Die 22. Historie sagt, wie Ulenspiegel sich zu dem Grafen von Anhalt verdingt für ein Thurnbläser, und wan Feind dar kamen, so bließ er sie nit an, und wan kein Feint da was, so bließ er sie an.

[64] Nit lang darnach, da kam Ulenspiegel zu dem Grafen von Anhalt. Zu dem verdingt er sich für ein Thurnbläser. Und der Graf het vil Feintschaft, also da er in dem Stätlin und in dem Schloß die Zeit vil Reiter und Hoffolck beieinander het, die man alle Tag speisen must. Also ward Ulenspiegel[65] uff der Thurnvarten vergessen, daz ihm kein Speiß gesant ward. Und denselben Tag kam es darzu, daz des Graffen Feind für daz Stätlin und Schloß ranten und namen die Küe darvor und triben sie all hinweg. Und Ulenspiegel lag uff dem Thurn und sach durch daz Fenster und machet kein Geschrei, weder mit Blaßen oder mit Schreien. Und da kam daz Gemürmel für den Graffen, daz er mit den Seinen ihn nacheilt. Und sahen uf dem Thurn etlich, daz Ulenspiegel im Fenster lag und lachte. Da rufft ihm der Graff zu: »Wie, ligst du also im Fenster und bist so stil?« Ulenspiegel rufft wider herab: »Vor Essens, so rüff ich oder thun es nit gern!« Der Graff rufft ihm zu: »Wilt du nit die Feind anblosen?« Ulenspiegel rufft wider: »Ich darff kein Feind blaßen, daz Feld ist sunst vol und sein mit den Küwen ein Teil hinweg. Bließ ich erst mer Feind, sie schlügen Euch zu Tod. Wolan, es ist gut.«

Der Graff eilt den Feinden nach und dumleten sich miteinander. Und Ulenspiegel ward wider vergessen seiner Speiß halben. Und der Graff ward ein Weil zufriden. Und holt auch ein Huffen Quecks uff seinen Finden und hüwen zu Mitt, sieden und brieten. Ulenspiegel gedacht uff dem Thurn, wie er auch etwaz von dem Brat möcht bringen, und nam acht die Zeit, wann es Essenszeit wolt sein. Da fieng er an zu rüffen und zu blasen: »Feindaiow, Feindaiow!« Der Graff lieff eilens von dem Tisch (da die Kost uff stund) mit den Seinen und legten Harnisch an und Waffen in die Händ und eilten bald dem Thor zu in das Feld, lugen den Feinden nach. Dieweil liefe Ulenspiegel behend und schnell von dem Thurn und kam uber des Graffen Tisch und nam von der Tafeln Gesottens und Gebratens und was[66] ihm geliebt und gieng bald wider uf den Thurn. Da nun die Reitter unnd das Füßvolck kamen, da vernamen sie von keinen Feinden und sprachen zusamen: »Der Thurnman hat das von Schalckeit gethon«, und zohen wider heim, dem Thor zu. Und der Graff rufft zu Ulenspiegel: »Wie, bist du unsinnig und doll worden?« Ulenspiegel sprach: »On allen argen List.« Der Graff sprach: »Warumb hast du ›Feindaiow‹ geblasen und ist keiner dagewesen?« Ulenspiegel sprach: »Da kein Feind da waren, da must ich etliche Feind dahar blasen.« Da sprach der Graff: »Du krawest dich mit Schalckßnägeln. Wann Feind da sein, so wilt du sie nit anblasen, und wan kein Feind da ist, so blast du die Feind an. Das solt wol Verräterei werden?« Und satzt ihn ab und dinckt ein andern Thurnbläser an sein Stat. Und Ulenspiegel must zu Fuß mit ihn ußlauffen für ein Füßknecht. Daz ward ihn gar ser verdriessen und war gern von dannen gwesen und kunt doch nit mit Glimpff von dannen kumen. Wan si ußzohen an die Feind, so hindert er sich allweg und waz allzeit der letst zum Thor uß, und wann sie geschafft hetten und wider heimkerten, so was er alweg der erst zum Thor in. Da sprach der Graff zu ihm, wie er das verston solt von ihm. Wan er ußzüg mit ihm an die Feind, so war er alweg der letst und so man heimzüge, so war er der erst. Ulenspiegel sprach: »Ihr sollen das nit zürnen, dan wann Ihr und Üwer Hoffgesind all assen, so saß ich uff dem Thurn und schmalt. Davon bin ich onmächtig worden. Solt ich dan nun der erst an die Feind sein, so müst ich die Zeit inbringen und ereilen, das ich auch der erst an der Taffeln und der letst darvon sei, damit das ich wider starck würd. So wil ich wol der erst unnd der letst an den Feinden sein.« »So hör ich wol«, sprach der Graff, »das du daz so lang woltest halten die zeitlang als du uff dem Thurn seßest.« Da sprach Ulenspiegel: »Warzu jederman[67] Recht hat, das nimpt man ihm ger.« Der Graff sprach: »Du solt nit lang mein sein«, und gab ihm Urloub. Des vas Ulenspiegel fro, wan er het nit guten Lust, allen Tag mit den Feinden zu fechten.

Quelle:
Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Stuttgart 1978, S. 64-68.
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