Siebenzehnte Vorlesung

[446] Vorgänge in Preußen und Oestreich. Wiener Mairevolution. Der Wiener Reichstag. Ablösung der Robot. Slawen-Congreß in Prag. Radetzky in Italien. Die östreichische Armee. Ungarn. Kroatien. Jellachich. Oestreichische Denkschrift. Auflehnung der Ungarn. Wiener October-Revolution. Deren Besiegung durch Windischgrätz. Blum's Erschießung. Das Programm von Kremsier. Abdankung Ferdinand's I. Thronbesteigung von Franz Joseph. Ungarn's Abfall. Besiegung durch Rußland und Oestreich


Nachdem wir nun das Auftreten des ersten deutschen Parlamentes, die kurze Zeit seiner Größe und seines Glanzes, und dann jene Katastrophe verfolgt haben, welche ihm wieder einen eben so raschen Niedergang bereiten sollte, richten wir jetzt, während man in Frankfurt nach den verhängnißvollen Septembertagen fortfährt, zu berathen und zu debattiren, freilich nur noch mit der halben Lust und Freudigkeit, die sich vorher kundgegeben, richten wir einen Augenblick unsere Blicke auf die Vorgänge in Preußen und in Oestreich, im Verlaufe des Sommers von 1848.

In Berlin war am 29. März ein liberales Ministerium, das von Camphausen und Hansemann an die Spitze der Geschäfte getreten; dies stellte sich zunächst die Aufgabe, die Verhältnisse und die Autorität des preußischen Staates, welche in so hohem Grade erschüttert waren, in dessen eignem Interesse sowohl, wie in dem Deutschlands, neu zu befestigen. Hatte man doch in Preußen so lange und so sehnsüchtig auf eine Konstitution warten müssen, daß den preußischen Staatsmännern nun nichts dringlicher und nothwendiger erschien, als den Konstitutionalismus so schnell als möglich einzuführen, mit der Hoffnung auf dessen Grundlagen ein neues Pfand der Sicherheit zu gewinnen. Dennoch war es ein großer politischer Fehler, wie wir schon gesehen, daß[446] die Minister nun auf den 22. Mai, fast gleichzeitig mit der Eröffnung des Frankfurter Parlaments, eine preußische Nationalversammlung nach Berlin einberiefen. Man trennte sich dergestalt in einem Augenblicke wieder in ein partikularistisches Lager ab, da Preußens Vermischung mit Deutschland, und zugleich dessen Suprematie, durch die Frankfurter Versammlung hätte herbeigeführt werden können. Legte man es nun einerseits dadurch klar an den Tag, daß man an ein solches Aufgehen gar nicht dachte, so ergab sich andrerseits als weitere Folge bald der Umstand, daß Preußen gar nicht einmal eine so große Anzahl von politischen und parlamentarischen Talenten aufzuweisen hatte, um Frankfurt und Berlin zu gleicher Zeit damit zu versorgen. Man mußte bei den Wahlen für Preußen nehmen, was noch da war und so fielen im Ganzen diese Wahlen ziemlich radikal aus, wenigstens radikaler, als es sich mit einem Könige vertrug, welchem das konstitutionelle Leben noch ganz ebenso verhaßt war, wie ehedem. Daraus erwuchs den Ministern die ungeheure Aufgabe, dem Konstitutionalismus nach Oben hin mühsam Bahn brechen zu müssen, während er nach Unten hin eben so schwer Wurzel schlug. Seine Repräsentanten, zum Theil durch den demokratischen Pöbel Berlins beherrscht, verharrten oft in solch schroffer Haltung, daß ein friedliches Vereinigen und Sichineinanderschicken dieser widerstrebenden Elemente nachgerade hoffnungs- und aussichtslos wurde.

Immerhin lagen in Preußen die Verhältnisse noch ungleich günstiger, als in Oestreich; das einzige außerdeutsche Element des erstgenannten Staates war die polnische Provinz Posen, und verlangte diese auch gerade jetzt innigst darnach, mit dem großen Slavenreiche, von dem damals alle Slaven und vornehmlich die Polen träumten, vereinigt zu werden, so hielt das deutsche, dort zahlreich vertretene Element, doch dem polnischen genügend die Wage, und die Abfallgelüste[447] der Provinz konnten wohl die Unzufriedenheit und Aufregung in Preußen vermehren, den Staat aber in keiner Weise in seiner Existenz bedrohen. Anders verhielt es sich mit Oestreich, wo das Band, welches bis dahin die verschiedenen Provinzen und Nationalitäten zusammengehalten, die sogenannte pragmatische Sanction, nur durch die Furcht vor den Strafen des Absolutismus Festigkeit gewonnen hatte. Im jetzigen Augenblick, da die Schranken der äußeren Gewalt zusammenstürzten, suchte jede einzelne Provinz, unbekümmert um das Ganze, so schnell wie möglich ihr Ziel einer längst ersehnten Selbstständigkeit zu erreichen, wobei das, ohne Zweifel bis zu einem gewissen Grade berechtigte, Nationalitätsgefühl auf eine höchst gefährliche Spitze getrieben wurde. Dazu gesellte sich der Umstand, daß der Wein der jungen Freiheit fast nirgends so brausend und so schrankenlos überschäumte, als in Wien; das so lange leichtsinnig in seiner Knechtschaft dahin lebende Volk konnte jetzt den Weg zur gesetzlichen Ruhe und Ordnung nicht zurückfinden. Es spielte mit der Revolution und der Anarchie, wie ein Kind mit dem Feuer, ohne politischen Sinn und Verstand, nur von dem erklärlichen und auch nicht unrichtigen Instincte getrieben, daß man es von Oben her, trotz aller Betheuerungen doch nicht redlich mit ihm meine und daß es daher eifersüchtig über die neuerrungenen Freiheiten wachen müsse. Aus der Nationalgarde erwuchs ein politischer Klubb, der sogenannte Central-Verein, dessen Tendenz es war, eine demokratische Entwicklung der Verfassung herbeizuführen, und seine materielle Stütze fand er wieder in der Aula, wo die vielgerühmte Studentenlegion, die Helden des Tages in sich schließend, eine Art von Feldlager organisirt hatte. Die Hörsäle waren in Waffenplätze verwandelt, die jungen Leute bildeten eine kriegerische Truppe, und ihr Anführer war der ehemalige Pater der Universität, eine höchst[448] populäre Persönlichkeit, Dr. Füster, der mit ihnen verbundene Central-Verein dagegen, stand hauptsächlich unter der Leitung der Doctoren Fischhoff und Goldmark. Auch die so lange gefesselte Presse rächte sich jetzt für die frühere Unbill durch eine gewisse Derbheit und Zügellosigkeit, welche den Massen gefiel, und ihrem unentwickelten politischen Verstande schmeichelte; so schwärmte man in Wien für die Losreißung Ungarns und Italiens von Oestreich, ohne das mindeste Verständniß dafür, wie ein unvermitteltes, revolutionäres Trennen des so lange Verbundenen, ohne Entschädigung und Ausgleich, den östreichischen Staat selber in die äußerste Gefahr und Finanznoth bringen mußte. Aber ganz ebenso blindlings ging die Regierung auf derartige Forderungen ein, und schon am 15. März bewilligte der schwache Ferdinand den Ungarn eine nationale Regierung unter der Oberherrschaft des Erzherzogs Stephan, Neffen des Kaisers, den er zum Palatinus von Ungarn und seinem alter ego ernannte. Graf Bathyani, einer der ersten Magnaten, trat jetzt an die Spitze eines national-ungarischen Ministeriums, in welchem Kossuth das Finanz-Departement erhielt und sich bald als die eigentlich dominirende Gewalt der ganzen Regierungsbehörde entwickelte. Damit noch nicht zufrieden, verlangten die Ungarn auch die vollständige Einverleibung Siebenbürgens, einer zum Theil deutschen Provinz, eine ungarische Nationalbank und die Zusicherung, daß die ungarischen Soldaten zu keinem Kriege Oestreichs außerhalb dessen Landes-Gebietes gebraucht werden sollten. Auch alle diese weiteren Wünsche wurden ihnen zugesagt, so daß damit allein schon ihre Losreißung factisch ausgesprochen und bestätigt war. Solche Erfolge feuerten den Muth der Slavenparthei an; von langer Hand her war bereits eine Verbindung der südslavischen Stämme mit den Böhmen oder Czechen vorbereitet, die ihre Sympathieen nicht Deutschland,[449] sonder der östreichischen Monarchie zuwendeten, deren Unterthanen numerisch in überwiegender Zahl aus Slaven, im Verhältniß zu den Deutschen bestanden. Das Ziel dieser Slavenparthei ging dahin, aus Oestreich einen Slavenstaat zu machen, das deutsche Element in demselben vielmöglichst zu unterdrücken, und dergestalt einen Schutz, ein Bollwerk gegen ein weiteres Vordringen Rußlands, welches man als den Hauptförderer des Absolutismus betrachtete, zu gewinnen. Böhmens Eingehen auf diese Pläne war für Deutschland nicht ohne Gefahr; bestand seine Bevölkerung auch zu zwei Dritteln aus Czechen, so war es doch auch von einem Drittel Deutscher bewohnt, war seit uralten Zeiten ein deutsches Reichsland, und schiebt sich wie ein Keil tief in das Herz Deutschlands herein. Dabei ist es deutscher, nicht slavischer Geist, der dort die Vorherrschaft führt; aber seit den Tagen der Hussiten hatte sich ja leider der Haß und Groll gegen das deutsche Element von Seiten der Böhmen nie mehr ganz beruhigt, und dieser schlug jetzt, als die deutsche Revolution ausbrach, in hellen Flammen empor. Man verhielt sich gegen dieselbe vollständig feindselig, streng conservativ, und der politische Führer der Böhmen, der bekannte Geschichtschreiber, Franz Palacky, untersagte seinen Landsleuten nicht allein die Wahlen zum Vor-, sondern auch später zum Hauptparlament, so daß nur die Deutsch-Böhmen darin vertreten waren. –

Wie die Böhmen, so pochten nun auch die südslavischen Provinzen, Kroatien, Dalmatien und Slavonien, auf ihre Nationalität, verlangten unter sich einen engeren Zusammenschluß, ein besonderes Ministerium, vor Allem aber forderten die Kroaten ihre Befreiung von der Oberhoheit Ungarns, weil sie die Magyaren, von denen sie stets geringschätzig waren behandelt worden, bis auf das Blut haßten. Ich muß hier die Bemerkung einschalten, daß die Magyaren,[450] deren eigentlicher Ursprung und Racenzusammenhang bis heute noch unaufgehellt ist, mit den Slaven nichts gemein haben, und oft in dem feindlichsten Gegensatz zu denselben stehen. Namentlich gab sich dies jetzt von Seiten der Kroaten zu erkennen, die nur eines gewandten Führers bedurften, um ihrem Haß und Groll freien Lauf zu lassen. Sie verlangten also jetzt ihren besonderen Banus, oder Obergeneral und erhielten ihn auch in der Person des Freiherrn von Jellachich, eines Mannes, der nicht weniger enthusiastisch für einen unabhängigen Slavenstaat schwärmte, als der ungarische Agitator Kossuth für ein unabhängiges Ungarn. Als nun beide Partheien, Czechen wie Slaven, ihre Wünsche und Pläne in Wien vorbrachten, wobei die Gesandten der Ersteren in theatralischem Aufzuge, im alten Hussitenkleide erschienen, erhörte man zwar in der Wiener Hofburg ihre Forderungen nicht allsogleich, aber man schlug sie auch nicht direct ab. Es bot sich hier eine Konstellation dar, welche die bedrängte Kaisermacht auf's Günstigste für sich auszubeuten vermochte, und der Moment war auch in der That nicht ferne, da Oestreich seine verschiedenen Völker gegen einander in den Kampf führte, und seine Integrität durch ihre Selbstzerfleischung errettete.

Die erste weitergehende Folge der böhmischen Protestation sich dem deutschen Parlamente anzuschließen, war diese, daß nun auch Oestreichs Regierung sich demselben nicht unterstellte, sondern sich seine freie Zustimmung zu dessen Beschlüssen einstweilen vorbehielt. Dann erschien am 25. April zu des Kaisers Geburtstag aus seinem Kabinet ein Reichsgrundgesetz, welches dem Kaiserstaate die ersehnte Verfassung verkündete; Italien und Ungarn waren dabei ausgeschlossen. Mit dem ersteren Lande befand man sich im offenen Krieg; letzteres hatte seinen Reichstag für sich, folglich bildeten jetzt die Slaven durch ihr numerisches Uebergewicht[451] über die Deutschen, die vorherrschende Nationalität Oestreichs. – Gegen diese octroyirte Verfassung aber erhoben sich nun einstimmig Deutsche wie Slaven; man fand sie überdem in den freiheitlichen Kreisen Wiens viel zu wenig liberal, und wohl nicht mit Unrecht, wenn man zum Beispiel hört, daß im Oberhause der, nach dem Zweikammersystem eingerichteten, Verfassung die kaiserlichen Prinzen schon mit 20 Jahren Sitz und Stimme haben, die andern Vertreter jedoch erst mit 30 Jahren wahlfähig sein sollten. Spöttisch fragte man sich aller Orten, ob Prinzen 10 Jahre früher gescheit würden als andere Leute, und dem demokratischen Centralausschuß sowie der Studentenlegion war jetzt durch diese Octroyirung ein greifbarer Anlaß gegeben, sich zu rühren. Dem Minister, Graf Fiquelmont, wurde eine großartige Katzenmusik gebracht, und an die Stelle des unpopulär gewordenen Ministeriums trat jetzt das Ministerium Pillersdorf. Pillersdorf war beliebt bei dem Volke, sogar liberal, soweit ein Staatsmann aus Metternich's Schule dies sein konnte, auch wohlmeinend, dabei aber ohne jegliche Energie und jeglichen Entschluß. Einestheils von der reactionären Umgebung des Kaisers dupirt, und als Werkzeug benutzt, anderntheils viel zu schwach, um dem gesunkenen Ansehen der Regierung neue Geltung verschaffen zu können, wurde seine Würde bald ein Martyrium für ihn, das ihn in wenigen Monaten geistig und körperlich zu Grunde richten sollte.

Der Centralausschuß verlangte jetzt mit Nachdruck, daß die octroyrte Verfassung zurückgenommen und dagegen eine constituirende Versammlung berufen werde, die nach allgemeinem Stimmrechte zu wählen sei. Am 8. Mai wurde diese Forderung denn auch wirklich bewilligt, aber es sollte nun, was man nach solcher Nachgiebigkeit auch mit Fug und Recht verlangen konnte, der Centralausschuß aufgelöst werden.[452] Diesem Vorhaben widersetzten sich Volk und Studenten abermals mit den Waffen in der Hand, und die Regierung war schwach genug sich auch diesem Zwange zu unterwerfen. Aber nun ertrug es die Kamarilla nicht länger; sie entführte den willenlosen Kaiser nach Innsbruck, um ihn unter den Schutz des Tyroler Volkes zu stellen. Man wollte auf diese Weise den Wiener Bürger, der sich Wien und die Hofburg ohne einen Kaiser gar nicht vorzustellen vermochte, erschrecken und es gelang dies auch in der That. Voll Entsetzen erfuhren die Wiener, daß ihr Kaiser Ferdinand eine scheinbare Spazierfahrt nach Schönbrunn, bis nach Tyrol ausgedehnt habe, wo ihn die Bevölkerung mit lautem Enthusiasmus empfing, und erklärte, sie wolle sich bewaffnen, um nach Wien zu ziehen und dort die Ordnung wieder herzustellen. Das bestürzte Bürgerthum kam nun von seinem Rausche zurück, es machte Anstalten, die Studentenlegion aufzulösen und man schickte sich ernstlich an, die Aula zu schließen. Dies gab das Signal zum offenen Widerstand und zu einem zweiten Aufstande Wiens, der sogenannten Mairevolution. Die ganze innere Stadt bedeckte sich im Nu mit Barrikaden, auf den Straßen loderten die Wachtfeuer hell auf und die Bewaffneten erklärten laut, den Kampf gegen die Reaction aufnehmen und wie im März für die Freiheit siegen oder fallen zu wollen. In wie weit hier ein wirklicher Impuls die Massen vorwärts trieb, in wie weit fremde Emissäre, namentlich Sendboten Kossuth's, wie behauptet wird, im Geheimen mitwirkten, ist schwer zu entscheiden; jedenfalls hatte die Regierung den ersten Augenblick versäumt, um den neuen Auf stand zu unterdrücken und ihr gesunkenes Ansehen wieder herzustellen. Am 26. Mai wurde die Lage so drohend, daß der muth- und rathlose Pillersdorf den Befehl zum Zurückziehen des Militärs aus der Stadt glücklich durchsetzte, und somit blieb der Demokratie das Feld ohne Kampf und Blutvergießen überlassen.[453] Ein Bürgerausschuß, der in den ersten Tagen der Unruhe als Sicherheitsausschuß zur Wahrung der Ordnung zusammen getreten war, hatte sich, seine Unfähigkeit erkennend, am 26. Mai wieder aufgelöst; statt seiner bildete sich noch am Abend desselben Tages eine neue, revolutionäre Behörde, der sich sogar das Ministerium willig unterordnete. Sie nannte sich: Ausschuß der Bürger, Studenten und Garden, zur Wahrung der Sicherheit, der Ordnung und der Volksrechte, und bestand aus einer Deputation des Gemeinderaths, einer Deputation der Studenten und einer solchen der Nationalgarde, zusammen hundert Personen. Ihnen gelang es nach und nach, die Barrikaden zu beseitigen, die Arbeiter zur Ruhe zurückzuführen, und frohlockend blickte Wien, und mit ihm halb Deutschland auf diesen Triumph der Demokratie, nur siegreich durch ihre entschlossene Haltung, und ohne daß ein Tropfen Blutes geflossen war. Allerorten bestärkte der Verlauf dieser Mairevolution die demokratische Parthei in ihren Ansprüchen, wie auch in ihrem Vertrauen auf die Volkskraft, wobei man leider zu wenig erwog, wie viel bei diesem Triumphe auf Rechnung der schwächlichen Haltung der Gegenparthei zu setzen war. So blieb man blind für die Wahrnehmung, daß der Bogen viel zu straff gezogen war, insofern überhaupt in Oestreich eine Menarchie fortbestehen sollte, die sich unmöglich über Nacht aus einer absolutistischen, in eine belgische oder englische umwandeln konnte. An eine Proclamirung der Republik aber dachte man nicht, denn es war eine der Hauptforderungen des Maiprogramms, daß der Kaiser allsobald nach seiner »anhänglichen und vollständig beruhigten Hauptstadt« zurückkehren möge. Für diesen Wunsch fand man in Innsbruck einen Ausweg, indem der Kaiser seinen Oheim, den Erzherzog Johann zum Regenten während seiner eigenen Abwesenheit ernannte, trotzdem schon damals dessen Wahl zum deutschen[454] Reichsverweser so gut als sicher war. Nichtsdestoweniger nahm der Erzherzog auch diese Würde an, und man schritt nun unter neuen Stürmen und Tumulten zu den Wahlen für den constituirenden Reichstag, von dem man jetzt alles Heil erwartete. Fortwährend erwies sich Pillersdorf dem Sicherheitsausschusse gegenüber so willfährig als möglich; unablässig vermittelte er zwischen Innsbruck und Wien und zeigte sich nur darin hartnäckig, daß er das indirecte Wahlrecht aufrecht erhielt, und dem Sicherheitsausschuß keinerlei Einmischung in die böhmischen Verhältnisse gestattete – so scheiterte er mit seiner Mission, geordnete Zustände zurückzuführen, nur noch wenige Schritte vom Ziele entfernt. Noch kurz vor Eröffnung des Reichstages gelang es dem Sicherheitsausschuß, den gefälligen Minister zu stürzen, indem er erklärte, daß die früheren Träger des alten Systems unbedingt aus dem Ministerium zu entfernen seien, und Erzherzog Johann, eben im Begriff nach Frankfurt abzureisen, gab seine Zustimmung zu deren Entlassung. Nun wurden radicalere Elemente unter der Leitung von Wessenberg in das Cabinet berufen: Doblhoff, Hornbostel, Schwarzer und Alexander Bach, ein reicher und angesehener Rechtsanwalt, dessen politische Wandlungen bald alle Welt in Erstaunen setzen sollten. Es waren zum Theil tüchtige Männer, welche genügende Garantien ihrer demokratischen Gesinnung zu bieten schienen, und nur mit Widerstreben ertrug man es, daß einige ältere Mitglieder des Kabinets darin verblieben, unter denen namentlich der Kriegsminister Latour, ein alter Mann, der lange gedient, von vorn herein Mißtrauen erregte.

Am 22. Juli wurde dann endlich der heißersehnte Reichstag durch den Reichsverweser Erzherzog Johann, der dafür eigends von Frankfurt gekommen war, mit einer Thronrede eröffnet, die in allgemeinen Ausdrücken von der Gleichberechtigung[455] aller Nationalitäten in Oestreich, sowie von der Nothwendigkeit eines engen Verbandes mit Deutschland sprach, die Finanzlage als sehr precär schilderte und schließlich erklärte, daß der Reichstag dazu berufen sei, die Wiedergeburt des Vaterlandes zu vollbringen.

Dieser Reichstag selbst bot nun ein höchst buntes und eigenthümliches Bild dar, es mischten sich in ihm nahezu alle Sprachidiome des östreichischen Ländercomplexes und nicht minder so die tiefste Unwissenheit mit hoher, wissenschaftlicher Bildung, die größte Thorheit mit Weisheit und Einsicht. Ein großer Theil der Abgeordneten bestand aus Bauern, die gekommen waren, ihre schwer gekränkten Rechte zu vertreten, während sie für alles Uebrige weder Interesse noch Verständniß hatten, aber nicht bei ihnen allein, auch bei den Gebildeten, trat oft jene volle Unklarheit zu Tage, wie sie sich überall bekunden muß, wo ein Volk noch in den Kinderschuhen des politischen Lebens steht.

Auf der rechten Seite hatten sich die Czechen gruppirt, neben ihnen die ruthenischen und galizischen Bauern, die häufig an den Blicken ihrer geistlichen Führer hingen, die sie lenkten und leiteten; im Centrum saßen die sogenannten Schwarzgelben, die Tyroler und die Conservativen aus den altöstreichischen Provinzen; die Linke repräsentirte das eigentliche Deutschthum und die demokratische Parthei. Ungarn und Italien waren in diesem Reichstage nicht vertreten. Noch vor der Eröffnung desselben hatten die heftigsten Streitigkeiten in den Vorsitzungen wegen der Geschäftssprache stattgefunden; die Böhmen verlangten, weil die Slaven die Mehrzahl bildeten, daß ezechisch gesprochen werde und es kam darüber zwischen Böhmen und Deutschen bis zu Schlägereien auf offener Straße. Nur mit der größten Mühe wurde es endlich gegen sie durchgesetzt, daß man sich der deutschen Mundart bediente. Für diejenigen, welche derselben[456] unkundig waren, wurden besondere Dolmetscher angestellt. Kaum aber war der Reichstag eröffnet, als es sich schnell herausstellte, wo eigentlich der Schwerpunkt und die volle Bedeutung desselben zu suchen war. Nicht sobald war diese Arena eines öffentlichen Lebens gebildet, als sich ein Schrei der Erbitterung und des tiefsten Grolles losrang aus der Brust dieser unwissenden und von Politik nichts verstehenden Bauern, ein Schrei, der nun endlich Hoffnung hatte, gehört zu werden, und der jetzt laut gegen den unerträglichen Feudaldruck protestirte, welcher immer noch auf den östreichischen Provinzen und ganz besonders auf dem unglücklichen Galizien lastete.

