18.

[479] Wenn jede unrichtige Schilderung der Leidenschaften, für den Leser gefährlich werden, und seine Empfindungen falsch ausbilden muß: so hat wohl keine mehr Schaden angerichtet, als die Liebe; denn keine ist noch so falsch geschildert worden, als diese.[479]

Bey Gelegenheit des Anziehenden, das diese Leidenschaft überhaupt hat, hab' ich einer von den Unrichtigkeiten, die sich in der Schilderung derselben, in den gewöhnlichen Romanen finden, gedacht, weil diese Unrichtigkeit vorzüglich unsre Theilnehmung vermindert. Diejenigen, von denen hier die Rede ist, verringern zwar nicht geradezu unsre Theilnehmung; aber sie sind eben deßwegen desto gefährlicher, je weniger sie unsre Täuschung stören. Ein süßer Irrthum schadet mehr, als ein anderer, der sein Gegengift bey sich führet. –

In unsern Romanen erscheint die Liebe gewöhnlich so engelrein, so unkörperlich, so geistig, daß nichts drüber gehen kann. Aber man rede noch so feyerlich von dauernder Unschuld, man platonisire noch so zauberisch von den geistigen Glückseligkeiten, die sie gewährt, der Roman endigt sich immer, und muß sich immer, bey den Voraussetzungen, daß wir Menschen sind, mit einer Hochzeitnacht endigen. In der Natur führt die Liebe gewiß dahin; es ist Thorheit, dies läugnen zu wollen. Aber, indem man diese Seite an ihr verbirgt; indem man all' ihre Süßigkeiten, die sie gewiß hat, mit zauberischen Farben ausmalt, und alle die Bitterkeiten, die ihr eben so eigenthümlich sind, verschweigt: so füllt man den Kopf des armen Mägdchens, das die wahre Gestalt dieser Leidenschaft hätte, aus einem[480] Roman, kennen lernen können, mit romantischen Ideen von Glückseligkeit und Unschuld, die das arme Mägdchen, bey der nächsten Gelegenheit, – und das mit einigem Anschein von Recht! – in wahre Empfindungen zu verwandeln sucht. Und nun, so bald sie nur den Vorsatz hat, sich einmal einzuschiffen, zu schwach zurück zu kehren, und unterwegens mit Aussichten reiner und entzückender Freuden unterhalten, – schifft sie, unwissend, ins tiefste Elend hinüber. – Der Romanendichter, der Gewissen hat, lege hier die Hand aufs Herz! Es ist grausam, es ist schändlich, irgend einer Leidenschaft, durch Verkleisterungen und Uebermalungen, eine Gestalt zu geben, als sie ihrer Natur nach, haben kann. – Und alles dies wird vermieden wenn uns der Dichter, der Wahrheit gemäß, nicht bey einer hervorgebrachten Wirkung stehen läßt, sondern diese, ihrer Natur nach, wider zur Ursache des folgenden gebraucht. Das Entstehen der Liebe selbst geht, gewöhnlich noch wahrscheinlich genug zu; aber die entstandene Liebe ist unter funfzigmalen nicht das, was sie in der Wirklichkeit ist, und seyn muß. Es ist überhaupt traurig, daß unsre Romanendichter gewöhnlich mit der Natur der Leidenschaften so wenig bekannt sind, daß sie, trotz Zeit, trotz aller Veränderung in der Situation der Person, die Leidenschaften, in einer[481] einförmigen, und ganz ähnlichen Dauer fortgehen lassen, als ob irgend etwas in der Natur nur den zweyten Augenblick das seyn könnte, was es den ersten gewesen ist. –

Man würde mich unrecht verstehen, wenn man glaubte, Liebe und natürlich Bedürfniß sey ein's in meinen Augen; oder jene sey, und müsse ganz körperlich seyn, sie gestatte nicht jene zärtliche Empfindungen, jene Sympathie, welche ihre Freuden vervielfältiget, verfeinert, veredelt. Das, was ich, vorher bey Gelegenheit des Anziehenden, das diese Leidenschaft hat, hierüber gesagt habe, wird mich rechtfertigen. Hier habe ich nichts, als die Folgen, den endlichen Ausgang dieser Leidenschaft, das Ziel, auf welches alle Liebende, später oder früher treffen, bemerken, und so Wahrheit und Natur in ihre Rechte wieder einsetzen wollen. – Wer da glaubt, daß er diese Leidenschaft nicht so zeigen müsse, wenn er noch Leserinnen haben wolle, der bedenke, daß er die Wahl hat, entweder Verführer, oder Lehrer seiner Leserinnen zu werden, wenn er gleich dies letztere nicht, ohne Wahrheiten zu sagen, werden kann. Es ist besser, daß ihn das junge Mägdchen nicht liest, oder vorgiebt, nicht gelesen zu haben, oder daß sie beschämt bey seinem Lesen wird, als daß er zur Entstehung eines verführerischen Wahns, und süßer Träume Anlaß giebt,[482] von welchen das thörigte Mägdchen mit Schrecken und Grausen, oder gar auf immer unglücklich, erwacht. –

