthe, der Bauer seinen Pflug, der Gelehrte seine Bücher stehen ließ, um in den »heiligen Krieg« zu ziehen. Die Universitäten und Schulen lösten sich auf, die Frauen eilten herbei, ihren Schmuck, ihre Kostbarkeiten darzubringen, selbst das Köstlichste, was das deutsche Haus bewahrt, die Trauringe wurden geopfert, um Waffen dafür schmieden zu lassen.

Nun zeigte es sich, daß Fichte nicht vergebens an die Herzen seiner Nation angepocht, daß Arndt, Görres, Stein nicht vergebens zu ihm gesungen und gesprochen hatten für Freiheit und Recht! – Schon während dieses Aufschwungs konnte Napoleon vernichtet, konnten die späteren blutigen Kämpfe vermieden werden, wenn die leitenden Gewalten sich in gleichem Sinne thatkräftig und begeistert gezeigt[7] hätten; aber sowie der Blick der Klapperschlange sein Opfer willenlos festhält, so fühlten sich die Fürsten noch unter dem Banne des gewaltigen Mannes. Auch ist nicht zu vergessen, daß bis jetzt nur Preußen und Rußland sich zu dem großen Kampfe entschlossen hatten, daß noch der größte Theil Deutschlands sich in Napoleon's Händen befand und die deutschen Fürsten nach wie vor seine Verbündeten blieben. Besonders hemmend war der Umstand, daß Oestreich, thatlos zuschauend, das freundschaftliche Verhältniß mit Napoleon vollständig aufrecht erhielt. –

Entscheidung brachte endlich jenes Schutz- und Trutzbündniß, welches Rußland und Preußen im März miteinander schlossen, bekannt als der: Vertrag von Kalisch, der ausdrücklich besagte, daß beide Staaten ihre alte Freundschaft erneuert hätten, um Europa frei zu machen. Wie aber die Monarchen es bereits schon bei Abschluß dieses Vertrages in's Auge faßten, auf welche Weise sie nach gewonnenem Siege die alten Gränzen zwischen sich wieder herstellen, wie sie ihre Macht gegenseitig neu regeln wollten, eben so lebhaft dachten Stein und Scharnhorst dabei an Deutschland, und es gelang ihnen denn auch, in jenem Vertrag die politischen Grundsätze geltend zu machen, nach welchen später bei Besetzung und Verwaltung der zu befreienden deutschen Länder verfahren werden sollte.

In Folge dieses Kalischer Vertrags erging nun ein Aufruf an die deutschen Fürsten, das fremde Joch abzuschütteln, verschärft durch eine Androhung des Verlustes ihrer Staaten, wenn dies nicht rechtzeitig geschähe. Die zurückeroberten Länder, deren Fürsten verjagt worden waren, sollten durch einen Centralverwaltungsrath, aus Abgeordneten Rußland's und Preußen's gebildet, vorläufig regiert werden. –

Es war Stein's Gedanke, hier eine Verwaltung zu[8] schaffen, die an die alte Reichseinheit erinnerte, und die Sondersouveränitäten, welche Napoleon so schlau befestigt hatte, möglichst bei Seite schieben sollte. – Dem Aufrufe an die Fürsten folgte das Manifest des Königs von Preußen an sein Volk, welches die Kriegserklärung gegen Napoleon enthielt und in den Worten gipfelte: »Meine Sache ist die Sache meines Volks und aller Gutgesinnten in Europa!«

Nun war der Stein im Rollen; die wundervollen Vorbereitungen und Rüstungen Scharnhorst's, die Vermischung von Landwehr und Militär rückten rasch vorwärts und am 10. März 1813, dem Todestage der Königin Luise, wurde durch die Stiftung des eisernen Kreuzes eine Auszeichnung geschaffen, die in der eisernen Zeit Jeden schmücken sollte, der dem Vaterlande seine Opfer brachte.

