26. Wanderung auf die Staig zu Wattweil
(1754.)

[122] Mitten im Merz dieses Jahrs zogen wir also mit Sack und Pack aus dem Dreyschlatt weg, und sagten diesem wilden Ort auf ewig gute Nacht! Noch lag dort klaftertiefer Schnee. Von Ochs oder Pferd war da keine Rede. Wir mußten also unsern Hausrath und die jüngern Geschwister auf Schlitten selbst fortzügeln. Ich zog an dem meinigen wie ein Pferd, so daß ich am End fast athemlos hinsank. Doch die Lust, unsre Wohnung zu verändern, und einmal auch im Thal, in einem Dorf, und unter Menschen zu leben, machten mir die saure Arbeit lieb. Wir langten an. Das muß ein rechtes Canaan seyn, dacht' ich; denn hier guckten die Grasspitzen schon unterm Schnee hervor. Unser Gütlin, das wir zu Lehen empfangen hatten, stuhnd voll grosser Bäume; und ein Bach rollte angenehm mitten durch. Im Gärtlin bemerkt' ich einen Zipartenbaum. Im Haus hatten wir eine schöne Aussicht das Thai hinauf. Aber übrigens, was das vor eine dunkle, schwarze, wurmstichige Rauchhütte war! Lauter faule Fußboden und Stiegen; ein unerhörter Unflath und Gestank in allen Gemächern. Aber das alles war noch nichts gegen den lebendigen Einsiegel, den wir im Haus haben mußten: Ein abscheuliches Bettelmensch, das sich besoff, so oft es ein Kirchenalmosen erhielt, und auf diese Art zu Wein kam; dann in der Trunkenheit sich mutternackt[122] auszog, und so im Haus herumsprang und pfiff; auch, wenn man ihm das geringste einreden wollte, ein Fluchen und Lamentiren erhob, wie eine Besessene; weswegen es zwar zum öftern den Rinderriemen bekam, das aber nur aus Uebel ärger machte. Dieß Ungeheuer war dann noch über alles aus sehr erpicht auf junge Leuthe, und wollte – Puh! mir schaudert's jetzt noch – auch mich anpacken. Das war für mich eine ganz neue Erscheinung; ich redete mit meinem Vater davon, doch ohne jener Versuchung eigentlich zu erwähnen; der sagte mir dann, was eine Katze sey. Nun bekam ich erst einen solchen Eckel vor diesem Thier, daß mir ein Stich durch alle Adern gieng, so oft es mir unter Augen kam.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 122-123.
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