Sechzehnte Vorlesung

[402] Der Heckerputsch in Baden. Das deutsche Parlament. Debatten über die Centralgewalt. Wahl eines deutschen Reichsverwesers. Ein Reichs-Ministerium. Beginn der Conflicte zwischen dem Parlament und den Einzelstaaten, namentlich mit Preußen. Der schleswig-holsteinische Krieg. Waffenstillstand von Malmö. Septemberaufstand in Frankfurt. Ermordung von Lichnowsky und Auerswald


Es waren in jenen so folgereichen Tagen zwei uns schon bekannte Männer, welche die beiden einander schroff gegenüberstehenden Partheien hauptsächlich vertraten und als deren Hauptführer gelten konnten. An der Spitze der Republikaner stand Friedrich Hecker, an der der Constitutionellen Heinrich v. Gagern, ein Sohn jenes diplomatischen Vertreters des oranisch-nassauischen Hauses, welcher in den Jahren 1813, 1814 und 1815 eine nicht unbedeutende Rolle gespielt, und den wir als Freund Stein's, Gneisenau's und der übrigen preußischen Patrioten kennen gelernt haben. Auch Heinrich v. Gagern ist uns schon früher in der Darmstädter Ständekammer begegnet, wo er durch sein männliches, liberales Auftreten, damals so selten bei einem Manne von Adel, sich die allgemeinen Sympathieen erworben hatte. Eine imposante Persönlichkeit, von idealem Sinne beseelt, aber leider nicht als tiefblickender Staatsmann geboren, konnte er Hecker, bezüglich der Popularität vollkommen die Wage halten; war Jener mehr der Mann des Volkes, der Leitstern der übersprudelnden Jugend, so war dieser der Abgott der höheren Klassen, wie des Bürgerstandes und die Benennung »der Edle« die er in jenen Tagen erhielt, beweist wie hoch man ihn verehrte. Gagern's politisches Ideal, welches er gleich bei Beginn der Bewegung vertrat, war ein deutscher[402] Bundesstaat, mit einem mächtigen Oberhaupte, also ungefähr das, was Deutschland heute besitzt. War dieses Ziel mithin erreichbar und befriedigend, so waren es um so weniger die Mittel und Wege, welche er und seine Parthei dafür einschlugen. Sie glaubten mittelst eines gesetzlich gewählten Parlamentes den Krater der Revolution schließen, das erwähnte Ziel herbeiführen zu können. Hecker dagegen war überzeugt, man müsse, wenn man bei den Regierungen die noch alle Gewalt in Händen hatten, etwas durchsetzen wolle, diesen Krater offen erhalten, und so ließ er sich zu jener unglücklichen Schilderhebung im badischen Oberland fortreißen, die mehr als alles Andere dazu beitragen sollte, der Reaction die Wege zu bahnen. Rasch, ehe das Parlament zusammentrat, glaubten er und seine Anhänger handeln, glaubten sie Deutschland zu einem zweiten, allgemeinen Aufstand, der diesesmal nicht vor den Thronen werde stehen bleiben, fortreißen zu müssen. Man hoffte sogar zu siegen ohne Blutvergießen, denn diese Männer waren in solcher Selbst-Täuschung befangen, daß sie glaubten, nicht allein das Volk, auch das Militär werde wieder unaufhaltsam einem neuen, allgemeinen Impulse folgen, den man ihnen nur zu geben brauche. Es erschienen jetzt Freischaaren aus der Schweiz und dem Elsaß an der Gränze; Zuzüge von deutschen Arbeitern aus Paris, die sogenannte deutsche Legion, von Herwegh und seiner Frau herbeigeführt, wurden erwartet und die Abmahnungen befreundeter Volksmänner, die an Hecker ergingen, verhallten fruchtlos. Es ist uns heute kaum noch glaublich, wie es möglich war, daß Hecker und seine Freunde so verblendet sein konnten, bei jedem Mangel an einer Organisation und an besonderen Hülfsmitteln, an einen Erfolg zu denken. Als man in Frankfurt sah, daß sich im Südwesten wirklich ein Aufstand vorbereitete, schickte man Bundestruppen – Hessen und Badenser – die in Eile ausgerüstet wurden, unter der[403] Anführung eines Bundesgenerals, des Obersten Friedrich v. Gagern den Freischaaren entgegen. Diese, zum Theil aus rückkehrenden Flüchtlingen, zum Theil aus Zuzug von Baden und Würtemberg bestehend, der sich aus Landleuten und jungen Männern der höheren Stände recrutirte, wurden durch zwei ehemalige Officiere, Sigel aus Hanau und Willich aus der Pfalz, angeführt.

Hecker und Struve, die geistigen Leiter der Bewegung, betrachteten den bevorstehenden Kampf von vornherein in solch idealer Weise, daß sie gefangene Soldaten, die man bei kleinen Streifereien aufgriff, oder notorische Spione wieder laufen ließen, und hartnäckig Herwegh's Anerbieten, mit seiner Pariser Legion über den Rhein zu kommen, zurückwiesen, weil sie durchaus nicht den Schein französischer Hülfe auf sich ziehen wollten. Hecker hatte sich vollständig in die Idee verrannt, es bedürfe nur eines Aufstandes im badischen Oberlande, um allsogleich das Unterland und den ganzen Süden Deutschland's mit hineinzureißen; darauf fest vertrauend, blieb er taub gegen alle Vorstellungen der ihm befreundeten badischen Abgeordneten, die ihm bis hinauf in das Wiesenthal folgten, und blieb es nicht minder gegen eine besondere Deputation, die der Fünfziger-Ausschuß an ihn abschickte, ja, gegen den eignen Bruder, der zu ihm reiste, um ihn zu beschwören, von seinem Vorhaben abzustehen.

Nach längerem Hin- und Herziehen der Freischaaren und der Bundestruppen, Gagern vermied den Angriff so lange als möglich, kam es am 20. April bei Kandern zu dem ersten blutigen Zusammenstoß zwischen Beiden, kam es zum Erstenmale wieder zu einem deutschen Bruderkrieg. Hecker selbst führte die Abtheilung an, welcher Friedrich von Gagern als persönlicher Anführer entgegentrat. Obrist von Gagern, ein Bruder Heinrichs, hatte lange in holländischen Diensten gestanden, und mit Auszeichnung an den Kämpfen[404] in den holländischen Colonien Theil genommen. Ein Mann von hoher, vielseitiger Bildung, von edlem Streben, begeistert für die deutsche Freiheit, stand er, wie sein Bruder Heinrich, auch mit Hecker in jenen Beziehungen, wie sie vor 1848 alle hervorragenden, nach Befreiung strebenden Männer zu einander hatten. Nun waren Beider Träume erfüllt, nun durften sie offen handeln und wagen für die Wiedergeburt des Vaterlandes, und da standen sie sich jetzt Auge in Auge, als Feinde gegenüber!

Ehe man wirklich die Waffen gebrauchte, versuchte Gagern erst noch einmal den Weg der Unterhandlung; auf einer Brücke bei Kandern traf er mit Hecker, den er noch nicht persönlich kannte, zusammen, während ihre beiderseitigen Begleiter zurückblieben. Der General verlangte von vornherein, die republikanische Schaar solle ihre Waffen niederlegen; als dies Hecker ablehnte, fuhr der General fort: »Sie sind ein gescheidter, ein braver Mann, aber Sie sind ein Fanatiker!« Hecker antwortete: »Ist die Hingabe für die Befreiung eines großen Volkes Fanatismus, dann mögen Sie so sprechen, dann gibt es aber auch einen Fanatismus auf der andern Seite, dem Sie dienen!« So trafen sich Rede und Gegenrede, bis Jeder ohne Erfolg zu den Seinen zurückkehrte, den Angriff vorzubereiten. Ein badischer Stabsofficier rief noch Hecker'n nach: »Ich beschwöre Sie, stehen Sie ab!« doch vergebens.

Nach einer Stunde etwa standen sich beide Theile zur Schlacht gerüstet gegenüber, die Republikaner theilweise mit Sensen bewaffnet und mit zwei kleinen schlechten Kanonen versehen. Immer noch zögerte man, den ersten Schlag zu thun, da traten die Republikaner aus dem Glied und riefen den Truppen zu: »Brüder, Freunde, vergießt kein Bürgerblut, macht gemeinsame Sache mit uns! es lebe die Freiheit!« – Schon sollen einzelne Soldaten sich dem Volkstruppe genähert,[405] ihm die Hände entgegengestreckt haben, aber die Officiere rissen sie zurück und Gagern rief: »Brüder? Gesindel seid Ihr! Blut soll fließen!« Er warf sich auf's Pferd und rief die Unterofficiere und Freiwilligen heraus, die zuerst einen Bajonettangriff machten, der ebenso erwidert wurde. Doch war die Kampfeslust auf beiden Seiten nicht groß. In der vordersten Reihe hielt Gagern ohne jegliche Deckung, er drückte eine Pistole ab und commandirte »Feuer!« Wer dann zuerst geschossen, die Truppen oder die Freischaaren, ist nicht ergründet, genug, es erfolgte von beiden Seiten ein Pelotonfeuer, und als sich der Pulverdampf verzog, sah man Gagern auf seinem Rosse schwanken; er greift noch einmal nach der Brust, ruft »gerechter Gott!« da kracht eine zweite Salve und zum Tode getroffen, stürzen Roß und Reiter nieder. Es war ein furchtbarer Augenblick – schrecklich in der Gegenwart, schrecklicher für die Zukunft! Die Kugel, die Gagern stürzte, traf Deutschland mitten in's Herz! Ob es ein Meuchelmord, wie vielfach behauptet wird, gewesen, ob der blinde Zufall hier gewaltet – wer kann es entscheiden? in jedem Falle war dieses Ereigniß ein ungeheures Mißgeschick! In wenigen Minuten war dann der Kampf zu Ende; an einer Ecke flohen die Hessen, an einer andern die Republikaner, kein Theil hatte Lust daran, das Morden fortzusetzen. Gagern's Leiche fiel in die Hände der Freischaaren, und wurde den Seinigen gegen Rückgabe einer schwarz-rothgoldnen Fahne, die Jene erbeutet hatten, zurückerstattet. Von da an wurden Hecker's und Struve's Schaaren überall zurückgeschlagen, während die unter Sigel's Leitung noch einige Erfolge errangen. Es fehlte eben unter den verschiedenen Volksführern an jedem Zusammenhang, und auf die Zugezogenen war auch nur sehr geringer Verlaß, sobald sie sich regulären Truppen gegenübersahen. Die Führer, wie die versprengten Freischaaren suchten schließlich ihr Heil jenseits der[406] Schweizer Gränze. Hecker, Struve, Sigel, Th. Mögling, der junge Würtemberger, dem seine Mutter noch in's Lager nachgereist und ihn umsonst beschworen hatte, die Waffen nicht gegen das Vaterland zu erheben – und Viele mit ihnen, sie waren jetzt nach kurzer Frist, schon wieder die ersten Verbannten von der kaum befreiten Heimatherde. Hecker's bedeutende parlamentarische Kraft war von da an leider für Deutschland verloren, dagegen wurde er mehr als je der Abgott des geringen Mannes, selbst des Soldaten, namentlich in Süddeutschland. Ein Mensch, der in aufgeregten Zeiten handelt und auch physisch seine Kraft entfaltet, übt jederzeit einen hinreißenden Zauber auf das geringere Volk aus, und etwas Heldenhaftes lag in Hecker's ganzer Erscheinung. Der hohe graue Hut mit der rothen Feder, den er in Baden trug, der Heckerhut, wurde bald überall als ein freiheitliches Abzeichen getragen, je zerdrückter, desto besser; das Heckerlied klang aus allen Bierstuben, von allen Gassen und auch aus den Kasernen, bis es durch die schwersten Strafen verpönt wurde. Der geschäftige Volksgeist hatte den wohlfeilen Versen schnell die sangbare und damals so sehr bekannte Melodie des Schleswig-Holstein-Liedes untergelegt. Statt des Refrains von Jenem: »Schleswig-Holstein stammverwandt«, sang man jetzt mit voller Kehle: »Hecker ist ein braver Mann, der für Freiheit sterben kann!« – Die gebildete Minorität der liberalen Parthei hatte freilich einen klareren Einblick in die Sachlage; die Kunde von Gagern's Tod machte überall eine erschütternde Sensation und sie war der erste Wehrmuthstropfen in dem Freudenbecher der Nation; Heinrich von Gagern und sein ungeheurer Freundesanhang hätten nicht Menschen sein müssen, um nicht durch dieses Ereigniß in eine bittere Stimmung gegen die republikanische Parthei versetzt zu werden. Diese fühlte sich wiederum durch deren Gereiztheit tief verletzt, und die Ausschreitungen und[407] Brutalitäten, die sich das Militär nun in Baden und Schwaben erlaubte, die Art und Weise, wie es auch anderwärts aufzutreten begann, wozu sich die immer mehr verschärften Polizeimaßregeln gegen alle demokratisch Gesinnten gesellten, verstärkten noch den Zwiespalt zwischen beiden Partheien von Tag zu Tag mehr und machten die Vermittlung immer schwieriger.

Die badischen Truppen kehrten von ihrem kurzen Feldzug gegen Landeskinder ziemlich geräuschlos zurück; die Hessen hielten einen Siegeseinzug in Darmstadt mit bekränzten Kanonen, bekränzten Fahnen und geführt von dem jetzigen Reichscommissär Rauschenplatt, dem ehemaligen Göttinger Studenten und Frankfurter Attentäter, der mit einem Schleppsäbel umgürtet und der dreifarbigen Schärpe geschmückt, dem Zuge voranschritt. Dies waren Tactlosigkeiten, für die der geringe Mann sich rächte, indem er den Soldaten die beleidigendsten Namen gab, unter denen der beliebte Ausdruck: »verthierter Söldling«, noch einer der gelindesten war. So bereitete sich auch in Süddeutschland nach dem Märzjubel eine erneute Spaltung zwischen Militär und Volk vor, wie sie nach den Berliner Vorgängen sich in Preußen in der schroffsten Weise zeigen sollte. Zwischen der sogenannten Bourgeoisie und den geringeren Ständen brach ein gleicher Zwiespalt aus; und weil die Ersteren über Alles, über jede eingeworfene Fensterscheibe das größte Geschrei erhoben, hießen sie bald im Volksmund nicht anders, als: die Heuler! wogegen die Andern, wegen ihrer beständigen Unzufriedenheit und Unruhe als: die Wühler! bezeichnet wurden. Immer gereizter wurde unter diesen Verhältnissen der Ton der Partheipresse und man darf mit vollem Rechte diesen, so bald zu Tage tretenden, Zwiespalt dem unglücklichen und unüberlegten »Heckerputsche« zuschreiben. Dieser arbeitete den Regierungen mehr als alles Andere in die Hand, denn im Ganzen[408] erfreute sich der Deutsche seiner jungen Freiheit, wenn auch in lärmender, doch in harmloser Weise. Es war eine merkwürdige Zeit – Jeder hielt Reden, wo er einen Platz zum Aufsteigen und ein Publikum fand, ließ drucken was er wollte, bewaffnete sich so gut er konnte, und am Abend exercirte auf allen freien Plätzen die Bürgerwehr, oft illustrirt durch Gestalten und Evolutionen, die der ernsten Zeit auch die humoristische Kehrseite gaben. Gearbeitet wurde so gut wie nichts mehr in diesem Sommer von 1848 – die Studenten exercirten mit ihren Professoren um die Wette und in den nun wieder überall neu erstandenen Turn-Vereinen, in denen der Bürger und Handwerker vornehmlich vertreten war, sah man den Turuplatz häufiger benutzt als die Werkstatt. Ueberall bildeten sich Gesellschaften für Hebung und Förderung der Volksbildung, die Mädchen und Frauen wanden Kränze und stickten Fahnen für die verschiedenen Corporationen – die Turner, Volks- und Bürgerwehren, die dann bei passenden Gelegenheiten feierlichst überreicht wurden, und eine Reihe der verschiedenartigsten Festlichkeiten nach sich zogen. Volks- und Bürgerversammlungen gab es jeden Tag und zu jeder Stunde und am Abend verlängerten sie sich zu endlosen nächtlichen Sitzungen in den Bierhäusern und öffentlichen Localen, aus denen die Männer kaum noch heraus kamen. – In solcher Weise feierte Deutschland seine Auferstehung, seinen »deutschen Mai«, fast den ganzen Sommer von 1848 über, und unter dieser bunten Freudendecke webte still und leise die Reaction ihre alten Fäden wieder in einander. Das alte System erholte sich allgemach von seinem Todesschreck, es schmiedete neue Pläne, wie man der so arglos schwärmenden Nation wieder ihre Fesseln anlegen könne. –

Die vorbereiteten Ereignisse nahmen unterdessen auch ihren Fortgang und noch einmal kehrte die erste unentweihte Begeisterung in die Herzen zurück, erreichte der Jubel seinen[409] ersten Höhepunkt, als am 18. Mai das erste deutsche Parlament in Frankfurt eröffnet wurde. Freudenfeuer auf allen Bergen, so weit die deutschen Gaue reichten, verkündeten es der Welt, daß sich nun die Revolution auf den gesetzlichen Boden gestellt habe, daß sie als beendigt betrachtet werden könne, und man sich anschicke ihre Früchte zu genießen.

Leider hatte das Bindeglied zwischen Vorparlament und wirklichem Parlament der Fünfziger Ausschuß, der die Wahlen hätte ausschreiben und leiten müssen, dieses sowohl, wie auch die allgemeine Wahlart den einzelnen Regierungen überlassen. Es wurde folglich nach sehr verschiedenen Bestimmungen gewählt, doch konnte man dieselben im Ganzen als freisinnig bezeichnen, namentlich war dies jene Bestimmung, der zu Folge das dreißigste Lebensjahr jeden unbescholtenen Deutschen wahlfähig machte. Zwei Drittel der Abgeordneten waren naturgemäß durch Oestreich und Preußen zu entsenden; nur das letzte Drittel vertrat das übrige Deutschland, den politisch reifsten Theil des Ganzen. Die nichtdeutschen Oestreicher jedoch enthielten sich der Wahl, und auch in Deutsch-Oestreich selbst wurde verhältnißmäßig schwach gewählt, doch fielen dort die Wahlen überwiegend freisinnig aus. Höchst rührig dagegen wurden die Wahlen in Preußen betrieben, auch in der Provinz Posen förderte die Regierung dieselben, und man sah von Preußen her so ziemlich alle Partheischattirungen vertreten. – Daß sich unter den Gewählten auch viele untergeordnete und mittelmäßige Geister befanden, ließ sich nicht vermeiden, nichts destoweniger war es eine glänzende Versammlung, in der sich eine Fülle von Talent, Gelehrsamkeit und Geist vertreten fand, die nun in Frankfurt zusammentrat, und der alten Krönungsstadt eine glänzende Zeit des Ruhmes und der Bedeutung verlieh. Das Parlament war zugleich ein Magnet, der aus den entferntesten Theilen Deutschlands, ja aus halb Europa, in diesem[410] Sommer von 1848, Alles dorthin zog, was durch Bildung, Intelligenz oder sonstige hervorragende Eigenschaften glänzte. Aber auch die große Menge fehlte nicht. Wem es irgend möglich war gen Frankfurt zu ziehen, vornehm oder gering, Mann oder Frau, der unterließ es gewiß nicht. Jeder strebte darnach, nur einmal sein Auge und sein Herz am Anblick der deutschen Männer erfreuen zu dürfen, die da zur ernsten Berathung über die Zukunft des Vaterlandes versammelt waren; nur einmal wollte man den Reden lauschen, die allgewaltig von beiden Seiten aufeinander platzten, und in denen sich Alles aussprach, was der deutsche Patriot seit so vielen Jahren hatte mühsam in sich unterdrücken müssen, wo aber auch ebenso die Anhänger des Alten in zahlreicher Vertretung, nichts unterließen, um die Streiche der Fortschrittspartheien zu pariren und von der vergangenen Zeit noch so viel zu retten, als zu retten war.

Abends vier Uhr unter Glockengeläute und Kanonendonner war das deutsche Parlament mit nahezu 500 Mitgliedern eröffnet und der Fünfzigerausschuß aufgelöst worden. Der Erste, der die Versammlung feierlich begrüßte, war der Bundestag, welcher ein Schreiben an »die deutsche Nationalversammlung« richtete und derselben im Namen der Regierungen die Bruderhand reichte. Schon in der folgenden Sitzung wurde Heinrich v. Gagern, dessen Parthei von vornherein die bestorganisirte war, mit großer Majorität zum Präsidenten erwählt, als Vice-Präsident trat ihm ein badischer Abgeordneter und Volksmann, Alexander v. Soiron zur Seite. Der unterliegende Candidat der republikanisch Gesinnten war Robert Blum gewesen, dessen Name und Bedeutung in dem Parlament, als ausgezeichneter Redner, nun mehr und mehr in den Vordergrund trat.

Gleich vom ersten Tage an konnte man in der Versammlung drei große Partheigruppen unterscheiden; auf der[411] äußersten Rechten saß die reactionäre, ultramontane Parthei, als deren Führer der feine und geistvolle, in den Ereignissen der letzten Jahren so viel genannte Professor Döllinger aus München gelten konnte. Um ihn schaarten sich andere katholisch-theologische Professoren, Knoodt, Buß, Gförer u.s.w., die wir heute Alle als eifrige Alt-Katholiken sehen, damals nicht ahnend, wie sie mit ihrem starren Festhalten an dem Vergangenen, einst sich selbst in die Opposition bringen würden. An diese schloß sich Alles an, was das übrige Deutschland von Ultramontanen, namentlich aus Tyrol, von starrem Adel und Beamtenthum schickte, unter welchen Letzteren der Protestantismus ebenso stark vertreten war, durch die specifischpreußische Parthei des Freiherrn von Vinke aus Westfalen, der die Ansicht geltend machte, daß fortan Deutschland in Preußen aufgehen müsse. Hervorragend unter dieser Gruppe des kirchlichen Adels, des Junkerthums und der sich an sie schließenden preußischen Aristokraten, waren General Radowitz, Fürst Lichnowsky, Graf Schwerin und eine weitere Reihe preußischer Vornehmen, mit denen der östreichische Bundestagspräsident und jetzige Abgeordnete, Ritter von Schmerling sich in gar gutes Einvernehmen zu setzen wußte, so daß er bald die ganze Rechte des Hauses beherrschte. –

Ihnen am schroffsten gegenüber standen die entschiedenen Volksfreunde, welche unter Leitung von Itzstein und Blum, die Linke, und unter Vogt und Simon von Trier die äußerste Linke bildeten. Sie waren sich ihrer Zwecke und Ziele nicht minder klar bewußt als Jene; suchte man dort rechts alle Errungenschaften der Revolution als illegitim, als ungesetzlich wieder auszutilgen, so stellte man sich hier mit offnem Visir auf deren Boden und beanspruchte, kraft der Volks-Souveränetät, das Recht die oberste Behörde in Deutschland zu repräsentiren und von der Paulskirche aus die Verhältnisse neu zu ordnen, die Einheit und die Freiheit zu schaffen.[412]

Zwischen diesen beiden Endpunkten bewegten sich die Männer der Mitte, die Vertrauenden, die Constitutionellen, welche die verheißenen Reformen Hand in Hand mit den Fürsten und ihren Regierungen auszuführen hofften. An und für sich würde dies ja schon das Richtige gewesen sein, wenn sie im Stande gewesen wären, sich des guten und aufrichtigen Willens jener Factoren zu versichern, wenn ihre Theorie, die sich hauptsächlich auf Preußen gründete, dort ein entgegenkommendes Verständniß gefunden hätte. Darum bewies die Linke so viel größeren politischen Scharfblick, daß sie von vorn herein verlangte, das Parlament solle sich schleunigst eine Macht, durch die Wehrbarmachung des ganzen Volkes, welches den Befehlen des Parlamentes zu gehorchen habe, erschaffen und zwar, so lange das Fürstenthum noch schwach und gebeugt sich fühle. Die Centrumsparthei nun umfaßte zumeist jene Männer, welche in den vergangenen 20–30 Jahren auf der Bresche gestanden und für die politischen Ideen gekämpft hatten, die sie jetzt auch verwirklichen wollten. Es waren die Professoren, die ehemaligen Burschenschafter, viele Märtyrer der vergangenen Zeit, die aber alt und ängstlich geworden waren, Flüchtlinge, die noch an den alten Standpunkten festhielten oder Solche, deren Kraft im Kerker zerbrochen worden. Zu ihnen gesellten sich freisinnige Beamte und der zahme, ängstliche Mittelstand, die sogenannte Bourgeoisie. »Durch Ordnung zur Einheit, durch Einheit zur Freiheit«, dies war das Losungswort dieser größten und einflußreichsten Parthei, deren Kern die preußische Fraction bildete, das heißt, diejenigen, die mit Recht, in der Hegemonie Preußens, in der Uebertragung der Kaiserwürde an Friedrich Wilhelm, die Lösung des Einheits-Räthsels erblickten. Aber weder Preußens König noch das preußische Land waren jener Sphinx zu vergleichen, die sich, als die Wahrheit erkannt wurde, freiwillig selbst aufgeben und vernichten wollten.[413]

So ungefähr war die äußere Physiognomie des ersten deutschen Parlamentes beschaffen, als es Heinrich v. Gagern, der bald darnach sein Amt als hessischer Minister niederlegte, in feierlich gehobener Stimmung mit einer Ansprache eröffnete, an derem Schlusse er die Worte sprach: »Wir haben die größte Aufgabe zu erfüllen. Wir sollen eine Verfassung für Deutschland, für das gesammte Reich schaffen. Der Beruf und die Vollmacht zu dieser Schaffung, sie liegen in der Souveränität der Nation!« Mit diesem stolzen Worte war viel gesagt, es wurde noch bedeutsamer, als er dann hervorhob, wie die Schwierigkeit, ja die Unmöglichkeit, unter den Regierungen eine Verständigung zu Wege zu bringen, der Versammlung den Charakter einer konstituirenden beilege. »Deutschland will Eins sein, ein Reich, regiert von dem Willen des Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner Gliederungen!« Im Widerspruch mit diesen frohen Hoffnungen stand die Handlungsweise der preußischen Regierung, welche im selben Augenblick überall Wahlen vornehmen ließ, nicht für die Vereinigten Landtage, sondern gleichfalls für eine konstituirende Versammlung, »zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung«, wie es in dem königlichen Patente hieß, die sie auf den 22. Mai einberief. Das preußische Volk, hocherfreut darüber, daß ihm endlich die heißersehnte Verfassung zu Theil werden sollte, betheiligte sich lebhaft bei den Wahlen für sein Berliner Parlament. Was sollte dies nun für eine deutsche Einheit werden, wenn man von zwei Seiten zugleich auferbaute? Von vornherein fiel dieser Erisapfel in die Versammlung der Paulskirche, die erregtesten Debatten hervorrufend, welche bald in einem unausbleiblichen Principienkampf gipfelten. Die Linke beantragte, die Versammlung, als das einzige Organ des Gesammtwillens der deutschen Nation zur Begründung der Einheit und Freiheit, solle beschließen, daß nur ihr allein die Beschlußnahme über[414] die Verfassung Deutschlands zustehe, und daß die Verfassungen der einzelnen deutschen Staaten nur in so weit gültig seien, als sie mit der zu errichtenden deutschen Verfassung übereinstimmten.

Zu solch kräftigem Auftreten konnte sich jedoch die Mehrheit des Parlamentes nicht entscheiden, und man vereinigte sich endlich, aber fast mit Stimmeneinheit, zu einer abgeschwächten Erklärung, die noch für's Erstemal das Princip der Volkssouveränetät rettete. Bei diesem Anlasse hatten sich die Geister und Kräfte tüchtig gemessen; man sah jetzt deutlich, wie unendlich schwierig die ganze Lage des Parlamentes war, denn als Halbe zeigten sich jetzt gar zu Viele, die man früher für Ganze genommen hatte, und besonders trat dies bei der preußischen Fraction hervor, die sich fürchtete, durch einen kräftigen Entschluß in Berlin anzustoßen.

Trotz dieses ersten Sieges fehlte es nicht an klarblickenden Männern in der Paulskirche, welche jetzt schon mehr oder weniger die Ohnmacht des Parlaments tief empfanden, trotz seiner glänzenden Außenseite. Zunächst mußte jetzt eine äußere Gewalt, auf die es sich stützen konnte, geschaffen werden, diese erblickte man in einer bewaffneten Macht, einer Volkswehr und in einer provisorischen, vollziehenden Behörde oder Centralgewalt. Die große Frage war nun die, in welcher Art und Weise diese Centralgewalt organisirt werden sollte. Ein Antrag, welcher kurzer Hand die Uebertragung derselben, bis zur definitiven Begründung einer obersten Regierungsbehörde für Deutschland, an die Krone Preußen empfahl, wurde mit schallendem Gelächter entgegengenommen. So groß war leider in jenem Augenblick die Unpopularität des Königs, daß dieser einfachste und richtigste Ausweg unmöglich ward. Jede Parthei suchte nun ihre Wünsche und Ziele geltend zu machen; die äußerste Rechte wollte, mit einigen[415] Modificationen am Bundestage festhalten, die Monarchisten verlangten einen fürstlichen Reichsverweser oder auch Bundesdirector, die Republikaner einen verantwortlichen Präsidenten. Im Namen des Ausschusses, der die verschiedenen Vorschläge zu prüfen hatte, stellte endlich Dahlmann den Antrag auf ein Directorium, bestehend aus Oestreich, Preußen und Bayern, welchem letzteren sich die kleineren Staaten anschließen sollten. – Gegen diesen Vorschlag, mit dem es Dahlmann auch nicht ernstlich meinte, denn seine Sympathieen und Hoffnungen waren Preußen zugewendet, kämpfte die deutsche Zeitung in Heidelberg, welche in jenen Tagen eine Macht repräsentirte, unermüdlich an. Ihre Sympathieen waren gleichfalls für Preußen, und mit den schärfsten Gründen machte sie geltend, wie es der einzige Staat sei, auf den ein neues, einiges Deutschland sich fest begründen könne. Man sprach dort namentlich die durchaus richtige Ansicht aus, daß es nichts helfen könne, eine Persönlichkeit an die Spitze zu stellen, wenn nicht ein mächtiger Staat hinter derselben stehe, ihr Ansehen und Macht zu verschaffen. Die Hauptfrage aber blieb immer diejenige, ob die Dynastieen, die sich im Besitze der äußeren Gewalt, des Geldes und der Armeen befanden, den Beschlüssen des Parlamentes sich würden unterwerfen wollen oder nicht. – Man kann so viele Jahre später der Linken des Parlaments kaum den Vorwurf ersparen, daß sie dieses Verhältniß zu wenig anerkennen wollte, sondern glaubte, mit einer bloßen Berufung an die Nation sei Alles gethan. So glänzend auch die Reden waren, die sie damals hielten – man kann sich heute der nüchterneren Anschauung des Centrums, welches jenen Punkt oft betonte, kaum verschließen. So lange die Regierungen existirten, mußte man mit ihnen rechnen, und welche mächtigen Stützen sie in dieser Versammlung selbst hatten, dies bewies sich während der[416] sechstägigen Debatten, über die provisorische Centralgewalt, welche am 18. Juni begannen. Es war ein gewaltiger Geisteskampf, der jetzt um die Frage geführt wurde: Wer soll dieselbe schaffen? Sollte sie aus der freien Wahl des Parlaments oder aus der Souveränität des Volkes hervorgehen, sollten die Regierungen sie bestätigen oder wohl gar ernennen? Die äußerste Linke verlangte vorerst die Aufhebung des Bundestages und dann die Ernennung eines verantwortlichen Directoriums durch das Parlament. Die äußerste Rechte wünschte in der neuen Centralgewalt eine Fortsetzung des Bundestages zu sehen, wenn sie dies auch nicht gerade offen aussprach, und wollte sie jedenfalls von den Regierungen ernannt sehen. Zwischen diesen beiden Extremen bewegten sich die Debatten, um ein Verhältniß, welches Arnold Ruge in seiner scharfen Weise am besten mit den Worten charakterisirte: »Es bleibt nichts Anderes übrig, als statt der Fürstenrepublik, welche durch den Bundestag vertreten wird, die Volksrepublik, welche wir vorstellen, zu konstituiren, und wozu wir einzig und allein den Auftrag haben!« Nicht weniger als 36 Anträge waren eingebracht worden, bis man sich endlich dahin einigte, die Execution in die Hand eines Einzelnen, eines Reichsverwesers, der unverantwortlich sein sollte, zu legen. Da man von der preußischen Dynastie nicht mehr sprechen durfte, und die Rechte nur einen Fürsten, von den Kabinetten ernannt, an der Spitze sehen wollte, schlug Vinke, ohne ihn geradezu zu nennen, als die richtige Persönlichkeit jenen Erzherzog Johann von Oestreich vor, welcher einst den bekannten Trinkspruch: Kein Oestreich und kein Preußen u.s.w. sollte ausgebracht haben.

Die preußische Parthei hoffte durch dieses Provisorium Zeit zu gewinnen für ihren eigentlichen Kandidaten, aber auf's Neue loderte der Kampf heiß empor, als jetzt durchaus die[417] Wahl des Reichsverwesers von den Fürsten ausgehen sollte. Da zerschnitt Heinrich von Gagern am sechsten Tage den gordischen Knoten, indem er das Wort ergriff und mit seiner gewaltigen Stimme im Interesse der Volkssouveränität, die er ja selbst an dieser Stelle kurz zuvor proclamirt hatte, die Ueberzeugung aussprach, daß eine vorherige Uebereinkunft mit den Regierungen, wie Viele in diesem Hause sie wollten, viel zu weitläufig und darum unzweckmäßig sein würde. »Ich«, so rief er aus, »ich thue einen kühnen Griff und sage Ihnen, wir müssen die provisorische Centralgewalt selbst schaffen!« Im weiteren Verlaufe seiner Rede erklärte er sich gegen ein Directorium, welcher Art es auch sei, und sprach sich für einen unverantwortlichen Reichsverweser mit verantwortlichen Ministern aus, aber es müsse dieses Oberhaupt von fürstlichem Geschlechte sein, und ein hochstehender Mann sei dafür gefunden. Nachdem er dann dessen Persönlichkeit genügend angedeutet, empfahl er ihn als den Würdigsten, »nicht – weil er ein Prinz, sondern obgleich er ein Prinz ist!« Unter dem rauschendsten Beifall der Abgeordneten und der Gallerien verließ Gagern's imposante Gestalt die Tribüne – es war sein glänzendster Tag in der Nationalversammlung, die letzte glänzende Rede, die er dort hielt. Der Antrag, den er gestellt, ohne sich zuvor mit seinen Freunden darüber zu berathen, was diese sehr übel nahmen, wurde mit großer Majorität angenommen; der Schwerpunkt der ganzen schwierigen Frage war damit in das Parlament zurückverlegt und das Nichtfortbestehen des Bundestages ausgesprochen. Vom 26. bis zum 28. Juni wurde noch über die einzelnen Punkte des Gesetzes, das die Organisation der provisorischen Centralgewalt betraf, berathen und abgestimmt. Es sollte darnach einem von der Versammlung zu wählenden Reichsverweser die höchste vollziehende Gewalt in allen allgemeinen deutschen Angelegenheiten übertragen[418] werden. Er selbst sollte unverantwortlich, dagegen von einem verantwortlichen Reichsministerium umgeben sein. Um sein Ansehen ausüben zu können, wurde ihm durch die Versammlung die Oberleitung der gesammten bewaffneten Macht zugesprochen, deren obere Befehlshaber er ernennen sollte, wie ihm auch das Recht gegeben wurde, Deutschlands Vertretung nach außen hin, durch die Ernennung von Gesandten und Consuln zu übernehmen. Ueber Krieg und Frieden und über Verträge mit auswärtigen Mächten hatte er in Gemeinschaft mit dem Parlament zu entscheiden. Dann schritt man zu dem Wahlact selbst, und so wurde am 29. Juni der Erzherzog Johann von Oestreich zum deutschen Reichsverweser erkoren, mit 436 gegen 110 Stimmen. Ein Theil der Linken hatte für Gagern gestimmt, ein anderer Theil sich der Abstimmung ganz enthalten, weil ihnen die Unverantwortlichkeit mißfiel. Die Wahl des Herzogs wurde von dem Frankfurter Publikum lau aufgenommen, wie er denn überhaupt nur wenige Sympathieen für sich hatte. Man wußte nur von ihm, daß er bei den Tyrolern einer großen Popularität genoß, deren Freiheitskämpfe in den Jahren 1809 und 1810 sich um seine Person gruppirt hatten. Statthalter von Tyrol, heirathete er später eine Landestochter, das Kind des Postmeisters von Meran, die ihn einst, da es an einem Postillon fehlte, über Berg und Thal kutschirt, und die er zur Gräfin von Meran erhoben hatte. Es war ein schlichter, einfacher, aber jetzt schon betagter Mann von 66 Jahren, dem nun die Ehre zu Theil geworden, in schwierigster Zeit das deutsche Reich zu verwalten. – Man hat damals vielfach und wohl auch mit Recht behauptet, Gagern hätte die Wahl auf sich selbst lenken können. Ohne Zweifel war er in diesen Tagen der populärste Mann in Deutschland, und die Nation würde seine Erhöhung mit dem ungeheuersten Beifall aufgenommen haben,[419] auch wäre damit erfüllt gewesen, was die Linke begehrte – die Präsidentschaft eines Privatmannes. Jedenfalls würde dann die Bewegung eine vollständig andere Wendung genommen haben, man würde auf dem Wege der Revolution weiter gegangen sein und Gagern wäre dann auch selbst ein Anderer, er wäre der thatkräftige, entschlossene Volksführer gewesen, den Viele in ihm sahen. Daß sie sich darin irrten, war ihre, nicht seine Schuld. Aber auch die Wahl des Erzherzogs barg große Gefahren in sich, ihr größter Fehler war jedenfalls der, daß man ohne eine besondere Hinneigung zu Oestreich dadurch in Wien und bei der östreichischen Parthei den Glauben erweckte, daß es so sei, auch bewies diese ganze Transaction, wie man sich bezüglich der späteren Stellung Oestreichs zu Deutschland noch vollständig im Unklaren befand.

Was die deutschen Regierungen betrifft, so waren sie jetzt noch nicht genügend erstarkt, um sich den Beschlüssen des Parlaments offen widersetzen zu können; sie machten also gute Miene zu dem was geschah, ließen sich ihre Uebergehung gefallen und gaben nachträglich ihre Zustimmung zu der Wahl durch ein Schreiben, welches der fortvegetirende Bundestag am 29. Juni in ihrem Namen an den Erzherzog richtete, welches ihn jedoch merkwürdigerweise als den »Erwählten der Regierungen« bezeichnete. Auch Oestreich's Regierung und Kaiser Ferdinand erlaubten dem Herzog, die auf ihn gefallene Wahl anzunehmen. – Jedenfalls war der ganze Schritt, den das Parlament gethan, ein so tief eingreifender, er erschien als so beruhigend für die Zukunft, daß man im Allgemeinen mit aufrichtigem Jubel die Wahl des Erzherzogs begrüßte, und glaubte, es sei in Deutschland nun Alles auf dem besten Wege zur Macht und zur Einheit. Daß dem Reichsverweser jede äußere Gewalt fehlte, um im Nothfalle einen widerspenstigen Fürsten zur Unterwerfung unter seinen[420] Willen zu beugen, daran dachte man nicht, weil man die Unterwerfung für selbstverständlich hielt. Es wurde nun aus der Mitte des Parlaments eine Deputation gewählt, welche nach Wien reiste, um den Prinzen feierlich nach Frankfurt zu geleiten, und wieder, wie zur Zeit des Vorparlaments, strömte von weit und breit die Menge herzu, um den großen Moment mit anzusehen, da das alte deutsche Reich sich neu erbauen und wiederkehren sollte in seiner Herrlichkeit.

Auf den 11. Juli, einen glühend heißen Tag, war Morgens 9 Uhr der Einzug in die alte Reichsstadt bestimmt; schon die ganze Nacht vorher wogte es in den Straßen, und am nächsten Morgen waren diejenigen, durch welche der Zug kommen sollte, so dichtgedrängt voll Menschen, daß kaum ein Apfel zur Erde fallen konnte. Alle Fenster, alle Dächer, jeder Mauervorsprung, jeder Baum war mit Menschen überladen, und geduldig harrte diese Masse aus, geduldig wie das deutsche Volk so lange auf seinen Messias gewartet, – den ganzen, heißen Sommertag lang. Man hungerte und durstete, bis endlich um 6 Uhr Abends die kleine heisere Glocke auf dem Hanauer Bahnhofe das Nahen des Ersehnten verkündete; nun donnerten die Kanonen, nun brauste der Glockenklang durch die Luft, aber sie wurden noch übertönt von dem Rufen und Toben der Menge. Langsam fuhr der Wagen, in dem der Erzherzog saß, dahin; kaum konnten die sechs Schimmel, die ihn zogen, sich durch die Massen Bahn brechen, und nun erblickte man endlich ein kleines, verschrumpftes Männchen mit kahlem Kopfe und einem röthlichen, geistlosen aber gutmüthigen Gesicht über der hechtgrauen Tyroler Jägeruniform, die der Erzherzog gewöhnlich trug. Er grüßte und nickte nach allen Seiten, während Kränze ihm entgegenflogen, Tücher und Fahnen zu Tausenden in die Luft wirbelten. Auf der Zeil, am römischen Kaiser, wo er wohnen sollte, empfing ihn die Deputation[421] des Parlaments, aus den verschiedenen Partheien der Paulskirche zusammengesetzt, mit sehr getheilten Empfindungen. Auf Gagern's Ansprache antwortete er mit wenigen herzlichen Worten, deren Schluß lautete: »Da habt Ihr mich, ich gehöre zu Euch!« Abends gab es einen glänzenden Fackelzug, eine Serenade und ganz Frankfurt schwamm im Feuer einer glänzenden Illumination.

Viele, sehr Viele hatte der Anblick des kleinen Männchens bitter enttäuscht, und man fragte sich sorgenvoll: »Soll diese schwache Kraft, in solch schwerer Zeit, mächtig genug sein, dieselbe neu einzurichten? Am nächsten Morgen wurde der Erzherzog von 50 Parlamentsmitgliedern unter Glockengeläute und Freudenschießen zu Fuße nach der Paulskirche geleitet; den ganzen Weg entlang bildete die Bürgerwehr Spalier und ihm vorauf trug man zwei Reichsfahnen. In der Paulskirche angekommen, empfing Gagern den Reichsverweser mit einer feierlichen Ansprache, worauf einer der Secretäre das Gesetz über die provisorische Centralgewalt verlas. Dann legte er ihm die Frage vor, ob er dieses Gesetz »wolle halten und halten lassen zum Ruhme und der Wohlfahrt des Vaterlandes«. Der Erzherzog, welcher die Gabe der freien Rede in keiner Weise besaß, las, nachdem er die Brille aufgesetzt, seine Antwort von einem bereit gehaltenen Blatte Papier ab, versprach Alles, und dann, unter den Bravo's und Lebehoch's aller Anwesenden reichte er Gagern die Hand und sagte: »auf der Welt darf man nichts halb thun, hat man einen Entschluß gefaßt, so muß man sich dem ganz widmen, wozu man berufen ist, nämlich der deutschen Nation!« Dann verließ er rasch die Kirche. – Man wußte dort nicht, daß er schon vorher der letzten Sitzung der Bundesversammlung, wo der schlaue Präsident von Schmerling die Karten gemischt, beigewohnt hatte, in Folge einer an ihn ergangenen Einladung.[422] Dort erhielt er zuerst die legitime Weihe, indem der Bundestag, durch Schmerling's Mund, seine verfassungsmäßigen Pflichten und Befugnisse der provisorischen Centralgewalt übertrug, Namens der deutschen Regierungen. Von der Nationalversammlung war bei der Uebertragung keine Rede, und der den Schlangenwindungen der östreichischen Politik nicht fremde Erzherzog, nahm dieselbe auch ganz so an, wie sie gegeben war. An der Stelle des Bundes, der die Fürsten vertrat, stand jetzt ein einzelner Mann – das war der ganze Unterschied!

Zunächst ernannte jetzt der neue Reichsverweser sein Ministerium und erließ er eine Proclamation an das deutsche Volk, voll schöner Versprechungen und Versicherungen, die man mit gläubigem Vertrauen entgegennahm. In dem Reichsministerium, welchem der Fürst Leiningen eine kurze Zeit präsidirte, waren die Rechte und das Centrum vertreten, und bis auf eine einzige Ausnahme ging es aus den Reihen des Parlaments hervor. Kenntnißreiche und wohlmeinende Männer waren unter diesen Ministern; der berühmte Rechtsgelehrte Robert Mohl übernahm das Ministerium der Justiz, und er machte sich augenblicklich daran, Gesetze, die für ganz Deutschland gültig sein sollten, vorzubereiten.