Napoleon's Zuversicht jedoch blieb unerschüttert. »Ich bin für außerordentliche Abenteuer geschaffen, eine umgestürzte Welt ist mein Element. Bald werde ich wieder mit 300,000 Mann an der Weichsel stehen!« so schrieb er seinem Bruder Joseph und ordnete eine neue Aushebung von 350,000 Mann an. Die Conscribirten für das Jahr 1814 wurden im Voraus eingestellt, ob auch Frankreich halb in Verzweiflung darüber gerieth, und unübertrefflich haben die französischen Schriftsteller Erkmann-Chatrian uns in ihrem Romane: Erlebnisse eines Conscribirten, die damalige Stimmung des französischen Landvolks geschildert.

Wunderbar jedoch bleibt es immerhin, was Napoleon noch mit diesem mangelhaften Material zu leisten vermochte; dennoch waren die Tage seines Ruhms gezählt. Rasch folgten sich nun die Tage von Möckern, wo zum Erstenmale die überlegene Tapferkeit der Preußen die Franzosen zurückdrängte, von Großgörschen, wo zwar Napoleon das Feld behauptete, die Preußen jedoch mit solchem Heldenmuth gekämpft hatten, daß ein Augenzeuge erzählte: »Selbst die[9] Todten lagen da, mit verklärtem Antlitz, sie waren mit dem Gefühle aus der Welt gegangen, daß sie ihr Vaterland und sich selbst gerächt!« –

Auch bei Bautzen blieb Napoleon Sieger, aber er konnte mit Pyrrhus sagen: Noch solch ein Sieg und ich bin verloren! – Der Abschluß eines Waffenstillstandes vom 4. Juni bis 20. Juli war die nächste Folge dieser Kämpfe, und er gab den Preußen willkommene Zeit zu neuen Rüstungen. – Falsch und zweideutig hatte sich bis dahin Oestreichs Haltung gezeigt; der kalte, engherzige Metternich, der Diplomat aus der Schule des 18. Jahrhunderts, wollte nichts, keinen Sieg, keinen Erfolg, durch das Volk. Immerhin konnte er sich nicht verhehlen, welche Gefahren für Oestreich der Vertrag von Kalisch in sich barg; der Waffenstillstand bot ihm wieder einmal die günstige Gelegenheit, die Rolle des Schiedsrichters und Vermittlers zu spielen. Die Centralverwaltung war natürlich Oestreich ein Dorn im Auge; spottend nannte man in Wien den Freiherrn v. Stein den »deutschen Kaiser«. Doch entschloß man sich endlich zum Beitritt und durch den Vertrag zu Reichenbach schloß sich Oestreich dem Bündniß Preußens und Rußlands an, für den Fall, daß kein Friede zu Stand gebracht werden könne. So mußten denn abermals die Waffen ruhen und man griff zu dem beliebten Mittel eines Congresses, der in Prag zusammentreten und bis zum 10. August die Entscheidung bringen sollte. Dieser Congreß war bereits todt in der Geburt. Napoleon wollte keinen Frieden, oder nur einen solchen, der ihm nichts von seinen Eroberungen raubte, und auch die deutschen Patrioten wollten ihn nicht. Herzklopfend sah man dem 10. August entgegen, an welchem Tage Napoleon sich entschließen mußte, und wovon Oestreichs Beitritt zu der Allianz abhing. Dieses Mal wurden alle diplomatischen Ränke durch die Entschlossenheit des preußischen und des[10] russischen Gesandten vereitelt. Als die Mitternachtsstunde schlug, legten W. v. Humboldt und Amstett ihre Vollmachten nieder und lodernde Feuer auf den Bergen verkündeten es ringsumher, daß Deutschland von einem neuen ehrlosen Frieden gerettet sei. Stein's größere Zuversicht auf Napoleon's »Uebermuth und Brutalität«, als auf die Gesinnung des Kaiser Franz hatte sich bewahrheitet. –

In Preußen standen nun 100,000 Mann schlagfertig! Wachsende Begeisterung zeigte sich im Heere, und so wie einst die Gesänge der Barden die alten nordischen Helden anfeuerten, so schlugen Körner, Arndt, Schenkendorf begeistert in die Saiten, Rückert schreibt seine »geharnischten Sonette«, eine Masse von Flugschriften und Spottliedern ergossen sich von allen Seiten und nur Goethe, ergriffen von der dämonischen Genialität Napoleon's, schon den Heros späterer Heldengedichte in ihm voraussehend, stand kleinmüthig zur Seite und brach in die Worte aus: »Schüttelt nur Eure Ketten, der Mann ist Euch zu groß, Ihr werdet ihn nicht klein machen!« – Und doch – wäre im Lager der Verbündeten dieselbe einheitliche Führung gewesen, wie bei den Franzosen, hätte die Diplomaten, die Minister und die auswärtigen Feldherren nur zur Hälfte die Begeisterung durchdrungen, wie sie jetzt bald das ganze deutsche Volk durchglühte, so hätte sich sein Schicksal schon in kurzer Zeit erfüllt. Gegen ihn verbündet sehen wir jetzt Preußen, Oestreich, Rußland, England und Schweden; die Hülfstruppen des letzteren Staates unter Führung des Kronprinzen Bernadotte, des früheren Waffengefährten Napoleon's. Das geistige Einheitsband aber für alle, einander noch sehr widersprechenden Elemente, waren Stein, York, Bülow, Gneisenau, Blücher und deren Freunde; Alle sahen sich überwunden und fortgerissen durch den kühnen, opferfreudigen Enthusiasmus dieser edlen Männer. Scharnhorst war leider schon ein Opfer des Kriegs geworden, aber[11] sein Geist lebte fort in den Genossen, und unerschüttert wie jener rief Bülow dem schwachmüthigen und verrätherischen Bernadotte zu, der nur darauf bedacht war, jedes Zusammentreffen mit den Franzosen zu vermeiden: »Unsere Knochen sollen vor Berlin bleichen, nicht rückwärts!« Als jetzt wieder Napoleon mit seiner Hauptmacht gegen Berlin her vorrückte, errangen die Preußen ganz allein den herrlichen Sieg bei Großbeeren, und verlegten damit den französischen Truppen den Weg nach der Hauptstadt. Es war vornehmlich die preußische Landwehr, die sich bei diesem Treffen glänzend hervorthat und wie Bülow hier in der Brandenburger Mark, so fochten York und Blücher in Schlesien, die Russen in Böhmen. – Der Sieg an der Katzbach, den Blücher's Grenadiere errangen, die furchtbare Schlacht bei Kulm, welche die Russen, unterstützt durch Preußen und Oestreicher, lieferten, wogen die Niederlage bei Dresden auf, welche Fürst Schwarzenberg, der östreichische Feldherr, mit dem Gros der Armee dort erfahren hatte. – Fast in denselben Tagen rettete Bülow ein zweitesmal die preußische Hauptstadt, indem er Ney bei Dennewitz schlug, und Muthlosigkeit bemächtigte sich jetzt selbst der Tapfersten in Napoleon's Heere. In 15 Tagen, vom 23. August bis 6. September hatte man 8 blutige Schlachten geschlagen; selbst in Sachsen, wo der feige König fort und fort zu Frankreich hielt, war Napoleon besiegt worden, und von Baiern bis nach Neapel zeigte man sich bereit von ihm abzufallen. –

Aber alles dieses war nur das großartige Vorspiel der großen Entscheidungsschlacht, die sich nun vorbereitete.

Vor Dresden stand Napoleon beinahe gefangen, er konnte nicht vor- noch rückwärts, und in ohnmächtigem, vergeblichem Zorne knirschte er: »Les animaux ont appris quelque chose!«[12]

Auch den kleinen Krieg hatte man inzwischen mit Glück geführt; Westphalen war gesäubert, Jérôme von Kassel verjagt, und Bremen befreit worden. Nun begann die Zeit der Thätigkeit für die Centralverwaltungsbehörde, aber sie war ja von vornherein Oesterreich ein Dorn im Auge, und auch England und Schweden sahen sauer dazu, Ersteres wegen seiner Beziehungen zu Hannover, Letzteres besorgt um die Herrschaft an der Ostsee. Schon jetzt war in den Cabinetten die Zusage gegeben worden, daß die Theilnahme der Nation an dem Kampfe möglichst ignorirt werden müsse, und Gentz, Metternich's characterloser, aber vielgewandter Geheimsecretär, durfte bald schon den Ausspruch wagen: »Nur die hohe Eintracht der Cabinette habe Deutschland seine Freiheit wiedergegeben.« – Am 9. September schlossen Oesterreich, Preußen und Rußland den Vertrag zu Teplitz, durch welchen sie sich verpflichteten, nur gemeinsam Frieden zu schließen, eine erfreuliche Kunde für Deutschland, aber sorgsam hütete man dabei das Geheimniß einer Anzahl von geheimen Artikeln. Die schwerwiegendsten von diesen betrafen die Wiederherstellung der österreichischen und preußischen Monarchien, wie sie zur Zeit vor 1805 gewesen, weiter die Auflösung des Rheinbundes, sowie die völlige und unbedingte Unabhängigkeit der zwischen Preußen und Oesterreich, wie zwischen Rhein und Alpen liegenden deutschen Gebiete. Damit war denn nun die Kleinstaaterei auf's Neue verewigt, damit eine feste, politische Verbindung Deutschlands, wie Stein und seine Freunde sie erstrebten, – bei Seite geschoben – damit einer der giftigsten Drachenzähne, den Metternich's feile Politik in die junge Saat des nationalen Aufschwungs einzustreuen sich bemühte, ausgeworfen. Er träumte jetzt schon von dem späteren »Bundestage« und äußerte sich in diesem Sinne gegen den preußischen Minister Hardenberg: »Wir haben es nur mit den Fürsten, nicht[13] mit den Völkern zu thun!« – Es ist einer der tragischsten Momente in der Geschichte jener Tage, daß im selben Augenblick, wo Deutschland alles opferte, was es irgend besaß, wo es sein innerstes Herzblut verspritzte, ihm der Preis des Sieges bereits durch »geheime Artikel,« vorweggenommen war. – Auch fehlte es schon damals nicht an verdammenden Urtheilen darüber, der Mund des englischen Bevollmächtigten, des Grafen Münster sprach es unverhohlen mit den Worten aus: »Das Schicksal der Deutschen würde höchst zu beklagen sein, wenn sie künftig dem Willen kleiner Despoten unterworfen sein sollten. Sollte diese Souveränität für das arme Deutschland beliebt werden, so wäre ich bereit, mich auf die Seite der Revolutionärs zu schlagen. Der brave Stein hat Ursache finster auszusehen!« so äußerte sich ein Mann, der selber ein Vollblut-Aristokrat gewesen.

Noch fehlte im Bunde ein wichtiger deutscher Staat, nämlich Baiern; man gewann es durch den Vertrag von Ried –; welcher Baiern zwar verpflichtete, Truppen zu stellen, aber ihm das eigne Commando darüber gestattete, und als wichtigste Bedingung mußte ihm noch obendrein die Aufrechthaltung vollständiger Selbstherrschaft zugesagt werden. – Der Beitritt Baierns war natürlich das Signal zur Sprengung des Rheinbundes, aber durch die Bedingungen, die man diesem Staate gewährleistete, war zugleich eine Neugestaltung Deutschlands vollends unmöglich gemacht. – Ohne Ahnung von diesen Ränken waren die Kämpfer, die sich jetzt näher und näher um Leipzigs Wälle schaarten, wo in den Octobertagen von 1813 die große Völkerschlacht entbrannte, deren Erinnerung allein mehr als einmal hinreichen mußte, selbst in den trübsten Tagen der Zukunft die Hoffnung auf Deutschlands einheitliche und freiheitliche Entwicklung neu zu heben und zu kräftigen. – Es ist überflüssig, dieselbe hier wiederholt zu schildern, denn wer kennt sie nicht,[14] diese drei Tage des größten Heldenmuthes, der zähesten Ausdauer von beiden Seiten! Ohne Einfluß auf den Gang der Schlacht war der Uebertritt der sächsischen und würtembergischen Truppen, unendlich größer jedoch der moralische Eindruck, den er hervorbrachte. Es blieben jetzt bei Napoleon nur noch die kleinen deutschen Contingente; Polen, Badenser und Hessen-Darmstädter besetzten als Nachhut die eroberte Stadt, und deckten den abziehenden Franzosen den Rücken; leider – man wollte eben Napoleon nicht ganz vernichten – wurden sie keineswegs nach dem glänzenden Siege so verfolgt, wie die Tapferen im preußischen Hauqtquartiere es verlangten. – An die furchtbaren Opfern die dieser Kampf gekostet brauche ich nicht zu erinnern; auf beiden Seiten war die Lage der Verwundeten und Kranken, die man damals noch nicht mit solchen Mitteln zu unterstützen wußte, wie heute, trotz dem Opfermuthe vieler Frauen und Männer, geradezu herzzerreißend. Sterbend lagen Tausende auf den Straßen, nicht Leipzig's allein, sondern alle die Heerstraßen entlang, welche die Franzosen in eiligster Flucht durchmaßen. Erst in Frankfurt und Mainz genossen sie einen Augenblick der Ruhe, nachdem sie noch eine letzte Schlacht im Lamboywalde bei Hanau geschlagen, wo der baierische General Wrede mit seinen Truppen Napoleon den Weg zu verlegen suchte, und ihm dabei persönlich gegenüberstand. Trotz der tapfersten Gegenwehr wurden die Baiern geworfen; Napoleon war voll des grimmigsten Zornes auf den König von Baiern, und ließ sich über ihn in den Worten aus: »Ich werde ihn nächstes Jahr wiedersehen und er soll mir an seinen Treubruch denken. Er war ein kleiner Fürst, den ich groß gemacht, ich werde wieder einen kleinen aus ihm machen!«

Der Sieg bei Hanau gestattete ihm, in Frankfurt zu rasten, und dort sein Hauptquartier aufzuschlagen; noch führte er 70,000 Franzosen mit sich, deren Reihen jedoch die Typhusepidemie,[15] welche sich von da über ganz Deutschland verbreitete, furchtbar lichtete. – Immerhin gebot er noch über eine ansehnliche Macht, denn in den Festungen zwischen Rhein und Weichsel lagen 190,000 Mann mit vielem Geschütz und unermeßlichem Material, ebenso befand sich Hamburg noch in den Händen von Davoust, der dort hauste, wie der böse Feind. Auf die deutschen Verbündeten aber durfte er nicht mehr zählen, trotzdem man an den Höfen von Würtemberg, Baden und Hessen noch immer sehr napoleonisch gesinnt war. Der Großherzog von Baden drückte sogar sein lebhaftes und ausdrückliches Bedauern darüber aus, daß er wieder ein »deutscher Fürst« werden mußte. – Man wollte immer noch nicht an Napoleon's Niederlage glauben, und erst am 2. Nov. schloß Würtemberg mit Metternich seine Verträge ab, die ihm gleichfalls volle Souveränität garantirten.

Der Großherzog von Hessen blieb noch hartnäckiger; er hatte sich bei dem Heranrücken der Verbündeten nach Mannheim geflüchtet, fast unter den Schutz der Franzosen, während sein Minister Du Thil doch klugerweiser bereits mit dem baierischen General Wrede darüber unterhandelte, auf welche Weise sich der Herzog mit den Verbündeten werde vergleichen können. Die erste Bedingung war natürlich der Austritt aus dem Rheinbunde; aber der Großherzog zögerte so lange, daß nun unter dem Drange der Verhältnisse Du Thil dem General Wrede auf das Schlachtfeld von Hanau nachreisen mußte, wo man eiligst auf einer Trommel eine Militärconvention zwischen Hessen und den Verbündeten unterzeichnete, die den Bestand des Großherzogthums rettete. – Von großer und schlimmer Bedeutsamkeit aber war es, daß sich die Rheinbündler unter Metternich's, nicht unter Preußens Obhut begeben hatten, daß sie mit Ersterem ihre Verträge abschlossen. –

So sah sich nun der größte Theil Deutschlands von der französischen Herrschaft befreit; die Centralverwaltung konnte[16] endlich ihre Thätigkeit beginnen, aber mit der Sprengung des Königreichs Westphalen kehrten jetzt die alten Regierungen, aus deren Landestheilen dieses »lustike royaume«, war zusammengewürfelt worden, zurück. – Und wie kehrten sie zurück, diese Hannoveraner, Braunschweiger und Hessen-Kasseler – einzig und allein von dem Gedanken erfüllt, das Alte, das Ungerechte und Gestürzte, wieder neu aufzurichten, ganz ebenso wie es gleich nach ihnen die Bourbonen auf dem Boden Frankreichs versuchten. In Hannover, das jetzt wieder unter einer besonderen Regierung mit England verbunden wurde, führte man die Stockprügel, den Juden-Leibzoll, das Gassenlaufen u.s.w. wieder ein. In Hessen-Kassel begegnen wir einem ähnlichen Verfahren; es ging dort jetzt schlimmer zu, als einst im alten Feudalstaate. Mit Recht jammerte Arndt der in Hannover waltete: »Die hannöver'sche Politik scheint aller Lehren, welche die letzten 13 Jahre mit so blutiger Schrift vorgezeichnet, zu vergessen, und nährt den jammervollen Glauben, sie könne einen hannövrischen Staat bilden, und ohne Deutschland, unter Englands Schutz mächtig dastehen –«, während Stein bezüglich des Kurfürsten von Hessen, schreibt: »Gebt mir Kanonen, mit Vernunftgründen ist bei dem nichts auszurichten!« –

Es war eine Sisyphusarbeit die dem Centralverwaltungsrath auferlegt war, mit diesen Elementen fertig zu werden, unter diesen Verhältnissen die Volkswehr in den neu befreiten Ländern einzurichten. Wir aber erblicken in diesem Gebahren bereits die Keime einer Politik, die Deutschland noch so lange hinaus elend und unfrei machen, und sich endlich erst in unsern Tagen selber richten sollte. – Schändlich war vornehmlich die Apathie der Rheinbundstaaten bezüglich der Lazarethe. Soldaten, die nicht zu ihrem Duodezstätchen gehörten, ließ man auf den Straßen liegen, in Hunger und Noth verkommen, und wir mögen gerne an solchen Beispielen[17] ermessen, in welchem Grade seitdem das Humanitätsgefühl sich entwickelt hat. –

Im großen Hauptquartier in Frankfurt hatten sich inzwischen die Monarchen eingefunden; Napoleon war über den Rhein entwichen, trotz der Verzweiflung der preußischen Generale, denn man konnte, wenn man ihn rasch verfolgte, den Krieg noch im selben Jahre beenden. Nun versäumte man wieder die beste Zeit mit Friedensvorschlägen, man war thöricht genug, Napoleon als Grenzen die Pyrenäen, die Alpen und den Rhein belassen zu wollen. Es wäre entsetzlich für Deutschland gewesen, wenn er diesen Frieden angenommen. Mächtiger, als zuvor, stand er alsdann da, im Besitze eines Reiches, dessen räumliche Ausdehnung sich beherrschen und übersehen ließ. Aber dies genügte ihm nicht und sein Zaudern ließ Stein, Gneisenau, Blücher und den andern Patrioten Zeit, Kaiser Alexander zu bearbeiten. Arndt veröffentlichte damals seine berühmte Brochüre: »Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze,« und rief damit ein tausendstimmiges Echo wach; selbst England trat zuletzt den deutschen Männern bei, während Kaiser Franz und Friedrich Wilhelm die Sache gehen ließen. So wurde denn nun endlich die französische Invasion und Napoleons Entthronung beschlossen.

Blücher wollte natürlich gradewegs nach Paris marschiren, die Gesammtmacht der Verbündeten betrug 6–700,000 Mann, aber Fürst Schwarzenberg, der österreichische Feldmarschall, welcher die »große Armee« führte, konnte sich nur zu einem Zug nach dem Plateau von Langres entschließen. So brachte denn die Vielköpfigkeit im Lager der Verbündeten, ihr Zaudern, ihre Langsamkeit, die stete Beeinflussung durch diplomatische Ränke, noch ein blutiges Nachspiel des Krieges in Frankreich selbst zu Wege, und doppelt haben wir uns[18] darum Glück zu wünschen, daß wir 1870 für uns allein kämpften, nur auf die eigne Kraft gestellt. –

