Der kluge Held

[238] Tags vor der Schlacht gerät ein junger Held

In allerlei bedenkliche Bewegung;

Nimmt dies und das in ernste Überlegung

Und bringt heraus: Dein bißchen Löhnungsgeld

Und Lumpenruhm, mein guter König,

Reizt wahrlich unsereinen wenig,

Daß er dafür im Mordgemetzel fällt! –

Als er kaum fertig ist mit Grübeln,

Läuft er zum Chef: »Sie werdens nicht verübeln,

Daß ich, zu meinem bittersten Verdruß,

Gerade jetzt um Urlaub bitten muß.

Denn ach! mein Vater liegt an Todesenden nieder,

So schreibt man mir; ich seh' ihn sonst nicht wieder;

Und ihn verlangt nach mir und meinem letzten Gruß;

O gönnen Sie mir seinen Abschiedskuß!« –


»Sehr wohl! versetzt der Chef, und lächelt vor sich nieder;

Reis' hurtig ab, mein Sohn! Denn nach der Bibel muß

Dein Vater nach Gebühr von dir geehret werden,

Auf daß dirs wohlergeh' und du lang' leb'st auf Erden.«


Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 238.
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