24. Neue Cameradschaft

[116] Uebrigens hatte der Pfarrer in seinem kleinen Krynau, gedachtes Jahr 1752. neben mir nur einen einzigen Buben in der Unterweisung. Dieser hieß H.B. ein fuchsrother Erzstockfisch. Wenn ihn der Heer was fragte, hielt der Bursch' immer sein Ohr an mich, daß ich's ihm einblasen sollte. Was man ihm hundertmal sagte, vergaß er hundertmal wieder. Am H. Abend, da man uns der Gemeind vorstellte, war er vollends ganz verstummt. Ich mußte darum fast aneinander antworten, von 2. bis 5. Uhr. Im Jahr zuvor hingegen ward ein andrer Knab, J.W. unterwiesen; ein gar geschicktes Bürschlin, der die Bibel und den Catecist vollkommen inne hatte. Mit dem macht' ich um diese Zeit Bekanntschaft. Von Angesicht war er zwar etwas häßlich; die[116] Kinderblattern hatten ihn jämmerlich zugerichtet; aber sonst ein Kind wie die liebe Stunde. Er hatte einen gesprächigen Vater, von dem er viel lernte, der aber daneben nicht der Beßte, und besonders als ein Erzlüger berühmt war. Der konnt' Euch Stunden lang die abentheurlichsten Dinge erzählen, die weder gestoben noch geflogen waren; so daß es zum Sprüchwort wurde, wenn einer etwas Unwahrscheinliches sagt: »Das ist ein W.-Lug!« Wenn er redete, rutschte er auf dem Hintern beständig hin und her. Von seinen Fehlern hatte sein kleiner J. keinen geerbt; das Lügen am allerwenigsten. Jedermann liebte ihn. Mir war er die Kron in Augen. Wir fiengen an über allerley Sachen kleine Brieflin zu wechseln, gaben einander Räthsel auf, oder schrieben uns Verse aus der Bibel zu, ohne Spezification wo sie stühnden; da mußte dann ein jeder selbst nachschlagen. Oft hielt es sehr schwer, oder gar unmöglich; in den Psalmen und Propheten zumal, wo die Verslin meist erstaunlich kurz, und viele fast gleichlautend sind. Bisweilen schrieben wir einander von allen Thieren, welche uns die liebsten seyen; dann von allerhand Speisen, welche uns die beßten dünken; dann wieder von Kleidungsstücken, Zeug und Farben, welche uns die angenehmsten wären, u.s.f. Und da bemühte sich je einer den andern an Anmuth zu übertreffen. Oft mocht' ich's kaum erwarten, bis wieder so ein Brieflin von meinem W. kam. Er war mir darin noch viel lieber als in seinem persönlichen Umgang. So dauerte es lange, bis einst ein unverschämter Nachbar allerley wüste Sachen über ihn aussprengte: Denn, obschon ich's[117] nicht glaubte, verringerte sich nun (es ist doch wunderbar!) meine Zuneigung gegen ihn von dem Augenblick an. Ein Paar Jahre nachher (es war vielleicht ein Glück für uns beyde) fiel er in eine Krankheit, und starb. – Ein andrer unsrer Nachbarn, H. hatte auch Kinder von meinem Alter: Aber mit denen konnt' ich nichts; sie waren mir zu witznasigt, arge Förschler und Frägler. – Um diese Zeit gab mir Nachbar Joggli heimlich um 3. Kr. eine Tabackspfeife zu kaufen, und lehrte mich schmauchen. Lange mußt' ich's im Geheim thun, bis einst ein Zahnweh mir den Vorwand verschaffte, es von dieser Zeit an öffentlich zu treiben. Und, o der Thorheit! darauf bildete ich mir nicht wenig ein.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 116-118.
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