90. Unterirdische im Lindenberg.

[82] In der Gegend des Lindenberges, eines Hünengrabes bei Penzlin, als das Holz umher schon ausgerodet, das Land urbar und einem der Mollenstorfer Bauern zur Beackerung überwiesen war, hakten einmal die beiden Knechte desselben. Einer von ihnen bekam so heftige Leibschmerzen, daß er die Arbeit verlassen und sich am Lindenberge ins Gras niederlegen mußte. Auf sein Winseln und Weheklagen eilte auch sein Mitknecht herbei, um ihm womöglich beizustehen. Als dieser aber noch bei seinem Kranken beschäftigt war, gewahrte er plötzlich neben sich zu seiner nicht geringen Verwunderung und ohne daß er wußte, woher es kam, eine Schüssel mit einer kräftigen, dampfenden Brotsuppe nebst zwei Löffeln. Das Gericht sah so einladend aus und roch so lieblich, daß er sofort seinen kranken Genossen ermahnte, davon zu essen, weil sich dann wohl seine Schmerzen geben würden. Doch diesem stand der Sinn sehr wenig nach Essen und Trinken, vielmehr nahm sein Leiden dermaßen überhand,[82] daß es schien, als müsse er mit draufgehen; und erst als sein Kamerad zulangte und auch ihn mit vielen Worten nöthigte, machte er den Versuch, einige Löffel voll hinunterzubringen. Das aber war eine Speise ganz wunderbarer Art, denn es legten sich nicht blos gleich bei ihrem Genusse die Schmerzen, sondern es schien auch darnach neue Lebenskraft den Kranken zu durchströmen. Darum langte er auch eifriger zu, während sein Nebenmann nur zum Scheine löffelte und ihm die ganze Portion allein überließ. Als die Mahlzeit beendet war, war von Schmerzen nichts mehr zu spüren, ja der Kranke fühlte sich kräftiger, denn zuvor, so daß er gleich wieder an seine Arbeit ging. Nun erwachte aber in dem andern Knechte der Neid, daß er nicht auch gehörig von der köstlichen Speise gegessen hatte. Er hatte sie nämlich für eine Kost der Unterirdischen gehalten und darum dem Frieden nicht recht getraut. Jetzt hätte er auch wohl zugelangt, aber es war nichts mehr übrig, und um seinem Aerger darüber Luft zu machen, besudelte er das Gefäß in einer Weise, deren sich billig jeder ordentliche Mensch schämt, wobei er sagte:


›Gewt Ii mi nicks to biten,

So will ick Juch wat ...!‹


Von Stund an verging der Neidhals wie der Tag, während der Andere herrlich gedieh und sichtlich an Kräften und Leibesumfang zunahm.

Einst kamen auch bei dem Lindenberge zwei Leute aus Zahren vorbei, welche von Penzlin heimkehrten. Der eine von ihnen hatte Durst nach Möglichkeit und wußte seiner Noth kein Ende, weil auf dem Wege von Penzlin nach Zahren keine Krüge und auch nicht sonderlich Quellen anzutreffen sind. Als er nun zum Lindenberge kam, hörte er drinnen eine gar prächtige Musik, wie zum Erntebier, und zwischem dem Gebüsch durch schien Licht zu blinken. Weil er nun wußte, daß in dem Berge Unterirdische wohnten, und die Leute der Oberwelt damals noch auf vertrautem Fuße mit den Kleinen drunten lebten, so dachte er gleich, hier könntest du wohl etwas für den Durst bekommen. Während nun sein Gefährte weiter ging, ging er um den Berg herum, um sich den Eingang zu suchen. Als er aber sah, daß all sein Bemühen vergeblich sei, rief er laut den Lustigen drinnen zu ›Heft Ji nich eens to drinken; mi döst't ok gor to dull.‹ Kaum hatte er dies gesagt, als auch schon ein Kleiner mit einem prächtigen[83] Krug neben ihm stand und ihm freundlich zu trinken bot. ›Da,‹ sagte der, ›drink, æwer kik jo nich in den Kroog!‹ Der Zahren'sche Mann ließ sich dies nicht zweimal sagen, und es schmeckte ihm gar köstlich, denn in dem Kruge war ein feiner Trunk von lieblichem Geschmack. Als er aber also trank, flüsterte ihm der Versucher zu ›Lauf mit dem Kruge davon; es ist seines Gleichen nicht, und mit dem Kleinen da wirst du schon fertig.‹ Wie nun der Mann sich umsah, und nur den einen Kleinen gewahrte, lief er ihm, da er nichts Arges ahnte, mit dem Kruge auf und davon. Aber der Unterirdische erhob gleich ein großes Geschrei und alsobald wimmelte aus dem Berge die ganze Schaar der Kleinen heraus und hinter dem großen Spitzbuben her. Aber so eilig und eifrig auch die Bestohlenen trippelten, so vermochten doch ihre kurzen Beinchen nicht mit den langen und schnellen Läufen des Diebes auszuhalten, geschweige denn sie einzuholen. Es war indeß einer unter ihnen, der hatte zwar nur ein Bein, wie er aber sagte ›Een Been loop,‹ da wackelte er lustig fort und war bald seinen Genossen weit voraus und setzte dem Räuber rüstig nach. Er war ihm auch schon ziemlich nahe, denn seine schiefbeinigen Gefährten feuerten ihn fortwährend mit dem Rufe ›Brooder Eenbeen, lop doch!‹ an. Als sie aber dicht vor Zahren an den Kreuzweg kamen und schon fast zusammen waren, sprang der Verfolgte mit einem Satze hinüber und war in Sicherheit; denn dahin durfte ihm ja der Einbeinige aus der Unterwelt nicht folgen. Als dieser nun sah, daß sein Schatz für ihn dahin sei, rief er dem Entkommenen nach ›Du magst den Krug nun behalten und immerfort daraus trinken, denn er wird nie leer werden; aber hüte dich, daß du nicht hineinsiehst.‹ Der Mann, froh, seinen Raub geborgen zu haben, eilte nun heim und bewahrte das wunderbare Geräth sorgfältig auf. Es war so, wie ›Bruder Einbein‹ gesagt hatte. Er konnte, so oft er Durst hatte, trinken und trank auch fleißig ohne Nachtheil, vielmehr schmeckte und bekam ihm der Trunk außerordentlich gut. Als er aber den Krug schon viele Jahre besessen und gebraucht hatte, plagte ihn doch einmal die Neugierde; er sah in das Gefäß und sah im Grunde – eine große häßliche Kröte. Jetzt wars aber auch vorbei. Die Kröte war verschwunden, der Born versiegt und der Krug leer. Der Mann aber siechte in kurzer Zeit elendiglich dahin.[84]

Die alten Mollenstorfer halten die Umgebung, namentlich des Lindenberges, noch nicht für recht geheuer. So soll es besonders Vielen bei Nachtzeit, die den Richtsteig vom Holz zum Dorf bei diesem Berge vorbei nahmen, passirt sein, daß sie trotz des genauesten Bescheidwissens verirrten und auf diesem zehn Minuten langen Wege Stunden, ja wohl die ganze Nacht zubrachten, ohne heim finden zu können.


Vgl. A.C.F. Krohn bei Niederh. 4, 76 ff.; vgl. Oben Nr. 60.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 82-85.
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