Neue weltliche hochdeutsche Reime

[129] Neue weltliche hochdeutsche Reime,

enthaltend

die abenteuerliche doch wahrhaftige

Historiam


von der

wunderschönen Durchlauchtigen

Kaiserlichen

Prinzessin Europa,


und

einem uralten heidnischen

Götzen,

Jupiter item Zeus


genannt,

als welcher sich nicht entblödet, unter der Larve eines unvernünftigen Stieres, an höchstgedachter Prinzessin ein crimen raptus, zu deutsch: Jungfernraub auszuüben.


Also gesetzet und an das Licht gestellet

durch

M. Jocosum Hilarium,

Poët. caes. laur.


Vor alters war ein Gott,

Von nicht geringem Ruhme,

Im blinden Heidentume.

Nun aber ist er tot.

Er starb – – post Christum natum – – –

Ich weiß nicht mehr das Datum.
[129]

Der war an Schelmerei

Das Weibsen zu betrügen,

Von dem Papa der Lügen

Das ächte Konterfei;

Und kurz, auf alle Fälle,

Ein lockerer Geselle.


Ich hab' ein altes Buch,

Das thut von ihm berichten

Viel schnurrige Geschichten,

Worin manch Stutzer g'nug

Für seinen Schnabel fände,

Wenn er Latein verstände.


Mein unverdroßner Mund

Soll, ohne viel zu wählen,

Nur Einen Kniff erzählen.

Denn thät' ich alle kund,

So wäre zu besorgen,

Ich säng' bis übermorgen.


Eu'r Batzen soll euch nicht,

Geehrte Herrn, gereuen.

Mein Liedel soll euch freuen! –

Doch ihr dort! Schelmgezücht!

Kroaten, hinter'n Bänken!

Laßt nach mit Lärm und Schwänken!


Heda! Hier nichts gegeckt,

Ihr ungewaschnen Buben!

Narriert in andern Stuben,

Nur mich laßt ungeneckt!

Sonst hängt euch, schnaps! am Munde

Ein Schloß; wiegt tausend Pfunde.


Ha! das Donatgeschmeiß!

Kaum hört und sieht's was Neues,

So hat es gleich Geschreies,

So puppert Herz und Steiß.

Geduld! Man wird's euch zahlen,

Euch dünnen Schulpennalen!


Traut nicht! Es regt sich hie,

In meinem Wolfstornister,

Der Kuckuck und sein Küster –

Ein Kobolt – heißt Genie.[130]

Dem schafft's gar guten Frieden,

Wem Gott solch Ding beschieden.


Laßt ja den Griesgram gehn!

Er weiß euch zu kuranzen;

Läßt euch wie Affen tanzen,

Und auf den Köpfen stehn;

Wird euch 'mal begenieen,

Daß euch die Steiße glühen. –


Doch ihr, Kunstjüngerlein!

Mögt meine Melodeien

Nur nicht flugs nachlalleien.

So leicht lallt sich's nicht 'nein.

Beherzigt doch das dictum:

Cacatum non est pictum. – – –


Eu'r Batzen soll euch nicht,

Geehrte Herrn, gereuen.

Mein Liedel soll euch freuen!

Nun schaut mir ins Gesicht!

Merkt auf mit Herz und Sinnen!

Will endlich 'mal beginnen. –


Zeus wälzt im Bette sich,

Nachdem er lang gelegen,

Wie Potentaten pflegen,

Und fluchte mörderlich:

»Schon trommelt's zur Parade!

Wo bleibt die Schokolade?«


Gleich bringt sie sein Lakai;

Bringt Schlafrock, Toffeln, Hose,

Schleppt Pfeife, Knasterdose

Nebst Fidibus herbei.

Denn morgens ging kein Mädchen

Gern in sein Kabinetchen.


Er schlürft' acht Tassen aus;

Hing dann, zum Zeitvertreibe,

Sich mit dem halben Leibe

Zum Himmelsfenster 'naus,

Und schmauchte frisch und munter,

Sein Pfeifchen Knaster 'runter.


Und durch sein Perspektiv

Visiert' er von dem Himmel,[131]

Nach unserm Weltgetümmel.

Sonst mochten wohl so tief

Die abgeschwächten Augen

Nicht mehr zu sehen taugen.


Da nahm er schmunzelnd wahr,

Auf schönbeblümten Auen,

Gar lieblich anzuschauen,

Vergnügter Mägdlein Schar,

Die auf dem grünen Rasen

Sich Gänseblümchen lasen.


Die Schönste war geschmückt

Mit einem leichten Kleide,

Von rosinfarbner Seide,

Mit Fadengold durchstickt.

Die Andern aber schienen

In Demut ihr zu dienen.


Die niedliche Gestalt,

Die schlanken zarten Glieder

Besah er auf und nieder.

Ihr Alter er gar bald

Recht kunstverständig schätzte,

Und es auf Sechzehn setzte.


Zum Blumenlesen war

Ihr Röckchen aufgehoben.

Das Perspektiv von oben

Sah alles auf ein Haar.

Die Füßchen, Knie', und Waden

Behagten Seiner Gnaden.


Sein Herzenshammer schlug.

Bald wollt' er mehr gewinnen.

Da hub er an zu sinnen,

Auf arge List und Trug.

Ihn dünkt, sie zu erschnappen,

Sei's not, sich zu verkappen.


Er klügelt' und erfand,

Nach schlauem Spintisieren,

Als Stier sich zu maskieren:

Doch ist mir unbekannt,

Wie dieses zugegangen?

Und wie er's angefangen?
[132]

Ich mag um Schlaf und Ruh

Durch Grübeln mich nicht bringen,

Allein mit rechten Dingen

Ging solches Spiel nicht zu.

Es half ihm, sonder Zweifel,

Gott sei bei uns! ††† der Teufel.


Kurz um, er kömmt als Stier,

Und graset im Gefilde,

Als führt' er nichts im Schilde,

Erst ziemlich weit von ihr,

Und scheint den Frauenzimmern

Sich schlecht um sie zu kümmern.


Allmählich hub er an,

Sich näher an zu drehen.

Doch noch blieb sie nicht stehen.

Der Krepp wuchs ihr bergan.

Auch ward ihr in die Länge

Die Schnürbrust mächtig enge.


Doch hört nur! Mein Monsieur

Verstand die fintenvolle

Vorherstudierte Rolle,

Wie ich mein A b c.

War er Acteur ich wette,

Daß man geklatschet hätte.


Er hatte Theorie

Mit Praxis wohl verbunden.

In seinen Nebenstunden

Verabsäumt' er fast nie,

Nasonis Buch zu treiben,

Und Noten beizuschreiben.


D'rum that der arge Stier

Sehr zahm und sehr geduldig,

Schien keiner Tücke schuldig,

Und suchte mit Manier,

Durch Kopfhang sich und Schweigen

Empfindsam gar zu zeigen.


Das Mägdlein, durch den Schein

Von Sittsamkeit betrogen,

Ward endlich ihm gewogen.

»Sollt' er wohl kurrig sein?«[133]

Sprach sie zu ihrer Amme,

»Er gleicht ja einem Lamme!«


Die alte Strunsel rief:

»Ei! welche schöne Frage!

Nach alter deutscher Sage,

Sind stille Wasser tief.

D'rum, Chère Enfant, d'rum bleibe

Dem bösen Stier vom Leibe!«


»Ich möchte«, fiel sie ein,

»Ihm wohl ein Kränzel binden,

Und um die Hörner winden.

Er wird schon artig sein,

Wenn ich hübsch traulich rabb'le

Und hinter'm Ohr ihm krabb'le.« –


Fort, Kind! da kömmt er! Ah! – – –

Doch er ließ sacht die Glieder

Ins weiche Gräschen nieder,

Lag wiederkäuend da.

Sein Auge, dumm und ehrlich,

Schien gänzlich nicht gefährlich.


Da ward das Mägdlein kühn,

Und trieb mit ihm viel Possen,

(Das litt er unverdrossen)

Und ach! und stieg auf ihn.

»Hi! Hi! Ich will's doch wagen,

Ob mich das Tier will tragen?«


Doch der verkappte Gast

Empfand auf seinem Rücken

Mit krabbelndem Entzücken,

Kaum seine schöne Last,

So sprang er auf und rennte,

Als ob der Kopf ihm brennte.


Und lief in vollem Trab,

Querfeldein, schnurgerade,

Zum nächsten Meergestade,

Und hui! that er hinab,

Kein Weilchen zu verlieren,

Den Sprung mit allen Vieren.


»Ach! schrien die Zofen, ach!

(Die an das Ufer sprangen[134]

Und ihre Hände rangen)

Ach! Ach! Prinzessin, ach!

Was für ein Streich, Ihr Gnaden!

Nun han wir's auszubaden.«


Allein das arme Kind

Hub, zappelnd mit den Beinen,

Erbärmlich an zu weinen:

»Ach! helft mir! helft geschwind!«

Doch unser Schalk vor Freude

War taub zu ihrem Leide.


Nichts half ihr Ach und Weh.

Sie mußte fürbaß reiten.

Da gafft' auf beiden Seiten,

Janhagel aus der See,

Und hub, ganz ausgelassen,

Hierüber an zu spaßen.


Der Stier sprach nicht ein Wort,

Und trug sie sonder Gnade

Hinüber ans Gestade,

Und kam in sichern Port.

Darob empfand der Heide.

Herzinnigliche Freude.


Hier sank sie auf den Sand,

Ganz matt durch langes Reiten

Und Herzensbangigkeiten,

Von Sinnen und Verstand.

Vielleicht hat's auch darneben

Ein Wölfchen abgegeben.


Mein Stier nahm frisch und froh

Dies Tempo wahr, und spielte,

Als sie nicht sah und fühlte,

Ein neues Qui pro quo.

Denn er verstand den Jocus

Mit fiat Hocus pocus.


Und trat als Kavalier,

In hochfrisierten Haaren,

Wie damals Mode waren,

Mit dem Flacon zu ihr,

Und hub, um Brust und Hüften,

Die Schnürbrust an zu lüften.
[135]

Kaum war sie aufgeschnürt,

Kaum kitzelt' ihre Nase

Der Duft aus seinem Glase,

So war sie auch kuriert;

D'rauf er, wie sich's gebührte,

Comme ça mit ihr charmierte:


»Willkommen hier ins Grün!

Per dio! das bejah' ich,

Mein blaues Wunder sah ich!

Woher, mein Kind, wohin?

So weit durch's Meer zu reiten!

Und doch nicht abzugleiten? –


Indessen freut mich's, hier

In meinem schlechten Garten,

Gehorsamst aufzuwarten.

Ma foi! das ahnte mir.

Heut hatt' ich so ein Träumchen – – –

Auch juckte mir das Däumchen.


Man zog ihr wackres Tier,

Worauf sie hergeritten,

Nachdem sie abgeschritten,

Gleich in den Stall von hier.

Da soll es, nach Verlangen,

Sein Futter schon empfangen.


Sie werden, Herzchen, gelt?

Wohl noch ein wenig frieren?

Geruhn sie zu spazieren

In dieses Lustgezelt,

Und thun in meiner Klause,

Als wären sie zu Hause.


Hier pflegen sie der Ruh,

Und trocknen sich, mein Schneckchen,

Ihr Hemde, sammt dem Röckchen,

Die Strümpfchen und die Schuh.

Ich, mit Permiß, will ihnen

Statt Kammermädchens dienen.« –


Sie sträubte jüngferlich

Sich anfangs zwar ein wenig:

Doch er bat unterthänig,

Und da ergab sie sich.[136]

Nun, hochgeehrte Gäste,

Merkt auf! Nun kömmt das Beste.


Hem! – – – Ha! Ich merke wohl

An euren werten Nasen,

Daß ich mit hübschen Phrasen

Eu'r Ohr nun kitzeln soll.

Ihr möchtet, um den Batzen,

Für Lachen gern zerplatzen.


Doch teure Gönner, seht,

Was ich dabei riskiere!

Wenn's der Pastor erführe,

Der keinen Spaß versteht,

Dann wehe meiner Ehre! –

Ich kenne die Pastöre! –


D'rum weg mit Schäkerei'n!

Von süßkandierten Zoten

Wird vollends nichts geboten.

Hilarius hält fein

Auf Ehrbarkeit und Mores,

Ihr Herren Auditores.


In Züchten, wie sich's ziemt,

Weil mich vor langem Breie

In solchen Schosen scheue,

Meld' ich nur kurz verblümt:

Hier that mit seiner Schöne

Der Herr sich trefflich bene. –


Nun schwammen mit Geschrei,

In langen grünen Haaren,

Der Wassernixen Scharen

Hart an den Strand herbei:

Zu sehen das Spektakel,

In diesem Tabernakel.


Manch Nixchen wurde rot;

Manch Nixchen wurde lüstern;

Jen's neigte sich zum Flüstern;

Dies lachte sich halb tot;

Neptun, gelehnt an's Ruder,

Rief: Prosit, lieber Bruder!


Nun dank', o frommer Christ,

Im Namen aller Weiber,[137]

Daß dieser Heid' und Räuber

Bereits gestorben ist.

Zwar – – – fehlt's auch zum Verführen

Nicht an getauften Stieren.


Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 129-138.
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