364. Der Kalwer Jahrtag176.

[411] Anno 1530.


Die Manier und Ordnung des gräfl. Calwen'schen Jahrtags wird abermals beschrieben mit einer kleinen Abänderung etc.

Anselm Graf von Calw hat die wunderseltsame stiftung auf dem wurmlinger Berg gestift, wann er aber gelebt, das ist verloren, damit es nun der stiftung nit auch also ergehe, hab ich sie hienach sezen wollen.

In das Kapitel des wurmlinger Bergs gehören die stätte Tübingen und Rottenburg, sammt der umligenden Flecken Priesterschaft. Die haben ihren eigenen Decanum und Cämmerer, der solle alle Jahre auf Montags nach aller Seelentag mit sammt einem Diener, oder Zweien, auf den wurmlinger Berg gehen, da soll er finden vor dem Thor des Kirchhofs, auf gemeltem Berg ein wohl gut gespalten dürr Holz, das gern brenne und nicht rauchet, dazu ein Sack vol guter wol gebrennter Kohlen; darnach sol auch da sein ein Wagen voll Hew, darauf sol sitzen ein Hasel braune Gans welche der Cämmerer dem Fuhrmann, so das Hew geführt hat, schenken soll, zu einem Zeugniß, daß auf Morgen einem jeden Priester, so gegenwärtig sein werde eine eigene Gans fürgestellt werden solle177.[412]

Weiter soll dasein ein wohlgemäster drei Järiger Stier, desgleichen drei gemäste Schwein, nemlich ein Milchferlin, ein Järling und ein zwei Järling, die sollen auch durch einen Mezger besichtiget werden, damit sie nit pfinnig seyen.

Ferner soll der Cammerer allda finden dreierlei Bier, nämlich järigs, zwei järigs, und drei järiges. Dieweilen aber das Bier in dieser Landsart, und dieser Zeit bös zu bekommen, haben sich die Kapitels Verwandte Priester mit dreierlei Wein, da der eine Rappus, der ander alt und der dritt new, doch weis seie, abtätigen lassen.

Desgleichen soll auch da sein dreierlei Brod, nemlich Semmel, Kern- und Roggenbrod, und je drei umb ein Schilling gebacken werden.

Auch soll da sein ein geschickter Mezger, und ein berühmter Koch, der alles obgemeldte wol wisse zuzurichten und zu kochen.

Alsdann soll deß Abts von Creuzlingen Pfleger178, so auf diesem Berg seine Wohnung hat, er seie ein Geistlicher oder weltliche Person, der Mezger und der Koch, sammt allem anderem Gesind, das zu dienen allda gebraucht wird, dem Cammerer einen Eid schwören, daß sie deren obangezeigten Ding nichts in keinem andern Weg verändern wollen, als wie er sie bescheiden werde; darumb soll ihme auch ein eigen beschloßen Gemach, alle ding darinnen zu behalten, eingeben werden und solches alles wie ob geschrieben stehet, sollen auf bestimpten Tag verrichtet werden.

Morgens, das ist auf Zins-Tag nach aller Seelentag sollen der Decanus und alle Capitul Herren, sammt den Mietlingen oder Helfern beder Städt, Tübingen und Rottenburg,[413] auf dem Berg obgemeldt früe, es seie zu Roß oder Fuß, kommen und ihre Kuzkappen mitzubringen, bei Straf eines Moden Dinkels, mit deren ein jeder, so zu spat kommet, gestraft wird, bleibt er aber gar aus, wird er gleicher gestalten gebüßet. Es mag auch ein jeder mitbringen seinen Messmer, oder sonst einen Schüler, derselbig soll seinem Pfarrherrn gleich gehalten werden.

Und es sich's begebe179, daß einem Capitulherrn, wer er wäre, unterwegen, wenn er auf den Berg ziehet, eine ehrliche Person, eine oder mehr bekäme, die mag er laden, und also einen oder mehr Gäst mit sich bringen, doch soll er solches, sobald er auf den Berg kommet, dem Cämmerer anzeigen, damit man solche Gäst nach Ehren wisse zu halten180.

