Der alte Orgelmann singt:

[83] Einst in meinen Jugendjahren

Hab ich Liebe viel erfahren,

In der Bel-Etage sowohl

Wie Sout'rain und Entresol.


Bin ein frecher Fuchs gewesen,

Machte nicht viel Federlesen,

Rupfte hier und rupfte da,

Lina, Laura, Lucia.


Als Student hat man es leichte,

Denn es heißt selbst in der Beichte:

Studiosus fecit id?

Macht ein Rosenkränzlein quitt.


Und so lebt man wie die Finken,

Drückt auf rauh und glatte Klinken,

Führn sie nur zum Kämmerlein,

Wo die lieben Mädchen sein.
[83]

Jetzo bin ich alt geworden

Und im grauen Katerorden

Allerältster Senior;

Komm mir selber putzig vor.


Von dem ganzen Lie-la-lieben

Ist kaum ein Gedicht geblieben,

Das erbärmlich klagt und klingt

Und Erinnerungen singt.


Traurig dreh ich meine Walze,

Die, belaugt vom Thränensalze,

Förmlich um Erbarmen steht,

Weil es mir so übel geht.


Laß ich meine Walze rasten,

Dreht da drüben ihren Kasten

Laura, einst die schönste Maid,

Jetzt ein Weib im Lumpenkleid.


Sie auch hat es toll getrieben

Mit dem gottverfluchten Lieben,

Darum, hör es, Publikum,

Dreht sie das Harmonium.


Oh ihr netten jungen Leute,

Liebt mit Maßen und gescheute,

Bis ihr, tadellos gesund,

Schließet einen Ehebund.
[84]

Denn die allerschlimmste Ehe

Thut noch immer nicht so wehe,

Wie das Leierkastenspiel,

Denn dies ist kein Lebensziel.


Kinderzeugen dahingegen

Macht Vergnügen und bringt Segen,

Wenns geschieht im Ehebett

Standesamtlich und honett.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 83-85.
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