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[273] Ein alter fast schon über ein halbes Jahrhundert entschwundener Brauch unter unsern Landleuten ist das Pferdehüten. Die Pferde wurden im Winter zu Fuhren aller Art verwendet, besonders zu entfernteren, im Sommer aber von Hirten auf dem Felde oder in durchforsteten Wäldern gehütet, während die Ochsen an ihrer Stelle zur Bestellung der Ackerwirthschaft verwendet wurden. Die[273] Pferdehirten hatten vor den übrigen Hirten noch ein besonderes Recht, indem sie sich den besten Weideplatz im Frühjahre aussuchen durften. Am ersten Ostertage nämlich versammelten sich sämmtliche Pferdehirten des Dorfes an einer von ihnen vorher verabredeten Stelle, es wurde eine Anzahl großer Sträucher herbeigeholt und am zweiten Ostertage begaben sie sich auf das Feld nach dem jedesmaligen Weideplatz und steckten für ihre Pferde mittelst der mitgenommenen Sträucher eine Fläche Landes ab, die weder der Ochsen- noch Kuh- oder Schafhirte mit seiner Heerde betreten durfte. An der einen Ecke dieses abgesteckten Weideplatzes wurde eine schlanke Tanne eingegraben und oben an dieselbe ein Knittel gebunden zur Warnung für die übrigen Hirten. Diese abgesteckte Fläche Landes wurde Pfingsthege genannt. Darauf begaben sich die Pferdehirten wieder ins Dorf und unterhielten sich bei einer Flasche Branntwein. Vom Mai nun bis zu Pfingsten hin gingen die Pferde auf die Koppel. Am Sonnabend vor Pfingsten aber versammelten sich die Pferdehirten wieder, es wurden einige aus ihrer Mitte ausgewählt, gewöhnlich die ältesten, die mit zwei Pferden zum nächsten Walde fahren mußten, um grüne Zweige und Gesträuche zu holen. Waren diese auf der Pfingsthege angelangt, wurde ein passender Ort auf derselben ausgesucht, eine Hütte von dem Busche gemacht und innerhalb derselben Tische und Bänke aus Brettern. Nach Vollendung der Hütte war auch gewöhnlich der Abend herangekommen. Es versammelten sich nun die Pferdehirten bei der Hütte und mit Peitschen in der Hand gingen sie dem Dorfe zu. Sobald sie das Dorf erreicht, begannen sie mit Peitschenknallen das Pfingstfest anzukündigen. Am Pfingstmorgen noch vor Sonnenaufgang wandelten die Pferdehirten der Koppel zu, um ihre Pferde nach der Pfingsthege zu bringen. Es wurde nun ein Pferd gegriffen, der Hirte, dem es gehörte, schwang sich auf dasselbe und voranreitend folgten ihm die übrigen Hirten mit ihren Pferden unter heftigem Peitschengeknall. So ging es der Pfingsthege zu. Dort angekommen wurde Bier und Branntwein aus der Hütte hervorgeholt und ein lustiges Zechen begann. Hatten sie sich erquickt, so theilten sich die Pferdehirten in zwei Abtheilungen, die größeren und älteren übernahmen das Geschäft des Schnęrens, während die jüngern die Pferde auf der Pfingsthege beaufsichtigen mußten. War es am Pfingsttage[274] gutes Wetter, so strömten die Bewohner des Dorfes zahlreich nach der Pfingsthege, um an den Freuden und Spielen der Pferdehirten theilzunehmen. Jeder, der sich der Pfingsthege näherte oder auch in der Nähe einen Fußsteig, Weg oder eine Straße passirte, wurde von den Pferdehirten aufgehalten und von ihnen geschnęrt mit zusammengebundenen Pferdeleinen, wobei sie alsdann folgende Worte sprachen:


Wi wollen den Herrn wol schnęren

Vul Freuden und in Ehren.

Es möcht' des Herrn gut Wille sin,

Dat hei uns bescheer' ein lütt Bierlin.

Dat mag sin groß oder klein,

So wart dat doch unse Freude sein.


Verabreichte der Geschnęrte eine Gabe, so erwiderte einer der Pferdehirten es mit einem Glase voll Branntwein, sie verabschiedeten sich freundlich und wanderten ihrer Hütte wieder zu. Erhielten sie aber keine Gabe, so wurde der Geschnęrte unter Hohngelächter entlassen. Hatten die Pferdehirten zu Mittag gespeiset, ruhten sie ein wenig im Grase und alsdann begann ein Wettreiten von sämtlichen Pferdehirten, um zu erfahren, welches Pferd am schnellsten laufen und welcher Hirte am besten reiten könnte. Näherte sich der Abend, wurde wieder ein Pferd gegriffen, auf das sich ein Hirte setzen und voranreiten mußte, und im Galopp ging es wieder der Koppel zu, in welcher die Pferde während der Nacht gingen. Die Pferdehirten begaben sich nun unter Peitschengeknall nach dem Dorf. Am Tage nach Pfingsten wurde die Hütte wieder abgebrochen und meistbietend verkauft. Von dieser alten Sitte hat sich nur noch das Schnęren bei den Landhirten erhalten.


Stud. W. Schulz aus Barkow. Vgl. WS. 2, 164, Nr. 461.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 273-275.
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