In der Neujahrsnacht 1814 ging nun der wackre Marschall »Vorwärts« über den Rhein, und bis wo die Sprachgränze beginnt, empfängt ihn und seine Truppen der unermeßliche Jubel der Bevölkerung! Von der Armee aber, die er führte, konnte man mit Recht sagen, daß in diesem Augenblick ganz Deutschland in ihr enthalten war, und begeistert schrieb General Müffling einem Freunde: »In unserer Armee ist ein herrlicher Geist, selbst in den russischen Körpern fängt an, so ein Ding zu krabbeln, was am Ende Enthusiasmus werden könnte!« Von diesem Enthusiasmus war leider im Hauptquartier wenig zu spüren; desto mehr regte sich unter den unterdrückten Völkern jenes Gefühl, welches eine Sühne für die langjährigen Schmerzen verlangte. Niemand spricht dies kräftiger und drastischer aus, als der alte Blücher, wenn er auf die Vertröstung hin, daß Napoleon an den französischen Partheiungen zu Grunde gehen werde, antwortete: »Die Schlechtigkeit der Franzosen ist für uns keine Revanche! wir müssen ihn herunterwerfen, wir!« Aber noch manchen blutigen Strauß hatte bis dahin der alte Haudegen zu bestehen, noch manchmal mußten die deutschen Truppen hier und dort geschlagen vor dem genialen Feinde zurückweichen.

Am 10. und 11. Februar lieferte Napoleon die Schlacht von Montmirail, seine letzte große Waffenthat, und wieder schwoll die Friedenswoge im Lager der Verbündeten hoch an, und wieder verwarf der verblendete Cäsar die günstigsten Bedingungen, denn schon sah er sich im Geiste wieder an der Weichsel stehen, und als Schwarzenberg nun auch noch thörichter Weise einen Waffenstillstand verlangte, hoffte Napoleon auf's Neue, den Kaiser Franz zu berücken, ihn von seiner Allianz loszulösen, oder dieselbe wenigstens zu sprengen. An Kaiser Alexander scheiterte auch jetzt wieder seine Arglist,[19] derselbe erklärte wiederholt: »Ich werde nicht Frieden schließen, so lange Napoleon auf dem Throne sitzt!« Nun endlich erlaubte man Blücher, auf eigne Hand etwas gegen Paris zu unternehmen, und dieß wurde die entscheidende Bewegung des Krieges. Auch Schwarzenberg sah sich jetzt gezwungen, auf Blücher's Plan einzugehen, und so reichten sich die beiden Heere vor Paris die Hand, welches damals, wie bekannt, noch nicht befestigt war.

Nun war endlich Gneisenau's heißer Wunsch, sein wohldurchdachter Plan erfüllt, und seine Worte bewahrheiteten sich: »Mit Paris hat man die Meinung von ganz Frankreich gefesselt; mit dessen Unterwerfung ist das ganze moralische und physische Vertheidigungssystem des Landes gelähmt!«

Als Napoleon sich jetzt auch eilends nach seiner Hauptstadt hinwendete, kam der Rasche dieses mal zu spät; schon von Weitem leuchteten ihm die Wachtfeuer der Verbündeten entgegen, die im Nordwesten Paris umlagerten, und er zog sich eiligst nach Fontainebleau zurück, während der König von Rom und die Kaiserin Maria Luise nach Tours gebracht wurden. –