Man soll auch einem Jeden, der ein Roß mit sich bringt, einen newen Kübel, und einen Vierling Haber darein, dem Roß zum Futter, dazu auch einen Strick, das Roß daran zu binden, geben und zustellen, solchen Kübel und Strick hat eines jeden Capitulherrns Messmer zum Gedächtniß, möcht mit ihme heimzunehmen.

Wenn nun die Capitulherren also am Morgen auf dem Berg zusammen kommen seyn, sollen sie ihre Stiefel und Sporn außziehen, und die Kuzkappen anlegen, vor der Kirch, auf vilgedachtem Berg ligend, und bei des Stifters Grab ein Vigilien beten. Darnach soll der Decanus des Capitels ein Seelenampt singen, und die Capitularen zu opfern gehen, auch mittlerweilen zum teils etliche Meß lesen. Unter diesem Amt verkündet ein Priester181 dem Stifter sein Gemal und Kinder, auch sihet der Cämmerer mittlerweil ein mal[414] oder zwei in die Kuchen, ob das Feuer recht und ohne Rauch brenne. Nach dem Ampt der Messe gehet man wider zu des Stifters Grab, singet ein Vesper Placebo, sammt angehängten Collecten.

Darnach stehet der Decanus in der Kirchen vor dem Seel-Altar und die Capitulherren, angetan mit ihren Kuzkappen, neben ihme nach der Reihen, da bedeckt er Zween seiner Astanten mit der Stola, alsdann verliset der Cämmerer den Willen des Stifters mit verständlicher Sprach, und erkläret alles, was darin nicht verständlich gesetzt wäre. Darauf müsse alle Capitulherren mit abgesenkten Fingern in das plenarium einen Eid schweren, daß solche Stiftung als bis angehero gehalten worden seye, allein das ausgeschlossen, daß man jezo Wein für Bier zu trinken fürsetzet.

Auf solches bittet der Cammerer die Capitulherren182, sammt allen, so gegenwärtig seyn zu Gast, und weilen sie sich um den Vorsitz zanken, oder verlängern, gehet er hinab gehn Sulchen, welches unten am Berg ligt und spannet daselbsten auf dem Kirchhof des oben gemeldten gemetzgeten Stiers Haut auß, so breit sie mag, und heißet die außsätzigen Leut, so sich allda, vermög der Stifftung versammelt haben, niedersitzen. Darnach kommt er wieder zu den Capitulherren und Gästen, nimmt ein Semmelbrod, hölet das auß und stellet das einem jeden für, darein legt ein jeder Capitulherr einen Pfenning, aber ein Gast gibt was er will, solches Geld trägt er zu den Armen, die auf dem Kirchhof umb die Stierhaut sitzen, und theilets unter sie aus.

Mittlerweilen trägt man für die dreierlei Brod, und setzet dreierlei Wein für, je zweyen und zweyen zusammen,[415] und alsdann spricht man das Benedicite. Darauf befiehlt der Cammerer dem Koch anzurichten.

Also setzet man erstlich für die drei Schweinsköpf geröstet, und nachdem man darvon gessen hat, hebt man die wieder auf, sammt Wein und Brod, was auf dem Tisch ist, und gibt es den Außsätzigen, die bei der Stierhaut sitzen.

Darnach legt man wider dreierlei Brod auf183, und trägt auf ein Beissen von der Gans, Füß, Leber, Flügel, Magen und dergleichen, und wan man solchen gessen hat, hebt man solches auf, sammt Wein und Brod, und gibt es vorgemeldten armen Leut.

Darnach setzet für gesotten Hennen, Brüh und Fleisch, frisch Wein und Brod, was überbleibt, alles aufgehoben, und armen Leuten mitgetheilt; also wird es auch mit dem Pfeffer gemacht.

Darnach setzt man für gesotten Fisch in einer wohlgewürzten Brüh, aber alsdann legt man nur zweyerlei Brod, nemlich Semmel und Kernen-Brod, und schenkt ein dreierlei Wein, mit dem aufgehebten aber wird es, wie obgemeldt, gehalten.