Nicht minder thätig zeigte sich der Bremer Senator Duckwitz, welcher das Handelsministerium leitete, und gleichfalls wichtige Vorbereitungen für Zoll- und Handelssachen traf, namentlich aber für eine Kriegsflotte, deren Mangel man gerade jetzt, während des Krieges gegen Dänemark, am Schmerzlichsten empfand, und wofür in ganz Deutschland auf's Eifrigste gesammelt und gearbeitet wurde.

Das schwierige Departement der Finanzen bekam Beckerath, ein Fabrikant aus den Rheinlanden, einer der einsichtsvollsten und versöhnlichsten Politiker des Centrums.

Weniger gut war es um das Ministerium des Auswärtigen[423] bestellt, welches der Advokat Heckscher aus Hamburg übertragen bekam, der aber, wie er sich auch drehte und wendete, um es den Diplomaten gleich zu thun, dies doch nicht fertig brachte, und darüber seine ganze Haltung und sein ganzes früheres Ansehen einbüßte. Zum Kriegsminister erhob man den seitherigen Militärbevollmächtigten beim Bunde, den preußischen General von Peucker, und das Ministerium des Innern, sowie auch bald nachher das Präsidium des Ganzen erhielt der schlaue Ritter Anton von Schmerling, der die Majorität der Versammlung schon lange an seinen Fäden lenkte und führte. Eine Anzahl von Staatssecretären war dem Ministerium noch beigegeben, unter diesen die bekannten Badenser: Mathy und Bassermann.

Das Reichsministerium zeigte nun den Regierungen aller deutschen Staaten an, daß es die Ausübung der Rechte der Centralgewalt begonnen habe und lud sie ein, durch Bevollmächtigte mit ihm in Verbindung zu treten. Der Minister des Auswärtigen begann den diplomatischen Verkehr mit den nichtdeutschen Mächten, und den Landeskriegsministerien wurde eröffnet, daß der Reichsverweser die Oberleitung der Kriegsmacht übernommen habe, und daß sämmtliche deutsche Truppen am 6. August dem obersten Kriegsherrn ihre Huldigung zu leisten hätten; leider wurde auch Preußen zur Abschließung eines Waffenstillstandes mit Dänemark ermächtigt.

So war denn nun etwas Sicheres gegründet und erreicht, wenn es auch unter schweren Mühen zu Stande gekommen; das Parlament befand sich jetzt scheinbar auf seinem Höhepunkte, und mit aufrichtigem Vertrauen blickte die Nation darnach hin, während es doch schon den Keim des Verderbens in sich trug, denn der zweite Theil der Frage, ob die Regierungen nun auch wirklich das thun wollten, was[424] man von Frankfurt aus decretirte, war noch vollständig ungelöst. Fort und fort widerhallten die Kuppeln der Paulskirche von geistvollen, scharfen, glänzenden Reden, und dennoch nahm mehr und mehr das Parlament den Charakter eines Thurmbaues von Babel an, wo Keiner mehr den Andern recht verstand oder verstehen wollte. Die Linke und das linke Centrum erschöpften sich im Hinweis auf das, was nothwendigerweise geschehen müsse, um die Macht der Centralgewalt zu festigen. Die äußerste Rechte verwarf Alles, was Jene beantragten, ihre Leitsterne lagen ja weit außerhalb dieser Versammlung.

Und dennoch – welche Fülle von interessanten, hochbegabten Charakterköpfen, von ausgezeichneten Rednern wies das Ganze auf! Dort, unter den preußischen Junkern, deren redegewandter Führer, Fürst Lichnowsky, der mit souveräner Verachtung mit der Uhrkette klimpernd, oder das Bärtchen drehend auf die Rednerbühne trat und den ganzen Uebermuth seiner Kaste, unter dem Zischen und Lärmen der Gallerien, höhnend in die Versammlung warf; ernster und gehaltener, aber Preuße und Militär vom Scheitel bis zur Sohle, neben ihm General Radowitz, mit dem unbeweglichen Gesichte, wie aus gelbem Marmor gemeißelt. Wenn er sprach, verstummte Alles, denn er sprach Gedanken und nicht bloß Worte; dann der glatte, bewegliche Schmerling, der böse Dämon Heinrich von Gagern's, dessen diplomatische Winkelzüge ein leichter Humor zu verdecken trachtete. In der Mitte die alten Veteranen der Stein'schen Zeit, der sehr, sehr alte Arndt, der Turnvater Jahn mit seinem großen weißen Kragen über dem altdeutschen Rocke, und dem langen grauen Barte, dann die Göttinger Sieben, die Professoren Mittermaier, Welcker, Beseler, Waitz, und im linken Centrum der Mann, den jedes Auge zuerst suchte, Ludwig Uhland, der leider selten sprach, aber dann im[425] liberalsten Sinne; um ihn geschaart die Würtemberger Römer, Schott, Pfizer und dann die Linke, welche eigentlich die meisten Talente in sich schloß, mit dem ehrwürdigen Itzstein an der Spitze, neben ihm Robert Blum, Raveaux, Heinrich Simon, Löwe aus Calbe, Venedey, Fröbel und wie sie Alle heißen, die da für die dauernden Rechte der Nation gestritten. Nach der äußersten Linken hin saßen neben Arnold Ruge, v. Trützschler, Kolb, und die jüngsten Männer des Parlaments, der schöne Moritz Hartmann, der Dichter von: Kelch und Schwert, welcher nach Art der altdeutschen Reimchroniken das Parlament nun, in seiner Reimchronik des Pfaffen Mauritius, zu besingen begann; dann Carl Vogt mit seinem derben Humor, Rößler von Oels, ganz in Nanking gekleidet, den man darum den »Reichskanarienvogel« nannte; und der bedeutendste Redner unter ihnen, Ludwig Simon von Trier, dem, wenn er sprach, eine so lautlose Stille folgte, daß man eine Nadel konnte fallen hören, während er selbst vor Erregung, wenn er unter dem tosendsten Beifall die Tribüne verließ, bleich geworden war wie die Säulen hinter ihm.

Wie viele schöne und gute Worte sind in jenen Tagen geredet worden, wie viel idealer Schwung hat sich mit dem reinsten Feuer der Begeisterung zum Himmel erhoben – vergebens, für den Augenblick – aber gewiß nicht für die folgende Zeit. Man hat es oft bitter getadelt, daß in der Paulskirche zu viel geredet wurde, und doch trugen diese Worte sich fort in Millionen von Herzen, als Saamenkörner einer besseren Zukunft, und sie bildeten nicht allein die Vertreter des Volkes, sie bildeten zugleich das ganze Volk zu einem politischen und öffentlichen Leben heran. –

Kehren wir von dieser Ueberschau zu der Centralgewalt zurück, so that sie äußerlich jetzt das Richtige; sie übernahm[426] allsobald den diplomatischen Verkehr, schickte Gesandte ab, empfing solche, und immer glänzender entwickelte sich die Außenseite des geselligen Verkehrs in dem gastlichen Frankfurt.

Was jedoch die Lage der Centralregierung von vornherein sehr schlimm gestaltete, dies war der Umstand, daß ihr keine Geldmittel zur Verfügung standen, und man dachte viel zu zartfühlend, die Staatskassen mit einer Reichsmatrikel zu belasten. Das besondere Ausschreiben einer Reichssteuer hätte die Steuerlast im Allgemeinen vermehrt, in einem Augenblicke, wo alle Welt deren Herabsetzung erwartete und verlangte. In Folge dieser Finanznoth spielten die Reichsgesandten im Auslande eine klägliche Rolle. Wurden sie auch von den auswärtigen Mächten anerkannt, so behandelte man sie doch wie reine Nullen, und was den Erzherzog Johann selber betraf, so war er schlechter gestellt, als jemals ein deutscher Kaiser vor ihm, und diesen ging es doch mitunter noch recht knapp. – Jetzt fingen auch allgemach die Einzelregierungen an wieder sichtbare Lebenszeichen von sich zu geben, natürlich im reactionären Sinne. Hannover sprach seine Bedenken aus, sich der neuen Gewalt zu fügen, so daß man den König im Parlament als Rebellen bezeichnete und abzusetzen begehrte; Bayern zeigte sich gleichfalls in hohem Grade abgeneigt, dem Erzherzog zu huldigen; Oestreich verhielt sich ganz passiv, und Preußen ließ sehr deutlich merken, daß es gar nicht daran denke, sich der Frankfurter Behörde unterzuordnen. Nun begann diese ihre Ohnmacht ernstlich zu empfinden, und als nun der Reichsminister von Schmerling an die Versammlung das Verlangen stellte, den Stand des Militärs um zwei Prozent der Bevölkerung zu erhöhen, und somit dessen Zahl auf 900,000 Mann zu bringen, antwortete Wilhelm Schulz aus Zürich durch den Gegenantrag auf Bildung einer Volkswehr von 480,000 Mann, die als Parlamentsheer den directen Befehlen des[427] Reichsverwesers unterstellt werden sollte. Damit war aber der Rechten nicht gedient, die erhöhte Militärmacht sollte gerade dazu dienen, die jetzt bestehende Volksbewaffnung nach und nach wieder aufzuheben, und um die Nothwendigkeit einer größeren Truppenzahl zu rechtfertigen, spiegelte man eine Menge von Gefahren vor, die aus Rußland und aus Frankreich drohen sollten. In unbegreiflicher Verblendung zeigte sich die ganze Parthei Gagern dem letzteren Vorschlag geneigt. Man glaubte, sobald das Militär auf die Reichsverfassung vereidigt sei, und nachdem es jetzt sogleich dem Reichsverweser den Eid der Treue geschworen habe, besitze man in dieser vermehrten Bundesarmee auch zugleich die beste Parlamentsarmee. So wurde unter dem Frohlocken der reactionären Parthei das Geforderte bewilligt, während schon der sechste August es auswies, wie man sich mit der Huldigung der Truppen für den Reichsverweser abfand. Es geschah dies zwar in den kleineren Staaten, wo man noch ängstlich war, hie und da auch erzwungen durch die Bevölkerung. In den größeren begnügte man sich damit, das Militär ausrücken und dem Erzherzog einige Hurrah's darbringen zu lassen; nur die Bürgerwehr, deren Huldigung so gut wie nichts bedeutete, ließ man gewähren. In Preußen rief man laut, man denke gar nicht daran, sich durch einen solchen Act unter den Befehl Oestreichs zu stellen, und nur in einzelnen Provinzen geschah das Verlangte Seitens der Bürgerwehren. So erlaubte die Regierung auch in Berlin die Feierlichkeiten erst nach einigen Tumulten, den Bürgerwehren, den Arbeitern und Studenten. Trotz alledem glaubte man jetzt Reichstruppen, sowie in dem Kriegsminister von Peucker einen reichstreuen Reichsgeneral zu haben; diese konnten jetzt im Namen des Parlaments jede demokratische Schilderhebung niederwerfen, jede Anarchie unterdrücken. Wie bald darnach sie auch den Konstitutionalismus der Centrumsparthei[428] wegfegen würden, daran dachte diese Letztere nicht. Es war zwar eine schmerzliche Täuschung, als sie sehen mußten, wie es mit dem Huldigungstage ging; aber man tröstete sich mit der Erwägung, daß diese nur eine bloße Form sei, und setzte neue Zuversicht auf eine Zusammenkunft des Königs von Preußen mit dem Reichsverweser und einem Theil der Parlamentsmitglieder, bei Gelegenheit des Kölner Dombaufestes, das im August stattfand. Man hoffte sicher, der König werde etwas thun, was der Nichthuldigung in Preußen gegenüber, doch irgendwie die Idee der deutschen Einheit vertrete. In diesem Sinne redete auch Heinrich von Gagern Friedrich Wilhelm IV. an, als er ihn an der Spitze von etwa 100 Abgeordneten begrüßte. Er sagte am Schlusse seiner Rede: »Die Reichsversammlung vertraut fest auf die Unterstützung Eurer Majestät bei dem Baue der Einheit, der unternommen ist, und den die Nation ausführen wird.« – Der König antwortete darauf unter Anderem: »Die Einheit Deutschlands liegt mir am Herzen, sie ist ein Erbtheil meiner Mutter!« Worauf Gagern noch einmal erwiderte: »Wir wissen, daß Eure Majestät der Pfleger dieses Gedankens sind.« –

Der König entfernte sich, kam zurück und sagte, daß er sich freue, die Herrn gesehen zu haben, dies sei nothwendig, um gute Freunde zu werden! dann schloß er seine Rede mit den bedeutungsvollen Worten: »Seien Sie überzeugt, daß ich nie vergessen werde, welch ein großes Werk zu gründen Sie berufen sind, wie ich überzeugt bin, Sie werden nicht vergessen, daß es in Deutschland Fürsten gibt und ich zu diesen gehöre!« –

Das war deutlich gesprochen, Gagern und die Seinen fingen jetzt an einzusehen, und erfuhren es bald noch mehr, daß die Fürsten nicht daran dachten, die Verfassung, welche[429] aus dem Schooße des Parlaments hervorgehen sollte, ohne Weiteres anzunehmen; sie sahen, Würtemberg ausgenommen, in der Versammlung nicht eine konstituirende, sondern nur eine berathende, deren Entschlüsse mit den ihrigen vereinbart werden mußten. Es wurde klar, daß man nichts halb thun, daß man die National-Souveränität nicht verkündigen dürfe, wenn man sich scheute, nach den richtigen Mitteln zu greifen, die sie allein zu begründen vermochten. – Um jetzt Zeit zu gewinnen, bis ein einheitlicher Bundesstaat mit preußischer Spitze konnte geschaffen werden, legten Dahlmann und Genossen zuerst den Entwurf der deutschen Grundrechte vor, und die preußisch gesinnte Parthei war darauf bedacht, daß derselbe möglichst langsam berathen wurde. Dies erschütterte das Ansehen des Parlaments und sehr bald sollte sich der traurige Beweis ergeben, wie wenig man in und außerhalb Deutschlands noch nach ihm fragte, als es sich um die Ordnung der Verhältnisse Schleswig-Holsteins zu Dänemark handelte. –

Wir haben von den ersten dortigen Vorgängen und der Begeisterung der Herzogthümer für Deutschland, die eine gegenseitige war, bereits gehört. Das Jahr 1848 sollte auch dort Entscheidendes bringen; am 21. März war Kopenhagen der Schauplatz einer großen demokratischen Bewegung und der König sah sich gezwungen, aus der demokratischen Parthei ein neues Ministerium zu bilden, mit dem bekannten Orla Lehmann, dem größten Feinde der selbstständigen Herzogthümer, an der Spitze. Wie die aufgeregten Slaven von einem großen Slavenreiche, so träumte man damals im Norden von der Herstellung eines mächtigen skandinavischen Bundes, der Dänemark, Schweden und Norwegen umfassen, und ihnen die Herrschaft über die nördlichen Meere sichern sollte. Auch dieses Element stellte sich feindlich zu Deutschland, welches man erst in zweiter Linie dulden wollte. Es war[430] eben immer wieder der alte Streit und Kampf, wie er schon seit Jahrhunderten gewährt.

Die dänischen Demokraten und ihr eben genannter Führer waren es nun zumeist gewesen, welche die definitive Einverleibung der Herzogthümer, zur größeren Stärkung Dänemarks, mit fanatischem Eifer betrieben. Ihr offen ausgesprochenes Programm lautete: Dänemark bis zur Eider! und so mußte nothwendigerweise ihr Sieg in Kopenhagen, ihr Besitzergreifen der Regierung, gleichzeitig für die Herzogthümer das Signal der Empörung werden, um so mehr, als von Seiten des neuen Ministeriums nun Schleswig ohne Weiteres durch ein dänisches Manifest, welches aussprach, daß ein Schleswig-Holstein nicht mehr existire, Dänemark einverleibt wurde. Man gestattete Holstein, bei dem deutschen Bunde zu bleiben, was ja auch nicht anders sein konnte, sprach aber damit nochmals die ewige Trennung der beiden Bruderstämme aus. Als Antwort auf diese Vorgänge bildete sich am 22. März 1848 eine provisorische Regierung für die Herzogthümer, an deren Spitze der Herzog von Augustenburg, Graf Reventlow und der Advocat Beseler standen. Von der Bevölkerung allgemein anerkannt, mit Ausnahme einiger Distrikte Nord-Schleswigs, wo die dänischen Sympathien vorwogen, stellte diese Regierung als ihre Richtschnur wiederholt die drei Punkte auf, auf welche sich das Recht und das Verlangen der Herzogthümer stützte:

Erstens, die staatliche Selbstständigkeit der Herzogthümer.

Zweitens, die Unzertrennlichkeit Beider.

Drittens, die Erbfolge ihrer Regierung nach dem Mannesstamm.

Haben wir nun schon im Jahre 1846 gesehen, wie groß die Sympathie Deutschlands für den Bruderstamm im Norden gewesen, so mußte sich ja dieselbe unter den begeisternden Einflüssen der Märztage, wo man Alles hoffte und[431] nichts mehr fürchtete, noch in erhöhtem Maaße offenbaren. An allen Orten bildeten sich Freischaaren, die den Schleswig-Holsteinern zu Hülfe ziehen wollten, Geldbeiträge flossen von überall her zusammen – man war durchdrungen von dem Gefühle, daß es sich dort um eine durchaus nationale Sache handle. Am eifrigsten regte man sich in Baiern, wo König Ludwig nicht allein reichliche Mittel spendete, sondern auch seine besten Officiere als Anführer der Freischaaren nach den Herzogthümern schickte, ja, sogar den wackeren Major v. d. Tann autorisirte ein glänzendes Freicorps zu bilden, welches die Elite der freiwilligen Kämpfer ausmachte, und dessen ritterlich tapferen Führer die Romantik noch mit allem Zauber ausstattete, der einst Lützow und seine Genossen verherrlichte.

Auch der Bund und der Fünfzigerausschuß waren nicht säumig. Ersterer bot Bundestruppen auf und der Letztere betrieb die Aufnahme Schleswigs in den Bund, so daß wirklich noch vor Ende des Monats April der Professor Madai aus Kiel, als Vertreter beider Herzogthümer seinen Sitz in der Bundesversammlung einnehmen konnte. Nicht minder eifrig zeigte sich Preußen; der König erkannte durch einen Brief an den Herzog von Augustenburg dessen Rechte auf die Erbfolge der beiden festverbundenen Herzogthümer förmlich an, und bereitete sich vor, dieselben durch Waffengewalt zu unterstützen, was zugleich seinen, durch die Ereignisse der Berliner Märzrevolution furchtbar deprimirten Truppen Gelegenheit gab, ihre Scharten wieder auszuwetzen.

Unterdessen waren bereits 12,000 Dänen von Jütland her in Schleswig eingerückt, und trafen am 9. April bei Bau in der Nähe von Flensburg mit dem holsteinischen Häuflein, nur aus 6000 Mann, zum Theil aus Freischaaren bestehend, zusammen. Die Letzteren wurden beinahe vollständig aufgerieben, da die Uebermacht der Dänen noch durch[432] das Feuer von sieben Kriegsschiffen unterstützt wurde und ein Müller ihnen die Stellung der Holsteiner, vermittelst seiner Windmühle telegraphirte. Entsetzlich litt die Kieler Studentenschaar, die sich hier heldenmüthig schlug; mit Turnern und einem Jägercorps vereint hielten sie sich vier Stunden lang gegen den übermächtigen Feind, und als der Kampf zu Ende ging, lag der beste Theil der Jugend Schleswig-Holsteins, zum Theil den vornehmsten Ständen angehörend, todt oder verwundet auf dem Felde.

In der Nähe standen die Preußen, aber thatlos; sie durften erst angreifen, als der Befehl dazu von Berlin kam, und so entbrannte denn am 22. April ein zweites Gefecht gegen die Dänen, die inzwischen ihren Sieg schändlich ausgebeutet, und Hunderte von bekannten Vaterlandsfreunden gefangen fortgeführt hatten. General Wrangel, der die Preußen befehligte, griff sie jetzt bei dem Dannewirk an, nahm dieses im Sturm, und sodann die Stadt Schleswig mit dem Schloß Gottorp, während die Dänen in der Dunkelheit nach ihren Schiffen entflohen. Am 24. April schlug Wrangel sie noch einmal bei Flensburg, und konnte nun ganz Schleswig wie auch Jütland besetzen. Mit Recht hoffte man in Deutschland auf eine schnelle Entscheidung der ganzen Frage, auf einen vortheilhaften Frieden, welcher Schleswig mit Deutschland verband, den Sundzoll aufhob, und durch eine Theilung der dänischen Flotte Dänemarks Uebermuth bändigte, sowie Deutschland rasch in den Besitz von Schiffen brachte, deren Mangel man gerade jetzt doppelt lebhaft empfand.

Mit ungeheurem Enthusiasmus hatte man in ganz Deutschland den Krieg in den Herzogthümern verfolgt, auf Preußen strahlte ein gutes Theil der Volksfreude zurück, und mit besonderem Jubel empfing man bei Eröffnung des Parlaments die schleswig-holsteinischen Abgeordneten, unter[433] denen berühmte Namen glänzten, wie: Esmarch, Beseler, Engel, Waitz und Andere; auch Dahlmann gehörte ja seiner Geburt nach dorthin.

Aber was nutzte alle Begeisterung der Nation, wo jetzt wieder eine feindselige Diplomatie die Karten mischte, und die Reaction in dem preußischen Ministerium, das nur kurze Zeit eine ehrliche Politik verfolgte, derselben die Hand zum Bunde reichte. Leider lag die Zeit in noch gar zu ferner Zukunft, wo Preußen einsah, wie man als Sieger einen Frieden abschließt, zu Deutschlands und zu seiner eignen Ehre. – Dänemark hatte sich in seiner Bedrängniß an Rußland gewendet und fand dort ein sehr geneigtes Ohr, denn Rußland wollte nicht, daß Deutschland eine Flotte besitze, und sich auf der See durch den Besitz Schleswigs kräftige. Eine russische Note reichte hin, in Berlin so sehr zu schrecken, daß man die Früchte des Sieges freiwillig wieder aufgab. Ganz plötzlich, am 24. Mai, erhielt General Wrangel den Befehl, Jütland wieder zu räumen, und bald darnach mußte er auch Schleswig verlassen, wo nun die Dänen ihrer Rache wieder vollen Lauf ließen, so daß Hunderte von Familien, mit Zurücklassung aller ihrer Habe, ihr Heil in der Flucht suchen mußten. Die Häuser solcher Beamten, die den Dänen besonders verhaßt waren, nahmen sie in Beschlag und zerstörten Alles, was sich darin befand, wie dies z.B. dem Staatsrath Engel geschah, der gerade in Frankfurt im Parlamente anwesend, kein Stück seines Hausrathes je wieder sah.

Unter englisch-schwedischer Vermittlung, auch diese Staaten hatten Parthei für Dänemark ergriffen, unterhandelte man unterdessen in dem schwedischen Städtchen Malmö wegen eines Waffenstillstandes. In Frankfurt, sowie im übrigen Deutschland, wollte man natürlich davon nichts wissen, man machte alle Anstrengungen sobald als möglich in den Besitz einer Flotte zu gelangen, die sich aber innerhalb[434] weniger Monate nicht beschaffen ließ. Preußen hatte die Miene angenommen, als könne es den Krieg allein nicht fortsetzen, auf die Gefahr hin, von allen Großmächten bedroht zu werden. Sein Vertrauen auf die deutsche Nation zu setzen, daran dachte man nicht in Berlin und zog es vor, auf ein Uebereinkommen einzugehen, dem zu Folge für die Herzogthümer eine neue Regierung gebildet werden sollte. Diese würde aus zwei Mitgliedern für Schleswig, die Dänemark, zwei Mitgliedern für Holstein, die Preußen zu ernennen hatte, zu bestehen haben, und sie sollten sich selbst noch ein fünftes Mitglied als Vorsitzenden wählen; auch sollte die vereinte Armee der Herzogthümer in ein schleswigsches und in ein holsteinsches Contingent getrennt werden.

Mit diesen Bedingungen war die Scheidung zwischen beiden factisch ausgesprochen und, konnten die Herzogthümer unmöglich darauf eingehen, so stand für Deutschland noch weit mehr auf dem Spiele. Sein ganzes Ansehen, seine Würde, die Zukunft der neuen Errungenschaften war damit in Frage gestellt. – Während kein Krieg oder Friede ohne den Willen der Centralgewalt und des Parlamentes durfte beschlossen werden, wurden sie bei diesen Waffenstillstands-Verhandlungen in Malmö vollständig ignorirt. Aber die Centralgewalt begab sich ihres Rechtes, indem der Reichsminister Heckscher, auf Preußens Andrängen hin, und vergessend, daß er ein verantwortlicher Minister sei, Preußen, wie wir schon gehört, Vollmacht ertheilte, den unwürdigen Waffenstillstand abzuschließen. Wohl knüpfte er die Bedingungen daran, daß die Rechte der Herzogthümer dabei möglichst gewahrt, und deren Truppen unter deutschen Oberbefehl gestellt werden sollten, auch sandte er den Staatssecretär Max von Gagern nach Malmö, um die Unterhandlungen zu überwachen. Dieser sah sich aber schon in Berlin so schlecht aufgenommen, daß er gar nicht dahin ging, wo man weder von einem[435] deutschen Reiche, noch von einem deutschen Reichscommissär etwas wissen wollte.

Ebenso wegwerfend wurden die Bedingungen behandelt, welche man von Frankfurt aus gestellt hatte, ja die Dänen setzten noch den Hohn entgegen, daß sie einen Mann, der sich in den Herzogthümern besonders verhaßt gemacht, den Grafen Moltke zum Präsidenten der provisorischen Regierung ernannten, und Preußen schloß nun einseitig den Waffenstillstand, so wie die Dänen ihn wollten, am 26. August ab. Dänische Blätter sogar äußerten sich folgendermaßen darüber: »Gegen Erwarten hat die preußische Regierung den Bedingungen, die das in Malmö unterzeichnete Protokoll enthielt, Beifall geschenkt!« – Sieben Monate lang sollte diese Waffenruhe, die nicht einmal Grundlagen eines für Deutschland ehrenvollen Friedens gewährleistete, dauern, und innerhalb dieser Zeit sah sich Schleswig-Holstein allen Unbilden seines Feindes Preis gegeben.

Deutschland aber erging es nicht besser, und unsäglich war der Schmerz, die Enttäuschung, als man dieses Ende des so schön begonnenen Kampfes erfuhr. Alles blickte jetzt auf das Parlament, dem ja die letzte Entscheidung zustand, ob es diese Unehre besiegeln, oder ob es mit unerschrocknem Mannesmuth die Nation aufrufen werde, auf ihr gutes Recht zu pochen und die äußersten Anstrengungen zu machen, ehe sie sich so tief herabziehen ließ. Freudig vernahm man den Antrag Dahlmann's, welchen derselbe am 5. September auf Verwerfung des unehrenhaften Waffenstillstandes von Malmö stellte. »Dürfen wir,« rief er aus, »unsere neue deutsche Laufbahn mit dem Bruche der heiligsten Zusagen beginnen, den Zusagen gegen unsere schleswig-holsteinischen Brüder? Unterwerfen wir uns bei der ersten Prüfung, die uns naht, den Mächten des Auslandes gegenüber, dann werden wir unser ehemals stolzes Haupt nie wieder erheben![436] Denken Sie an diese meine Worte. Nie! Wenn Sie in dieser Sache versäumen, was gut und recht ist, so wird damit auch der deutschen Sache das Haupt abgeschlagen!«

Sein Wort war das eines Propheten, denn eine neue Generation mußte erst wieder heranwachsen ehe die »deutsche Sache« zu ihrem Rechte kam.

Nach einer heftigen Debatte wurde mit geringer Majorität die Sistirung des Waffenstillstandes angenommen; die große preußisch gesinnte Parthei befand sich zwischen zwei Feuern, sie empfanden tief die ihnen gebotene Schmach und fürchteten doch zugleich, es mit Preußen zu verderben. Als ob das preußische Volk und Heer sich nicht auf die nationale Seite gestellt hätten, wenn es zu einem ernstlichen Kriege gekommen wäre! Aehnlich wie Dahlmann kennzeichnete Heinrich Simon von Breslau die Sachlage: »Keine Macht des Auslandes wird es jetzt wagen, in unsere gerechte Sache hineinzureden, deßhalb weil das Ausland klug ist, weil sie wissen, daß ein ungerechter Angriff auf Deutschland eine Nationalerhebung zur Folge hätte, welche manchen Thron und manches Andere vor sich aufrollen könnte. Es handelt sich bei der Ratification in keiner Weise um die preußische Ehre, es handelt sich nur um die Ehre eines preußischen Ministeriums und wenn von der Ehre Deutschlands die Rede ist, kommt weder diese noch die Ehre des hiesigen deutschen Ministeriums in Betracht. Wir haben viel versäumt, viel gezaudert, als die Verhältnisse noch flüssiger waren, aber noch ist es nicht zu spät, wenn wir durchdrungen sind von der Heiligkeit des Bodens, auf dem wir stehen, wenn wir an uns selbst glauben, damit das deutsche Volk im Stande ist an uns zu glauben, und dann ist nothwendig, daß wir in diesem Glauben als tapfere Männer auch der Geschichte eine neue Bahn brechen! Die Stunde ist da, mögen die Männer nicht fehlen!« Zündend schlugen[437] solche und ähnliche Worte in die Nation ein, von allen Seiten strömten der Versammlung Zustimmungsadressen zu, – glänzend wie in den ersten Tagen stand das Parlament in diesem Augenblick wieder da. Aber der Kleinmuth, die Lüge und Intrigue waren bereits zu mächtig in seinem Innern geworden. Den innersten Herzenserguß patriotischer Männer nahm man als Phrasen, man sah nur die Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, und überhörte die Stimme eines Volkes, das damals ebenso bereit war, Alles zu opfern und zu wagen, wie um 1870 auch. –

In Folge des Beschlusses vom 5. September legte das »verantwortliche« Reichsministerium sein Amt nieder und Dahlmann wurde beauftragt, ein neues zu bilden. Er brachte es nicht zu Stande; seine eigentlichen Genossen und Freunde, unzufrieden mit seinem Vorgehen, wollten in kein Ministerium mit ihm eintreten, voll steter Furcht ihren Lieblingsplan, den König von Preußen zum deutschen Kaiser zu machen, zu zerstören. Sich ein Ministerium aus den Reihen der Linken zu wählen, wie es das Folgerichtige gewesen wäre, dazu konnte er sich nicht entschließen und diese Halbheit sollte ihre bittern Früchte tragen. Schon bereitete sich innerhalb des Parlaments wieder eine Umkehr von mannhafter Begeisterung zu feigem Nachgeben vor; Vielen, die für die Sistirung gestimmt, war es hinterher wieder leid, denn gar kläglich wußten die Preußenfreunde Preußens Lage darzustellen, wie sein Handel darniederliege, wie seine Küsten durch die Dänen bedrängt würden und wie es ohne Schiffe nicht im Stande sei, sich zur Wehre zu setzen.

Als nun am 14. September die Berathung neu aufgenommen wurde, welche endgültig über Annahme oder Verwerfung des Waffenstillstandes entscheiden sollte, zeigte die Versammlung schon eine sehr veränderte Physiognomie und fruchtlos wogte die Debatte zwei Tage lang hin und her[438] unter steigender Aufregung auf den Gallerien, die wahrhaft bedrängt und belagert wurden. Wie tief die Kluft war, die damals noch im preußischen Bewußtsein dieses Land von dem übrigen Deutschland trennte, ging so recht aus den Aeußerungen der Vollblut-Preußen hervor, die durchaus Preußens Ehre von der deutschen Ehre abtrennten. Namentlich war es Fürst Lichnowsky, der behauptete, Preußens Ehre sei verpfändet, es dürfe von dem Vertrag nicht zurücktreten; ihn unterstützte in wortverdrehender Weise der Reichsminister Heckscher, so daß die herausfordernde Art der beiden Männer die Gereiztheit des Galleriepublikums ganz besonders gegen sie wach rief, die kurz darnach der Eine so furchtbar verbüßen mußte, während der Andere kaum einem ähnlichen Schicksal entging. Ihren Argumenten gegenüber rief jetzt von Herrmann ein schönes Wort der Wahrheit in die Versammlung: »Gerade in der Nichtratification liegt eine Ehrenrettung Preußens!« und weiter: »So lange wir wegen dieser Kleinigkeit des Waffenstillstandes, der Himmel weiß was fürchten, sind wir wenig geachtet. Dänemarks Nationalgefühl hat den Krieg fortgeführt, den es anfing, um ein Unrecht zu vertheidigen: nehmen Sie an diesem kleinen Volke ein Beispiel! Gehen Sie einen festen Gang, damit nicht endlich ganz Europa ruft: »Ihr Deutschen seid ein Kinderspott!« –

Heftiger sprach Karl Vogt, dabei unklugerweise ein Wort gebrauchend, bei dessen bloßer Nennung die Furchtsamen in und außerhalb der Paulskirche eine Gänsehaut überrieselte: »Frankreich«, rief er aus, »war einst von Innen und Außen bedrängt, es war zerspalten von Partheien, es hatte eine Vendée und einen legitimistischen Süden; die feindlichen Heere griffen alle Gränzen zugleich an. Die französische Nationalversammlung berief sich auf die Volkskraft, man schuf Heere und Schiffe, man schlug die Feinde! Aber das[439] war auch der Convent, der so Großes konnte, und nur ein Convent kann es!« –

Diese Hindeutung auf die äußerste Consequenz der französischen Revolution war nicht am Platze, sie gab den Gegnern erst recht die Waffen in die Hand; dazu kam, daß selbst jener Theil der schleswig-holsteinischen Abgeordneten, die zu der Parthei Gagern gehörten, sich für den Waffenstillstand aussprachen, und als dann endlich noch von vermittelnden Rednern hervorgehoben wurde, Dänemark sei bereit, billigere Bedingungen zu stellen und den Grafen Moltke fallen zu lassen, wurde der Vertrag bei der endlichen Abstimmung mit 257 gegen 236 Stimmen angenommen. Eine so kleine Majorität entschied über den Bankerott der einheitlichen und freiheitlichen Bestrebungen des Jahres 1848.