Fluch dem Herrn! dies war seit langen Zeiten dort das Losungswort des Unterdrückten gegen den Unterdrücker und schon in der ersten Sitzung des Reichstages klagte ein galischer Abgeordneter sie mit den bitteren Worten an: »Der Bauer hat keine Wohnung, keine Kleidung! Alles haben ihm die Herrn genommen!« –

Es war ein Deutscher, ein junger Arzt, Hans Kudlich aus Wien, der sich eben auf seine Doctorprüfung vorbereitete, das jüngste Mitglied der Versammlung, welcher diese brennende Frage aufgriff, und schon am 26. Juli in der dritten Sitzung des Reichstags den Antrag stellte, »die hohe Versammlung möge das Unterthänigkeitsverhältniß mit allen daraus entsprungenen Rechten und Pflichten aufheben, vorbehaltlich der Bestimmungen, wie eine Entschädigung zu leisten sei.« –

Dieser Antrag versetzte alle Gemüther in die höchste Spannung; Jedermann sah ein, daß die Zeit der Feudalrechte vorüber sei; der Kampf, der jetzt entbrannte, galt nicht ihnen, sondern der Frage ob sie mit oder ohne Entschädigung aufzuheben seien. Von den seither so schwer Gedrückten wurde jede Ablösung hartnäckig verweigert, von den Grundbesitzern[457] jedoch, namentlich von dem polnischen Adel, ebenso hartnäckig verlangt. Zu diesen Letzteren hielt sich die Rechte, zu Jenen die Linke, während der bedrängte Kudlich eine Vermittelung erstrebte und seinen ursprünglichen Antrag durch Angabe der zu leistenden Entschädigungen zu ergänzen versuchte. So kam am 8. August sein Antrag auf die Tagesordnung des Reichstages und wurde öffentlich debattirt, nachdem er ihn durch eine schwungvolle Rede näher motivirt hatte, an derem Schluß er den Reichstage feierlich mahnte »er möge das Wort aussprechen, welches als Friedensbote mit dem Oelzweige in die Hütte des Armen und Gedrückten fliegen, aber ein Donnerwort in den Palästen der Großen sein werde!«

Kudlich's Appell fand leider nicht den rechten Widerhall; es zeigte sich unter den Besitzenden in dieser Versammlung nichts von jenem großmüthigen Elan, der einst in jener denkwürdigen Augustnacht von 1790 den französischen Adel fortgerissen, und ihn freiwillig und ohne Entgelt auf alle seine seitherigen Vorrechte hatte verzichten lassen. Es entbrannte ein parlamentarischer Kampf über die Entschädigungs- und Ablösungsfragen, der einen vollen Monat währte, und der unerhörte Dinge zur Sprache brachte, durch die man sich in die finstersten Zeiten des Mittelalters zurückversetzt glaubte.

Das Deutsche oft nur stammelnd, oder sich des Dolmetschers bedienend, schilderten diese galizischen, ruthenischen und östreichischen Bauern, was sie Alles seither zu erdulden gehabt, dabei energisch jede Entschädigung oder Ablösung von ihrer Seite verwerfend.

»Keiner Behörde, keiner Regierung möchte ich rathen, eine Robotsteuer einzuführen, wenn sie nicht gestürzt sein will. Mögen diejenigen, die sich in ihren Rechten verkürzt glauben, an die hohen Ahnengeister appelliren, Millionen können Einzelner wegen nicht leiden!« so rief ein Deputirter Oestreichs[458] aus und ein Anderer klagte laut die unbarmherzigen Gutsbesitzer an, welche den Bauern den letzten Tropfen Blutes ausgesogen, und nun auch noch eine Entschädigung verlangten!

Den tiefsten Eindruck jedoch machte die im gebrochenen Deutsch, aber vom ausdruckvollsten Geberdenspiel begleitete Rede eines galizischen Bauern, die uns zugleich den klarsten Einblick in die Zustände gewährt, wie sie unter den polnischen Edelleuten herrschten, und unter dem väterlichen östreichischen Regimente bis dahin bestehen konnten. »Ja!« so rief er aus, »der Edelmann hat den Bauern liebevoll behandelt. Wenn er ihn auch die Woche über arbeiten ließ, so bewirthete er ihn doch am Sonntag – er ließ ihn in Ketten legen und sperrte ihn in den Kuhstall, damit er in der nächsten Woche noch fleißiger arbeite. Ja, der Edelmann ist human, denn er muntert den ermüdeten Robotbauern mit Peitschenhieben auf und beklagt sich Einer, er hätte zu schwaches Zugvieh und könne die Arbeit nicht leisten, so heißt es: »Spanne Dich und Dein Weib ein!« Dreihundert Schritte vor dem Palaste des Edelmanns mußten wir schon die Mützen abziehen und wollten wir etwas bei dem Gutsherrn durchsetzen, so mußten wir den Juden bestechen, denn der Jude hatte das Recht mit dem Herrn zu sprechen, der arme Bauer aber nicht. Wollte er die Stiege des Palastes hinaufsteigen, so hieß es, er solle nur im Hofe bleiben, er stinke und der Herr könne seine Ausdünstung nicht leiden. Und für diese Mißhandlungen sollten wir jetzt noch eine Entschädigung leisten? Ich sage: Nein! Die Peitschen und Knuten, die sich um unsere Köpfe, um unsere ermüdeten Körper gewickelt haben, damit sollen sich die Herrn begnügen, das soll ihre Entschädigung sein!«

Trotz alledem neigte sich die Mehrheit des Reichstags dahin, eine billige Entschädigung eintreten zu lassen; auch das Ministerium machte sein Verbleiben im Amte davon abhängig[459] und so beendigte sich endlich am 7. September der lange Streit durch Annahme von Kudlich's Antrag nebst der Bestimmung, daß eine Ablösung geleistet werden solle, aber nicht durch den Einzelnen, sondern durch besondere Provinzialfonds.

Der Reichstag brachte von da an nichts Erhebliches mehr zu Stande, aber seine einzige That war bedeutsam und groß. Sie riß den östreichischen Staat nun endlich vollständig von den mittelalterlichen Traditionen los und machte aus seinen Unterthanen Menschen.

Am 12. August war auch Kaiser Ferdinand wieder in seine Residenz zurückgekehrt, und die Regierung fühlte sich nun stark genug den Sicherheitsausschuß aufzulösen, was am 24. August wirklich geschah.

Auch das Glück der östreichischen Waffen schien jetzt wiederzukehren, denn an zwei Punkten hatte die Militärgewalt über die Volksgewalt gesiegt, und damit gewissermaßen ihre Wiedererstarkung angezeigt; der Schauplatz dieser Siege waren das erregte Böhmen und Italien. –

Am 2. Juni war zu Prag unter Palacky's Vorsitz ein Slaven-Congreß zusammen getreten, der aus Slowaken, Serben, Polen, auch der russische Flüchtling Bakunin war erschienen, bestand. Dieser Congreß hatte als Hauptzweck die Absicht, eine offene Demonstration gegen das deutsche Parlament in Frankfurt in Scene zu setzen, und er beschloß am 5. Juni, eine Verbrüderung der slavischen Volksstämme unter der Herrschaft des Kaisers von Oestreich anzustreben, gleichzeitig einen feierlichen Protest gegen das neue deutsche Reich, dem sich die Slaven niemals unterwerfen würden, zu erlassen. Mit demselben Athemzuge aber, mit dem die Böhmen die Oberhoheit des Kaisers Ferdinand über sich anerkannten, erklärten sie, seinen Ministern nicht mehr gehorchen zu wollen, und setzten sie eine provisorische Regierung[460] für Böhmen ein. So begegnet uns auch hier eine Unklarheit des Handelns, eine gesetzliche Ausschreitung, wie sie eben nur in solch aufgeregten Zeiten vorkommen kann, und welche naturgemäß auf die deutsche Bevölkerung Prags, die hauptsächlich den vornehmeren und gebilderen Theil ausmacht, den übelsten Eindruck hervor brachte. Trotzdem sie über diese Vorgänge in die höchste Aufregung gerieth, nahmen die Führer der Slaven-Parthei nicht die mindeste Rücksicht darauf, und so konnte es nicht fehlen, daß die Czechen mit dem Fürsten Windischgrätz, dem östreichischen General und Befehlshaber, bald in offenen Kampf geriethen. Die persönliche Unbeliebtheit desselben – Windischgrätz war der Typus eines brutalen Aristokraten, dem man sogar die Aeußerung in den Mund legte: »Erst bei dem Baron fange der Mensch an!« – trug dazu noch das ihrige bei.

Bald sollte aber auch des Fürsten persönliches Gefühl in Mitleidenschaft gezogen werden; bei einem Straßengefechte in Prag trat die Fürstin Windischgrätz unvorsichtigerweise zu nahe an ein Fenster und wurde durch eine verirrte Kugel getödtet, während in demselben unglücklichen Gefechte ein Sohn des Fürsten schwer verwundet niedersank. Er zog nun die Truppen aus der Stadt, besetzte mit ihnen die sie umgebenden Höhen und beschoß von da aus das wehrlose und erschrockene Prag, das sich natürlich nicht lange zu widersetzen vermochte, und Windischgrätz als Sieger wieder einziehen ließ.

Mit getheilten Empfindungen betrachtete man in Deutschland diese Waffenthat, die ohne Zweifel im deutschen Vortheil lag, aber gleichzeitig ein nicht zu unterschätzendes Symptom der neu erstarkenden Militärgewalt darbot. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die Siege Radetzky's in Italien. Dort hatte sich bekanntlich der König von Sardinien und Piemont, Carl Albert, mit der aufständischen Lombardei vereinigt, das Ziel verfolgend, welches erst sein glücklicherer[461] Sohn erreichen sollte, die Begründung eines einheitlichen italienischen Königthums. Dieser Krieg, dessen Wechselfällen wir hier nicht weiter folgen können, hatte zuletzt die Oestreicher so hart bedrängt, daß Radetzky sich in das bekannte Festungsviereck hinter die Minciolinie zurückziehen mußte, während England, welches die Pläne Carls Alberts lebhaft begünstigte, Oestreich endlich dazu bestimmte, seinen italienischen Besitz fallen zu lassen und, gegen eine entsprechende Geldentschädigung, die Lombardei aufzugeben. Den erschütterten Finanzen des Kaiserstaates konnte nichts Ersprießlicheres zu Theil werden, aber während man noch unterhandelte, handelte Radetzky, dem das hohe Verdienst nicht bestritten werden kann, daß er, in einer verzweiflungsvollen Lage sich befindend, mit seltner Feldherrngabe allen Schwierigkeiten zu trotzen verstand und neue Siege zu erringen wußte, wobei ihn sein Generalsstabs-Chef Heß in der wackersten Weise unterstützte. Schon war die Einverleibung der Lombardei und Venedig's in das Königreich Sardinien eine beschlossene Sache, als Radetzky durch den glänzenden Sieg bei Custozza am 25. Juli, und durch die rasch nachfolgende Schlacht bei Mailand, das lombardo-venetianische Gebiet mit einem Schlage wieder gewann. Nur die Stadt Venedig, wo der hochherzige Patriot Manin die Republik wieder hergestellt hatte, und nun als Dietator derselben deren heldenmüthige Vertheidigung leitete, blieb in den Händen der Italiener.

