An Göckingk

[231] Nun, nun! Verschütt' Er nur nicht gar

Das Kindlein sammt dem Bade!

Das arme Kindlein das! Für wahr!

Es wär' ja jammerschade.


Denn, sieht Er, trotz der Plackerei,

Beim Zeugen und Gebären,

Mag doch die edle Reimerei

Auch viel Profit bescheren.


Trotz Sing und Sang von Cypripor,

Apoll, Achill und Hektor,

Bleibt man zwar Amtmann, nach wie vor,

Auch – Herr Kanzleidirektor.


Denn leichter wird Vokation

Zu Pension und Pfründen

Die kahlste Dissertation,

Als Iliaden finden.
[231]

Auch mästet man sich eben nicht

Von Mäcenaten-Gnade;

Trägt Abcbuchs-Angesicht

Und Schlotterbauch und Wade.


Die Herren von der Klerisei,

Und aus dem edlen Rate

Verschmelzen mehr in Supp' und Brei,

Und prunken baß im Staate.


Doch neid' ich nicht das Bonzenheer

Um seine dicken Köpfe.

Die meisten sind ja hohl und leer,

Wie ihre Kirchturmknöpfe.


Doch – Spaß bei Seite! – Hör' Er an,

Falls ihm mein Ernst beliebig!

Ist denn nicht auch für ihren Mann

Poeterei ergiebig?


Bedenk' Er nur, wie schön das ist!

Verleger, wohlgezogen,

Bezahlen oft, zu dieser Frist,

Mit Louisd'or den Bogen.


Wächst nun im zehnten sauern Jahr

Zehn Bogen stark Sein Bändchen,

So schnappt Er ja an Trankgeld bar

Zehn Blinde, ohne Rändchen.


Das heißt doch nicht für Katzendreck

Sich müd' und lahm kasteien.

Soll denn so viel gebratner Speck

Umsonst ins Maul Ihm schneien?


Herr Ugolino1 muß doch auch,

Nebst Weib und Kind und Gästen,

Nach altem hergebrachten Brauch

Von unserm Hirn sich mästen.


Steht der gelahrte Fakultist

Dagegen doch viel kahler.

Dem setzt es kaum, wenn's köstlich ist,

Zwei Gulden oder Thaler
[232]

Drob ärgern sich nun freilich baß

Die Herren Fakultisten,

Und sticheln Ihm ohn' Unterlaß

Brav auf die Belletristen.


Manch Herr Professor kriegte schon

Vor Kummer graue Haare,

Daß mehr jetzt gilt ein Agathon,

Als Fakultäten-Ware.


Der Ruhm hat freilich große Last

In diesem Jammerleben,

Wie du davon zum Sprechen hast

Ein Konterfei gegeben.


Doch nach dem Tode geht's erst an!

Denn auch bei den Tongusen,

Nach tausend Jahren, ehret man,

So Gott will! unsre Musen.


Dort illustriert man fein aus uns

Antiquitäten-Listen.

Uns liest manch hochberühmter Duns

Gelahrter Humanisten;


Die jetzt aus ihrem Bücherschrein

Verächtlich uns verschieben,

Weil wir nicht griechisch und Latein

Und nicht arabisch schrieben.


Dort preist man unsre Opera

Durch Kommentationen,

Inaugural-Programmata

Und Dissertationen.


Schon hör' ich Krittler-Mordgeschrei

In meinem stillen Grabe:

Wer die Lenore doch wohl sei?

Ob sie gelebet habe?


Man bringt, bald chrestomathice

Und winzig klein in nucem,

Bald kommentiert cum Indice

In Folio ad lucem.
[233]

Wie schön, wenn Knaben, jung und alt,

In jenen goldnen Tagen,

Zur Schul', in Riemen eingeschnallt,

Mich alten Knaster tragen!


Aus mir Vokabeln wohlgemut

Und Phrases memorieren,

Um mich so recht in Saft und Blut,

Vt ajunt, zu vertieren?


Und gehts nicht mit der Lektion

Und mit dem Exponieren,

Dann wirds gar schlecht im Hause stohn. –

Der Junker muß karieren! –


Sieh, was die Reimerei beschert,

Die Du vermaledeiet!

Das ist doch wohl der Federn wert,

Die man darum zerkäuet? –


Nur Eine Angst vergällt den Ruhm,

Den ich mir phantasiere,

Daß einst nicht, wie Horatium,

Mich Hans und Kunz vertiere.

1

Ugolino war Verleger des Gehirns des Erzbischofs Ruggieri in der Hölle. S. Dante.

Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 231-234.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1789)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gedichte: Ausgabe 1789

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die geschwätzigen Kleinode oder die Verräter. (Les Bijoux indiscrets)

Die frivole Erzählung schildert die skandalösen Bekenntnisse der Damen am Hofe des gelangweilten Sultans Mangogul, der sie mit seinem Zauberring zur unfreiwilligen Preisgabe ihrer Liebesabenteuer nötigt.

180 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon