Siebente Geschichte

[625] Ein Gelehrter liebt eine Witwe, die in einen andern verliebt ist und ihn eine Winternacht hindurch im Schnee stehen und ihrer warten läßt. Dafür gibt er ihr einen Rat, der zur Folge hat, daß sie mitten im Juli einen ganzen Tag nackt auf einem Turme zubringen muß, den Fliegen, den Wespen und der Sonnenglut ausgesetzt.


Viel hatten die Damen über den armen Calandrino gelacht, und hätten wohl noch mehr gelacht, wenn es ihnen nicht am Ende leid getan hätte, daß ihm auch noch die Kapaune von denen genommen wurden, die ihm schon das Schwein entwendet hatten. Doch als nun das Ende gekommen war, befahl die Königin Pampinea, ihre Geschichte zu erzählen. Diese begann sogleich folgendermaßen:

Vielgeliebte Mädchen, gar oft geschieht es, daß die List von der List besiegt wird, und darum ist es unverständig, sich zu ergötzen, während man andre zum besten hat. Wir haben bei mehreren Geschichten viel über die Possen gelacht, die einer dem andern gespielt hat. Daß aber einer dieser Possen irgendwie gerächt worden sei, ist uns nicht erzählt worden. So nehme ich mir denn vor, in euch einiges Mitgefühl für eine wohlverdiente Wiedervergeltung zu wecken, die einer unserer Mitbürgerinnen zuteil wurde. Ihr wurde ihr Streich so heimgezahlt, daß er ihr beinahe tödlich aufs eigene Haupt zurückfiel. Dies zu hören, wird für euch nicht ohne Nutzen sein, weil ihr euch hiernach besser hüten werdet, andere zu verhöhnen; und daran werdet ihr klug tun.

Es ist noch nicht viele Jahre her, daß in Florenz eine junge[625] Frau, schön von Gestalt, stolz von Gemüt, adelig von Geburt und mit allen Gütern des Glücks reichlich ausgestattet, lebte, die Helena hieß. Diese war durch den Tod ihres Mannes Witwe geworden und wollte nicht wieder heiraten, da sie sich in einen schönen und liebenswerten jungen Mann, ganz nach ihrer Wahl, verliebt hatte und sich, jeder andern Sorge ledig, durch die Vermittlung einer Dienerin, der sie ganz vertrauen konnte, gar oft und zu ihrer großen Lust frohe Stunden mit ihm machte.

In dieser Zeit geschah es, daß ein junger Mann namens Rinieri, ein Edelmann aus unserer Stadt, von Paris, wo er lange Zeit studiert hatte – nicht etwa um hernach seine Wissenschaft, wie so viele tun, lotweise zu verhandeln, sondern um die Beziehungen der Dinge zueinander und die Ursachen derselben zu ergründen, wie dies einem wahrhaft adeligen Mann gar wohl ansteht –, nach Florenz zurückkehrte und hier, sowohl seines Adels als auch seiner Kenntnisse wegen hoch geehrt, als Bürger lebte. Aber wie es oft geschieht, daß die, bei welchen die Einsicht in die Dinge am tiefsten ist, am leichtesten von der Liebe gefesselt werden, so geschah es auch mit diesem Rinieri.

Eines Tages nämlich, als er lustwandelnd zu einem Feste hinausgegangen war, wurden seine Augen diese Helena gewahr, welche schwarz gekleidet, wie unsere Witwen zu gehen pflegen, seinem Urteil nach solcher Schönheit und Anmut voll erschien, wie er noch nie eine andere zu sehen geglaubt hatte. Selig, so meinte er, müsse der zu nennen sein, dem der Himmel die Gunst verleihe, sie nackt in seinen Armen zu halten. Vorsichtig blickte er sie wieder und wieder an, und da er wußte, daß das Große und Wertvolle niemals ohne Mühe zu erlangen ist, beschloß er bei sich, jede Mühe und Sorgfalt aufzuwenden, um ihr zu gefallen, damit er durch dies Gefallen ihre Liebe und durch diese wiederum ihren Besitz gewinnen möchte.

Die junge Witwe, die ihre Augen keineswegs zur Hölle niedersenkte, sondern ihren eigenen Wert ganz so hoch oder noch höher anschlug als er war, und deshalb auch ihre Blicke sehr geschickt umherschweifen ließ, sah sich öfter um und bemerkte bald jeden, der sie mit Wohlgefallen anschaute. So wurde sie denn auch den Rinieri gewahr und sprach lächelnd bei sich selbst: »Nicht umsonst bin ich heute hierhergekommen, denn[626] irre ich nicht, so habe ich jetzt eben einen Gimpel beim Schnabel gefangen.« Und nun fing sie an, ihn einige Male verstohlen anzublicken, und bemühte sich, ihm, so gut sie konnte, zu zeigen, daß ihr an ihm gelegen sei. Andererseits wähnte sie, je mehr Liebhaber sie anlocke und mit dem Verlangen nach ihrer Gunst fange, desto höher steige der Wert ihrer Schönheit, vor allem auch in den Augen dessen, dem sie diese zugleich mit ihrer Liebe geschenkt hatte.

Der gelehrte Schüler der Weisheit aber ließ nun alle philosophischen Gedanken beiseite, richtete seine ganze Seele nur auf sie und begann, sobald er ihr Haus erkundet, hier häufig vorüberzugehen, in dem Glauben, ihr Wohlgefallen zu erwerben. Für diese Wanderungen wußte er verschiedene Vorwände zu finden. Die Dame, welche sich aus dem schon erwähnten Grunde hierdurch geschmeichelt fühlte, stellte sich, als sähe sie ihn gern. Der Gelehrte aber fand bald Mittel, sich mit ihrer Dienerin zu verständigen, dieser seine Liebe zu entdecken und sie zu bitten, daß sie ihre Gebieterin bewege, ihm ihre Gunst zu schenken. Die Dienerin versprach alles mögliche und erzählte es wieder ihrer Gebieterin, welche sie mit dem größten Gelächter von der Welt anhörte und dann sagte: »Hast du gesehen, wo jener Herr die Weisheit, die er von Paris mitgebracht, eingebüßt hat? Nun wohlan, wir wollen ihm geben, was er sucht. Sobald er dich wieder anspricht, wirst du ihm sagen, daß ich ihn noch viel heftiger liebe als er mich, allein daß ich meinen Ruf in acht nehmen muß, um neben den andern Frauen mit freier Stirn einhergehen zu können. Ist er so weise, wie man sagt, so muß diese Gesinnung mich ihm ja noch viel teurer machen.«

Ach, die Ärmste, die Ärmste! Sie wußte nicht, ihr Mädchen, was es heißt, mit einem gelehrten Manne anzubinden.

Als die Dienerin ihn wieder antraf, richtete sie aus, was ihr von ihrer Herrin aufgetragen war. Froh schritt der glückliche Gelehrte nun zu heißern Bitten, fing an Briefe zu schreiben und Geschenke zu schicken. Alles wurde willig angenommen; indes erfolgten keine anderen Antworten als ganz allgemeine, und so hielt sie ihn lange Zeit vergeblich hin. Inzwischen hatte die Dame ihrem Liebhaber alles entdeckt, und da dieser sich deshalb schon einige Male mit ihr überworfen und etwas Eifersucht[627] gezeigt hatte, schickte sie, um zu beweisen, daß er mit Unrecht solchen Argwohn gegen sie hege, ihre Dienerin zu dem Gelehrten, der sie immer noch mit Bitten zu bestürmen fortfuhr, und ließ ihm in ihrem Namen sagen: zwar habe sie, seit sie seiner Liebe gewiß sei, noch immer keine Gelegenheit finden können, ihm etwas zu Gefallen zu tun, doch hoffe sie, während der bevorstehenden Weihnachtsfestes endlich mit ihm zusammensein zu können. Deshalb möge er, wenn es ihm gefalle, am Abend nach dem Feste nachts in ihren Hof kommen, wo sie, sobald sie nur könne, zu ihm eilen wolle.

Der Gelehrte, glücklicher als je ein Mensch, begab sich zu der ihm bestimmten Zeit nach dem Haus der Witwe, wurde von der Dienerin in den Hof gelassen und darin eingeschlossen, und fing nun an, seine Dame zu erwarten. Diese hatte sich an ebendiesem Abend ihren Liebhaber kommen lassen, erzählte ihm, nachdem sie fröhlich mit ihm gespeist hatte, was sie diese Nacht zu tun gedenke, und setzte dann hinzu: »Und nun sollst du sehen, wie groß und von welcher Art die Liebe ist, die ich für den empfunden habe und noch empfinde, auf den du törichterweise eifersüchtig geworden bist.« Diese Worte vernahm der Geliebte mit großer Seelenfreude und verlangte nun begierig danach, in Werken zu sehen, was die Dame ihm mit Worten versicherte.

Zufällig hatte es am Tag vorher stark geschneit, und alles war mit Schnee bedeckt. Der Schüler der Weisheit hatte daher noch nicht lange im Hofe verweilt, als es ihn heftiger zu frieren begann, als er wünschte; doch ertrug er's geduldig in der Hoffnung, sich bald zu erquicken. Eine Weile darauf sagte die Witwe zu ihrem Liebhaber: »Laß uns in die Kammer gehen. Dort wollen wir von dem kleinen Fenster aus mit ansehen, was der treibt, der dich eifersüchtig gemacht hat, und hören, was er der Magd antworten wird, die ich zu ihm geschickt habe, um mit ihm zu reden.«

Nun gingen sie zu einem Fensterlein, von welchem aus sie herabsehen konnten, ohne gesehen zu werden, und hörten die Magd von einem andern Fenster her mit dem Gelehrten sprechen: »Rinieri, die Madonna ist betrübter, als je eine Frau war; denn eben heute abend ist einer ihrer Brüder eingetroffen, hat[628] sich lange mit ihr unterhalten und verlangte dann mit ihr zu speisen, und noch immer ist er nicht fort. Allein ich glaube, er wird nun bald gehen. Aus diesem Grunde hat sie noch nicht zu Euch kommen können. Sie bittet Euch, daß es Euch nicht leid tun möge zu warten.« Der Gelehrte, der dies alles für wahr hielt, erwiderte: »Sage meiner Dame, sie solle sich um mich keinen Kummer machen, bis sie mit aller Bequemlichkeit zu mir herabkommen könne; allein sie möge es tun, sobald sie irgend kann.«

Nun kehrte die Magd zurück und legte sich zur Ruhe. Die Witwe aber sprach zu ihrem Liebhaber: »Nun, was meinst du jetzt? Glaubst du, wenn ich ihn liebte, wie du fürchtest, ich ließe ihn dort unten frieren?« Nach diesen Worten begab sie sich mit ihrem Buhlen, der schon zum Teil beruhigt war, ins Bett, und sie verbrachten in Freude und Fröhlichkeit eine geraume Zeit, während sie des armen Gelehrten lachten und seiner spotteten.

Dieser schritt indes im Hofe auf und ab und bewegte sich heftig, um sich zu erwärmen, da er keinen Fleck hatte, wo er sitzen oder der Nachtluft entfliehen konnte. Dabei verwünschte er den Bruder, der so lange bei seiner Dame verweilte, und hielt jedes Geräusch, das er vernahm, für eine Tür, welche die Witwe für ihn öffnete. Aber sein Hoffen war immer vergeblich.

Nachdem die Dame sich bis gegen Mitternacht mit ihrem Geliebten erfreut hatte, fragte sie ihn: »Was dünkt dich, geliebte Seele, von unserem Gelehrten? Kommt dir sein Verstand größer vor oder die Liebe, die ich für ihn fühle? Und wird dir der Frost, den ich ihn erproben lasse, die Eifersucht aus der Brust verbannen, welche meine Scherzworte neulich darin erweckten?« »Herz meines Leibes«, antwortete der Liebhaber, »ja, ich sehe nun ein, daß, wie du mein größter Schatz, meine Ruhe, mein Entzücken und meine ganze Hoffnung bist, ich auch für dich dasselbe bin.« »Nun denn«, antwortete die Dame »so küsse mich wohl tausendmal, damit ich erfahre, ob du die Wahrheit sprichst.« Der Liebhaber schloß sie fest in seine Arme und gab ihr nicht tausend, sondern mehr als hunderttausend Küsse.

Nachdem sie in solchem Gespräch noch einige Zeit verbracht[629] hatten, sagte die Dame: »Jetzt laß uns ein wenig aufstehen und zusehen, ob das Feuer, in dem zu brennen mein neuer Verehrer mir alle Tage schriftlich beteuerte, etwas erloschen ist.« So erhoben sie sich, gingen zu dem gewohnten Fenster, von wo sie auf den Hof hinabschauten und den armen Gelehrten zur Musik seiner klappernden Zähne einen Hopser über den andern auf dem Schnee tanzen sahen, und zwar in so geschwindem Zeitmaß und in so schneller Folge, daß sie noch nie dergleichen gesehen hatten. »Nun«, sprach die Dame, »was sagst du dazu, meine süße Hoffnung? Glaubst du jetzt, daß ich mich darauf verstehe, die Männer ohne Trompete und Schalmei tanzen zu machen?« Lächelnd antwortete ihr Liebhaber: »Ja, süße Lust, ich seh es wohl.«

»Jetzt wollen wir bis zur Tür hinuntergehen«, sagte die Dame. »Du bleibst ruhig stehen, und ich werde mit ihm sprechen, damit wir hören, was er sagen wird; vielleicht gewährt uns das nicht weniger Vergnügen als sein Anblick.« Nun öffnete sie die Kammer. Still gingen sie zur Hoftür hinunter, und ohne sie zu öffnen, rief die Witwe ihn durch ein kleines, darin befindliches Loch mit leiser Stimme zu sich. Als der Gelehrte sich gerufen hörte, lobte er Gott, indem er nun gewiß eingelassen zu werden hoffte. Er trat daher an die Tür und antwortete: »Hier bin ich, Madonna. Öffnet um Gottes willen, denn ich sterbe vor Frost.« »Ach Gott«, antwortete ihm die Dame, »ich weiß ja, wie erstarrt du sein mußt. Die Kälte ist gewiß sehr groß, weil hier etwas Schnee gefallen ist, doch weiß ich wohl, daß in Paris viel mehr fällt. Noch kann ich dir nicht aufmachen, weil dieser mein verwünschter Bruder, der gestern abend hierherkam, um mit mir zu essen, noch immer nicht fort ist. Aber er wird nun bald gehen, und dann komme ich gleich, um dir zu öffnen. Nur mit großer Mühe habe ich mich von ihm fortgestohlen, um dir ein wenig Trost zu bringen, damit das Warten dir nicht allzu schwer falle.« »Ach, Madonna«, erwiderte der Gelehrte, »ich bitte Euch um Gott, öffnet mir, damit ich dort drinnen unter Dach und Fach warten kann; denn seit kurzem ist der dichteste Schnee von der Welt gefallen, und noch immer schneit es fort. Drinnen will ich auf Euch warten, solange es Euch gefällt.«[630]

»Weh mir, mein süßes Leben«, entgegnete ihm die Dame, »das kann ich nicht; denn diese Tür macht beim Öffnen solchen Lärm, daß mein Bruder es leicht hören könnte, wenn ich dir öffnete. Aber ich will zu ihm gehen und ihm sagen, daß er sich fortmache, damit ich dann wiederkommen und dir aufmachen kann.« »So gehet denn gleich«, sagte der Gelehrte, »und ich bitte Euch, laßt ein gutes Feuer anmachen, damit ich mich erwärmen kann, sobald ich hineinkomme; denn mein ganzer Körper ist so erstarrt, daß ich kaum noch meine Glieder fühle.« »Das kann nicht gut sein«, entgegnete die Dame, »wenn es wahr ist, was du mir so oft geschrieben hast, nämlich daß du aus Liebe zu mir ganz in Flammen stehst. Ich bin daher gewiß, daß du nur scherzen willst. Doch jetzt gehe ich; warte du und sei guten Mutes.«

Der Liebhaber, der alles zu seinem großen Ergötzen mit anhörte, kehrte hierauf mit ihr ins Bett zurück, wo sie nur wenig schliefen, sondern fast die ganze Nacht in gemeinsamer Lust und mit Spottreden über den Gelehrten verbrachten. Der Ärmste indes, der wie zum Storch geworden war – so laut klapperte er mit den Zähnen –, bemerkte endlich, daß man ihn zum besten habe. Er rüttelte daher mehrere Male an der Tür, ob sie nicht nachgäbe, und suchte umher, daß er anderswo einen Ausgang fände. Allein, da er keine Gelegenheit entdeckte, lief er im Hofe umher wie ein Löwe im Käfig, fluchte des argen Wetters, der Schlechtigkeit der Dame, der Länge der Nacht und zuletzt seiner eigenen Torheit. Von heftigem Unwillen gegen sie ergriffen, verwandelte er die lange und brennende Liebe, die er zu ihr getragen, plötzlich in den wildesten und grausamsten Haß und trug sich mit vielerlei bösen Gedanken, wie er seine Rache an ihr nehmen könne, wonach er nun noch viel heftiger verlangte, als er vorher mit der Geliebten zusammen zu sein begehrt hatte.

Nach vielem und langem Warten näherte sich endlich die Nacht dem Tage, und das Zwielicht begann zu erscheinen. Deshalb stieg denn die wohlunterwiesene Magd der Dame hinunter, öffnete den Hof und sagte, indem sie Mitleid mit ihm heuchelte: »Der Böse soll ihn holen, der uns gestern so in die Quere kam. Uns hat er die ganze Nacht hindurch geärgert und[631] geplagt, Euch aber bald erfrieren lassen. Indes, wißt Ihr was? Tragt es in Geduld, denn was diese Nacht nicht hat sein können, wird ein andermal geschehen. Soviel weiß ich, daß der Madonna nichts hätte begegnen können, was ihr unangenehmer gewesen wäre als eben dies.« So entrüstet unser Gelehrter war, so wußte er doch als ein kluger Mann gar wohl, daß Drohungen nichts anderes sind als Waffen für den Bedrohten. Daher verschloß er still in seiner Brust, was der ungezügelte Wille hinauszustoßen begehrte, und sprach mit leiser Stimme, ohne sich im mindesten erzürnt zu zeigen: »In der Tat, ich habe die schlimmste Nacht bestanden, die ich je gehabt habe; doch habe ich wohl eingesehen, daß deine Gebieterin keinerlei Schuld daran hat, war sie ja so mitleidig, daß sie selbst herunterkam, um sich zu entschuldigen und mich zu trösten. Und wie du sagst, was diese Nacht nicht gewesen ist, kann wohl ein andermal geschehen. Empfiehl mich ihr und geh mit Gott.«

Dann schlich er, vom Frost ganz krumm geworden, nach Hause, so gut er konnte. Hier warf er sich, todmüde wie er war, zum Schlafen auf das Bett, wo er, an Armen und Beinen fast ganz gelähmt, wieder er wachte. Er sandte daher zu einem Arzt, sagte ihm, welchen Frost er ausgestanden hatte, und ließ ihn für seine Gesundheit die nötigen Vorkehrungen treffen. Die Ärzte wandten so kräftige und schnell wirkende Heilmittel an, daß es ihnen, obwohl mit Mühe, nach einiger Zeit gelang, ihn wiederherzustellen und die zusammengezogenen Nerven wieder auszudehnen. Doch wäre er nicht jung gewesen und wäre nicht die warme Jahreszeit dazugekommen, so hätte er noch unsäglich viel auszustehen gehabt. Nachdem er aber wieder frisch und gesund geworden war, verschloß er seinen Haß im Innern und stellte sich verliebter denn je in seine Witwe.

Nun geschah es nach einiger Zeit, daß das Glück dem Gelehrten Gelegenheit bot, seinen Wunsch nach Rache zu befriedigen. Der junge Mann, den die Witwe geliebt hatte, verliebte sich, ohne im geringsten Rücksicht auf ihre Neigung zu nehmen, in eine andere; und wie er nun nichts mehr ihr zu Gefallen sagen oder tun wollte, begann sie sich in Tränen und Kummer zu verzehren. Ihre Magd aber, welche das größte Mitleid mit[632] ihr fühlte und keinen andern Weg sah, ihre Gebieterin vom Schmerz über den verlorenen Liebhaber zu befreien, verfiel, da sie den Gelehrten noch immer nach gewohnter Art durch die Straße gehen sah, auf den törichten Gedanken, daß der Geliebte ihrer Gebieterin durch irgendein Zaubermittel zur gewohnten Liebe zurückgerufen werden könne und der Gelehrte in solchen Dingen ein großer Meister sein müsse. Diesen Gedanken teilte sie ihrer Gebieterin mit, die unverständig genug war, nicht zu bedenken, daß der Gelehrte, wenn er sich auf Zauberei verstanden, diese wohl für sich selbst angewendet hätte. Sie ging daher auf die Reden der Dienerin ein und trug ihr sogleich auf, ihn auszuforschen, ob er es tun wolle, und ließ ihm für gewiß versprechen, daß sie als Lohn dafür alles tun werde, was ihm beliebe.

Die Magd richtete die Botschaft gut und sorgfältig aus. Als der Gelehrte sie hörte, sprach er voller Freude bei sich selbst: »Gott sei gelobt! Die Zeit ist gekommen, wo ich mit deiner Hilfe dieses schändliche Weib für die Beleidigung strafen kann, die sie mir zum Lohn für meine große Liebe zu ihr angetan hat.« Dann sprach er zur Magd: »Sage meiner Dame, sie solle sich darüber keine Sorge machen; denn wäre ihr Liebhaber auch in Indien, so will ich ihn doch zwingen, daß er zu ihr komme und sie für alles um Vergebung bitte, was er gegen ihr Gefallen getan hat. Den Weg aber, den sie dazu einzuschlagen hat, gedenke ich ihr selbst zu beschreiben, wann und wo es ihr genehm ist. Dies bestelle ihr und tröste sie in meinem Namen.«

Diese Antwort richtete die Magd aus, und es wurde verabredet, daß sie in Santa Lucia del Prato zusammenkommen sollten. Als nun die Witwe und der Gelehrte hier allein miteinander sprachen, gedachte sie nicht, wie sie ihn fast dem Tode preisgegeben hatte, sondern eröffnete ihm alle ihre Angelegenheiten und alles, was sie wünschte, und beschwor ihn, ihr zu helfen.

»Madonna«, entgegnete ihr der Gelehrte, »es ist wahr, daß unter andern Dingen, die ich in Paris erlernte, auch die Schwarze Kunst ist, und ich weiß von ihr in der Tat soviel, als sie zu lehren vermag. Weil sie aber Gott sehr zum Mißfallen gereicht, habe ich geschworen, sie nie weder für mich noch für andere zu[633] üben. Doch ist in der Tat die Liebe, die ich für Euch empfinde, von solcher Gewalt, daß ich nicht weiß, wie ich Euch etwas abschlagen soll, was Ihr mir zu tun gebietet. Ich bin darum, selbst wenn ich deswegen dem Teufel verfallen sollte, bereit, es zu tun, weil Ihr es wollt. Doch ich mache Euch darauf aufmerksam, daß die Sache schwerer ist, als Ihr vielleicht glaubt, und besonders dann, wenn eine Frau einen Mann zu ihrer Liebe zurückführen will oder der Mann eine Frau. Dies kann nur durch die eigene Person dessen geschehen, um den es sich handelt. Ferner gehört dazu, daß, wer es unternimmt, starken Gemütes sei; denn es muß des Nachts an einsamen Orten und ohne jede Begleitung geschehen. Dies alles sind aber Dinge, von denen ich nicht weiß, ob und inwieweit Ihr entschlossen seid, sie zu unternehmen.« Hierauf antwortete die Dame, die mehr verliebt war als verständig: »Die Liebe treibt mich so, daß es nichts gibt, was ich nicht unternähme, um den wiederzuerlangen, der mich mit Unrecht verlassen hat. Gefällt es dir drum, so sage mir, in was ich so fest sein muß.«

Der Gelehrte, der, auf Rache sinnend, Arges im Schilde führte, sprach hierauf: »Madonna, ich habe Euch ein Bild aus Zinn zu machen, das denjenigen darstellt, den Ihr wiederzuerlangen wünscht. Wenn ich Euch dies geschickt haben werde, müßt Ihr kurz vor dem Neumond Euch mit jenem Bilde nackt und ganz allein in einem fließenden Wasser zur Zeit des ersten Schlafes siebenmal baden, dann, so nackt wie Ihr seid, auf einen Baum oder auf irgendein unbewohntes Haus hinaufsteigen und mit dem Bilde in der Hand gen Norden gewendet siebenmal gewisse Worte sprechen, die ich Euch geschrieben geben werde. Wenn Ihr diese gesagt habt, werden zwei Jungfrauen, so schön wie die schönsten, die Ihr je gesehen, zu Euch kommen, Euch begrüßen und Euch freundlich fragen, was Ihr wünscht, daß geschehe. Diesen müßt Ihr Euere Wünsche genau und vollständig kundtun, und hütet Euch wohl, daß Ihr dabei nicht etwa ein Wort oder einen Namen mit dem andern verwechselt. Habt Ihr ihnen das gesagt, so werden sie verschwinden, und Ihr könnt dann dorthin zurückgehen, wo Ihr Eure Kleider gelassen habt, Euch wieder anziehen und nach Hause zurückkehren. Alsdann wird die folgende Nacht gewiß noch nicht zur Hälfte verstrichen[634] sein, da Euer Liebhaber weinend zu Euch kommen und Euch um Gnade und Mitleid anflehen wird. Und wisset, daß er von da ab Euch nie mehr um einer andern willen verlassen wird.«

Als die Dame dies hörte, vertraute sie so fest darauf, daß sie schon ihren Geliebten wieder in den Armen zu halten wähnte, und halb erheitert sprach sie: »Sorge nicht, ich will dies alles gar wohl vollbringen, denn ich habe die beste Gelegenheit dazu. Ich besitze ein Gut gegen das obere Arnotal hin, das ganz nahe am Ufer des Flusses liegt. Auch ist es jetzt Juli, und das Baden wird mir ein Vergnügen sein. Überdies erinnere ich mich, daß sich nicht weit vom Flusse ein kleiner Turm befindet, der völlig unbewohnt ist; und nur zuweilen steigt ein Hirt auf einer Leiter von Kastanienholz, die sich dort befindet, zum Söller hinauf, um sich von jenem einsamen und abgelegenen Orte aus nach seinem verirrten Vieh umzusehen. Dort will ich hinaufsteigen, und so gedenke ich auf die beste Art von der Welt das auszuführen, was Ihr mir auferlegt habt.«

Der Gelehrte, der das Gut der Dame und den kleinen Turm hinlänglich kannte und zufrieden war, über ihren Entschluß unterrichtet zu sein, antwortete: »Madonna, ich war nie in jener Gegend, und so kenne ich weder Euer Gut noch den Turm. Jedoch, wenn es sich so verhält, wie Ihr sagt, so kann es sich ja nirgendwo auf der Welt besser treffen. Ich will Euch darum, sobald es an der Zeit sein wird, Bild und Beschwörung schicken. Zugleich aber bitte ich Euch angelegentlich, daß, wenn demnächst Euer Verlangen erfüllt ist und Ihr erkannt haben werdet, wie wohl ich Euch gedient habe, Ihr Euch auch meiner erinnert und nicht vergeßt, das mir gegebene Versprechen zu halten.« Das werde sie ohne jeden Zweifel tun, entgegnete ihm hierauf die Dame, nahm Abschied und kehrte nach Hause zurück.

Froh, daß sein Plan in Erfüllung zu gehen versprach, ließ der Gelehrte nun das Bild mit seinen Zauberzeichen verfertigen, schrieb irgendeine Erfindung als Beschwörungsformel auf und schickte diese, als es ihm an der Zeit schien, der Witwe, indem er ihr zugleich sagen ließ, daß sie ohne Aufschub in der folgenden Nacht vollbringen möge, was er ihr gesagt habe.[635] Dann aber begab er sich mit einem Diener heimlich zu dem Hause eines seiner Freunde, das nahe bei dem kleinen Turm lag, um hier sein Vorhaben zu Ende zu führen. Die Dame machte sich ihrerseits mit ihrer Dienerin ebenfalls auf den Weg und verfügte sich nach ihrem Gute.

Als die Nacht gekommen war, tat sie, als wolle sie zu Bett gehen und schickte die Dienerin schlafen. Allein zur Stunde des ersten Schlafs schlich sie sich heimlich aus dem Hause und schritt zum Ufer des Arno, nahe bei dem kleinen Turm. Hier blickte sie sich erst nach allen Seiten um, und da sie niemand sah oder hörte, entkleidete sie sich, verbarg ihre Kleider unter einem Strauch, badete sich siebenmal mit dem Bilde und begab sich dann nackend und mit dem Bilde in der Hand zum Turme. Der Gelehrte, der bei Anbruch der Nacht sich mit seinem Diener unter Weiden und anderen Bäumen in der Nähe des Turmes versteckt und von hier aus dies alles mit angesehen hatte, fühlte etwas Mitleid, als sie so nackend hart an seiner Seite vorüberging und er sah, wie die Dunkelheit der Nacht durch die Weiße ihres Leibes besiegt ward; noch mehr aber, als er ihren Busen und die andern Teile ihres Körpers beschaute, sie durchaus schön fand und bei sich dachte, was binnen kurzer Zeit aus all dem würde. Auch überfiel ihn plötzlich der Stachel des Fleisches und hieß ihn, indem er einen Schlafenden zur Auferstehung weckte, aus seinem Versteck hervorbrechen und seine Lust an ihr kühlen; und wenig fehlte, so hätte er sich von seinen Gefühlen besiegen lassen. Als ihm aber wieder einfiel, wer er selbst war und von welcher Art die Schmach gewesen, die er empfangen, und warum und von wem, entflammte von neuem sein Zorn, so daß Mitleid und Lust verschwanden. Er blieb in seinem Vorsatz standhaft und ließ sie vorübergehen.

Die Witwe stieg indes den Turm hinauf, wandte sich gen Norden und fing an, die Worte herzusagen, welche der Gelehrte ihr gegeben hatte. Währenddessen schlich sich dieser bald nach ihr in den Turm, hob ganz leise die Leiter weg, die auf den Söller hinaufführte, auf dem die Dame sich befand, und erwartete dann, was sie sagen und tun würde. Nachdem sie siebenmal ihre Beschwörungsformel hergesagt hatte, fing sie an,[636] die beiden Jungfrauen zu erwarten. So lange aber mußte sie ihrer harren, daß sie, von der Kühle zu schweigen, die sie bald stärker empfand, als sie gewünscht hätte, endlich die Morgenröte erscheinen sah. Betrübt darüber, daß nicht erfolgt war, was der Gelehrte ihr versprochen hatte, sagte sie daher zu sich selbst: »Fast fürchte ich, daß jener mir hat eine Nacht verschaffen wollen, wie ich sie ihm gab. Hat er indes in dieser Absicht gehandelt, so hat er es schlecht verstanden, sich zu rächen; denn nicht den dritten Teil so lang ist diese Nacht gewesen, wie die seine es war, ungerechnet, daß damals die Kälte wohl von schlimmerer Art war.«

Damit nun der Tag sie nicht überrasche, wollte sie vom Turme herabsteigen; allein sie fand die Leiter nicht mehr. Da verließ sie der Mut, als wäre die Welt plötzlich unter ihren Füßen verschwunden, und verzweifelt fiel sie auf den Estrich des Turmes nieder. Als ihre Lebenskräfte zurückkehrten, begann sie bitterlich zu weinen und zu wehklagen. Sie erkannte wohl, daß dies das Werk des Gelehrten sein müsse, und klagte sich laut an, zunächst, daß sie ihn beleidigt, dann aber auch, daß sie dem vertraut habe, den sie wohl für ihren Feind halten mußte. Lange Zeit verbrachte sie in diesen Klagen. Dann blickte sie umher, ob irgendeine Möglichkeit herabzusteigen vorhanden wäre, und da sie diese nicht fand, begann sie von neuem ihre Klagen. Mit bittren Gedanken sprach sie zu sich selbst: »O du Unglückliche, was werden deine Brüder sagen, deine Verwandten, deine Nachbarn und überhaupt ganz Florenz, wenn man erfahren wird, du seist hier nackt gefunden worden? Deine Ehrbarkeit, die so groß geschienen, wird als falsch erkannt werden, und erfändest du auch lügnerische Ausreden, wie es deren vielleicht noch geben mag, so wird der verwünschte Gelehrte, der alle deine Angelegenheiten kennt, dir nicht zu lügen erlauben. O Unglückliche, die du zu gleicher Zeit den Jüngling, den du dir zum Unheil liebtest, und deine eigene Ehre verloren hast!« Und ein solcher Schmerz kam über sie, daß sie fast im Begriff war, sich vom Turme hinabzustürzen.

Indes hatte sich die Sonne bereits erhoben und die Witwe sich der Brustwehr des Turmes auf der einen Seite genähert,[637] um zu sehen, ob nicht irgendein Knabe, den sie zu ihrer Dienerin schicken könne, mit seinem Vieh nahe wäre. Da geschah es, daß der Gelehrte, der unter einem Gesträuch ein wenig geschlafen hatte, erwachte, sie erblickte, und auch von ihr gesehen wurde. »Guten Tag, Madonna«, rief er ihr zu, »sind die Jungfrauen noch nicht gekommen?« Als die Witwe ihn sah und hörte, fing sie abermals heftig zu weinen an und beschwor ihn, daß er in den Turm komme, damit sie ihn sprechen könne. Hierin war der Gelehrte ihr vollkommen willfährig. Die Dame legte sich nun lang auf den Estrich hin, streckte nur den Kopf über die Öffnung des Bretterbodens und sprach unter Tränen: »Gewiß, Rinieri, wenn ich dir eine üble Nacht verschaffte, so hast du dich wohl an mir gerächt; denn ist es gleich Juli, so habe ich, nackt wie ich bin, in dieser Nacht doch zu erstarren geglaubt. Überdies aber habe ich den Trug, den ich gegen dich beging, und die Torheit, mit der ich dir vertraute, so bitter beweint, daß es ein Wunder ist, wie meine Augen mir noch im Kopf geblieben sind. Und darum beschwöre ich dich, nicht bei deiner Liebe zu mir, die du nicht lieben kannst, sondern bei dir selbst, der du ein Edelmann bist, daß dir als Rache für die Schmach, die ich dir erwies, genüge, was du mir bis jetzt getan hast. Lasse mir meine Kleider reichen, damit ich von hier herabsteigen kann, und raube mir nicht meine Ehre, die du mir nachher nicht wiedergeben kannst, auch wenn du es möchtest. Raubte ich dir auch die Freude, jene Nacht bei mir zu sein, so kann ich ja, sobald es dir gefällt, dir diese eine Nacht tausendmal wiedergeben. Laß es genug sein und wie einem Ehrenmann dir genügen, daß du dich rächen und mir dies beweisen konntest. Gebrauche deine Macht nicht gegen ein Weib; es ist ja für den Adler kein Ruhm, die Taube besiegt zu haben. Deshalb, um Gottes Liebe und deiner eigenen Ehre willen, habe Erbarmen mit mir!«

Der Gelehrte, welcher in harter Seele die empfangene Beschimpfung erwog und nun die Witwe weinen und flehen sah, fühlte zu gleicher Zeit Lust und Leid im Herzen: Lust über die Rache, die er mehr als alles andere begehrt hatte, und Leid, weil ihn seine Menschlichkeit mit der Unglücklichen mitfühlen ließ. Da jedoch die Menschlichkeit nicht vermochte, sein grausames[638] Begehren zu besiegen, antwortete er: »Madonna Helena, wenn meine Bitten – die ich freilich weder so mit Tränen anzufeuchten noch so zu verzuckern wußte, wie du jetzt die deinen – mir jene Nacht, als ich in deinem mit Schnee gefüllten Hofe fast vor Kälte starb, wenigstens dazu verholfen hätten, daß du mich ein wenig unter Dach und Fach hättest treten lassen, so wäre es mir leicht, dein Flehen zu erhören. Ist dir aber jetzt um soviel mehr als in früherer Zeit an deiner Ehre gelegen und ist es dir so entsetzlich, dort oben nackt zu stehen, so wende dein Flehen an den, in dessen Armen nackt zu weilen dir in jener Nacht, deren du dich selbst wohl erinnerst, nicht schwer fiel, indes du mich mit klappernden Zähnen in deinem Hofe umhergehen und den Schnee festtreten hörtest. Von ihm laß dir helfen, von ihm dir deine Kleider reichen und die Leiter, auf der du heruntersteigen kannst, anlegen; in ihm suche das Zartgefühl deiner Ehre zu wecken, für den du dich nicht gescheut hast, es jetzt wie tausend andere Male vorher preiszugeben. Warum rufst du ihn nicht herbei, daß er dir zu Hilfe komme? Wem käme dies mehr zu als ihm? Du bist ja die Seine, und was auf der Welt soll er hüten, wem helfen, wenn er dir nicht hilft? Rufe ihn, Törin, und versuch es, ob die Liebe, die du für ihn hegst, ob seine und deine eigene Klugheit dich vor meiner Torheit erretten können. Du fragtest ihn damals scherzend, ob ihm meine Torheit oder deine Liebe zu ihm größer erscheine. Tue aber jetzt nicht freigebig mit dem, was ich nicht mehr begehre und was du, wenn ich es begehrte, mir nicht verweigern könntest. Spare deinem Buhlen die Nächte auf, wenn es geschehen sollte, daß du lebend von hier fortkommst. Sie seien dein und sein. Ich hatte an einer einzigen genug, und einmal verhöhnt worden zu sein, möge mir genügen. Noch übst du die alte List in deiner Rede; du strebst, mich lobend, meine Großmut zu gewinnen, und nennst mich ehrenwert und einen Edelmann und hoffst in der Stille, daß ich aus Großmut dich für deine Bosheit zu strafen abstehe. Aber deine Schmeicheleien sollen mir jetzt die Augen des Verstandes nicht ebenso umnebeln wie einst deine treulosen Versprechungen. Ich habe mich selbst erkannt, und solange ich auch in Paris verweilte, habe ich nicht soviel über mich selbst[639] gelernt, als du in einer einzigen Nacht mich durch dein Betragen hast erkennen lassen. Doch gesetzt auch, ich wäre großmütig, so gehörst du nicht zu denen, an welchen Großmut zu üben ist. Das Ende der Buße für solche wilden Tiere wie du und das Ende der Rache an ihnen sollte nur der Tod sein. Menschen gegenüber genügt, was du sagtest.

Drum, bin ich auch kein Adler, so scheinst du mir keine Taube, sondern eine giftige Schlange, die ich als uralter Feind mit allem Haß und aller Gewalt zu verfolgen gedenke, obschon alles, was ich gegen dich tue, nicht eigentlich Rache, sondern vielmehr nur Züchtigung ist; denn die Rache übersteigt notwendig die Beleidigung, und die Züchtigung wird sie noch nicht einmal erreichen. Wollte ich mich rächen, so würde, wenn ich dabei den Zustand erwäge, in den du meine Seele versetztest, dein Leben, auch wenn ich es dir rauben wollte, mir nicht genügen und ebensowenig das von hundert andern deinesgleichen; ich tötete ja immer nur ein verächtliches, schlechtes und schuldiges Weiblein. Was, zum Henker, bist du denn, wenn man das bißchen Gesicht wegdenkt, das wenige Jahre mit Runzeln anfüllen und verderben werden? Was bist du mehr als jede andere jämmerliche Magd? Und doch lag es nicht an dir, daß du nicht einen Ehrenmann, wie du mich erst eben nanntest, zum Tode führtest, dessen Leib an einem einzigen Tage der Welt mehr nützen kann, als Hunderttausende deinsgleichen vermögen, solange die Welt stehen wird. Ich will dir also durch diese Züchtigung, die du ausstehst, zeigen, was es heißt, Männer zu verhöhnen, die einige Einsicht besitzen, und was es bedeutet, eines Gelehrten zu spotten, auf daß du in Zukunft, wenn du hier mit dem Leben davonkommst, nie wieder in diese Torheit verfallen mögest. Doch hast du so großes Verlangen, von dort herabzukommen, warum stürzt du dich nicht auf die Erde? Dann wirst du dir, mit Gottes Hilfe, den Hals brechen und dadurch zugleich der Pein, in der du zu sein glaubst, entfliehen und mich zum zufriedensten Menschen von der Welt machen. Nun will ich dir nichts weiter sagen: ich wußte es einzurichten, daß du dort hinaufstiegst; erfinde du jetzt das Mittel herabzusteigen, wie du das erfandest, mich zu verhöhnen.«

Während der Gelehrte so sprach, weinte die unglückliche[640] Witwe ohne Unterlaß, und inzwischen verging die Zeit, und die Sonne stieg immer höher. Doch als sie ihn schweigen hörte, begann sie: »Grausamer Mann, ward dir jene verwünschte Nacht so schwer, und schien dir mein Verschulden so groß, daß dich weder meine jugendliche Schönheit noch meine herben Tränen oder mein demütiges Flehen erweichen können, so laß dich wenigstens dadurch etwas rühren und deine Strenge mindern, daß ich dir von neuem vertraute und dir alle meine Geheimnisse offenbarte und eben hierdurch deinem Verlangen, mich zur Erkenntnis meines Unrechts zu bringen, Gelegenheit bot; denn ohne diese vertrauensvolle Hingebung hättest du nie das Mittel gefunden, dich an mir zu rächen, was du doch mit solcher Begier ersehntest. Drum laß deinen Zorn und vergib mir. Wenn du mir verzeihen und mich von hier hinunterlassen willst, bin ich bereit, den treulosen Jüngling ganz aufzugeben und dich allein als meinen Geliebten und Herrn anzuerkennen, obschon du meiner Schönheit spottest und sie für vergänglich und wenig wert erklärst. Doch wie auch sie und die aller andern Frauen beschaffen sei, so weiß ich doch, daß, wenn schon aus keinem anderen Grunde, sie zumindest deswegen wertgehalten zu werden verdient, weil sie das Verlangen, die Freude und das Ergötzen der jungen Männer ausmacht, und du bist keineswegs alt. Ja, wie grausam ich auch von dir behandelt werde, so kann ich doch nicht glauben, daß du wünschest, mich eines so ehrlosen Todes sterben zu sehen, wie ich ihn fände, wenn ich mich wie eine Verzweifelte von diesem Turm herabstürzte vor deinen Augen, denen ich einst so sehr gefiel, so du nicht schon damals, wie du es jetzt geworden bist, ein Lügner warst. Um Gott, habe Mitleid mit mir und Erbarmen. Die Sonne fängt an heiß zu glühen, und wie mich die Kälte in dieser Nacht gequält hat, so beginnen nun ihre Strahlen mir höchst beschwerlich zu fallen.«

Hierauf entgegnete ihr der Gelehrte, der Gefallen daran fand, sie mit Worten hinzuhalten: »Dein Zutrauen, Madonna, überlieferte dich jetzt meinen Händen nicht aus Liebe, die du für mich fühltest, sondern um den wiederzugewinnen, den du verloren hattest, und verdient darum nichts anderes als größere Strafe. Törichterweise glaubst du, wenn du es glaubst, daß dieser[641] Weg allein und kein anderer mich zu der von mir ersehnten Rache habe führen können. Tausend andere hatte ich dazu, mit tausend Schlingen hatte ich deine Füße dadurch umstrickt, daß ich dich noch immer zu lieben vorgab, und nicht lange hätte es währen können, so hättest du, auch wenn es nicht auf diese Weise geschehen wäre, notwendig in eine derselben fallen müssen. Ja, in keine hättest du geraten können, welche dir nicht zu größerer Strafe und Schmach als diese ausgeschlagen wäre. Diesen Weg aber ergriff ich, nicht um dich zu schonen, sondern um desto früher meiner Rache froh zu werden. Ja, wäre mir auch jeder andere fehlgeschlagen, so wäre mir doch nicht die Feder entgangen, mit der ich solche und so beschaffene Dinge von dir geschrieben hätte und auf solche Art, daß du, wenn du sie wiedererfahren, dir jeden Tag tausendmal gewünscht hättest, niemals geboren zu sein. Die Macht der Feder ist um vieles größer als diejenigen ermessen, welche sie aus Erfahrung noch nicht erprobt haben; und ich schwöre zu Gott – und mag er mich der Rache, die ich jetzt an dir nehme, bis ans Ende froh machen, wie er es mit ihrem Anfang getan hat –, ich hätte Dinge geschrieben, um derentwillen du nicht allein vor andern, sondern auch vor dir selbst schamrot geworden wärest und dir die Augen ausgerissen hättest, um dich nicht mehr zu sehen. Wirf also dem Meer nicht vor, daß es durch den kleinen Bach gewachsen sei.

Aus deiner Liebe und daraus, daß du mein werden willst, mache ich mir, wie gesagt, nicht das mindeste. Gehöre nur immer dem an, dem du gehörtest, wenn du es fernerhin kannst. Ich aber liebe ihn, wie ich ihn einst haßte, weil er nun so gegen dich gehandelt hat. Ihr Weiber verliebt euch und begehrt die Liebe der Jünglinge, weil ihr sie vielleicht mit etwas lebhafterer Gesichtsfarbe und schwärzerem Bart selbstzufrieden einherschreiten, tanzen und turnieren seht. All dies aber besaßen auch diejenigen, die nun etwas älter geworden sind, und überdies wissen sie schon, was jene noch zu lernen haben. Ihr haltet sie für bessere Ritter und glaubt, daß sie mehr Meilen am Tag zurücklegen als die gereifteren Männer. Ich räume selbst ein, daß sie euer Pelzchen mit größerer Kraft striegeln; aber die Gereifteren wissen ihrer Erfahrung zufolge besser die Stellen,[642] wo der Floh nistet, und das wenige aber Schmackhaftere ist dem vielen und Geschmacklosen bei weitem vorzuziehen. Der scharfe Trab schmerzt und ermüdet den Reiter, wie jung er auch sei, während ein bequemer Schritt, wenn auch etwas später, doch behaglich zur Herberge führt.

Ihr seht nicht ein, ihr Wesen ohne Urteil, wieviel Übel sich unter diesem bißchen schöner Außenseite verbirgt. Nicht mit einer Schönen sind die Jünglinge zufrieden, sondern so viele sie sehen, so viele begehren sie, so vieler glauben sie würdig zu sein. Deshalb kann ihre Liebe nicht beständig sein, und du selbst kannst jetzt Zeugnis dafür ablegen. Werden sie von ihren Schönen geehrt und geliebkost, so meinen sie, ihnen geschähe nur, was ihnen gebührt, und einen größeren Ruhm kennen sie nicht, als diejenigen prahlend aufzuzählen, die sie besessen haben; und schon viele Weiber hat diese Sünde den Mönchen zugeführt, die wenigstens nichts weitererzählen. Und wenn du behauptest, daß niemand als deine Dienerin und ich deine Liebe kennen, so weißt du es schlecht und glaubst es zu Unrecht, wenn du es glaubst. Deine ganze Straße sowohl als auch deine Nachbarschaft spricht fast von nichts anderem; aber meistens ist der letzte, dem solche Dinge zu Ohren kommen, gerade derjenige, den sie betreffen. Auch plündern die jungen Fante euch aus, während ihr von den älteren beschenkt werdet.

Wußtest du nun aber einmal so schlecht zu wählen, so gehöre immerhin dem an, dem du dich schenktest, und überlasse mich, den du verhöhntest, andern; denn ich habe eine Geliebte gefunden, unendlich würdiger, als du es bist, eine Geliebte, die mich besser zu erkennen gewußt hat, als du es tatest. Willst du inzwischen über das, wonach meine Augen verlangen, eine richtigere Überzeugung in jene Welt mitnehmen, als meine Worte sie dir in dieser gegeben zu haben scheinen, so eile nur, dich von dort herabzustürzen. Wie ich glaube, wird dann deine Seele, von den Klauen des Teufels schon erfaßt, wahrnehmen, wie wenig mein Auge sich entsetzt, wenn es dich so jählings niederstürzen sieht. Doch fürchte ich, du wirst mir solche Freude nicht machen wollen, und darum ermahne ich dich, wenn die Sonne dich zu brennen anfängt, an den Frost zu denken, den du mich erdulden ließest, und mischst du ihn dann mit der[643] gegenwärtigen Hitze, so wird die Sonne dir ohne Zweifel gemäßigt vorkommen.«

Die untröstliche Witwe sah wohl, daß die Rede des Gelehrten auf ein grausames Ziel hinauslief. Sie fing daher wieder an zu weinen und sprach: »Sieh, da nichts, was mich angeht, dich zum Mitleid mit mir bewegen kann, so lasse dich von der Liebe bewegen, die du für jene Dame hegst, welche du verständiger als mich erachtest und von der geliebt zu sein du versicherst. Um ihrer Liebe willen vergib mir und reiche mir meine Kleider, damit ich mich ankleiden kann, und laß mich von hier herunter.«

Hierauf begann der Gelehrte zu lachen, und da er sah, daß die dritte Morgenstunde schon geraume Zeit vorüber war, versetzte er: »Freilich, jetzt kann ich nicht nein sagen, da du mich bei einer solchen Dame beschworen hast. Sage mir denn, wo sie sind. Ich will danach gehen und dich von dort oben herunterlassen.« Da die Witwe dies glaubte, beruhigte sie sich etwas und beschrieb ihm den Ort, wo die Kleider versteckt waren. Doch als der Gelehrte den Turm verließ, befahl er seinem Diener, sich nicht von dort zu entfernen, sondern in der Nähe zu bleiben und nach allen Kräften zu verhüten, daß jemand hineinkomme, bis er selbst zurückkehren werde. Dann eilte er zum Hause seines Freundes, speiste hier gemächlich und legte sich, als es ihm Zeit schien, zur Ruhe nieder.

Nur kurze Zeit von törichter Hoffnung etwas ermutigt, richtete sich die Witwe, die auf dem Turm über alle Maßen betrübt zurückgeblieben war, wieder auf, drängte sich an die Seite der Mauer, wo sie ein wenig Schatten fand, und wartete unter den bittersten Gedanken. Bald nachsinnend und bald hoffend, bald wieder daran verzweifelnd, daß der Gelehrte mit ihren Kleidern wiederkehren werde, vom einen Gedanken zum andern überspringend, verfiel sie endlich, da sie die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, vom Schmerz überwältigt in Schlaf.

Unterdessen war die Sonne, die in vollster Sommerglut brannte, bis zum Mittag heraufgerückt und traf mit ihren fast senkrechten Strahlen schutzlos den weichen und zarten Körper und den unbedeckten Kopf der Witwe mit solcher Gewalt, daß ihre Glut das Fleisch, soweit es ihr ausgesetzt war, nicht allein[644] verbrannte, sondern dasselbe Stück für Stück bersten machte. So heftigen Schmerz aber verursachte dies, daß die tief Schlafende davon erwachte. Wie sie nun durch den Schmerz des Brandes zusammenzuckte, schien es ihr, als öffnete sich die ganze versengte Haut und reiße in Stücke, wie wir es mit verbranntem Pergament geschehen sehen, sobald man daran zieht. Überdies schmerzte sie, wie es wahrlich kein Wunder war, der Kopf so sehr, daß sie meinte, er müsse zerspringen. Zugleich war auch der Estrich des Turmes so glühend, daß sie weder mit den Füßen noch sonst mit einem Teile ihres Körpers darauf Ruhe finden konnte, weshalb sie, ohne in derselben Lage irgend zu verweilen, sich unter Tränen stets hin- und herwandte. Dazu fanden sich bei der völligen Windstille auch Fliegen und Bremsen in unermeßlicher Zahl ein, welche sich auf ihre gesprungene Haut setzten und sie so heftig stachen, daß ihr jeder Stich von einem Speere herzurühren schien, so daß sie keinen Augenblick abließ, sich mit den Händen zu wehren, während sie dabei sich selbst, ihr Dasein, ihren Liebhaber und den Gelehrten fortwährend verwünschte.

Dann wieder sprang sie plötzlich auf, von der grenzenlosen Hitze, vom Sonnenbrand, von den Fliegen und Bremsen, zugleich auch vom Hunger und noch viel mehr vom Durst, als Zugabe aber von tausend quälenden Gedanken geängstigt, gepeinigt und durchwühlt, und spähte umher, ob sie nicht in der Nähe irgend jemand sähe oder hörte, völlig entschlossen, ihn anzurufen und um Beistand anzusprechen, was auch daraus werden möchte. Doch auch dies hatte das feindliche Geschick ihr versagt. Die Bauern waren der Hitze wegen alle von den Feldern verschwunden, und niemand war an diesem Tage in jener Gegend zur Arbeit ausgegangen, da sie alle bei ihren Häusern das Korn droschen. Darum hörte sie nichts als Heuschrecken und sah nichts als den Arno, der, mit seinen Wassern ihr Verlangen erregend, ihren Durst nicht etwa stillte, sondern nur vermehrte. Auch sah sie an verschiedenen Stellen Büsche, Schatten und Häuser, welche alle der danach Begehrenden auf gleiche Weise zur Pein wurden. Was sollen wir noch mehr von dem unglücklichen Weibe berichten? Die Sonne von oben, die Glut des Estrichs von unten und die Stiche der Fliegen[645] und Bremsen von der Seite hatten Helena so zugerichtet, daß sie, die noch wenige Stunden zuvor mit der Weiße ihrer Haut die Schatten der Nacht besiegt hatte, jetzt rot wie die Sünde und ganz mit Blut besudelt war und jedem, der sie sah, als das häßlichste Wesen von der Welt erscheinen mußte. So erwartete sie, ohne Rat und Hoffnung, den Tod mehr als irgend etwas anderes.

Inzwischen war die neunte Tagesstunde schon fast herangekommen, als der Gelehrte, vom Schlafe erwachend, der Witwe gedachte und nach dem Turm zurückkehrte, um zu sehen, was aus ihr geworden sei, während er seinen Diener, der noch nüchtern war, zum Essen fortschickte. Als die Unglückliche dies wahrnahm, kam sie schwach und erschöpft von der großen Pein an die Öffnung, setzte sich dort nieder und begann weinend folgendermaßen: »Rinieri, wohl hast du dich jetzt über alles Maß hinaus gerächt, denn wenn ich dich nachts in meinem Hof vor Frost erstarren ließ, so hast du mich bei Tag auf diesem Turm versengen, ja verbrennen und überdies an Hunger und Durst fast sterben lassen. Ich beschwöre dich daher bei dem alleinigen Gott, komme herauf, und da ich nicht den Mut habe, mir selbst den Tod zu geben, so gib du mir ihn, den ich jetzt mehr begehre als alles andere, so groß ist die Qual, die ich empfinde. Willst du mir aber diese Gunst nicht erweisen, so laß mir wenigstens einen Becher Wasser reichen, damit ich mir den Mund anfeuchten kann, da bei der Trockenheit und der Glut, die ich innerlich fühle, meine Tränen nicht genügen wollen.«

Wohl erriet der Gelehrte an der Stimme das Maß ihrer Schwäche, auch sah er zum Teil ihren von der Sonne ganz versengten Leib. Dies sowohl als auch ihr demütiges Flehen erweckte einiges Mitleid in ihm. Nichtsdestoweniger antwortete er ihr: »Schlechtes Weib, von meinen Händen sollst du nicht sterben, stirb von deinen eigenen, wenn du Verlangen danach hast, und Wasser will ich dir ebensoviel zur Linderung deiner Glut reichen, wie ich Feuer von dir zur Linderung des Frostes bekam. Das eine aber beklage ich sehr: während meine Krankheit, welche die Folge jenes Frostes war, durch die Hitze stinkenden Stallmists geheilt werden mußte, wird deine jetzige Glut mit duftigem Rosenwasser gekühlt und geheilt werden;[646] und während ich meine Nerven, ja mein Leben einzubüßen im Begriff war, wirst du nach dieser sengenden Hitze der Schlange gleich, die ihre alte Haut abstreift, wieder schön werden.«

»O weh mir!« entgegnete die Witwe. »So erlangte Schönheit möge Gott denen gewähren, die mir übel wollen! Aber du, der du grausamer bist als irgendein reißendes Tier, wie hast du es vermocht, mich auf diese Weise zu martern? Was hätte ich von dir oder irgendeinem anderen Schlimmeres erwarten können, wenn ich dein ganzes Geschlecht unter den grausamsten Qualen umgebracht hätte? Wahrlich, ich weiß nicht, welche größere Marter man über einen Verräter, der eine ganze Stadt dem Tode geopfert, hätte verhängen können, als die ist, der du mich preisgegeben hast, indem du mich von der Sonne rösten und von den Fliegen aufzehren ließest. Und nun versagst du mir noch einen Becher Wasser, während man selbst den durch Urteil und Recht verdammten Mördern, wenn sie zum Tode gehen, häufig Wein zu reichen pflegt, sobald sie ihn fordern! Wohlan denn, da ich nun sehe, daß du an deinem grausamen Entschluß festhältst und mein Leiden dich in keiner Weise rühren kann, so will ich mich in Geduld anschicken, den Tod zu empfangen, auf daß Gott mit meiner Seele Mitleid habe. Ihn rufe ich an, daß er mit gerechtem Auge dies dein Werk betrachte.«

Nachdem sie diese Worte gesprochen hatte, zog sie sich unter großer Mühe gegen die Mitte des Estrichs zurück und gab schier die Hoffnung auf, dieser brennenden Glut lebendig zu entkommen. Während sie fortwährend heftig weinte und über ihr trauriges Geschick wehklagte, meinte sie nicht nur einmal, sondern tausendmal, außer ihren übrigen Schmerzen, vor Durst den Verstand zu verlieren.

Schon war es Abend geworden, und nun schien es dem Gelehrten, daß er genug getan habe. Er ließ daher von seinem Diener ihre Kleider nehmen und in dessen Mantel einschlagen. Dann begab er sich zu dem Hause der Unglücklichen, wo er ihre Magd trostlos, traurig und ohne Rat an der Tür sitzen fand und also zu ihr sprach: »Wie geht es deiner Gebieterin, gute Frau?« »Herr«, antwortete ihm die Magd, »ich weiß es nicht. Diesen Morgen glaubte ich sie in ihrem Bett zu finden,[647] in das sie sich, wie es mir schien, gestern abend gelegt hatte. Allein ich fand sie weder hier noch anderswo; auch weiß ich nicht, was aus ihr geworden ist, und lebe deshalb in der größten Sorge. Doch Ihr, o Herr, könnt Ihr mir vielleicht etwas von ihr sagen?« Hierauf entgegnete der Gelehrte: »Hätte ich dich nur zusammen mit ihr dort gehabt, wo ich sie hatte, damit ich dich deiner Schuld wegen ebenso hätte züchtigen können, wie ich sie für die ihre gezüchtigt habe. Doch fürwahr, auch du sollst meinen Händen nicht entgehen, bis ich auch dich für deine Taten so gestraft habe, daß du nie mehr einen Mann betrügst, ohne an mich zu denken.« Nach diesen Worten sprach er zu seinem Diener: »Gib ihr die Kleider und heiße sie nach ihrer Herrin gehen, sobald sie will.« Der Diener richtete diesen Befehl aus. Die Magd aber ergriff die Kleider, erkannte sie, und als sie hörte, was ihr gesagt wurde, fürchtete sie, man habe ihre Gebieterin getötet, und es fehlte nicht viel, daß sie laut aufgeschrien hätte. In Tränen eilte sie, sobald der Gelehrte fort war, mit den Kleidern in vollem Laufe hinaus zu dem Turm.

Zufällig waren einem Arbeiter der Witwe an diesem Tag zwei seiner Schweine entlaufen, die er nun suchte und dabei, bald nachdem der Gelehrte weggegangen war, zu dem kleinen Turm gelangte. Während er noch ringsumher nach seinen Schweinen Ausschau hielt, hörte er das Wehklagen der unglücklichen Frau. Er stieg deshalb hinauf und rief, so laut er konnte: »Wer weint dort oben?« Die Witwe erkannte die Stimme ihres Arbeiters, rief ihn beim Namen und sprach: »Eile zu meiner Magd und sorge, daß sie schnell hier zu mir heraufkommt.« Nun erkannte der Arbeiter auch sie und rief: »Weh mir, Madonna, wer brachte Euch dort hinauf? Eure Magd sucht Euch heute schon den ganzen Tag; aber wer hätte glauben können, daß Ihr dort oben wäret!« Dann nahm er die Stangen der Leiter, fing an sie aufzurichten, wie sie stehen mußte, und band daran mit Weidenbast die einzelnen Querhölzer fest.

Indem kam die Magd dazu, und als sie in den Turm trat, konnte sie ihre Stimme nicht länger zurückhalten, sondern fing unter Händeringen zu rufen an: »Weh mir, meine holde Gebieterin, wo seid Ihr?« Als die Witwe sie hörte, rief sie, so laut sie nur konnte: »O meine Schwester, ich bin hier oben.[648] Weine nicht, sondern reiche mir schnell meine Kleider.« Sobald die Magd sie sprechen hörte, stieg sie, schon fast getröstet, schnell die Leiter empor, die der Bauer beinahe ganz zurechtgemacht hatte, und gelangte mit seinem Beistand auf den Söller. Als sie nun aber ihre Gebieterin, kaum einem menschlichen Körper, sondern viel eher einem verkohlten Holzklotz ähnlich, ganz erschöpft, ganz entstellt und nackt auf dem Söller liegen sah, fuhr sie sich mit den Nägeln ins Gesicht und wehklagte nicht anders über sie, als wäre sie tot. Die Dame aber beschwor sie bei Gott, zu schweigen und ihr beim Ankleiden zu helfen. Und nachdem sie von ihr erfahren hatte, daß niemand außer denen, die ihr die Kleider gebracht, und dem anwesenden Arbeiter vernommen hatte, wo sie gewesen sei, tröstete sie sich halbwegs und beschwor sie nur, niemand je etwas hiervon zu sagen.

Nach langem Reden lud der Arbeiter sich die Dame, die nicht gehen konnte, auf die Schulter und trug sie glücklich vom Turme herab. Die unglückliche Magd aber, die zurückgeblieben war, stieg die Leiter weniger vorsichtig hinunter, glitt mit dem Fuß aus und fiel von oben auf die Erde herab, wobei sie sich das Hüftbein brach und wie ein Löwe zu brüllen anfing. Der Arbeiter bettete die Dame auf einen Rasenfleck und ging dann zu sehen, was der Magd widerfahren sei. Als er sie mit gebrochenem Bein fand, trug er sie ebenfalls zum Rasen hin und legte sie neben ihrer Gebieterin nieder. Da diese nun noch ein solches Unglück zu all dem übrigen Mißgeschick hinzukommen sah und jetzt die Dienerin mit gebrochenem Bein erblickte, von der sie mehr als von irgend jemand anderm Hilfe erwartet hatte, ward sie über die Maßen traurig und fing von neuem so bitterlich zu weinen an, daß ihr Arbeiter sie nicht zu trösten vermochte, sondern selbst zu weinen anhub.

Doch da die Sonne schon tief stand, begab er sich auf den Wunsch der untröstlichen Dame, um hier nicht von der Nacht überrascht zu werden, nach seinem Hause, rief zwei seiner Brüder und seine Frau herbei und kehrte in deren Begleitung mit einem Brett zurück, auf das man die Magd legte und sie so nach Hause trug. Die Witwe aber stärkte er mit frischem Wasser und mit guten Worten, nahm sie dann auf seine Schulter[649] und trug sie in ihre Kammer. Die Frau des Arbeiters gab ihr geröstetes Brot zu essen, kleidete sie aus und brachte sie zu Bett. In der folgenden Nacht aber trug der Arbeiter Sorge, daß die Dame und ihre Magd nach Florenz getragen wurden.

Die Witwe, die unerschöpflich an allerhand Listen war, ersann hier eine fabelhafte Geschichte, die mit dem wirklich Geschehenen nichts gemein hatte, und machte dadurch ihren Brüdern, Schwestern und jedem andern weis, daß dies alles ihr selbst und der Magd allein durch Zauberkünste und Teufelsspuk zugestoßen sei. Ärzte waren zur Hand, welche die Witwe, der mehr als einmal die ganze Haut am Bettlaken kleben blieb, nicht ohne viel Angst und Trübsal von einem heftigen Fieber und andern Begleitumständen, die Magd aber von ihrem Beinbruch heilten. Um aller dieser Dinge willen vergaß jene ihren Liebhaber und hütete sich fortan wohlweislich sowohl vor dem Verhöhnen als auch vor dem Verlieben.

Als der Gelehrte von dem Beinbruch der Magd hörte, meinte er, hinreichende Rache genommen zu haben, und ließ nun, zufrieden und ohne weiterzugehen, die Sache auf sich beruhen. So also erging es der törichten Frau mit ihrem Spotte, indem sie einen Gelehrten ebenso leicht anführen zu können glaubte wie einen anderen, und nicht wußte, daß diese, wenn auch nicht alle, so doch zum größten Teil wissen, wo der Teufel den Schwanz hält. Und darum, geliebte Damen, hütet euch, jemand betrügen zu wollen, doch besonders die Gelehrten.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 625-650.
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