13.

[168] Divine amitié, felicité parfaite,

Seul mouvement, de l'ame où l'excès soit permis!


VOLTAIRE.


Unsre Nachbarn haben einen kleinen, ganzen Roman aufzuweisen, der beynahe auf Freundschaft allein gebauet ist. Ich will zwar nicht entscheiden, ob sein Verfasser diesen Gegenstand so bearbeitet und genützt habe, als er genützt zu werden verdient? aber davon bin ich vest überzeugt, daß all' unsre gewöhnlichen Liebesgeschichten nie so anziehend werden können, als es Freundschaft, auf eine gewisse Art behandelt, werden kann.

Zwar weis ich, daß in den neuern Zeiten, Verbindungen dieser Art, nicht mehr die Innigkeit, den Werth, den Umfang haben konnen, den sie in[168] den ersten Zeiten der Welt haben mußten; aber noch sind sie nicht unwahrscheinlich, noch sind sie nicht ohne Reiz.

Solch eine Verbindung führt so viel Glückseligkeit bey sich; sie macht das Leben so leicht, so angenehm; sie kann so natürlich zur Lehrerinn, zur Anführerinn der sanftern, gefälligen Tugenden werden; – ihre Behandlung kann ferner zur Entwickelung so vieler Falten des menschlichen Herzens dienen, und, indem wir dabey die verschiedenen Einschränkungen sehen, die unsre Eigenthümlichkeiten annehmen müssen, wenn wir im geselligen Leben glücklich seyn sollen, – können wir ferner dadurch der Glückseligkeit dieses geselligen Lebens um so mehr fähiger werden: einer Glückseligkeit, die für den rechtschaffenen, nicht nach Sclaverey dürstenden Mann, eine der wichtigsten und anständigsten ist, – daß ich aller dieser Ursachen wegen, mir es nicht versagen wollen, einige Bemerkungen über die Freundschaft niederzuschreiben.

Ein französischer Scribent (es ist Rochefaucault oder La Bruyere) behauptet, daß die Freundschaft dem Menschen nur eine sehr kalte Nahrung gewähren, und kaum Statt für ihn haben könne, wenn er einmal die Liebe gekostet. Wenn der Franzose Recht hätte: so würde der größte Theil des menschlichen Geschlechts, auch dieser Ursache wegen, dieser[169] höhern Verbindung gar nicht mehr fähig seyn; und diejenigen gerade am wenigsten, die es, ihrer Natur nach, am mehrsten seyn sollten; die zarten, weichgeschaffnen Seelen.

Ich weis, daß sich solche französische Einfälle von selbst widerlegen; aber ich weis auch, daß, dem ungeachtet, die mehrsten derselben, von unsern lieben Landsleuten, als Orakel angesehn, und nachgelallt werden, besonders wenn sie sich, wie dieser, von einem Manne herschreiben, von welchem wir glauben, daß er, mit der Göttinn der Weisheit im engsten Bunde gestanden habe. Und da wär' es nun leicht möglich, daß selbst unsre Dichter, in Behandlung der Freundschaft, dies Vorurtheil unterhalten könnten, das natürlich den Menschen abhalten muß, sich solch einer Verbindung werth zu machen, oder sie gehörig schätzen zu lernen.

Es ist nur zu gewiß, daß diese Verbindung, nach jener, für gewisse Jahre, viel reizendern, nicht allein bestehen, sondern daß sie selbst nach den, in jener Leidenschaft gemachten Erfahrungen desto sicherer bestehen, – ja, daß sie so gar erst, in Jahren eigentlich statt finden könne, wenn wir schon die Glückseligkeiten jener gekostet haben müssen, woferne wir zu diesen fähig seyn sollen. –

Nach dem gewöhnlichen Sinn, den man mit dem Wort Freundschaft verbindet, kann sie sehr[170] viele Gestalten annehmen. Wo findet man nicht Freunde? und wer hat nicht Freunde? Aber ächte Freundschaft, wenn sie einige der vorhergenannten Wirkungen hervor bringen soll, kann wohl nur unter gewissen Bedingungen, und bey gewissen Eigenschaften statt finden. Und wenn gleich nur der Tugendhafte allein ihrer fähig ist, so kann doch sein besonderer Charakter, sein Geschmack, seine ganze Verfassung der Freundschaft jedesmal das Eigenthümliche geben, welches sie haben muß, um, in unserm Fall, nicht einförmig zu werden; und alle die Veränderungen, alle die abwechselnden Gestalten hervorbringen, die nöthig sind, den Leser angenehm zu unterhalten.