So wenig diese Siege nun auch zu den Wünschen der östreichischen, wie der deutschen Demokraten paßten, da sie ein einiges Italien, zugleich mit einem einigen Deutschland erhofften, ja, so wenig man diese Wiedererwerbung nach den heutigen Erfahrungen Oestreich hätte wünschen mögen, war man in den conservativen Kreisen doch in vollster Freude darüber und pries man entzückt die von dem Heere bewiesene Kraft. Im Gegensatz zu der Zerrüttung, die sich[462] allenthalben in dem Kaiserstaate geltend machte, bewunderte man laut die Armee, deren verschiedne Völker durch den Zügel der Disciplin zusammengehalten, ohne Groll und Hader nebeneinander für Oestreich's Zusammengehörigkeit gekämpft hatten. Man sah in den Generälen, und sie selbst theilten gern diese Ansicht, Oesterreich's Erretter, und wie der Gedanke sich mehr und mehr Bahn brach, daß nur noch im Lager draußen das gesammte Oestreich vertreten sei, wurde in den maßgebenden Militärkreisen die Ueberzeugung laut, wie die Armee jetzt auch das beste Vorbild für den künftigen Kaiserstaat darbiete, der nur durch eine stramme Centralisation wieder zu einem ruhmreichen Ganzen werden könne. –

Einer der größten lebenden Dichter Oestreich's, Grillparzer, sprach mithin nur die Ansicht von Vielen aus, wenn er in einem Gedichte an den Feldmarschall Radetzky denselben mit den Worten anredete:


»In Deinem Lager ist Oesterreich,

Wir andern sind einzelne Trümmer,

Aus Trägheit und aus Eitelkeit

Sind wir in uns zerfallen,

In Denen, die Du führst zum Streit

Lebt noch ein Geist von Allen,

Dort ist kein Jüngling, der sich vermißt,

Es besser als Du zu kennen,

Der was er träumt, und nirgends ist,

Als Weisheit wagt zu benennen!«


Andre kriegerische Dichterstimmen warnten noch derber, aus dem Lager selber, vor der Kraft der Armee und bedrohten Wien und die Aula mit der Aussicht auf das siegreiche Heer, das aus Italien kommend, sie zur Vernunft bringen werde. –

Den beklagenswerthesten Anlaß zu einer solchen Entwicklung der Militärgewalt gegen das eigne Volk, bot denn[463] auch leider bald nachher der Ausbruch der Wiener Octoberrevolution, welche jedoch mit den Ereignissen in Ungarn in einem so innigen Zusammenhange steht, daß wir unmöglich an Jenen theilnahmlos vorübergehen können.

Die Erfolge, welche die Ungarn zu Anfang ihrer Revolution errungen hatten, machten sie jetzt allzukühn; man hoffte und glaubte, gestützt auf die Zugeständnisse des Kaisers, nun den Augenblick gekommen, da das Land der stolzen Magyaren sich wieder frei und unabhängig werde erheben dürfen, wie zu den ältesten Väterzeiten, und so entspann sich auf's Neue, unter dem jetzigen National-Ministerium, der nie endende Kampf um Ungarn's vollkommne Selbstständigkeit. Der Auflösungsproceß, welcher augenblicklich nach der Märzrevolution die östreichische Monarchie bedrohte, und während des ganzen Sommers von 48 in bedenklichster Weise sich geltend machte entzweite nicht minder die einzelnen Nationalitäten derselben, jede Parthei hoffte und wünschte auch die Herrschende zu werden und suchte zu diesem Zwecke die Person des Kaisers vorzugsweise an sich zu knüpfen. Die Bestrebungen der Böhmen fanden ihren Widerhall bei den Süd-Slaven, den Kroaten und Serben und wir haben bereits gehört, wie deren Banus Jellachich darnach trachtete, den 800 jährigen Verband, der Kroatien unter die Oberhoheit der ungarischen Krone stellte, zu zerreißen und Oestreich in einen großen Slavenstaat umzugestalten. Rebellische Aufstände der Serben im Banat gaben den Ungarn alle Ursache zu gerechten Klagen; wurden dieselben nun auch anfänglich von der kaiserlichen Regierung mißbilligt und der Banus von derselben öffentlich desavouirt, indem man ihn scheinbar seiner Würde wieder entkleidete, so verschärfte sich dadurch doch das selbstständige Auftreten der Magyaren ebensowohl Jenen gegenüber, wie der Regierung in Wien. Das wichtigste Organ dafür besaßen sie in dem constituirenden Reichstage, den der Kaiser von[464] Oestreich ihnen gestattet hatte, damit derselbe die alte ständische Verfassung Ungarn's, im Geiste der Neu-Zeit zu einer Constitution umgestalte. Man konnte in der That in Wien nicht mehr thun, um die Ungarn in der Ansicht zu bestärken, daß sie fortan nur noch eine Personal-Union an Oestreich binden werde; sie hatten jetzt ihr besonderes Ministerium, sie hatten ihren besonderen Reichstag, sie hatten in der Person des Erzherzog Stephan ihren Palatinus, der den König als sein anderes Ich vertrat, und von ihm mit den weitgehendsten Vollmachten war ausgestattet worden.

Dem Wunsche der Magyaren, der Kaiser möge selbst von Innsbruck nach Ofen kommen, um den Reichstag in Person zu eröffnen, entsprach Ferdinand nun nicht, unter dem Vorwande, daß er sich dazu zu schwach und krank fühle, und daß er seine Gegenwart auch den Wienern, trotz ihrer Bitten, nach der Hauptstadt zurückzukehren, entziehe.

Stürmisch und aufgeregt, wie die Zeiten überall waren, verliefen denn nun auch die ersten Monate des ungarischen Reichstages, auf welchem Ludwig Kossuth als Redner und Agitator die Hauptrolle spielte, mehr und mehr seine Ziele und Absichten, Ungarn als eine ganz selbstständige Macht von Oestreich's Herrschaft zu befreien, und höchstens noch eine Personal-Union zu dulden, enthüllend. Er träumte von einem großen demokratischen Magyarenreiche, das im Anschluß an Deutschland dem vordrängenden Slaventhume das Gleichgewicht halten werde, aber leider ließen seine hochfliegenden Pläne ihn oft die Möglichkeit von deren Ausführung übersehen. Wenn er aber im Reichstag seine Stimme erhob und mit seiner hinreißenden Beredtsamkeit, die ihn oft weit über sein Ziel hinausriß, seine Ansichten vertheidigte, blieb jeder Widerspruch erfolglos. Kossuth's Hauptaugenmerk richtete sich zunächst darauf, Ungarn eine selbstständige, unabhängige Armee und ebenso ein selbstständiges, von Oestreich getrenntes[465] Finanzsystem zu schaffen, ein Verfahren, welches, wenn es glückte, die vollständige Abtrennung in sich schloß.

So sprachen denn auch er und seine Anhänger es bald offen aus, daß Oestreich aus seiner gegenwärtig schlimmen Lage nur errettet werden könne, wenn sich dessen Erbländer auf's Engste an den deutschen Bundesstaat anschlössen; mit diesem Bundesstaate würde dann das freie, unabhängige Ungarn eine feste Allianz bilden. In welcher Weise dabei Kossuth auf das Ueberwiegen des ungarischen Einflusses zählte, dies erläutert ein damals von ihm ausgesprochenes Wort in der von ihm geleiteten Zeitung: »Wenn die östreichischen und ungarischen Ministerportefeuilles in einer Hand vereinigt sein müssen, so sollen sie es in einer ungarischen Hand sein. Unser Herr und König hat dann zwei Reiche, das Eine, wo er vollkommen Souverän und dessen Mittelpunkt Ofen ist, das Andere, wo er von Frankfurt abhängt!«

Daß diese Politik Kossuth's, zu welcher sich das übrige Ministerium, an dessen Spitze Graf Bathyani stand, oft höchst widerstrebend mit hineineingerissen sah, den vollen Beifall der deutsch-republikanischen Parthei hatte, spricht von selbst, weniger zusagend fand man sie in Wien. Dem dortigen Ministerium war das Auftreten seiner ungarischen Kollegen in hohem Grade bedenklich, und man suchte ihre hochfliegenden Pläne möglichst niederzuhalten. Wiederholte Versuche der Ungarn, den Kaiser zu bewegen seine Residenz in Ofen zu nehmen, blieben erfolglos, und sahen sich kurz abgeschnitten durch dessen endliche Rückkehr von Innsbruck nach Wien. Gleichzeitig wies das Ministerium die Klagen Bathyani's und dessen Anfrage, ob man auch in Wien die Zusammengehörigkeit der ungarischen Kronländer anerkenne, und ob man folglich Ungarn in seinem Kampfe gegen die aufständigen Serben und Kroaten unterstützen wolle, kalt zurück, mit dem Bemerken, man werde die Sachlage untersuchen[466] lassen, damit auch dem Banus Jellachich, an dessen Absicht einer Losreißung man nicht glaube, sein Recht geschehe. –

Als nun Radetzky's Erfolge den Hof mit neuem Muthe beseelten, glaubte man sich stark genug, die Zugeständnisse, welche die kaiserliche Regierung den Ungarn früher gemacht, wieder zurückziehen zu können. Insgeheim hatte man ja das Schwert des Banus in Bereitschaft gegen die rebellischen Magyaren, im Falle sie sich den höheren Gründen und Weisungen nicht fügen würden, welche jetzt die berühmte östreichische Staatsschrift ihren Wünschen entgegensetzte, und in welcher sich bereits der Gedanke einer durchgreifenden Centralisation des östreichischen Staatskörpers zu einer einheitlichen Monarchie, im Keime verrieth.

Mochte diese Denkschrift auch die volle Wahrheit aussprechen, wenn sie sagte: »Der Bestand eines von dem östreichischen Kaiserthum getrennten Königreichs Ungarn ist eine politische Unmöglichkeit!« – dieser Satz stand in offenbarem Widerspruch mit dem, was man den Ungarn im März und auch noch späterhin feierlich zugesagt. Nicht allein Kossuth und seine Parthei, die ganze Nation fühlte sich dadurch auf's Tiefste beleidigt, und dies um so mehr, als man gerade jetzt eine umfassende Rekruten-Aushebung vorgenommen, wie Oestreich sie gewünscht hatte, und sich überdem zu friedlichem Ausgleich mit dem Banus bereit zeigte. Formell war Ungarn im Rechte, denn die Denkschrift verletzte nicht allein die jüngst errungenen, sie verletzte auch seine früheren, so eifersüchtig gehüteten Vorrechte und Freiheiten.

Eine Deputation von hundert Magyaren begab sich nach Wien, verlangte, daß der König-Kaiser die Kamarilla entferne, nach Budapest übersiedele und den Truppen in Ungarn den Kampf gegen die Rebellen befehle, sonst würde die ungarische Regierung außer Stande sein, die Ruhe im Lande aufrecht zu erhalten. Der Kaiser that jedoch nichts, die Ungarn zu[467] beschwichtigen; er ertheilte nur die Versicherung, daß er seinem Eide gemäß Ungarns Rechte und Integrität aufrecht erhalten werde, aber am selben Tage wurde der Banus Jellachich durch ein kaiserliches Handschreiben, worin sich die Ueberzeugung aussprach, daß bei des Banus unwandelbarer Treue und Anhänglichkeit an die Dynastie, derselbe niemals hochverrätherische Absichten gegen die Monarchie habe hegen können, wieder in seine Würden eingesetzt.

