Zehnter Auftritt

[325] Baldinger. Hermine.


BALDINGER. Cousine, der Moment ist vielleicht gekommen, wo ich mein anscheinend hartes Benehmen gegen Sie rechtfertigen kann.

HERMINE mit Zurückhaltung. Hartes Benehmen? Ich wüßte nicht. Wir sind Gegner und haben uns nicht zu schonen.

BALDINGER. Doch, doch! Wir sind auch Verwandte. Jener Welting hatte mir vor Monaten einen Vergleich angetragen – erlauben Sie mir jetzt, Ihnen die Gründe zu nennen, die mich damals abhielten, auf irgend eine Vermittlung einzugehen. Hermine bedeutet ihn zu sitzen. Sie setzen sich. Ihr Advokat suchte zu beweisen, daß ich das Testament erschlichen. – Die Sache hatte einigen Anschein. Der Name Baldinger war befleckt: ich mußte ihn vor der Welt wieder rein waschen. – Sie lächeln, Cousine? Wahrhaftig, wenn der Adel Ursache hat, einen alten, berühmten, seit Jahrzehnten überkommenen Namen von jedem Makel rein zu halten, so nicht minder der Mann der Industrie. Der gute Name ist sein Erwerb, sein Besitz, sein Leib und Leben, sein Gut und Blut, sein Alles. Die Seele jeden Verkehrs ist Vertrauen, Credit; aber der Credit beruht nicht allein auf Geld und Gut, sondern auf Charakter, auf gutem Namen. – Ich vergaß daher jede Nebenrücksicht, und führte meine Sache zu meiner Vertheidigung, zum Schütze meines Besten. Mein Streben ist mir gelungen. Steht auf, wie auch Hermine. Die Welt weiß jetzt, daß ich im Recht war, daß ich das Recht zu vertheidigen im Stande war. Unser Verhältniß ist nun ein anderes. Erfahren Sie jetzt von dem Verwandten, was Ihnen der Gegner verschweigen mußte: daß der Onkel in den letzten Lebenstagen seine Härte gegen Sie bereute. Ein Blättchen von der Hand des Scheidenden geschrieben, enthält die Worte: »Franz, sorge für Deine Cousine.« Dieß Wort ist mehr als ein Testament. Ich kann und darf meine Bereicherung nicht einer flüchtigen Mißstimmung gegen Sie zu danken haben, ich will Sie, Cousine, einer Erbschaft nicht berauben, die Ihnen seit Jahren zugedacht war. Dieses Dokument übergibt Ihnen das Eigenthum von Allem, was der Onkel besaß; weigern Sie sich nicht, es anzunehmen; es ist weniger ein Geschenk, daß ich Ihnen mache, als eine Last, von der ich mich befreie. Nehmen Sie.

HERMINE. Sie glauben wirklich, daß ich ein solches Geschenk von Ihrer Hand annehmen würde?

BALDINGER. Ich fürchte, nein – denn ich kenne ihre Abneigung gegen mich. Aber noch einmal, Cousine: nehmen Sie das Papier. Sie erweisen mir einen Dienst damit. Mein Recht vor der Welt ist jetzt dargethan, allein mein guter Name steht erst dann völlig rein und fleckenlos da, wenn dieser zweifelhafte Besitz nicht mehr in meinen Händen ist.

HERMINE nach einer Pause. Sie sprachen von einer Mißstimmung des Onkels gegen mich –

BALDINGER. Der Onkel war übel berichtet – aber wahrhaftig nicht durch mich.

HERMINE. Ich glaube Ihnen.

BALDINGER. Er hat später seine Uebereilung eingesehen, darum schrieb er die Worte: »Franz, sorge für Deine Cousine.«

HERMINE. Sie glauben also nicht an meine Schuld, an das harte Urtheil, welches die Welt zum Theil über mich fällt?

BALDINGER. Die Welt? Es gibt nur zwei Wege mit ihr auszukommen; man muß sich entschließen, unbekannt zu bleiben oder – unerkannt. Die Welt kreuzigt den Heiland noch täglich. Unser eigenes Gewissen und das unserer Freunde ist unsere Welt.

HERMINE. Sie wollen mich entschuldigen, Cousin; schon bei unserer ersten Zusammenkunft wollten Sie meine Fehler in einem milderen Lichte darstellen – ich danke Ihnen dafür.

BALDINGER. Sie irren, Cousine! Ich sprach damals nur von den Fehlern des Onkels: seiner Schroffheit, seiner Ungerechtigkeit in der Beurtheilung eines Wesens, einer Persönlichkeit, die er zu beurtheilen nicht verstand.[325]

HERMINE. Wer weiß! er hat mich richtig aufgefaßt. Doch nein! Sagen Sie selbst: bin ich wirklich so voll von Fehlern, von Untugenden? Mein schlimmster Fehler war meine Unerfahrenheit, meine Jugend. Ich war ein verzogenes Kind.

BALDINGER. Ja, ja! das waren Sie.

HERMINE. Von Jedermann geschmeichelt, verhätschelt –

BALDINGER. Bis auf Einen –

HERMINE. Später an einen Mann vermählt –

BALDINGER. Der Ihrer nicht würdig war.

HERMINE. Frühzeitig Witwe –

BALDINGER. Das war der gefährlichste Standpunkt!

HERMINE. Weil er zumeist der Verleumdung blosstellt.

BALDINGER. Und der Verführung.

HERMINE. Jener Auftritt mit Welting – ich erröthe, wenn ich daran denke.

BALDINGER. Der Elende! Aber Sie sind schuldlos.

HERMINE. Warhaftig, ich bin es, war es immer! – Cousin, ich habe meine Fehler erkennen gelernt, und vom Erkennen zum Vermeiden ist ja nur ein kleiner Schritt, nicht wahr? – Meine Fehler, sagt' ich? und unter diesen den schlimmsten, den größten, daß ich Sie jemals für meinen Feind ansehen, daß ich Sie verkennen konnte.

BALDINGER. Sie nehmen also dieses Blatt?

HERMINE. Dieses Blatt?

BALDINGER. Nehmen Sie, Cousine! Es brennt in meiner Hand.

HERMINE. Und was soll ich damit? Was soll ich mit einem Reichthum, den ich nicht anzuwenden weiß? Sie sind der Mann der That, des Wirkens: behalten Sie, was in meinen Händen doch nur ein Spielzeug, in der Ihrigen Waffe und Werkzeug ist.

BALDINGER indem er das Papier in der Hand dreht. So kann ich denn nichts, gar nichts für Sie thun?

HERMINE. Sie wissen Gaben anzubieten, ohne zu kränken, Fehler zu rügen, ohne zu beschämen – Sie haben genug für mich gethan.

BALDINGER wie oben. Zuletzt kann ich doch dieser fatalen Erbschaft nicht froh werden! Wenn Sie sich entschließen könnten, Cousine – nur aus Rücksicht für meinen guten Namen – denn wahrhaftig, nun komme ich mir fast selbst wie ein Erbschleicher vor.

HERMINE besinnt sich, dann rasch. Geben Sie her. Nimmt das Papier. Rufen Sie Welting.

BALDINGER öffnet hastig die Seitenthüre. Herr Welting! Welting!


Quelle:
Dichtung aus Österreich. Anthologie in drei Bänden und einem Ergänzungsband, Band 1, Wien und München 1966, S. 325-326.
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