Capitul III
Wie ein sauber Handwerk er auf dem Schlosse getrieben

[13] Mein Kamerad, so mich bis daher auf der Flucht begleitet und einen Mitschelmen abgegeben hatte, entschloß sich, im nächstgelegenen Dorfe um einen Dienst zu werben und zu sehen, ob er nicht bei dem Dorfpriester oder sonst bei einem guten Peter Muffen möchte conditionieret werden, weil solches sein elender Zustand höchst erforderte, denn ein davongelaufener Jung trägt wenig Geld bei sich. Daher verzehrt er sich auch bald, und weil seine Füße der Reise ungewohnet, tut er wenig Christophels-Sprünge, sondern läuft sich über einer Meile Weges bald satt und krank, welches wir beide damals mehr als wohl empfunden haben. Wir meldeten uns zu Ende dessen, nachdem wir in das bevorstehende Dorf gekommen, bei dem Priester an, und ich wäre sowohl als mein Kamerad bei ihm geblieben, wenn mich nicht seine Magd erschreckt hätte, welche gesagt, daß wir auf künftigen Monat die Säu auf dem Felde hüten und des Pfarrers seinem jungen Hunde aufwarten und [ihn] die Türe zumachen lehren sollten. Vor solcher Arbeit war ich von Natur ein greulicher Abstemius und suchte dero wegen meine Gelegenheit weiter und bat den Pfarrer um ein Viaticum. Aber er sagte, weil ich ihm nicht dienen wollte, wäre ich auch seines Almosens nicht wert, drohte mir noch dazu mit seinem Gebetbuche, so er unter den Armen trug, und, wo ich mich nicht in Zeiten von dem Pfarrhof hinwegpacken würde, wollte er mir solches an den Kopf werfen. »Du Bärenhäuter«, sagte er, »ich möchte wohl wissen, warum du mir nicht dienen willst. Man soll dir faulem Schelmen gewiß ein Kissen unterlegen und Mandeltorten vorsetzen. O nein, die Bauern bezahlen's nicht. Prügel für einen solchen Galgenvogel! Gehe mir nur bald vom Leib und aus dem Gesicht, oder ich werf dir ein Loch in Kopf, du Bärenhäuter, daß du dein Leben lang daran zu gedenken hast. Meinestu Mausekopf, daß der Beck das Brot umsonst bäckt? Nein, nein, Bruder Fink, Geld vor die Fische! so heißt das Sprichwort, wer Essen will, muß auch arbeiten. Willstu die Säue nicht hüten, so bistu mir nichts nütze, und du kannst auch sonst nichts. Du bist ein davongelaufener Schelm! Wüßte ich, wo deine Eltern oder dein Herr wäre, ich wollte dich auf einen Wagen schließen und deinen Leuten wieder zuführen lassen.«

Während dieser Rede ging ich all sachte den Pfarrhof hinaus und schlich mich an der Wand das Dorf hinunter, habe also nicht mehr das Obige verstanden und muß gestehen, daß mich des Pfarrers seine Absolution sehr wenig getröstet, und weil ich fürchtete, er möchte mich dem Schulmeister wieder an die Hände liefern, lief ich desto geschwinder den Lichtzaun hinunter und kam in tiefster Nacht vor ein großes Schloß, welches ich wegen Dunkelheit der Nacht nicht wohl besehen noch betrachten können. Ich meldete mich bei dem[14] Torwärter an, und sein Herr ließ mich bald vor sich kommen, weil ich Dienste verlanget. Ich traf ihn in seinem Zimmer hinter dem Ofen, welches man die Hölle nennet, liegend an, und unangesehen er mich nicht ansah, redete er doch immer mit mir und fragte mich beides, um meine Heimat und meinen Namen. Nachdem ich ihm nun eines und das andere erzählt, sagte er: »Ja, mein guter Landsmann und wackerer Cavalier, wenn du mir nicht davonlaufen willst, so will ich dich behalten, wo du mir aber davonlaufest, so behalte ich dich nicht.« Ich gedachte heimlich: »Das versteht sich ohne das wohl, daß du mich nicht behaltest, wenn ich davonlaufe.« »Darum«, sagte er weiter, »so mußtu nicht davonlaufen, denn ihr Schelmen lauft gerne davon. Es sind mir deinesgleichen wohl mehr weggelaufen. Aber wirstu mir davonlaufen, so wird dir der Schloßknecht nachlaufen und dich so gut hineinbringen, wie du davongelaufen. Alsdann wirstu Prügel kriegen, so gut es die gekriegt haben, die mir davongelaufen sind. Danach will ich dich selbst davonjagen und alsdann kannst und magstu hinlaufen, wo du hinwillst. Ha, ich frag nicht viel nach so einem Jungen, einen Furz und so einen Buben aestimiere ich eines wie das andere, aber wenn du mir getreu und verschwiegen sein willst, so sollstu gute Tage haben.« Ich versprach hierauf dem Edelmann güldene Berge und war froh, daß ich bei ihm bleiben sollte, denn ich merkte wohl, daß keine Schul bei dem Schlosse war, also hatte ich keine große Rute zu fürchten. »Herr«, sagte ich, »Euer Gestreng sei versichert (dazumal hieß man die Edelleute nicht Euer Gnaden wie leider heutzutage), daß ich nicht davonlaufen werde, und laufe ich davon, so sollt Ihr mir beide Ohren abschneiden und an den Galgen mit einem Bindfaden anhenken.« Damit drehte sich der Edelmann auf seinem Lager um und sagte: »Ich muß dich gleichwohl anschauen, du Hundsfutt, du bist ein rechter Gast für mich. Du, Hans«, sagte er zu seinem Torwächter, »gehe und bringe ihm den Liberey-Rock aus dem Brotgewölb und lege ihn dem Bärenhäuter an.« Damit ließ er einen großen Furz streichen und sagte zu mir: »Diesen schenke ich dir zum Angeld, schiebe ihn in den Schubsack, daß er nicht schimmlicht wird, so gilt er dir übers Jahr sieben Groschen.« Ich mußte über diese Rede des Edelmanns mehr als über den Furz, derer ich zuvor schon mehr gehöret hatte, lachen, aber er sagte, wann ich so oft lachen würde, als er einen ließe, so würde ich bei ihm nimmermehr traurig werden.

Mit diesen Worten stund er hinter dem Ofen auf, an welchem Ort er bis daher auf dem Bauche gelegen, weil ich nachmals erfahren, daß dieses fast sein täglicher Gebrauch war, denn er war ein Mensch, dergestalten der Ruhe ergeben, daß er alle Arbeiten für Bärenhäuterei schätzte, und weil ihm von seinen Vorfahren ein ziemliches Gut hinterlassen worden, verzehrte er solches in dem allerelendesten Müßiggang, sogar daß es ein großes Wunder war, wenn er in sechs Wochen einmal in die Kirche gekommen. So wurde ich für diesmal bei diesem Landedelmann[15] angenommen, und weil er noch unverheiratet war, hieß ihn jedermann den ledigen Hahnrei. Sonst hieß er eigentlich der faule Lorenz hinter der Wiesen, weil er vor großer Faulheit selten oder gar niemals über seine eigene Wiese von dem Schlosse aus verreiset ist.

Ich muß nochmals lachen, wenn ich daran denke, wie gar artig es mir bei diesem Lorenz gegangen, ja, ich wünsche mir noch oft in dem Zustand zu leben, in welchem ich damals gelebt, und es ist schon gewiß, daß ich die Zeit meines Lebens keiner solchen Freiheit mehr genießen werde, als ich auf diesem Schloß genossen habe. Er ließ mich bei ihm im Bette schlafen, nicht daß er etwa wegen Abgang anderer Liegestätten solches hätte tun müssen, sondern nur darum, daß ich ihm alle Abend den Buckel kratzen mußte. Er hieß alle seine Leute, sie mochten gleich Manns- oder Weibsbilder sein, Hans. Darum sagte er auch zu mir, wenn wir abends beisammen lagen: »Nun, Hans, mache dich fertig und kratze mir mit der rechten Hand den Rücken und mit der linken den Kopf.« Alsdann mußte ich anfangen, eine Seite hinauf-, die andere wieder hinunterzukratzen. Bald hieß er mich geschwinde, bald wieder langsam, bald stark, bald schwach zufahren, und also zerkratzte ich mir meine Finger, daß mir die Nägel hätten abfallen mögen. In solchem Buckelkrauen schlief er gemeiniglich ein, und damit ihm die Zeit desto kurzweiliger würde, gab er mir unter Tags etliche Geschichtbücher, als den Fortunatus mit seinem Säckel und Wünschhütlein und dergleichen Narrenpossen, zu lesen. Die mußte ich ihm abends unter währendem Kopfkrauen erzählen und daherschwätzen, bis ich merkte, daß ihm Fühlen und Hören vergangen.

Dieses alles, obwohl es unterweilen bis über die halbe Nacht währte, wollte ich noch gerne erduldet haben, denn ich hatte nicht allein ein gutes Bett, sondern er gab mir auch des andern Morgens für meine Relationen einen guten Trunk spanischen Wein. Aber dies war mir am beschwerlichsten, daß er so schrecklich furzte. Denn wenn ich vor großer Kälte den Kopf hinter die Decke stecken und mich erwärmen wollte, da fuhr mir der Gestank in beide Nasenlöcher daumendick hinein, daß ich darüber den Schlucken im Hals bekam. Darüber zerlachte er sich am allermeisten und sagte, daß er viel Comödien gesehen, welche ihn nicht so contentiert hätten wie ich, wenn ich mich über sein falsches Rauchwerk beklagte. »Du Narr«, sagte er, »das halte ich für eine Kunst. Wer weiß, wieviel ich schon Mahnzettel aus der Apotheke bekommen hätte, wenn ich das Ding nicht könnte. Oho! Ich wär schon längst vor die Hunde gegangen, wenn mir an dem hintern Instrument nur die geringste Saite abgesprungen wäre. Nein, mein lieber Hans, furzen ist ein stattliches Regal. Könnte es mancher große Herr so gut als ich, er gäbe ein ganzes Amt darum, und ich halte alle Leute für Narren, die da meinen, es sei eine bäurische Grobheit. Hans, Hans, lieber Hans, die Windsucht hat manchem den Hals zugesperrt, der jetzo noch manchen Schöpsbraten fressen und einen guten Trank Mosler Wein dazu tun könnte. Bärenhäuter[16] sind sie gewesen, warum haben's die Narren verhalten?« »Herr«, sagte ich, »es ist mir auch einer not, dürfte ich ihn wohl mit Ehren hervortreten lassen?« »Nein«, sagte er, »ich verwehr dir's zwar nicht, aber wenn du es tun willst, so tue es nicht in meinem Bette, sondern nimm einen höflichen Abtritt und gehe vor die Kammertüre hinaus. Da magstu donnern, daß die Ziegel aus der Mauer fallen.« Auf solches stund ich auf, und so gut es der Edelmann in seinem Bette machte, so gut machte ich es vor der Kammertür, und machten [wir] es beide so contrabunt untereinander, daß er sich letztlich nicht gescheuet, mit mir um einen Groschen zu wetten, welcher die Nacht hindurch mehr lassen könnte.

Er legte vor großer Nachlässigkeit oft in drei Wochen kein neu gewaschen Hemde an. Daher wuchsen ihm auf dem Leib, wie leichtlich zu erachten, die Müllerflöhe mit Haufen, und wenn wir dann morgens im Bette saßen, wandte er mir seinen Rücken zu. Da kriegte ich ihm das Hemd von den Schultern und durchsuchte alle Nähte, darinnen die Läuse wie Hanfkörner saßen und wie die Speckschwärtlein hervorglänzten. Von zwölf dergleichen Gewandläusen hatte ich einen Zweier, also bekam ich oft die Woche hindurch dreizehn bis vierzehn Groschen Läusegeld und verdiente mit dieser Arbeit mehr als mancher Fronbauer auf der Wolfsjagd eine ganze Woche. Wenn ich nun ein Stück oder sechzig aus seinem Hemde beisammen hatte, so schloß er sie in ein kleines Schächtlein. Alsdann kriegte er auch seine Hosen vom Bettschemel herauf. Darinnen saßen gemeiniglich die allergrößten und lebhaftigsten. Wenn ich dann die Nase darüber rümpfte, sprach er: »Hans, du bist ein Narr, ein Bärenhäuter bistu, Hans. Diese Dinger sind über alle Edelgestein, nur daß sie nicht so hoch aestimiert werden. Es ist keine größere Lust, du Narr, als wenn man sich den Tag hindurch von den Läusen wacker beißen und kützeln läßt. Abends alsdann tut es desto besser, wenn man sich, wie du mir tust, brav abjucken und den Buckel wacker abkrauen lässet. Ach, Hans, du weißt noch nichts um die wahre Gemütsruhe und rechte Wollust dieser Welt. Reiten, Tanzen, Fechten, das sind Narrenpossen. So ist auch in großen Banketten und in der fiebermentischen Frauenzimmer-Lieb kein großes Vergnügen. Aber, Hans, das Buckelkrauen geht über alles.« »Ja, Herr«, sagte ich, »ich glaube Euch's gar gern, aber mir tun meine Finger so wehe, daß sie mir fast zu schwären anfangen.« »Ha«, sagte er, »der Sache ist bald geholfen. Heute abends nimm meine Kleiderbürste, die tut mir wohler als zwanzig deiner Nägel.« In solchem Discurs sammelte er ein Schächtlein voll mit Läusen. Alsdann war dieses seine Morgenlust, wenn er ein Kohlfeuer in die Kammer bringen ließ und solche wie das Pulver darauf streute. Da konnte er sich über dem Krachen der Läuse dergestalten ergötzen, daß er in die Höhe aufsprang und Juhei dazu schrie, wie die Ländler Bauern, wenn sie von einem Deberey (so heißen sie das Verlöbnis) heim und nach Hause gehen.

Quelle:
Johann Beer: Das Narrenspital sowie Jucundi Jusundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Hamburg 1957, S. 13-17.
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