Damit war der Bruch zwischen Ungarn und Oestreich ausgesprochen, um so unzweifelhafter, als der Banus am 11. Sept. mit den Waffen in der Hand die ungarische Gränze als Rebell überschritt, und kaum noch ein Zweifel darüber bestehen konnte, daß er es mit geheimer Zustimmung der Wiener Regierung that. –

Diesem hier sich neu vorbereitenden Kampfe war die deutsch-östreichische, namentlich die Wiener Bevölkerung mit größter Spannung gefolgt, und so mußte er auch auf die dortigen Verhältnisse vom entscheidendsten Einflusse sein. Er bewirkte jetzt ein solidarisches Einverständniß der deutschdemokratischen Parthei mit den gekränkten Ungarn, und gab der Straßen-Demokratie ein neues Recht zu tumultuarischen Bewegungen, die während des ganzen Sommers in Wien mehr oder minder fortgespielt und vielfach durch die große Zahl unbeschäftigter Arbeiter erzeugt worden waren. Die großen Hoffnungen die man auf den Reichstag gesetzt, waren schon wieder ernüchtert, denn auch in seinem Innern wiederholte sich in unerquicklichster Weise der Straßen-Streit, der jetzt Außen in gewaltthätiger Weise entbrennen sollte.

So wurde der ungarische Conflict jetzt schnell zum Brennpunkt aller Zerwürfnisse, die Oestreich's Bestehen in Frage stellten, oder sich um seine Entwickelung im freiheitlichen Sinne drehten. In Pest ging es, seit dem Einfall der Kroaten furchtbar stürmisch zu, und Kossuth hielt die Fäden[468] der Bewegung in seiner Hand. Auf seinen Antrag wurden jetzt Deputirte an das Frankfurter Parlament entsendet, um sich dessen Sympathien zu versichern und dann eine zweite Deputation nach Wien beschlossen, die sich aber nicht an den Hof, sondern an den Reichstag wenden sollte; man wollte versuchen, das östreichische Volk für die Sache des Rechtes, für den Kampf gegen den neuen Absolutismus zu gewinnen.

Unter dieser Deputation befanden sich nicht blos Hitzköpfe, sondern auch die Männer der gemäßigten Parthei, namentlich Franz Deak, der später durch seine Ausgleichungspolitik so berühmt gewordene Staatsmann, mit ihm Cötvös und andere bekannte Namen.

Aber die slavische Majorität des Reichstags war von vornherein entschlossen, die Deputation gar nicht anzunehmen und wie heftig auch der parlamentarische Kampf darüber Stunden lang auf und abwogte, sie ließen sich durch keine Gründe der Vernunft davon überzeugen, daß es sich hier um weit mehr handle, als um eine Abwägung von Ungarn's Beschwerden und Rechten, sondern daß hier, wo der Soldat bereits rücksichtslos das Schwert auf eigne Verantwortlichkeit gezogen, die ganze Frucht der Revolution auf dem Spiele stand. Ebenso zähe wie die Versammlung, verhielt sich das Ministerium gegen alle Einwände; ein Theil desselben wußte schon zu genau, was es auszuführen gedachte. Man verlas einfach vom Ministertische noch einmal die schon erwähnte Denkschrift, und versicherte dabei heuchlerisch, man werde die Rechte einer jeden Nationalität achten.

Es nutzte nichts, daß der Hauptredner an diesen stürmischen Tagen, daß Löhner mit prophetischem Geiste die Worte ausrief: »kann nicht auch ein künftiges Ministerium das Staatswohl und den politischen Vortheil als Rechtsgrund anrufen, gegen uns und die östreichische Verfassung einzu schreiten.?[469]

Von den gesetzlichen Behörden dergestalt ohne Hoffnung gehört zu werden, weggewiesen, wendeten sich nun die Ungarn an die Wiener Bevölkerung, wo sie enthusiastische Sympathien fanden, während man in Pest zum äußersten Mittel, zu der Selbstvertheidigung des Landes schritt. Diejenigen Führer der Bewegung, welche nicht vollständig mit der östreichischen Krone brechen wollten, traten damals von ihrer öffentlichen Wirksamkeit zurück, nur Graf Bathyani ließ sich, voll edlen Muthes, bewegen, sein Amt als Minister beizubehalten. Er verlieh damit der nun ausbrechenden Insurrection ein erhöhtes gesetzliches Ansehen und er bemühte sich redlich, die Loyalität gegen den König-Kaiser aufrecht zu halten, was ihm später freilich schlecht genug gedankt wurde. So nahm denn das Verhängniß seinen Weg, und der Racenkampf entbrannte, nachdem jetzt die Magyaren ihren Landsturm aufgeboten hatten und sich anschickten, in dem Banus zugleich die Reaction und die absolute Gewalt zu bekämpfen. Gerne hätte man jetzt Jellachich von Seiten der kaiserlichen Regierung wieder zurückgehalten, aber dieser ließ sich nicht mehr beirren, denn auch er kämpfte mit Bewußtsein für ein Princip.

Der Palatinus von Ungarn, Erzherzog Stephan, der alter ego des Kaisers befand sich in der peinlichsten Lage; man beschwor ihn von Seiten der Ungarn, sich an die Spitze der nationalen Bewegung zu stellen, sie dadurch zu legitimiren, und die ungarischen Truppen, welche sich nun auch der Bewegung angeschlossen hatten, gegen den Banus zu führen. Es war eine Königskrone zu gewinnen, wenn Stephan frisch und thatkräftig zugriff, aber der junge Mann fühlte sich zu solch entschiednem Handeln zu schwach und unentschlossen. Den Frieden ohne Kampf wieder herzustellen, war sein Wunsch und er machte zu diesem Zwecke einen letzten Versuch der Vermittelung, indem er persöhnlich eine Zusammenkunft[470] mit dem Banus suchte. Er fuhr auf einem Dampfboote über den Plattensee nach Jellachich's Hauptquartier, und ließ ihn einladen, zu einer Besprechung zu ihm auf das Schiff zu kommen. Jellachich jedoch weigerte sich dessen, theilweise durch seine Offiziere zurückgehalten, welche vermutheten, es sei dabei auf eine Entführung des Banus abgesehen.

Als der Palatin so seine letzte Hoffnung vereitelt sah, entfloh er heimlich nach Wien, machte dort noch einen letzten Versuch, das Kabinet zu einer Aenderung seiner Politik gegen Ungarn zu bewegen, und legte, als auch diese Bemühung scheiterte, seine Würde in die Hände des Kaisers zurück. Er begab sich sodann auf sein mütterliches Erbgut, die Schaumburg im Lahnthal, wo er die wenigen Jahre die ihm noch zu leben vergönnt waren, in einsamer Zurückgezogenheit verbrachte, vorzugsweise damit beschäftigt, die Bauernkinder der Umgegend in einer von ihm gegründeten Schule unterrichten zu lassen, und selbst zu unterrichten. –

Unterdessen entwickelten sich die Ereignisse in Ungarn rasch weiter; Kossuth und seine Anhänger setzten es am 27. September durch, daß eine Art revolutionärer Regierung, ein Landesvertheidigungsausschuß eingesetzt wurde, während der gemäßigte Bathyani immer noch eine Vermittlung zu finden hoffte. Von Wien entsendete man jetzt als Vertreter des Palatinus und als Ober-Commandanten von Ungarn den Grafen Lamberg mit der schwierigen Mission, alle Truppen, die ungarischen, wie die des Banus, für den Kaiser in Eid zu nehmen und die Waffenruhe wieder herzustellen. Aber die ungarischen Truppen wollten sich jetzt durchaus mit den Kroaten, vor denen sie früher mehrmals zurückgewichen waren, messen, und das geringe Volk zeigte sich, namentlich in Pest, auf's Aeußerste gereizt und erhitzt; so fand der unglückliche Lamberg, als er nach der Hauptstadt kam, die größte Aufregung und Verwirrung vor.[471] Rathlos hin und her schwankend, weil es jetzt für alles Einlenken zu spät war, ereilte ihn bald ein furchtbares Geschick, indem sich die Meinung verbreitete, er sei als Verräther gekommen und führe heimlich Truppen gegen das wehrlose Pest heran. Auf der Brücke zwischen Ofen und Pest begegnete ein wüthender Volkshaufe dem schutzlosen Grafen, fiel ihn an und tödtete ihn auf unmenschliche Weise, so daß dieser Vorgang von vornherein die Sache der Ungarn mit einem trüben Lichte umhüllte. Ein zweiter Act der Gewaltthätigkeit, doch in gesetzliche Form gekleidet, fiel im Lager vor; am 29. September wurden bei Valencza die Kroaten zurückgedrängt, und Graf Eugen Zichy, einer der vornehmsten ungarischen Magnaten, früher Verwalter des Stuhlweißenburger Comitat's, verhaftet, und als Landesverräther und Feind der Nation, zu welcher Vermuthung er gerechten Anlaß gegeben, zum Tode durch den Strang verurtheilt. Der dies auszuführen wagte, war ein bis dahin unbekannter Offizier, Arthur Görgey, dessen Name von da an in den Vordergrund und bald durch kühne Waffenthaten auf dieselbe Stufe der Popularität mit dem von Kossuth tritt. Wie ein Meteor aus seiner früheren Dunkelheit auftauchend, zeigte Görgey sich bald als ein Mann von eiserner Willenskraft und Energie, wie von ungewöhnlichen Feldherrngaben. Nur die Thatsachen berücksichtigend und alle Diejenigen als Phantasten verlachend, die einer Idee dienten, glänzte Görgey während eines vollen Jahres als gefeierter Held, als tapferster General, als Vaterlandsretter, um dann seinen Stern wieder eben so schnell versinken zu sehen, weil er, während er doch seiner Sache mit heiligem Feuer zu dienen schien, nicht wie Kossuth und dessen Freunde für eine Idee, sondern nur für den äußeren Erfolg kämpfte.

Mit Zichy's Hinrichtung, die alle Schwachen und Schwankenden der ungarischen Nation mit Furcht und[472] Schrecken erfüllte, war der Boden der Revolution nun vollständig betreten, und auch in Wien legte man jetzt die Maske ab. Ein kaiserliches Manifest vom 3. Oktober erklärte den ungarischen Reichstag für aufgelöst, ordnete die ungarischen Truppen dem Befehl des Banus unter und ernannte diesen zum alter ego, zum Stellvertreter des Kaisers. Gleichzeitig mit diesem Manifest entband der Kriegsminister Latour die ganze ungarische Armee des Eides, welchen sie der ungarischen Regierung früher geleistet hatte und schickte sich an, von Wien aus Truppen nach Ungarn zu senden, die dem bedrängten Banus, der sich bereits bis an die östreichische Gränze hatte zurückziehen müssen, zu Hülfe eilen sollten. Noch früher aber, als das erwähnte Manifest dort seine aufreizende Wirkung thun konnte, war dies in Wien der Fall, wo sich die ganze demokratische Parthei augenblicks offenkundig auf Seiten der Ungarn stellte. Auch die Soldaten waren unsicher; zuerst weigerten sich die italienischen Regimenter dahin abzugehen und diesem Beispiele folgten die Grenadiere. In den Straßen wurden abermals Barrikaden gebaut, man bereitete sich zu einer neuen Revolution vor, und schon kam es zu offnen Straßenkämpfen zwischen der loyalen oder schwarzgelben, und der demokratischen Bürgerwehr, als die grausame Ermordung des greisen Kriegsministers Latour durch wüthendes Volk, das ihm Schuld gab, er habe dem Militär Befehl ertheilt, auf dasselbe zu feuern, die Wiener Octoberrevolution in schrecklicher Weise einleitete.