Außer diesem Betruge, in der Schilderung der Liebe, befindet sich eine andre Falschheit in ihrer Vorstellung, die eben so wenig lehrreich ist, als jene. Man führt nämlich sehr oft Charaktere, und vorzüglich Charaktere des weiblichen Geschlechts auf denen man ganze Jahre hindurch kein ander Geschäft giebt, und dies Geschäft ihnen, als Verdienst anrechnet, – als Liebe, und Liebe!

In der Natur ist dies schlechterdings unmöglich. Daher ist es nun zuerst in der Nachahmung so höchst unwahrscheinlich, eine Person nichts denken, fühlen, oder thun sehen, als lieben. Und dann wird auch der Charakter einer solchen Person so höchst läppisch, so wenig unterhaltend, daß, wenn ihn der Dichter nicht von einer nachtheiligen Seite zeigen will, er uns gar nicht beschäftigt. – Wie kann er nun noch lehrreich werden?

Die Einzelnheit einer Empfindung findet schlechterdings nicht statt. Es kann Zeitpunkte geben, – aber diese Zeitpunkte sind wahrlich von sehr kurzer Dauer – in welchen wir nur für eine Sache leben. In den folgenden sind immer unsre Sinne allen Eindrücken offen. Von allen Seiten strömen Empfindungen auf uns zu; und, nach der Anlage[483] des Charakters, fühlen wir mehr oder weniger bey jeder Vorfallenheit. Wie thörigt es also ist, uns in einem ganzen Menschen, ein einzelnes Stück Liebe zu zeigen, ergiebt sich von selbst. Der Irrthum ist um desto ärger, da die empfindsamen Charaktere, die die Romanendichter gewöhnlich ihren Personen geben, eben dieser Empfindsamkeit wegen, allen Eindrücken um desto mehr offen sind. – Es versteht sich von selbst, daß die Gegenstände, von welchen eine Person die mehrern Eindrücke erhalten soll, in das Ganze des Dichters aufgenommen, und als Wirkung und Ursach, mit den übrigen Theilen, zur Hervorbringung des Resultats verbunden seyn müssen. –

Noch auf eine andre Art kann die Liebe, zur Entstehung sehr falscher und unrichtiger Empfindungen Anlaß geben. Dies geschieht, wenn man die Liebe nicht allein, als das einzige und angelegenste, sondern auch als das wichtigste Geschäft des Lebens zeiget, dem alles andre, Tugend und Pflicht, ohne Umstände, nachstehen muß. So zeigen die französischen Dichter gewöhnlich diese Leidenschaft. Aber, wenn die Sache auch in der Wirklichkeit sich so verhielte: so wäre es der Dichtkunst unwürdig, die Liebe zu diesem Range zu erheben. Einer der verderblichsten, und elendsten Einfälle, den der große Corneille jemals gehabt hat, ist das l'amour rend[484] tout permis in dem Munde des Maximus. – In der Wirklichkeit geht es aber, – wenigstens bey uns kaltblütigern Deutschen – ganz anders zu. Und was soll man nun von denen Romanendichtern denken, die so treuherzig hierinn den Franzosen nachäffen? Der Einfall kann sie unmöglich entschuldigen, daß, bey einer andern, als bis jetzt gewöhnlichen Behandlung der Liebe, der Dichter weniger Leser, besonders Leserinnen haben würde. Denn dieser Einfall könnte sich nur von einem Manne herschreiben, dem seine eigne Eitelkeit wichtiger ist, als die Ausbildung der Empfindungen des menschlichen Geschlechts. Und der ganze Einfall ist ungegründet. Der Dichter, wenn er nur seine Kunst versteht, wird um desto mehr gelesen, je wahrer er ist. Hat Agathon nicht Leser unter uns gefunden? Freylich wissen viele von diesen Lesern ihn vielleicht nicht ganz richtig zu schätzen, und sein Verdienst abzuwägen; aber es sey nur die Sorge des nachkommenden Romanendichters, seine Leser durch ähnliche Werke zu nöthigen, oder ihnen Anlaß zu geben, denken zu lernen, und nicht sie in ihrer Trägheit, in ihren alten Vorurtheilen, in, ihrer Unwissenheit zu bestätigen, und zu nähren. – Die Nachwelt, die unsre Sitten, unsre Denkungsart, unsre Moralität, aus dem größten Theil unsrer Romanen kennen lernen wollte, was würde sie[485] wohl lernen? Man vergleiche einmal das, was wir aus den Dichtern des Alterthums, von den Sitten der damaligen Zeit lernen, mit dem, was uns die Geschichte davon überliefert hat. Alles ist hier, so viel es die verschiedenen Gattungen vertragen, übereinstimmend; eine wird durch die andre aufgeklärt. Man halte das, was wir vor uns sehen, gegen das, was unsre Dichter geschehen lassen; und urtheile dann. – Eine, zu dieser ganzen Materie sich vorzüglich passende Stelle aus dein Agathon, wird hier am rechten Orte, zur Anwendung, stehen. »Es ist eine längst ausgemachte Sache, daß die Griechen von der Liebe ganz andere Begriffe hatten, als die heutigen Europäer. – Denn die Rede ist hier nicht von den metaphysischen Spielwerken oder Träumen des göttlichen Platons. –– Ihre Begriffe scheinen der Natur, und also der gesunden Vernunft näher zu kommen, als die unsrigen, in welchen Scythische Barbarey und Maurische Galanterie auf die seltsamste Art mit einander contrastiren. Sie ehrten die ehliche Freundschaft; aber von dieser romantischen Leidenschaft, welche wir, im eigentlichen Verstande Liebe nennen, und welche eine ganze Folge von Romanschreibern bey unsern Nachbaren jenseit des Rheins und bey den Engländern bemühet gewesen ist, zu einer heroischen[486] Tugend zu erheben; von dieser wußten sie eben so wenig, als von der weinerlich-co mischen, der abentheurlichen Hirngeburt einiger Neuerer, meistens weiblicher, Scribenten, welche noch über die Begriffe der ritterlichen Zeiten raffinirt, und uns durch ganze Bände eine Liebe gemalt haben, die sich von stillschweigendem Anschaun, von Seufzern und Thränen nährt, immer unglücklich, und doch selbst, ohne einen Schimmer von Hofnung, immer gleich standhaft ist. Von einer so abgeschmackten, so unmännlichen, und mit dem Heldenthum, womit man sie verbinden will, so lächerlich abstechenden Liebe wußte diese geistreiche Nation nichts, aus deren schöner und lachender Einbildungskraft die Göttinn der Liebe, die Grazien, und so viele andre Götter der Fröhlichkeit hervorgegangen waren. Sie kannten nur die Liebe, welche scherzt, küßt und glücklich ist; oder, richtiger zu reden, diese allein schien ihnen, unter gehörigen Einschränkungen, der Natur gemäß, anständig und unschuldig. Diejenige, welche sich mit allen Symptomen eines fiebrischen Paroxismus der ganzen Seele bemächtigt, war in ihren Augen eine von den gefährlichsten Leidenschaften, eine Feindinn der Tugend, die Störerinn der häuslichen Ordnung, die Mutter der verderblichsten Ausschweifungen und der häßlichsten Laster«[487] u.s.w. – – Wenn gleich unsre Sitten und Gebräuche, es dem Romanendichter, der der Wahrheit getreu bleiben will, nicht gestatten, diese Leidenschaft so zu behandeln, wie die Griechischen Dichter sie behandelten, weil die Nation sie so ansah: so wird doch auch er immer etwas dazu beytragen können, durch seine Schilderung, die Liebe zur Natur und zur Wahrheit zurück zu führen; oder vielmehr, er wird aus dieser Stelle folgern können, wie sehr unrecht die Romanendichter gethan, sich von dieser Natur und Wahrheit zu entfernen, und zur Entstehung so abentheurlicher und scheußlicher Ideen Anlaß zu geben.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 479-488.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Nachdem Musarion sich mit ihrem Freund Phanias gestrittet hat, flüchtet sich dieser in sinnenfeindliche Meditation und hängt zwei radikalen philosophischen Lehrern an. Musarion provoziert eine Diskussion zwischen den Philosophen, die in einer Prügelei mündet und Phanias erkennen lässt, dass die beiden »nicht ganz so weise als ihr System sind.«

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon