22.

[515] Die Erregung unsrer Leidenschaften hängt so sehr davon ab, daß wir die vorzustellenden Gegenstände so lebhaft, so anschauend sehen, als möglich, daß ich hier, mit Recht, Gebrauch von einer Stelle aus dem Home machen zu können glaube. Er sagt (Ch. 22.) der Dialog schicke sich vorzüglich zum Ausdruck der Empfindungen. Man hat es versucht, indem man die Personen selbst schreiben läßt, den Roman so dramatisch zu machen, als möglich. Sollte es nun nicht erlaubt seyn, an Stellen, wo die Rede von Empfindungen ist, selbst in dem Roman, wo nur der Dichter spricht, eine Anwendung von dieser Bemerkung zu machen? Der Wahn wenigstens, daß man die verschiedenen Gattungen der Dichtkunst nicht mit einander vermischen müsse, und der wohl mit der Lehre, von den drey berühmten Einheiten einerley Urheber hat, sollte den Dichter nicht davon abhalten.[515] Wenn der Dialog natürlich herbeygeführt würde; wenn die Personen sich so zusammen finden müßten, daß es nun nicht anders seyn könnte, wenn ihre ganze Situation diese, dem vollen Herzen so natürliche Ergießung erfoderte: so sehe ich nicht ab, was den Romanendichter abhalten sollte, zwey Liebende z.B. in Unterredung aufzuführen? Der Leser würde dadurch gleichsam in den Zuschauer verwandelt; und der Dialog, als ein nothwendiges Stück mit dem Ganzen verbunden seyn. – Das, was ich in verschiedenen angenehmen Schriften dieser Art, bis jetzt noch von solchem Dialog gefunden habe, ist nicht das, was ich mir davon vorstelle; aber doch beweist es die Möglichkeit der Sache. Man sieht übrigens schon, daß ich hier nur von der Einführung dieses Dialogs in erzehlenden Romanen rede. – In den andern findet er sich schon. Mit welchem Erfolg will ich hier nicht bestimmen.

Ich verlange übrigens lange nicht alles gesagt zu haben, was dazu beytragen kann, den Roman dramatischer zu machen, und unsre Empfindungen lebhafter zu erregen. Das Studium der Muster, und einiger bekannten Kunstrichter, als des Home u.a.m. mag das lehren, was ich nur habe anmerken, nur als ein Mittel, interessanter zu werden, empfehlen wollen. – Ohne diese Kunst wird[516] nie der Dichter seinen Endzweck mit seinen Lesern erreichen, – sie nie bis zu dem Grade täuschen, als er es wünscht: er wird, mit einem Wort, nie für sie das seyn, was er seyn will – Dichter.

Hier wird es die Gelegenheit seyn, Etwas von der Erzehlung zu sagen, die der Dichter oft genöthigt ist machen zu lassen, um uns mit den, vor Eroffnung der Scene, ereigneten Begebenheiten bekannt zu machen. Hier sind gewöhnlich die Personen selbst die Erzehler. Zuvörderst müssen diese Personen in einer Situation seyn, daß diese Erzehlung für sie, das heißt, für ihre jetzige ganze innre und äußre Lage nothwendig sey. Es muß ihr Bedürfniß, und nicht das Bedürfniß des Dichters seyn, daß sie die vergangenen Begebenheiten erzehlen. Den Unterschied, der hieraus entsteht, kann man sehn, wenn man die Erzehlung Heinrich des Vierten41 in der Henriade, gegen die Erzehlung des Engels, im verlornen Paradiese42, oder gegen die Erzehlung des Agathon43 hält. Agathon ist in einer Gemüthsverfassung, wo es ihm, so zu sagen, nothwendig wurde, sich seiner Geschichte[517] zu entledigen. Er konnte Danaen seine vorigen Begebenheiten nicht länger vorenthalten, wenn seine Situation ferner das Ansehn von Wahrheit und Natur haben sollte. Ermüdet, und zum Theil erschöpft, ist er in einer Art von Ruhestand, wo seine Ideen sehr natürlich auf sein voriges Leben zurück geführet wurden. Der Dichter hat alles gethan, was möglich ist, ihn aus einem Theil seines süßen Traums erwachen zu lassen, und an seine vorigen Tage zu erinnern. Die paar Worte des Sophisten, – das Fest selbst, – der Traum von seiner Psyche. Und seine Müdigkeit (es war nicht bloß körperliche) öffnete diesen Ideen, so zu sagen, den Weg; oder vielmehr sie war nicht im Stande, sie im Herzen zurück zu halten. Er suchte Beruhigung und Erleichterung; sein Herz hatte sie nöthig; was ist natürlicher, als daß er es Danaen ausschüttet? Nur in der Erinnerung an sein vergangenes Leben, nur in der Erzehlung konnte er seine Beruhigung finden. – Nicht aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, aber aus einem andern, ist die Erzehlung des Engels im Milton, eben so nothwendig. Nicht des Engels willen, aber Adams willen mußte sie geschehn. Der erste Mensch mußte von dem Vergangenen unterrichtet werden, wenn nicht sein Schutzgeist den Vorwurf verdienen sollte, daß er ihn sehr unvorbereitet, seinem bevorstehenden[518] Schicksal überlassen. – Heinrich der vierte erzehlt, weil der Dichter eine Erzehlung nöthig hat; und von der Nothwendigkeit des Dichters allein wollen wir gar nichts wissen.

Nur wann die Erzehlung so erfolgt, wird dann auch der Leser glauben, daß er diese Erzehlung hören müsse; er wird glauben, dabey zu verlieren, wenn er sie nicht hört; er wird die Erzehlung wünschen. Und eine natürliche Folge hiervon wird es seyn, daß er sie mit vieler Theilnehmung hören wird.

41

Henriade Ch. 2.

42

Paradise lost Book V. seq.

43

Agathon, Sieb. Buch.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 515-519.
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