Am 30. März wurde dann die Schlacht bei Paris geschlagen, welche die Stadt in die Hände der Sieger lieferte, und wobei der Hauptkampf sich um den Montmartre und das Gehölz von Vincennes bewegte. – Zwar standen dort die Arbeiter des Faubourg St. Antoine kampfbereit, aber die Pariser Bourgeoisie zitterte für ihre Häuser im Fall eines Straßenkampfes, und so wurde in Eile capitulirt und die Stadt übergeben Durch die Rue St. Antoine zogen die deutschen Kämpfer ein, in die Kapitale, von der so viel Unheil über Deutschland ausgegangen – es war ein großer, ein heiliger Moment – ein Augenblick, wo die erhabnen Gefühle der Menschheit rein und unverkümmert die[20] Herrschaft ergreifen, und auch den Kleinlichsten und Engherzigsten davon überzeugen, daß eine höhere Sittlichkeit die Welt regiert. »Was Patrioten träumten und Egoisten belächelten, ist geschehen,« so schrieb Gneisenau in der Freude seines Herzens in die Heimath, und Häusser, der klassische Historiker jener Epoche sagt: »Es war ein Augenblick, wie sie sich im Laufe von Jahrhunderten nicht wiederholen!« Und doch sollten wir es erleben, wie ein solcher Moment noch im selben Jahrhundert, unendlich glänzender und erhebender zurückkehrte! –

Am 31. März hielten Kaiser Alexander und Friedrich Wilhelm ihren feierlichen Einzug in die Stadt; auf dem Place de la Concorde, in den Champs élysées paradirten vor ihnen die Garden in vollem Glanze. Kleist und York aber, die mit ihren Truppen das Ungeheuerste geleistet, sie mußten um die Stadt herum ziehen: »Sehen schlecht aus, schmutzige Leute,« so äußerte sich Preußens König über seine Tapferen, mit denen freilich nach so schweren Kämpfen kein Staat mehr zu machen war. –

Während nun die wankelmüthigen Pariser die Verbündeten jubelnd empfingen, und die Emigrantenparthei, die französischen Lilien mit Ostentation zur Schau tragend, sich in unanständiger Hast deren Triumphzug anhing, weilte Napoleon in Fontainebleau, seine letzte Hoffnung auf die 50,000 Mann setzend, welche Marmont noch befehligte, dabei von Stunde zu Stunde neue Hoffnungs- und Rettungspläne schmiedend.

Aber er sollte den Kelch, den er selbst sich zubereitet, bis zur Neige leeren, sollte nun an sich selbst erfahren was es heißt, Treubruch üben und den Freund verrathen. Alles fiel von ihm ab und wendete sich den neuen Sternen zu, während Marmont, der Herzog von Ragusa schon lange mit dem Feinde unterhandelt hatte. Ein Regiment nach dem[21] Andern zog von Fontainebleau ab, nur seine Garden umringten noch den gefallnen Mann, und auch von diesen mußte er einen letzten, ergreifenden Abschied nehmen, nachdem er am 12. April, durch die eiserne Nothwendigkeit dazu gezwungen, seine Abdankung unterzeichnet und mit einem Federzug Alles vernichtet hatte, was er in unersättlichem Ehrgeiz, mit Blut und Leichen und Menschenelend zusammengekittet. Napoleon konnte der Wohlthäter der ganzen civilisirten Menschheit werden, und er ward ihre Geißel, er kam im Namen eines neuen Geistes, einer neuen Weltanschauung und er benutzte seine Macht zur Wiederherstellung und Stütze des Alten, des Verrotteten und Abgelebten. Darum wurde auch jetzt dem Gewaltigen, der die Fürsten Europen's zwar unter seine Füße getreten, sie aber zugleich, damit sie ihm wirksamer dienten, zu Satrapen und Despoten gemacht, ein verhältnißmäßig mildes Loos zu Theil, bei dessen Bestimmungen die Klugheit nicht den Vorsitz führte. Man bewilligte ihm eine Jahresrente von zwei Millionen, die Souveränität über die Insel Elba, und vierhundert Soldaten Leibgarden. Für seine Familie sollte besonders gesorgt werden. – Viel zu wenig um dem Ehrgeiz dieses Mannes zu genügen, war dies gerade genug, ihm Spielraum für neue Conspirationen und Pläne zu lassen, die nur zu bald Europa auf's Neue erschüttern sollten.

Deutschland aber hatte damit die Aufgabe seiner Befreiung von der Fremdherrschaft gelöst; wieder stand es auf eignen Füßen, nun galt es darum, sich auch innerlich frei zu machen, die geschlagenen Wunden zu heilen und neue Bahnen des Fortschritts aufzusuchen. –[22]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 1-23.
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