Volgens wiederum frisch Wein und Brod fürgelegt und je zwei und zweien Capitulherren fürgesetzt eine gebratene Ganß, darinnen soll stecken ein gebraten Huhn, und in dem Huhn ein Bratwurst, damit aller guter Ding drei seien184: und von solchem mögen sie ihren Gästen, Messmern und Schülern und andern so zugegen seyn, etwas für zulegen, daß übrige alles, wie obgemeldt, soll mit Wein und Brod aufgehoben und den armen Leuten geben werden.[416]

Zuletzt setzt man für Käß, Kuchen, Nuß, Trauben, Pirn und dergleichen, und wann solches aufgehaben, gibt man das den armen Leuten, also daß von diser Mahlzeit nichts überbleibt, das nicht armen Leuten mitgetheilt werden solte. Uiber das solte man auch den armen Leuten Kochen und fürsetzen Brüh und Fleisch, auch einen Pfeffer darzu jedem einen Becher mit Wein darsetzen.

Wann nun also die Mahlzeit vollbracht, das Gratias gesprochen, und die Herren vom Tische aufgestanden seyn, gehen sie in die Kirch in den Chor, und halten Rat, ob ihme mit dieser Mahlzeit, vermög der Stiftung genugsam geschehen seie oder nit, daß ihm genugsam auch sonsten der Stiftung gelebet worden, alsdann geht der Decanus der Abt zu Creuzlingen und sein Convent als verrichter diser Stiftung frei, ledig und loß, alle Forderungen und Ansprachen, die man im Fall wo Mangel vorhanden gewesen an ime, oder dem Convent mit oder ohne Recht haben möchte, in allweg.

Darnach verlist man die Stiftung wieder offentlich185. Es mögen auch die Capitulherren, wann es ihnen gelegen, ein Summa Gelds vor die Mahlzeit nehmen, doch solle den Armen an ihrer Gerechtigkeit kein Abbruch, wie oberzählt, damit geschehen.

Und ob es sich begebe, daß dise Stiftung in einem oder mehr Punkten nit gehalten würde, alsdann sollen alle Nutzungen und Einkommen des vorgemeldten Bergs, dem Kloster Kreuzlingen entwendet, und wiederum zu dem ältesten Grafen Calw fallen, der solle alsdann, zu einem Zeugniß einen Goldgulden reitend auf einem Pferd und in dem Stegreif[417] stehend, über der Kirchen-Thüre deß gemeldten wurmlinger Berges, außwerfen und schnellen und soll darnach er und seine Erben, solche Stifftung zu verrichten schuldig seyn186.

Am Abend gibt man dem Gesind Brüh und Fleisch, und 10 Schilling zu dem Abschid, und darnach alles übrige, es seie gekocht oder unkocht, den armen Leuten.

Dise Stiftung ist noch Anno 1530 gehalten worden, wie oben erzählt.

Magister Joh. Georg Walz, protest. Pfarrer in Rudersberg, bemerkt in seinem 1657 herausgegebenen Werk, betitelt: Fürstl. Württembergische Stamm- und Namensquell, Fol. 119 also:

»Dise Historia gibt genugsam zu verstehen, daß auch vermeldter Graf zu Calw des Closters Creuzlingen milder Gutthäter gewesen, und weilen der Abt zu Creuzlingen dise Stiftung nunmehr in 126 Jahr unterlassen, daß der Grafschaft Calw hinterlassene Stamm-Erben gut Fug und gegeben Recht, die gestiftete Gefäll dem Kloster Creuzlingen wider zu entziehen, und des Stifters Freigebigkeiten an den reinen Evangelischen Gottesdienst zu verwenden.«

176

Diese Beschreibung ist einer Abschrift im Archivium Wurmlinganum entnommen S. 176. Das Original ist in Kreuzlingen bei Konstanz, wo die Urkunden über den uralten Brauch aufbewahrt sind, die ich in einer eigenen kleinen Schrift bald geben kann. Hinten vergleiche die älteste Urkunde in den Anmerkungen.

177

S. 177.

178

S. 178.

179

S. 179.

180

Vgl. oben S. 176 u. 177 Anmerk.

181

S. 180.

182

S. 181.

183

S. 182.

184

S. 183.

185

S. 184.

186

»NB. Folgendes Jahr ist die Priesterschaft Tübinger Kapitels meistenteils lutherisch, mithin die obbeschriebene Stiftung nachgehends nit mehr auf vermeldete Weise gehalten worden.«

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 411-418.
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