Wenn ich Beyspiele erhabener Freundschaft geben wollte; so würde ich, ohne zu erkannten Fabeln meine Zuflucht nehmen zu dürfen, aus Geschichtschreibern, Weltweisen und Dichtern des Alterthums, – und auch der neuern Zeiten, viele solcher Beyspiele herhohlen können. Lucian allein würde mehr, wie eins gewähren; und würde zu der Untersuchung Anlaß geben können, ob nicht zu den, achte Freundschaft hervorbringenden Ursachen, eine Gesetzgebung, ein Land mehr, als das andre, Veranlassungen haben könne. Aber ohne mich hier auf diese Untersuchung einzulassen, beweißt der Toxaris des Lucians wenigstens, daß man bey Bildung der[171] Freundschaft und ihrer Thaten eben so sehr Rücksicht auf das Vaterland der Freunde haben müsse, als bey den übrigen Zügen, in der Zusammensetzung der Charaktere. Wer die vom Toxaris angeführten Beyspiele gegen die, vom Marsiv gebrauchten, hält, wird sich hievon leicht überzeugen. –

Freundschaft scheint nicht schnell entstehen zu können. Gegenseitige Prüfungen und Untersuchungen müssen vorher gegangen seyn, ehe das Bündniß geschlossen worden ist. Auch tugendhafte Seelen können noch Widersprüche hegen, bey welchen die Freundschaft nicht zu bestehen vermag. – Und wie oft ist in dem Aeußern des Menschen ein so künstlicher Betrug, vermöge dessen wir es erst, nach langer Zeit, entdecken können, daß das nicht Tugend war, was uns Tugend schien. Wie sehr könnte uns derjenige Dichter lehren, in die Tiefen des Herzens schauen, der einmal eine werdende Freundschaft mit in seinen Plan ziehen wollte! – Einzelne Beyspiele, als wie das vom Montagne und Boetins, beweisen nichts für das schnelle Entstehen der Freundschaft.

Auch wird der Dichter die Freundschaft nicht mit der Lebhaftigkeit und Heftigkeit schildern und auftretet, lassen, die nur den Leidenschaften eigenthümlich ist. Dies gründet sich nicht auf Willkühr, sondern auf die Natur der Eigenschaften, aus welchen[172] ächte Freundschaft entsteht. – Hierzu kommt, daß sie, wie gedacht, nur in gewissen Jahren des Lebens,41 entstehen kann. Wenn ächte Freundschaft ein Band zweyer Seelen seyn soll, um diese Seelen gegenseitig rechtschaffen, und wahrhaft glücklich zu machen; wenn dies Band alsdenn geknüpft werden muß, um das ganze Leben hindurch zu dauren: so scheinen diese Absichten nicht erreicht werden zu können, ohne daß nicht die vorhergenannten Eigenschaften sich bey den knüpfenden Personen finden. – Und ohne diese edlen Endzwecke verdient wohl keine Verbindung den Namen Freundschaft. –

Aber, wenn Freundschaft gleich die Lebhaftigkeit der Leidenschaften nicht zuläßt: so braucht sie doch nicht kalt, unthätig, langweilig zu seyn. Der Dichter, der ein Herz hat, wird in seinem Herzen schon die Wärme, schon die Theilnehmung finden, die, ohne leidenschaftlich zu seyn, dennoch den Leser nichts weniger, als einschlafen lassen wird. Und Freundschaft selbst kann zur Leidenschaft, bey dem Unglück des Freundes werden; und sie muß es werden, wenn sie ihrer Natur treu bleiben soll.[173]

Ist die Freundschaft nach den vorher angeführten Grundsätzen gestiftet worden: so wird sie sich nicht auf eine Art, oder bey Gelegenheiten äußern, wo sie das Ansehn von Uebertreibung oder Unschicklichkeit haben könnte. Sie wird nichts mehr und nichts weniger seyn, als was sie, unter Menschen seyn muß, und seyn kann.

41

Omnino amicitiae, corroboratis jam, confirmatisque ingeniis et aetatibus indicandae sunt. Cic. de amicitia 20.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 168-174.
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