Fünfter Auftritt

[168] Nacht. Zimmer Fausts.


FAUST allein. Halbe Erleuchtung. Einst lebte ich, wie ein Uhu, als ich mein Weib, meine Kinder, mein Vermögen, mein Alles verlor, und glaubte, auf der niedrigsten Stufe des Elends zu stehen; ach! – es gab noch tiefere Stufen, noch einen Abgrund unter dem Abgrunde. – Wehe dem Sterblichen, der dies erfährt! Ich möchte jener Uhu seyn. Damals gehörte ich noch zu den Menschen. Und wem gehöre ich jetzt? – Hu! – Das Hinüberschwindeln in die Geisterwelt dient dem Erdebewohner nicht. Es hat nicht seine Dornen, es hat seine glühenden Dolche. Ach, es sondert, mitten unter den Menschen, von den Menschen und ihren Freuden ab! – Aber soll ich meine noch übrigen Tage hindurch wehklagen? soll ich mir hier die Hölle schon bauen? Ich habe ja einen Geist, der mir geben muß, wenn die Menschen mir nichts mehr geben. Hephata Gehenna, Hephata Gehenna! Gog erscheint.

GOG. Was begehrst Du?

FAUST. Ruhe, Freude, Genuß!

GOG. Nenne mir, welche Genüsse Du verlangst?[168]

FAUST. Nenne Du sie mir! Kannst Du nichts erfinden?

GOG. Willst Du schöne Weiber, eine leckere Tafel, eine lockende Musik?

FAUST. Deine Genüsse sind alltäglich, wie Du selber; nein, ich will ein fremdes Gestirn sehen!

GOG. Ein fremdes Gestirn? Das kann ich Dir nicht zeigen, und selbst Satan vermag es nicht.

FAUST. Aber ich will es sehen, und befehle Dir, zu gehorchen.

GOG. Und wenn Du die ganze Hölle aufbietest, so vermag sie Dir dies nicht zu gewähren. Die Menschen sind von dem Ewigen mit diamantenen Ketten an die Erde gebunden, und auch unser Gebiet reicht nicht weiter.

FAUST von dessen Haupt eine Flamme auflodert. Nun so führe mich zur Spitze des höchsten Berges auf der Erde, führe mich zur Spitze der Cordilleras.

GOG. Nein, das vermag ich itzt nicht!

FAUST bei dem eine zischende Schlange vorüberfährt. Wie, Elender? Du weigerst Dich, meinen Befehlen zu gehorchen? Bist Du nicht meiner Herrschaft unterworfen? Ein Donnerschlag erschallt. Was war das? Kömmt ein Gewitter?[169]

GOG. Ich muß fort. In der Hölle sehen wir uns wieder. Verschwindet.

FAUST. Wie geschieht mir? Mir wird so angst. Warum verläßt Gog mich? Ist meine Herrschaft zu Ende? O nein, nein! Ich will noch nicht hinunter! Mir graut vor dem, was da kommen soll. Mir graut fürchterlich! Satan erscheint. Was willst Du, Satan? Ich habe Dich nicht gerufen.

SATAN. Ich komme ungerufen, um Dir zu verkündigen, daß das Ende Deines Lebens naht. Bereite Dich, mit mir zur Hölle zu fahren. Noch in dieser Nacht bist Du mein! Verschwindet.

FAUST. Welch Entsetzen, welch Grauen überfällt mich! Welch ein Donner hat meine Seele erschüttert! Was soll ich beginnen? – He! Rudolph! Rudolph! Wo bist Du? Rudolph!

RUDOLPH der gelaufen kömmt. Hier bin ich!

FAUST. Auf, Rudolph! Eile zu Wagnern; zu Marianen, zu Paulina, zu meinen Kindern, zu allen, die ich auf Erden mein nannte; sie sollen insgesammt hereilen, als wenn höllische Gewissensangst sie vor sich hertriebe!

RUDOLPH. Aber es ist ja Nacht.

FAUST. Und wenn es die Nacht vor dem jüngsten Tage wäre; rüttle sie auf, wenn sie im Todesschlaf liegen, reiße sie hieher, wenn bleierne Krankheit[170] sie umklammert hält; sage ihnen, daß die Zeit und die Ewigkeit hier im Kampfe lägen, und daß die Ewigkeit siegen würde! Hörst Du? Geh', eil', als wenn ein böser Geist Dich verfolgte!

RUDOLPH. Ach das Gott erbarm! was ist das? Ab.

FAUST allein. Ihr ewigen Mächte dort oben, ihr seyd stärker, denn die Hölle. Als der Erzengel Michael mit dem Teufel stritt, da hat er den Sieg davon getragen. Erbarmt euch nun über einen armen Sterblichen, dessen Seele die Hölle umklammert hält, und rettet ihn! Ihr könnt es. Ich will zu dem Ewigen beten! Hebt die Hände gefaltet empor. Ich kann nicht beten! Weh mir! Geht voll Seelenangst umher. Aber es ist nicht so! Wie! Ich hätte einen Bund mit dem Teufel? Das kann nicht seyn! – Ach, es kann seyn! es ist! – O Entsetzen und Grauen, o unendliches Weh! – Wo bin ich? Bin ich schon in der Hölle? Nein, und ich will nicht hinunter, ich will hier bleiben! – Ist kein Erbarmen, kein Erbarmen, – nirgends Erbarmen? – Ihr Todten steht auf, und helft mir! Ihr Lebenden kommt herbei, und rettet euren Bruder! Ich bin von einem Weibe gebohren, wie ihr; ich habe auch an einer Mutter Brust gelegen, und mir graut vor den Qualen der Ewigkeit. –[171] Der Ewigkeit? Ich bin ja nicht auf ewig, ich bin ja nur auf wenig Jahre sein! Aber das Entsetzen ergreift mich mit eisernem Arme, als wär es auf ewig.


Quelle:
Benkowitz, Karl Friedrich: Die Jubelfeier der Hölle, oder Faust der jüngere. Berlin 1801, S. 168-172.
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