Wir erinnern uns des Zustandes der Hauptstadt, der Wirren im Reichstag, so war es nicht zu verwundern, daß der Ausbruch, der sich schon länger vorbereitet nun wirklich kam, denn jeder Anlaß, welcher die Militärmacht irgendwie in den Vordergrund stellte, rief augenblicklich die wahnsinnigste Furcht vor einer Reaction in den Gemüthern wach. Der[473] Bund der Regierung mit dem Banus ließ jetzt zu Wien Alles befürchten und diese Aufregung der deutschgesinnten Parthei mußte sich steigern, als in der Nacht auf den 6. October der Kaiser abermals heimlich von Schönbrunn entfloh, und sich nach der Festung Olmütz in Mähren, mitten unter eine slavische Bevölkerung, begab. Seinem Beispiele folgte bald die Mehrzahl des Reichstags, selbst sein Präsident, der Böhme Strohbach, entfernte sich, während der Rest, unter dem Vorsitze Smolka's sich in Permanenz erklärte, um die Fäden der Bewegung in der Hand, und dieselbe auf gesetzlichem Boden, zu erhalten. Ein neuer Sicherheitsausschuß, mit Schuselka an der Spitze wurde gebildet, und man richtete nun die dringendste Bitte an den Kaiser, zurückzukehren und ein populäres Ministerium zu ernennen, mit dem festen Versprechen, daß die Ordnung nicht weiter gestört werden solle. Aber die erschrockne Dynastie stützte sich jetzt lieber auf die Gewalt des wiedergewonnenen Schwertes, denn zwei Generale näherten sich bereits den Mauern Wien's, um die Stadt zu Paaren zu treiben. Jellachich, verschiedne male geschlagen, war auf östreichisches Gebiet gedrängt worden und machte nun aus der Noth eine Tugend, indem er sich auf eigne Hand, um sich aus der Verlegenheit zu ziehen, zum Staatsretter aufwarf. Seine ungesetzliche Anwesenheit auf deutschem Boden erklärte er einer Deputation die ihn aufforderte sich wieder zurückzuziehen, mit den Worten:

»Als Staatsdiener verpflichtet, der Anarchie zu steuern, zeigt mir als Soldat der Donner der Geschütze meinen Weg. Auf östreichischem Boden kenne ich keine kroatischen, sondern nur östreichische Truppen!«

Bald sah er sich durch die noch treugebliebenen Wiener Truppen verstärkt, die Graf Auersperg vorsichtig zusammenzog, mit ihnen am 12. October Wien verließ, und eine feste[474] Stellung auf dem Belvedere einnahm, da er sich zu schwach fühlte, etwas mit ihnen allein zu unternehmen.

Jellachich umschloß nun allgemach mit seiner bunten Musterkarte von Serben, Kroaten und Dalmatinern den südlichen Theil der Stadt, aber noch beängstigender wurde deren Lage, als ein zweiter Staatsretter sich aufwarf, welcher den Ersten bald ganz in den Hintergrunde drängte. Es war dies Fürst Windischgrätz, der am 11. Oktober Prag verließ, um diesesmal, zur Freude der Czechen, gegen die Deutschen zu fechten. Er erließ zuvor eine Proklamation an die Prager, belobte sie wegen ihrer Loyalität und sagte dann: »Die Anarchie in Wien legt mir die Pflicht auf, mich mit einem Theile der mir unterstehenden Truppen zum Schutze des Monarchen und zur Wahrung der Einheit der constitutionellen Monarchie von hier zu entfernen.«

Seinem willkürlichen Handeln wurde nachträglich am 16. Oktober die Sanction des Kaisers durch ein Manifest zu Theil, welches den Fürsten zum Feldmarschall und Oberbefehlshaber aller österreichischen Truppen, ausgenommen der Radetzky'schen Armee, ernannte.

So sah sich jetzt Wien ganz ebenso wie Ungarn zwischen Gesetzlichkeit und rohe Gewalt gestellt, theilweise durch eigene Schuld, noch mehr durch eine perfide Regierung, die hinterrücks wieder vernichten wollte, was sie in den Tagen der Gefahr versprochen hatte. Der erste Impuls der Ungarn war der, den Wienern, die sich in ihrem Interesse aufgelehnt hatten, zu Hülfe zu eilen, aber sie verletzten damit ein Gesetz, das ihnen untersagte, ihre Truppen auf österreichischen Boden zu schicken, es sei denn, daß ein gesetzliches Organ, wie der Wiener Reichstag, sie dazu berufe. Aber auch dieser scheute sich, einen äußersten Schritt zu thun, und während er, um ihm auszuweichen, mit Frankfurt und Olmütz verhandelte, und Windischgrätz, an den man sich auch[475] gewendet, dem Reichstag erklärte, daß er nichts mit Rebellen zu thun habe, entschlüpfte dessen eigenen Händen die gesetzliche Gewalt und Macht. Wieder wurde die Aula der Mittelpunkt der Bewegung und die demokratischen Vereine setzten es durch, daß ein früherer Lieutenant, Messenhauser, der seinen Abschied genommen, um als Dichter eine literarische Laufbahn einzuschlagen, zum Obercommandanten der Nationalgarden berufen wurde, als welchen ihn die, noch bei dem Reichstag verbliebenen, Minister bestätigten. Eine Mobilgarde, unter dem Befehle des alten polnischen Generals Bem, bildete jedoch den eigentlichen Kern des Revolutionsheeres und jedenfalls hatte der Letztere mehr Geschick für die Vertheidigung der Stadt, als der jugendliche Messenhauser, eine zwar reine und edle, aber zugleich schwärmerische und unklare Natur. Die ganze Stadt wurde nun im Innern durch Barrikaden in eine Festung verwandelt und man erwartete von Seiten der Bevölkerung mit vollster Zuversicht den Zuzug und die Hülfe der Ungarn. Zweimal schon waren sie in der That bis zur Leitha gezogen, wagten dieselbe aber ungerufen nicht zu überschreiten, während der Banus und Windischgrätz mit weniger Rücksicht ihr Ziel verfolgten.

Die Wiener Ereignisse hatten unterdessen das Frankfurter Parlament aufs Heftigste bewegt. Die Linke verlangte stürmisch die Unterstützung der Wiener und wollte, die österreichische Regierung solle durch die Centralgewalt gezwungen werden, die nichtdeutschen Truppen augenblicklich von den Thoren Wiens zu entfernen. Natürlich wurde dieser Antrag von der Majorität nicht angenommen, um jedoch die öffentliche Meinung einigermaßen zu befriedigen, beschloß man, Parlamentscommissäre in der Person der Herren Welcker und Mosle nach Wien zu schicken, um die Streitigkeiten beizulegen. Diese Mission aber fiel höchst kläglich aus, die Reichscommissäre wagten sich gar nicht nach Wien hinein,[476] sondern begaben sich zu Fürst Windischgrätz ins Lager, dem man es nur schwer begreiflich machen konnte, daß sie nicht zu den verhaßten Demokraten gehörten. Noch unbegreiflicher fand es der Fürst, wieso er über östreichische Angelegenheiten mit diesen fremden Herrn verhandeln solle, und so blieb ihre Mühe ohne jeden Erfolg. Noch schlimmer erging es ihnen dann in Olmütz, wo sie der Kaiser gar nicht einmal vor sich ließ, und der Minister Wessenberg sie in höflichster Weise wieder hinauscomplimentirte und ihnen auf jede Weise den Rückweg nach Frankfurt erleichterte.

Da inzwischen in und um Wien der Kampf tobte, begnügten sich die Commissäre, von Passau aus, eine doctrinäre Ansprache an die östreichischen Völker zu erlassen und dann nach Frankfurt unverrichteter Dinge zurückzukehren.

Die Linke hatte inzwischen aus eigener Initiative gethan, was sie nicht durch die Majorität erreichen konnte, sie hatte die Anerkennung der Wiener Revolution ausgesprochen, indem sie aus ihrer Mitte eine Deputation nach Wien entsendete, bestehend aus Robert Blum, Julius Fröbel, Moritz Hartmann und Albert Trampusch, welche ihre Sympathien für den dort ausgebrochenen Kampf bezeugen sollten.

Fürst Windischgrätz hatte inzwischen auch nicht lange auf sich warten lassen; sobald er von seinem Kaiser unbedingte Vollmacht erhalten, schickte er sich an, dieselbe zu gebrauchen. Von seinem Hauptquartier Lundenburg aus, zeigte er den Wienern am 20. Oktober das Anrücken seiner Armee mit den bezeichnenden Worten an: »Ihr werdet in mir den Willen und die Kraft finden, Euch aus der Hand einer Handvoll von Verbrechern zu befreien!«

Die Verhängung des Belagerungszustandes, das Standrecht, wie die Suspension aller Civilbehörden waren ihm, sobald er gesiegt, vollkommen zuständig. Er forderte nun die[477] Stadt auf, sich zu übergeben, und als ihm dieses verweigert wurde, umzingelte er dieselbe mit 90,000 Mann, nachdem er ohne Weiteres sich die Kroaten des Banus angeeignet und denselben einfach zu seinem Lieutenant ernannt hatte. Durch diese Einschließung wurden alle Lebensmittel abgeschnitten und die wohlhabenden Einwohner, wohl 100,000 an Zahl, verließen nun flüchtend ihr schönes, heiteres Wien, das den düstersten Anblick darbot. Die Deputation der Frankfurter Linken war inzwischen noch in die Stadt gekommen und sie, namentlich Blum, mahnten dringend zur Ausdauer. Am 23. October hielt der Letztere jene Rede in der Aula, die ihn das Leben kosten sollte. Er forderte darin die Vertheidiger Wiens zum Aushalten und zur Vertheidigung bis zum letzten Blutstropfen auf, denn der Einzug des siegreichen Heeres werde zugleich der Einzug der alten Knechtschaft sein. Zuletzt erklärte er, daß er und seine Collegen mit den Wienern stehen und fallen würden. – Am 24. begannen dann die Feindseligkeiten, zeitweise wieder unterbrochen durch vergebliche Friedensverhandlungen; die ganze innere Stadt war nur ein Barrikadenbau, jede Straße befestigt und die Mobilgarde, namentlich die Studenten zeigten sich voll des kühnsten Muthes: »Wir werden für Euch bluten«, so schloß ein Aufruf, den sie am 25. Oktober erließen, »aber wir werden siegen! Wir wollen aus freien Bürgern nicht wieder Sklaven des Metternich'schen Systems werden!« Diese Furcht, dieses Entsetzen, wieder unter jenes verhaßte Regiment zu kommen, entschuldigt und erklärt vielfach die extremen Wege, auf die man zuletzt in Wien gerathen war, und diese Stimmung erschien selbst der Regierung so sehr als ein Rechtfertigungsmoment, daß sie durch Minister Wessenberg in einem Rundschreiben an die deutschen Höfe ausdrücklich erklären ließ, wie man nicht daran denke, die Reaction wieder heraufzuführen, daß man in Wien nur[478] die Beseitigung der Anarchie und die Wiederherstellung eines gesetzlichen Zustandes bezwecke. –

Am 28. unternahm Windischgrätz den Sturm auf die Stadt, welche fortwährend heldenmüthig vertheidigt wurde; den ganzen Tag über währte der erbitterte Kampf, in verschiedenen Stadttheilen brach Feuer aus, aber erst des Nachts um 11 Uhr gönnte man sich Ruhe, nachdem die Soldaten einen Theil der Vorstädte genommen und bis auf das Glacis vorgedrungen waren, wo sie bivouakirten. Es ist selbstverständlich, daß unter den Vertheidigern Viele gezwungen mitkämpften, daß auch Verrath mit im Spiele war, doch auch ohnedies wäre es unmöglich gewesen, daß sich die Stadt gegen solche Uebermacht geschulter Truppen lange hätte halten können, nur die Ungarn vermochten Rettung zu bringen und man hörte nicht auf, auf sie zu hoffen und zu zählen. – Wieder verhandelte der Gemeinderath mit dem Fürsten, aber Studenten und Arbeiter weigerten sich hartnäckig, die Thore und Basteien zu übergeben, und als es endlich gelang, sie wankend zu machen, da entbrannte ihr Muth aufs Neue, als eine Rauchsäule, vom Stephansthurme aufsteigend, die frohe Nachricht verkündete: die Ungarn kommen! Sie zogen in der That jetzt wirklich heran – aber für Wien zu spät.

Wiederum sah sich Oestreich in dieser äußersten Krise durch die Doppelstellung, welche seine Völker zu einander hatten, aus einer Lage gerettet, welche die schlimmste werden konnte, wenn die Ungarn nun von außen her Windischgrätz angriffen. Als sich Jene jetzt endlich, weil die höchste Noth vorhanden war, entschlossen, den Boden der Gesetzlichkeit zu verlassen, da gab es für das unglückliche Wien keine Rettung mehr. Bei Schwechat trafen sie mit Jellachich zusammen, aber er führte nicht seine Kroaten, sondern deutsche Kerntruppen ihnen entgegen, während ein Theil der ungarischen Truppen aus dem Landsturm bestand. So wurden[479] sie nach vierstündigem, heißem Kampfe wieder zurückgedrängt und rücksichtsloser, ungesetzlicher als Jene, legte sich jetzt die schwere Hand der unversöhnlichsten Militärdictatur auf das unglückliche Wien. Am 31. Oktober, nachdem die Vertheidiger noch, wie an den Tagen zuvor, jeden Fuß breit bestritten hatten, ließ der Fürst das Burgthor mit Kanonen einschießen, und nun erst konnten sich die Truppen als Herren der Stadt betrachten. Plündernd und mordend ergossen sich die Kroaten Jellachich's in die unglückliche Stadt und Windischgrätz soll den Truppen sogar die Plünderung auf eine Stunde erlaubt haben. Zu Hunderten und Tausenden wurden die Studenten und Mobilgarden gefangen genommen, als traurige Opfer eines Volkskampfes, der sich einer Militärmacht von 90,000 Mann gegenüberzustellen wagte. Vom 6–31. Oktober waren während dieser Revolution auf Seiten der Wiener 3027 Mann gefallen; 4000 wurden jetzt gefangen genommen und von diesen Letzteren wurden nur 622 wieder freigegeben. Die unverheiratheten Mobilgarden steckte man unter das Militär und dann – fort mit ihnen an weit entlegene Grenzen des seiner Wiederherstellung entgegengehenden Kaiserstaates!

Unter den Gefangenen befanden sich auch Robert Blum und Julius Fröbel, Bem entkam nach Ungarn, Messenhauser, der Idealist, stellte sich freiwillig, denn er glaubte für das Gesetz gekämpft zu haben, Moritz Hartmann entkam glücklich unter den merkwürdigsten Umständen und mußte noch zuletzt in einem Postwagen mehrere Stunden lang Zuhörer von Gesprächen sein, die sich um seine Verhaftung und wahrscheinliche Verurtheilung drehten. Fröbel und Blum reichten am 8. November einen Protest ein, worin sie sich auf ihre Eigenschaft als Mitglieder des Frankfurter Parlaments, die sie unverletzlich mache, beriefen und um ihre Freilassung baten. Daraufhin wurde Blum noch[480] am selben Abend verhört und nach zwei Stunden zum Tode durch den Strang verurtheilt, weil er aufrührerische Reden gehalten und am Barrikadenkampfe Theil genommen. Am nächsten Morgen sieben Uhr, als noch ein dichter Nebel Alles bedeckte, führte man Blum, der, weil sich kein Henker fand, zu Pulver und Blei war begnadigt worden, und nachdem man ihm noch vorher erlaubt, an seine Frau zuschreiben, nach der Brigittenau, um dort erschossen zu werden. Er öffnete selbst seinen Rock und schlang das Tuch um seine Augen, als man ihm sagte, daß dies eine Nothwendigkeit sei, dann sank, von neun Kugeln durchbohrt, der Mann todt zur Erde, der aus dem Volke hervorgegangen, stets treu zu der Sache des Volkes gehalten hatte. Sein Genosse Fröbel wurde am nächsten Tage begnadigt; man hatte die Frage an ihn gerichtet, ob er mildernde Umstände für sich anführen könne, worauf er antwortete, daß er eine Brochüre geschrieben, unter dem Titel: Wien, Deutschland, Europa, in der er gesagt, daß Oestreich ungetheilt bleiben müsse; daraufhin begnadigte ihn Windischgrätz am nächsten Tage, nachdem ihn das Kriegsgericht bereits zum Tode durch den Strang verurtheilt hatte. Unerwartet kehrte auch er nach Frankfurt zurück, wo eben die Nachricht von Blum's Erschießung die außerordentlichste Sensation und Entrüstung hervorgerufen hatte, ein Gefühl, welches sich bald ganz Deutschland mittheilte. So viel stand fest, nicht den Barrikadenkämpfer hatte man in Wien vernichten wollen, sondern den Demokraten und Abgeordneten des deutschen Volkes. Es war ein Schlag in das Gesicht der ganzen Nation, und so empfanden es auch alle Partheien der Paulskirche im ersten Augenblick. Noch einmal reichten sie sich über Blum's Leiche die Hand, um ihm eine gemeinsame, großartige Todtenfeier zu bereiten. Für seine mittellos hinterlassene Familie wurde eine Sammlung durch ganz Deutschland veranstaltet, die 44,000 Gulden ergab, womit[481] sich seine Frau mit ihren Kindern in die Schweiz zurückzog. Das Parlament aber faßte am 16. November, mit Ausnahme einer einzigen Stimme, den Beschluß, daß das Reichsministerium mit allem Nachdruck Maßregeln zu ergreifen habe, um die Schuldigen an Blum's Tode zur Verantwortung zu ziehen! – Dieser Beschluß blieb damals unausgeführt, aber inzwischen hat ihn die Geschichte vollzogen. In Wien, wo Belagerungszustand und Standrecht aufräumten, gingen dann noch eine Weile die Erlasse fort, welche eine Reihe unglücklicher Opfer durch Pulver und Blei zum Tode brachten; selbst Journalisten, wie die Doctoren Jellinek und Becher befanden sich unter den Erschossenen. Messenhauser war einer der Ersten, die fielen; mit unverbundenen Augen, selbst die Distanz messend und bestimmend, trafen ihn die mörderischen Kugeln und so bewährte er, bei aller Ueberspanntheit seiner Handlungsweise, die Ehre eines edlen und kräftigen Charakters.

Die neue Politik des Wiener Hofes trat nun auch offen an den Tag; noch ehe Wien eingenommen war, hatte ein kaiserlicher Erlaß den Reichstag von dort nach Kremsier in Mähren berufen, wo er auch wirklich am 22. November eröffnet wurde. An der Spitze des östreichischen Ministeriums stand jetzt der Wiedererwecker des Kaiserstaates, Fürst Felix Schwarzenberg; in demselben waren von den vorigen Ministern nur Alexander Bach, der Abtrünnling, für die Justiz, und Kraus für die Finanzen verblieben. Sie waren dazu berufen, das neue Programm Oestreichs, die Centralisation und Gleichberechtigung aller Nationalitäten, die dessen Staatskörper umschloß, auszuführen.

Die furchtbare Erschütterung aber, welche die Wiener Revolution als ihre nächste Folge in den Gemüthern zurückließ, konnte so schnell nicht beseitigt werden, und mit richtigem Takt erkannte man es daher in den maßgebenden Kreisen[482] als eine Unmöglichkeit an, daß Ferdinand der Gütige, an dessen Regierungszeit sich so viele traurige und blutige Ereignisse knüpften, als Kaiser in die Wiener Hofburg zurückkehre. Man hatte ja auch zur Genüge erkannt, wie die Schwäche und Entschlußlosigkeit des Oberhauptes zum großen Theil jene Perfidie und Doppelzüngigkeit hervorgerufen hatte, welche die Hauptschuld an den schrecklichen Verwicklungen des Sommers von 1848 trugen. Wollte man Oestreich neu aufbauen, so war es gerathen, für die Spitze eine junge, unverbrauchte Kraft in der Nähe des Kaiserthrones aufzusuchen und man fand sie in der Person des 18jährigen Franz Joseph, eines Neffen des Kaisers, dessen Vater kein Gelüste darnach trug, den erschütterten Thron selbst zu besteigen. Am 3. December entsagte Kaiser Ferdinand seiner Krone, »weil es«, wie es in seinem Erlasse hieß, »jüngerer Kräfte bedürfe, um das große Werk zu vollenden und zu einem gedeihlichen Ende zu führen!« Zugleich sprach sein Abschiedswort die Hoffnung aus, daß es gelingen möge, »alle Lande und Stämme der Monarchie zu einem großen Staatskörper zu vereinigen.«

Es war dies eine Hoffnung, die sich so, wie man es plante, nimmermehr für die Dauer erfüllen konnte und sollte, und auch der junge Franz Joseph war der unermeßlichen Aufgabe, die damit vor ihm lag, ebensowenig gewachsen wie sein Oheim. Dieser zog sich jetzt ganz von der Welt zurück, um nur seinen Lieblingsbeschäftigungen, der Botanik und Heraldik zu leben. – An die Spitze der Herrschaft trat die ehrgeizige Mutter des jungen Kaisers, die Erzherzogin Sophie, der es mit Hülfe der Kamarilla auch gelang, dieselbe fast ganz an sich zu reißen, um dem Klerus eine Macht in die Hände zu spielen, wie er sie bis dahin selbst in Oestreich nicht besessen. Der ungarische Reichstag erkannte die Thronveränderung nicht an und fuhr fort, den Kaiser Ferdinand[483] als Ungarns König zu betrachten. Unbekümmert um das Geschehene und geleitet durch den Landesausschuß, an dessen Spitze Kossuth als Präsident stand, kämpfte Ungarn auf seinem gesetzlichen Boden weiter, für sein Recht und im Namen seines gesetzmäßigen Gebieters, des Kaisers Ferdinand. So sah das neue Oestreich, wenn es anders sich das Land unterwerfen und die Magyaren in sein Centralisationssystem hineinzwängen wollte, genöthigt, einen förmlichen Krieg gegen Ungarn zu beginnen. Der neue Feldmarschall, Fürst Windischgrätz, rückte denn auch schon am 5. Januar 1849, ohne großen Widerstand zu finden, in Pest ein, was aber die Sache noch lange nicht entschied. Im Rücken ließ er sich die uneinnehmbare Festung Komorn, die ein östreichischer Truppentheil belagerte, und Kossuth hatte bereits, weil ihm Pest nicht sicher genug war, den Reichstag ins Innere des Landes, nach Debrezcin, verlegt. Er nöthigte dergestalt die östreichische Armee ihm dahin nachzurücken, und zugleich rechnete er auf die Theilnahme der Polen, die er unvorsichtiger Weise aufrief, mit Ungarn gemeine Sache zu machen. Sie zu gewinnen, gab er wichtige Befehlshaberstellen an polnische Generale und so befehligte Bem, der von Wien entkommen war, in Siebenbürgen, nebst Dembinsky. Dadurch aber beleidigte Kossuth die ungarischen Generale Klapka und Görgey im hohen Grade, was ihm schlechte Früchte bringen sollte. Windischgrätz, verschiedentlich geschlagen, mußte sich wieder aus dem Innern des Landes nach Pest zurückziehen und im Frühjahr stand die Sache so ungünstig für Oestreich, daß Italien sich zu einem neuen Angriff ermuthigt fühlte. Karl Albert von Sardinien beschloß, es noch einmal gegen Radetzky zu versuchen, und so wurde am 23. März jene denkwürdige Schlacht von Novara geschlagen, deren Niederlage Karl Albert nicht zu verwinden vermochte. An dem Ziele und Traume seines Lebens verzweifelnd,[484] legte er die Krone nieder, und starb nach wenigen Monaten, die Verwirklichung eines einigen Italiens seinem glücklicheren Sohne überlassend. Triumphirend zog Radetzky abermals in dem aufständischen Mailand ein, und der Lombardei blieb nun keine Hoffnung mehr, Oestreichs Scepter zu zerbrechen. Furchtbar büßte noch zuletzt die unglückliche Stadt Brescia für ihren patriotischen Widerstand, indem General Haynau, der sie nach heldenmüthigem Widerstande einnahm, sogar gegen Frauen und Kinder in der schändlichsten Weise wüthete und sich dadurch den Beinamen: die Hyäne von Brescia, erwarb.

Niemals, seit den Tagen des 30jährigen Krieges hatte sich die Herrschaft des Säbels in solch unwürdiger Weise gezeigt, als in jenen schweren Zeiten, und während hier nun Deutsche die Italiener niederwarfen, kämpfte Windischgrätz mit seiner bunten Musterkarte von Völkern, gegen die Ungarn weiter fort, deren dauerndes Kriegsglück sie leider jetzt das rechte Maß vergessen ließ.

Kossuth machte den ungeheuren Fehler, am 24. April 1849 das Haus Oestreich, dessen Centralisationsprogramm alle Rechte Ungarns verletze, der ungarischen Krone für verlustig zu erklären und die Republik zu proklamiren, an deren Spitze er selber, unter dem ungeheuersten Jubel der Bevölkerung als Dictator gestellt wurde. Er zerstörte durch diesen Schritt den Schein der Legitimität, welcher bis dahin ihre Sache umgeben und die ungarische Armee zum großen Theil noch bei derselben erhalten hatte; sein zweiter Fehler war, wie schon erwähnt, die Agitation in Polen, wodurch er Rußland den längst ersehnten Vorwand gab, sich in diese Händel einzumischen. Sobald ihm die Zeit dazu gekommen schien, bot Kaiser Nicolaus dem jungen Franz Joseph die Freundschaftshand, die dieser begierig erfaßte. Deutschland war in jenem Augenblick, im Frühsommer 1849 mit den Aufständen[485] in Baden und der Pfalz vollauf beschäftigt, und es mußte an der östlichen Gränze die Dinge gehen lassen, wie sie eben gingen. Während nun im Westen Preußen die letzten freiheitlichen Bewegungen niederschlug, geschah ein Gleiches im Osten durch Rußlands Hülfe. Die zwei noch unverbrauchten Militärmächte sprangen direct und indirect der dritten, der seit einem Jahr so schwer bedrängten Militärmacht Oestreich bei. Im Mai trafen sich die beiden Kaiser in Warschau, um den Feldzugsplan gegen Ungarn zu berathen; in Folge dessen rückte nun der Fürst von Warschau, der gefürchtete Paskiewitsch mit 130,000 Mann durch die Pässe der Karpathen in Ungarn ein; eine andere Truppenabtheilung marschirte nach Wien, um sich dort mit den östreichischen Truppen unter Haynau zu vereinigen, ein drittes Korps, das schon früher in der Wallachei Posto gefaßt hatte, wurde bedeutend verstärkt. Fürst Windischgrätz, von Schlachtenunglück verfolgt, hatte schon längst sein Commando niederlegen müssen, ihm war Welden gefolgt, der auch nichts ausrichtete; nun schickte Fürst Schwarzenberg den gehaßten und gefürchteten Haynau nach Ungarn, was die höchste Entrüstung erregte, denn es war damit angedeutet, nach welchem Zuschnitt man jetzt den Krieg, mit Hülfe der Russen, weiter zu führen, wie man seinen Sieg zu benutzen gedachte. Nimmermehr konnte Ungarn, trotzdem es seine Anstrengungen verdoppelte, trotzdem es im Namen der Freiheit die übrigen östreichischen Provinzen, die nun wieder hochaufhorchten, und gerne auf's Neue losgeschlagen hätten, zu insurgiren versuchte, einer solchen Uebermacht lange trotzen.

Haynau schlug zuerst die Ungarn vor Komorn, und schloß dann die Festung auf's Neue ein; darauf zog sich Kossuth mit dem Reichstag nach Szegedin zurück. Als er auch dort sich nicht mehr halten konnte, verlegte er ihn nach Arad, aber ehe er noch wieder zusammenkam, war[486] Ungarns Schicksal bereits entschieden. Von allen Seiten sahen sich die ungarischen Generale bedrängt und geschlagen. Zuletzt kam es noch zum offenen Bruche zwischen Kossuth und Görgey wegen Bem's Bevorzugung, dem Jener den Oberbefehl gegeben. Als nun Bem bei Temesvar eine entscheidende Niederlage erlitten, legte Kossuth den Oberbefehl über alle Truppen, sowie die Macht Frieden zu schließen, in Görgey's Hände, am Ende auch noch, da dieser es so verlangte, seine Macht und Würde. Heimlich begab er sich nach Siebenbürgen zu Bem, nahm aber das Palladium der Ungarn, die Reichskleinodien des heiligen Stephan mit sich fort.

Der neue Dictator Görgey gebrauchte nun seine Macht, um die bekannte Capitulation von Villagos mit den Russen abzuschließen, in Folge deren am 13. August 23,000 Mann von ihnen vor dem russischen General Rüdiger die Waffen streckten, unter denen sich 11 Generale und 1400 Officiere befanden. Fürst Paskiewitsch konnte an Kaiser Nicolaus den stolzen Bericht senden:

»Ungarn liegt Eurer Majestät zu Füßen!« –

Entrüstet sahen die Oestreicher, daß man sich lieber den Russen als ihnen unterwerfen mochte und ließen dies die Magyaren unter Haynau's Händen schwer verbüßen. Görgey hatte es versäumt, dem russischen Sieger solche Bedingungen zu stellen, die seine Freunde vor Oestreichs Rache würden geschützt haben und sie verfielen derselben jetzt rettungslos.

An einem und demselben Tage erlitten Graf Ludwig Bathyani und noch zwölf andere vornehme Ungarn mit ihm den Tod durch den Strang, ein Verfahren, welches Ungarn niemals vergeben, noch vergessen hat. Man schließe daraus, wie erst gegen das geringere Volk gewüthet wurde. Was Görgey allein entschuldigt, ist der Umstand, daß er für sich selbst eben so wenig gesorgt hatte, wie für die Uebrigen, und er entging dem gleichen Schicksale nur durch die energische[487] Intervention des russischen Generals. Er wurde in Klagenfurt internirt, und ihm später Gratz als Aufenthaltsort angewiesen, wo er seine Memoiren schrieb und das einsame Leben eines Mannes führte, dem das Brandmal des Verräthers an einer heiligen Sache aufgedrückt war. Die Geschichte hat ihn seitdem vielfach von diesem Vorwurf freigesprochen, namentlich seitdem wir Capitulationen erlebt haben, gegen welche die von Villagos nur eine Kinderei ist. Die Zeitgenossen mochten Görgey härter beurtheilen, als er es verdiente; weil man den Mann so hoch stellte und verehrte, hatte man das Außerordentliche, ja das Unmögliche, von ihm erwartet; man hielt damals einen Görgey an der Spitze von 23,000 Soldaten und der entsprechenden Menge von Geschützen für unbesieglich und besser wäre es in der That für ihn gewesen, wenn er seine Truppen in den offnen, wenn auch noch so ungleichen Kampf geführt, und im heißen Schlachtgewühl gefallen wäre, denn sein Leben war fortan doch ein vollständig gebrochenes, welches der Tod vor wenigen Jahren endete.

Auch Haynau traf die gerechte Strafe der öffentlichen Meinung für die Rachsucht, die er in Ungarn ausübte. Selbst die Regierung konnte ihn nicht mehr halten und mußte ihn zuletzt in Ungnade entlassen. Als er sich darauf nach England begab, lehrte ihn dort eine erbitterte Volksjustiz, der er kaum lebend entging, daß die Weltgeschichte mitunter schon sehr bald auch ein Weltgericht ist. – Nur die jungfräuliche Festung Komorn befand sich noch in den Händen der Ungarn und wurde durch den General Klapka ritterlich vertheidigt; sie hielt sich noch bis zum 27. September, dann, weil ja doch Alles zu Ende, übergab sie Klapka unter den besten Bedingungen für die Garnison, sich selbst freien Rückzug nach England vorbehaltend. Bem, Kossuth und viele Andere mit ihnen flohen nach der nahen Türkei, wo der Sultan sie[488] gastlich aufnahm, und, durch England unterstützt, in edelmüthigster Weise allen Drohungen Rußlands und Oestreichs widerstand, welche die Auslieferung Kossuth's und Dembinsky's von ihm verlangten. Sie wurden in der Türkei internirt, bis im Herbst des Jahres 1851 sich Kossuth mit mehreren seiner Freunde nach England begab, wo ihm aller Orten von den englischen Großen, wie von dem Volke, ein enthusiastischer Empfang bereitet wurde. Man sah in ihm, mochte er auch noch so große Fehler gemacht haben, nur den muthigen Kämpfer für ein formelles Recht, wie gegen einen neuen Absolutismus und die Herrschaft des Säbels.

Halbvergessen und ärmlich sich von Stundengeben ernährend, lebt der große Agitator noch heute in England, ein alter Mann, aber treu seinen republikanischen Ueberzeugungen, welche ihn davon zurückhalten, Gebrauch von der Amnestie zu machen, die Franz Joseph 1867 für alle verbannten Ungarn erließ, unter der Bedingung, ihm und den bestehenden Gesetzen Treue zu schwören.

Ungarn hat seitdem errungen, was ihm das Jahr 1848 versprach, in jenem Augenblick aber lag es zerschmettert zu den Füßen eines rücksichtslosen Siegers. Es verlor seine frühere Selbstständigkeit und sollte fortan als östreichisches Kronland mit Verlust seiner alten Constitution in der Gesammtmonarchie aufgehen. Sein Kampf und seine Niederlage beendigten die Revolutionsstürme, welche der März von 1848 erzeugt hatte; stille, mäuschenstille ward es nun wieder in Deutschland, Ungarn, Italien und bald auch in Frankreich – eine schonungslose Reaction begann ungestört ihre Triumphe zu genießen.[489]

Quelle:
Luise Büchner: Deutsche Geschichte von 1815 bis 1870. Leipzig 1875, S. 446-490.
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