Schäferlehren

[297] An Bürger. 1772.


Willst du hier in diesen Gründen

Freude sonder Ekel finden,

Freude sanft und wonniglich,

Süßer Freund! so höre mich.


Auf dem saatbekränzten Hügel,

An des Teiches klarem Spiegel,

Auf der Au, im Buchenwald

Ist ihr liebster Aufenthalt.


In des Frühlings Blumenkleide

Schwebet leisen Tritts die Freude,

Schwebt sie selbst auf dieser Flur,

In der Stadt ihr Schatten nur.
[297]

Fühlst du in der lauten Irre

Dieses Baches, im Geschwirre

Dieser Vögel, in dem Kuss

Dieses Wests, nicht ihren Gruß?


Bist du nicht dem Kräuterwasen,

Nicht den Lämmern, die hier grasen,

Nicht dem kleinsten Blümchen hold:

Heim zur Stadt und kriech um Gold!


Stille Freude fehlet nimmer,

Täuschend ist der lautern Schimmer,

Jede Leidenschaft ist Schmerz,

Nur die Liebe lohnt ein Herz.


Sie die Mutter alles Schönen,

Müße deine Freuden krönen;

Doch eh sie die Myrte flicht,

Höre was die Weisheit spricht.


Jene Rose lockt zum brechen:

Hüte dich! ihr Dorn kann stechen.

Jener Busch reizt deinen Sinn:

Fleuch! die Natter lauret drinn!


Kann Sie Dorf und Flur verlachen,

Wird Sie dich nicht glücklich machen.

Die der Schafe spotten kann,

Sieht mit Spott den Schäfer an.


Unschuld in der Hütte bilde

Dir ein Mädchen gut und milde.

Ungesucht und ungesehn

Sey sie dir allein nur schön.


Seelenwort sey ihre Rede;

Schüchtern blicke sie, nicht spröde,[298]

Nicht mir falscher Scham um sich,

Und ihr Herz erkenne dich!


Klugheit, deren Schein sie fliehe,

Witz, um den sie sich nicht mühe,

Sanftes Mitleid, das schon weint,

Wenn nur krank ihr Lämmchen scheint,


Einfalt in Geschmack und Sitte,

Anmuth in dem kleinsten Schritte,

Wahl in Kleidung, Absicht nie,

Zier' und unterscheide sie!


Hast du solch ein Kind gefunden,

O so segne deine Stunden!

Selig, giebt sie dir die Hand!

Gold und Ueppigkeit sind Tand.


Deine Tage zu versüßen,

Blühen Blumen, Quellen fließen;

Arbeit macht dich froh und frisch,

Milch und Brot würzt deinen Tisch.


Elend obenhin vergüldet

Ist was sonst der Stolz sich bildet.

Wer noch wünschet, ist nicht klug;

Was du hast, ist dir genug.

Quelle:
Heinrich Christian Boie. Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert von Karl Weinhold, Halle 1868, S. 297-299.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon