537. Glocke als Wegweiser.

[389] Auf dem Rittergute Torgelow stand vor Zeiten ein Ritterschloß. Als die Rittersfrau in Geburtswehen lag, schickte der Herr des Schlosses einen Diener nach der nahen Stadt Waren, um einen Arzt zu holen. Der Diener verirrte sich in der Dunkelheit, bis das Geläut der Glocken von Waren ihn wieder auf den rechten Weg führte. Zum Dank gelobte der Ritter, er wolle jeden Abend in Waren die Glocke läuten lassen, um Verirrten auf den rechten Weg zu helfen. Die Torgelower Gutsherrschaft hatte noch lange dem Nachtwächter in Waren, der das Läuten besorgte, alle zwei Jahre ein paar Stiefeln zu geben. Neuerdings ist dafür eine kleine Summe Geldes an die Stelle getreten. Nur am Sonnabend Abends um 9 Uhr wird nicht geläutet. Und das hat folgenden Grund.

Eine fromme Frau in Waren hatte sich am Sonnabend sehr frühe zu Bett gelegt. Sie wachte von dem Läuten auf, glaubte, es sei das Läuten zum Frühgottesdienste, zog sich an und ging in die Kirche. Sie fand die Kirchthür auch offen und hörte Orgelklang und Gesang. Als sie um sich blickte, sah sie lauter Gesichter von Verstorbenen. Sie erschrak, wurde krank und war nach wenigen Tagen todt. Seitdem wird Sonnabend Abends nicht mehr geläutet, damit die Lebendigen nicht zu den Todten gerufen werden.


Seminarist C. Dörwaldt. Vgl. Nr. 531.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 389.
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