Schon am nächsten Tage vernahm man die Erklärung, Dänemark denke gar nicht daran, die von der Centralgewalt gewünschten Modificationen eintreten zu lassen, und ganz unbeschreiblich war der Schmerz, war der bittre Hohn, der sich jetzt überall offenbarte, als solche Kunde sich von Frankfurt aus weiter verbreitete. Die Reichszeitung brachte das Resultat der Abstimmung in einem beißenden Reim:


»75 Bureaukraten,

Schöne Worte, und keine Thaten!

75 Aristokraten,

Vaterland, du bist verrathen!

150 Professoren,

Vaterland, du bist verloren!«


Verloren war es wirklich in diesem Augenblick, und der erbitterte Volksgeist machte sich Luft durch den unglücklichen Aufstand, der am 18. September in Frankfurt ausbrach. Man hat vielfach behauptet, daß die Linke des Parlaments denselben hervorgerufen habe, um damit den Weg der Revolution auf's Neue zu betreten, doch ist dies durch nichts bewiesen.[440] Die verschiedenen Fractionen derselben hatten sich allerdings zu einem Protest gegen das Geschehene vereinigt, und beschlossen, den Antrag zu stellen, durch Neuwahlen zu prüfen, ob das Parlament noch das Vertrauen des Volkes besitze, aber die Volksaufregung hatte sich von den Gallerien aus in die öffentlichen Locale und auf die Straße verpflanzt. Am Abend des 16. wuchs der Tumult, und der Reichsminister Heckscher rettete sich nur mit Mühe vor der Volkswuth nach Soden; er wurde auch dort erkannt, bedroht und am Ende durch die Dazwischenkunft eines Mainzer Demokraten, der ihn nach Mainz brachte, gerettet.

Die steigende Unruhe zu beschwichtigen, wurde von den Volksmännern für den nächsten Tag, den 17., eine Volksversammlung auf der Pfingstweide beschlossen. Es waren da 4–5000 Leute versammelt, zu denen Wesendonk, Simon, Schlöffel und Andere sprachen, die Excesse tadelnd und zur Ruhe ermahnend. Nur Zitz ließ sich bei seiner Rede zu dem Schlußsatze hinreißen: mit Adressen sei es jetzt nichts mehr, die würden nebenhin gelegt und man lache darüber, jetzt müsse man Fractur sprechen!

Dies war wieder ein Wort, welches zu allen möglichen Deutungen Anlaß gab und als aufreizend angesehen wurde, indessen konnte die Untersuchung, welche später gegen die Mitglieder der Linken, die sich auf der Pfingstweide befunden hatten, verhängt wurde, nichts auffinden, was sie als Schürer eines Aufstandes compromittirt hätte.

Die Reichsregierung aber befand sich in solcher Unruhe daß sie gerne den Vorschlag des Frankfurter Senats, Truppen aus Mainz und Darmstadt kommen zu lassen, annahm, und diese trafen theilweise noch in der Nacht ein. Viele der Arbeiter, die am Sonntag in der Stadt waren, hatten dieselbe zwar wieder verlassen, aber man glaubte zu wissen, daß[441] bewaffnete Zuzüge aus der Umgegend für den Montag vorbereitet wären.

Als am Morgen die Parlamentssitzung eröffnet wurde, erklärte das abgetretene Ministerium froh seines Sieges, daß es in Ermangelung eines Andern die Staatsgeschäfte wieder übernehmen werde. Nun stand Herr von Schmerling wieder an der Spitze der Regierung, frohlockend über Preußen's Niederlage, die es sich selber in den deutschen Angelegenheiten bereitet hatte. In der Kirche, die von Truppen umstellt war wollte es jedoch ebensowenig ruhig werden, wie draußen auf den Straßen, wo Militär und Volk einander hin und her schoben, und wo man anfing, aus Meßkisten und Steinen Barikaden zu bauen, wobei die Soldaten ruhig zusahen. So viel ist sicher, daß man diese Revolte im Keime ersticken konnte, wenn man ernstlich wollte; auch thaten die Mitglieder der Linken ihr Möglichstes, einen Kampf zu verhindern. Dennoch brach derselbe Nachmittags 2 Uhr aus, die Kämpfer auf der Volksseite waren wie trunken zum Streit; das elementare Gefühl des Schmerzes und der Entrüstung wollte sich Luft machen, mit Todesverachtung. Auch sprachen vielerlei Anzeichen dafür, daß bestellte Aufreizer sich unter die Menge mischten und deren Aerger schürten. Es war entsetzlich, daß hier in Frankfurt unter den Augen des Parlaments Brüderblut fließen sollte, und die Linke that mannhaft, was sie konnte, den ausgebrochenen Streit zu schlichten. Ein großer Theil von ihnen begab sich zu dem Reichsverweser, und beschwor ihn, die von den Vorgängen in Mainz her verhaßten Preußen entfernen zu lassen, und der Reichsverweser zeigte sich schnell bereit, indem er dem Reichskriegsminister Vollmacht dafür gab; aber weder Peucker noch Schmerling wollten sich zu einer Amnestie der Aufständischen und einer Rückziehung des Militärs verstehen, auch Gagern wies jede Vermittelung kalt zurück. Nur eine Waffenruhe von dreiviertel[442] Stunden wurde gewährt, welche Mitglieder der Linken benutzten, namentlich waren es Trützschler, Hartmann und Ludwig Simon, sich mit eigner Lebensgefahr zwischen die Kämpfenden zu begeben, von Barrikade zu Barrikade zu steigen und die Kämpfenden zum Abstehen zu ermahnen. Einer der Barrikadenmänner, von Pulverdampf geschwärzt, antwortete Simon: »Da die Nationalversammlung Deutschlands Ehre verrathen hat, so wollen wir nicht mehr leben; wir wollen die Schande nicht mit ertragen, wir wollen sterben wie unsere Brüder mit den Waffen in der Hand!«

Um 6 Uhr begann der Kampf auf's Neue und währte bis Nachts 11 Uhr, wo die letzte Barrikade genommen wurde.

Sieben und dreißig Todte und viele Verwundete waren die Opfer eines Kampfes, der für einen höheren Zweck hätte ausgefochten werden können. Um dessen Schrecken zu erhöhen, befleckte ihn eine Pöbelrotte mit einem furchtbaren Excesse, mit der Ermordung des Fürsten Lichnowsky und des General Auerswald. Der Erstere war dem Publikum der Gallerien seit lange bekannt und verhaßt durch sein herausforderndes Wesen, und die Verachtung, die er gelegentlich für die geringere Volksklasse an den Tag zu legen beliebte. Lebhaft bei der Debatte über den Waffenstillstand betheiligt, hatte er am 18. an der Mittagstafel Streit mit einem Abgeordneten, der anders gestimmt hatte als er; so kam er von Streit und Wein erhitzt, auf den Gedanken einen Spazierritt vor das Friedberger Thor zu unternehmen, um, wie behauptet wird, zu sehen, ob neue Truppen im Anzuge seien. Auerswald begleitete ihn und – obgleich verschiedentlich gewarnt, sich nicht weiter hinaus zu wagen – sprengten sie doch vorwärts. Gleich darauf aber kehrten sie um, denn ein Trupp Aufständischer war ihnen begegnet, aus deren Mitte es rief: Da ist der Lichnowsky! zugleich ritzte ihm ein Steinwurf die Stirne. Auch Auerswald bekam eine Verletzung;[443] anstatt nun nach dem Thore zurückzukehren, ritten sie in ein Seitengäßchen, stiegen dort von den Pferden und verbargen sich in einem Gärtnerhause. Der aufgeregte Trupp folgte ihnen, durchsuchte das Haus und fand zuerst Auerswald, den die Leute gar nicht kannten, aber als Begleiter Lichnowsky's zuerst mißhandelten, und dann erschossen. Jetzt zog man auch den Fürsten aus seinem Versteck und bereitete sich vor, Standrecht über ihn zu halten, als die Dazwischenkunft des Doctor Hodes ihn beinahe rettete. Dieser rieth dem halbtollen Haufen, den Fürsten lieber als Geißel aufzubewahren und gegen Gefangene von ihrer Seite umzutauschen. Darauf wollten Einige ihn freigeben, Andere ihn nach Hanau bringen, mit Stößen führten sie ihn vor sich her, als es Einem einfiel, ein Stück von seinem Rock haben zu wollen. Man riß und zerrte an ihm, da drehte der Fürst sich um und griff nach einem Gewehr. Mit dem Besitzer desselben darum ringend, ging der Schuß los, traf den Fürsten in die Hand und nun stürzten die Unmenschen, gleich dem Tiger, der Blut geleckt, wieder über den Unglücklichen her und senkten ihre Kugeln in seine Brust. Sterbend wurde der Fürst in das Bethmann'sche Landhaus und dann, weil man ihn dort nicht sicher genug glaubte, in das Heilig-Geistspital gebracht, wo er während der Nacht verschied.

Dieser grausame Vorgang trug nicht wenig dazu bei, den Septemberaufstand in einem Lichte erscheinen zu lassen, das jetzt alle Maßregeln der Reaction rechtfertigte.

Was die Centralgewalt anbetraf, so hatte sie, durch Niederschlagung des Aufstandes ihr Möglichstes geleistet, und den besten Willen gezeigt, die Revolution niederzuhalten. Von nun an stellte man ihr gerne Truppen und Waffen zur Verfügung und die kleineren Regierungen flüchteten bereitwillig unter ihren Schutz, denn gleichzeitig mit den Frankfurter Ereignissen hatte Struve im badischen Oberland eine neue[444] Schilderhebung versucht, die aber schon in wenigen Tagen wieder besiegt war.

Ohne Zweifel hat wohl hier ein gewisser Zusammenhang stattgefunden, der aber nie zum Ausbruch gekommen wäre, wenn sich das Parlament nicht so ohnmächtig erwiesen hätte.

Der Sieg den die Majorität in dem Parlamente davon getragen, wurde, wie die Linke richtig vorausgesagt, ihre schlimmste Niederlage, und englische Staatsmänner sprachen diese Ansicht auch unverhohlen aus, indem sie denen zustimmten, welche zu handeln verlangt hatten. »Jetzt ist es mit der Wiedergeburt der deutschen Nation vorbei; das deutsche Parlament versteht nichts mit der Revolution anzufangen!« so lautete das Urtheil von gewiegten Politikern.

Ja, es war vorbei mit der frohen Hoffnung, mit den heißen Wünschen für das Vaterland, die Maienblüthe der deutschen Freiheit und Einheit war geknickt; auf's Neue hieß es, sich auf bessere Zeiten vertrösten und ausharren. Diese Septembertage wurden der Wendepunkt für die ganze deutsche Erhebung und wer sie miterlebt, der wird sich noch besinnen, auf den heißen Schmerz, auf die Hoffnungslosigkeit in der man Wochenlang dahin träumte, ehe man sich wieder zurecht fand. –[445]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 402-446.
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