Die 58. Histori sagt, wie man Ulenspiegel zu Lübeck hencken wolt; da er mit behender Schalckheit darvonkam.

[165] Lambrecht, der Weinzäpffer, achtet der Wort, als Ulenspiegel sagt, da er uß dem Keller gieng, und get hin und uberkumpt ein Botten und loufft Ulenspiegel nach unnd uberkumpt ihn uff der Strassen. Der Büttel greiff ihn an und fanden sie zwo Kanten bei ihm, die ledig Kant und die Kant, darin der Wein waz. Da sprachen sie ihn an für ein Dieb und furten ihn in die Gefänckniß. Also ward von etlichen ein Urteil geben, er hab den Galgen darumb verdienet,[166] und etlich sprachen, es wär nit mer dann ein subteilige Büberei, und die meinten, der Weinzäpffer solt uffgesehen haben, als er dann spricht, daz ihn niemans betriegen kund. Und daz hat Ulenspiegel gethon umb seiner großen Vermessenheit willen.

Aber die Ulenspiegeln gram waren, die sprachen, daz wär Dieberei, er müst darumb hangen; also das uber ihn daz Urteil ward geben: der Tod des Galgens. Als nun der Gerichtestag kam, daz man Ulenspiegel ußfieren solt und solt ihn hencken, daz waz ein Gerühel uber die gantz Stat, daz jederman zu Roß und zu Fuß uff waz, also das dem Rat von Lübeck leid was, das er ihn abgetrungen wurd und verschuffen, das er nit gehangen wurd. Etliche wolten sehen, wie er sein End wolt nemen, nachdem er ein abentürlich Mensch waz gewesen. Etliche meinten, er kunt mit der schwartzen Künst und daz er sich damit ledigen würd. Und daz merer Teil gunten ihm, daz er ledig würde. Und in der Ußfierung waz Ulenspiegel gantz stil und sprach nit ein Wort, so daz sich jederman sein verwundert und meinten, er wär verzweiffelt. Das wäret bis an den Galgen. Da thet er den Mund uff und heischt den gantzen Rat zu ihm und bat ihn gar demütigklichen, daz sie ihm wolten ein Bit gewären. Er wolt sie weder umb Leib noch Leben bitten oder umb Gelt oder Gut, sunder etwas Guts nachzethun, noch ewige Meß, noch ewige Spenden, noch ewige Gedächtniß, sunder ein ringe Sach, daz on Schaden wol zu thun stund und daz der eerlich Rat von Lübeck[167] leichtig thun kund on eins Pfenings Kosten. Die Ratpersonen stunden zusammen und giengen darumb uber die Seiten zu Rat und wurden des zufriden, daz sie ihm seiner Bit wolten folgen, nachdem er voruß gedingt het, darumb er nit bitten wolt. Und ihr waren etwan mancher, die verlangt ser, waz er bitten wolt, und sprachen zu ihm, was er gebetten hät, daz solt geschehen, sofer daz er nit bitten wolt uß den Articklen, als er vor erzälet hät. Wolt er daz also haben, so wolten sie ihn sein Bit gewären.

Ulenspiegel, der sprach: »Die Artickel, die ich vor gezält habe, will ich Euch nit bitten, sunder wöllen Ihr mir daz halten, darumb ich Euch bit, so thun mir die Händ da uff.« Daz theten sie allzumal und gelobten ihm daz mit Hand und mit Mund. Da sprach Ulenspiegel: »Ihr eerlichen Herren von Lübeck, so Ihr mir gelobt haben, so bit ich Euch darum und ist mein Bit: Wann ich nun gehangen bin, daz dann der Weinzäpffer wöll kummen all Morgen, 3 Tag lang, der Schenck zu dem ersten, der Greibenschinder darnach und mich küssen mit dem Mund nüchtern in den Arß.« Da spuwten sie uß und sprachen: »Daz wär nit ein zimliche Bit.« Ulenspiegel sprach: »Ich halt den eerlichen Rat zu Lübeck so redlich, er wöll mir halten, daz er mir zugesagt hat mit Hand und mit Mund.« Sie giengen all darüber zu Rat, so daz mit Gunst und andern zufallenden Sachen ward beschlossen, daz sie ihn liessen gon. Also reißte Ulenspiegel dannen geen Helmstet, und man sach ihn nit mer zu Lübeck.

Quelle:
Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Stuttgart 1978, S. 165-168.
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