254. Das nächtliche Schimmelfuhrwerk.

[199] In alten Zeiten lag zwischen Grabow und dem Dorfe Cremmin ein Rittergut und Dorf Lassahn. Der Gutshof soll zwischen der Nachtkoppel und den sogenannten Mühlenstücker Tannen gelegen haben und Eigenthum eines Rittmeisters1 gewesen sein. Dieser, ein sehr streitsüchtiger Mann, lebte mit seinen Nachbarn und Leuten in stetem Unfrieden, und soll kurz vor seinem Tode in einem Processe einen falschen Eid gethan haben. Seitdem hat er keine Ruhe im Grabe. Von Zeit zu Zeit jagt er des Nachts mit seinem Fuhrwerk, das nach der einen Ueberlieferung mit vier, nach der andern mit zwei Schimmeln bespannt ist, rasselnd durch einige Straßen von Grabow. Wer ihm begegnet, darf ihn nicht anreden, sonst wird er krank oder stirbt noch im selben Jahre.

Zu Anfang dieses Jahrhunderts trieb das Fuhrwerk sein Wesen namentlich auf dem ›Wandrahmen‹. Ein Mann, der dort wohnte,[199] sah eines Nachts einen Wienerwagen mit vier Schimmeln vorbeijagen, riß das Fenster auf und fragte, wohin es gehe. Noch in derselben Nacht schwoll ihm der Kopf so groß wie ein Faß an. Das Fuhrwerk soll stets in die Elde gefahren sein.

Vor etwa 23 Jahren kam ein Mann mit seiner Frau vom Sylvesterball. In der Nähe der Mühle treffen sie einen Leiterwagen mit zwei Schimmeln. Der Mann fragt die darauf sitzende Person, wie es schien, ein Frauenzimmer mit weißem Tuch über dem Kopfe, ob sie zum Arzte wolle; statt der Antwort schlug sie ihn mit der Peitsche. Er starb zwei Jahre danach, wiewohl er erst ein Dreißiger war.

Der Thorwärter erzählt, daß das Fuhrwerk öfter zwischen 12 und 1 Uhr Nachts durch das verschlossene Thor gejagt sei.


Kaufmann C. Martienssen in Grabow.

1

Vielmehr des ritterlichen Geschlechtes Dargeslav, das schon im 13. Jahrhundert urkundlich vorkommt.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 199-200.
Lizenz:
Kategorien: