Fatales Abenteuer einer Dame, die einen neuen Hut aufhatte

[222] Nach Franc Nohain


Eine schöne Dame ging,

Trippeltripp,

Spazieren.

Ach, was für ein schöner Hut

Tät das Haupt ihr zieren!


War aus Nichts der Hut gemacht,

War erdichtet, war erdacht,

Ein seliger Traum, eine reine Idee.

Aber ein jeder mußte sich sagen:

O glücklich, die den Hut darf tragen;

Er stammt aus einem guten Atelier!


Sie möchten wissen, woraus er bestand,

Und denken sicher an allerhand:[222]

Spitzen, Blumen, Samt, Mull, Stroh

Oder so,

Seide, Pelzwerk, Filz, Plüsch, Band,

Und was immer sonst für Tand

Künstlergeist und Künstlerhand

Hold erfand, –

Aber no:

Dieser ganze Hut bestand

Aus dem Vogel Tütrüo,

Der im fernen Inderland

Irgendwo

Sich von süßen Früchten nährte,

Bis das Glück es ihm bescherte,

Daß auf einer Prachtfrisur

Nicht mehr bloße Kreatur,

Nein: zur reinen Kunst er werde,

Blüte edelster Kultur.


Seiner früheren Natur

Wurde insoferne nur

Etwas Rechnung noch getragen,

Als vier Weinbeerln vor ihm lagen.


Es wird Sie wohl nicht wundernehmen,

Daß unsre Dame zufrieden war

Mit diesem ebensowohl bequemen

Wie geschmackvollen Schmuck auf ihrem Haar.

Sie konnte sich selbst nicht satt dran sehen

Und blieb, wo nur ein Spiegel war,

Mit heitrem Antlitz selig stehen

Und fand ihn wieder und immer wieder,[223]

Vorm Juwelier wie vorm Konditer,

Einfach süß und wunderbar.


Der schöne Vogel Tütrüo

War aber nicht vollkommen so

Wie seine Dame des Daseins froh:

Er fand es vielmehr blöde

Und öde,

Ganz ohne Unterlage von Stroh

Allein mit seinem Flügelpaar

Einen Hut zu bilden auf bloßem Haar,

Und zwar

(Was ihm besonders peinlich war)

Gratis und ohne Honorar.


Drum nahm er die Gelegenheit wahr,

Als seine Dame mit einem Herren konversierte,

Der auf einem stattlichen Rotfuchs saß,

Und fraß

Eine der Weinbeerln, die ihn schon lange intrigierte;

Wobei es ihn im mindesten nicht genierte,

Daß sie aus Wachs war oder Glas.

Im Gegenteil, sie schmeckte ihm sehr gut

(Vielleicht in seiner Eigenschaft als Hut),

Und so fraß er auch die zweite, die dritte, die vierte.

Und, wie die Dame weiter kokettierte,

Tat er, was jeder Vogel tut,

Der sich an Früchten delektierte

(Glas oder Wachs geht ebenso ins Blut),

Das heißt: er lud

Ein grünlich-weißes Häufchen ab und sang[224]

Kwitü – trüo! Kwitü – trüo!

(Daher der Name Tütrüo!)

Und schwang

Sich in die heitre Bläue

Ganz ohne Scheu und Treue

Und Reue.


O himmlische Gnade! O gütiger Gott!

Die Dame war nun ohne Kapott.

Hutlos,

Mutlos,

Schwere Not,

Stand sie auf der Straße,

Und, weil es November war,

Fuhr der Wind ihr durch das Haar

Wütend mit Geblase.


Und das Haar war rot.


Wie der Rotfuchs das erblickte,

Drauf der Reiter saß,

Blicke der Wehmut gen Himmel er schickte,

Tränen er sechse im Auge zerdrückte,

Aber das Haar er fraß.


Denn sein Sohnesherz erkannte:

Derer, die er Mutter nannte,

Roter Schweif war dies,

Eh der Menschen Eigennutz und Tücke,

Kalt der andren Gottgeschöpfe Glücke,

Unbarmherzig hin sie morden ließ,[225]

Daß des stolzen Schweifes Röte

Als Perücke

Jener Dame Hauptschmuck böte.


Ja, er fraß es ganz und gar,

Pietätvoll, wie er war,

Dieses schöne rote Haar.


Die Dame aber bekam einen Katarrh.


Denn der November ist nicht zart

Mit denen, welche unbehaart

Und unbehutet sind.

Da schadet schon der kleinste Wind.


Sie fühlt sich auch heute noch gar nicht wohl,

Trotz Antikatarrhin und Sozojodol.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 222-226.
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