70. Nun gar fünf Jahre
(1773.–1777.)

[264] Diese Zeit kroch ich so immer, zwischen Furcht und Hofnung unter meiner Schuldenlast fort, trieb mein Händelchen, und arbeitete daneben was mir vor die Hand kam. Zu Anfang dieser Epoche gieng's vollends immer den Krebsgang. So viel unnütze Mäuler (denn die Fünfezahl meiner Kinder war itzt wieder complet), die Ausgaben für Essen, Kleider, Holz u.s.f. und dann die leidigen Zinse, frassen meinen kleinen Gewinnst noch etwas mehr als auf. Meine schönste Hoffnung erstreckte sich erst auf Jahre hinaus, wo meine Jungens mir zur Hülfe gewachsen seyn würden. Aber wenn meine Gläubiger bös' gewesen, sie hätten mich lange vorher überrumpelt. Nein! sie trugen Geduld mit mir; freylich bestrebt' ich mich auch aus allen Kräften Wort zu halten so gut wie möglich; aber das bestuhnd meist in – neuem Schuldenmachen, um die alten zu tilgen. Und da waren mir allemal die nächsten Wochen vor der Zurzacher-Messe sehr schwarze Tag' im Kalender, wo ich viele dutzend Stunden verlaufen mußte, um wieder Credit zu finden. O, wie mir doch manch liebes Mal das Herz klopfte, wenn ich so an drey, vier Orten ein christliches Helf dir Gott! bekam. Wie rang' ich dann oft meine Hände gen Himmel, und betete zu dem der die Herzen wendet wohin er will, auch eines zu meinem Beystand zu lenken. Und allemal ward's mir von[264] Stund an leichter um das meinige, und fand sich zuletzt, freylich nach unermüdetem Suchen und Anklopfen, noch irgend eine gutmüthige Seele, meist in einem unverhoften Winkel. Ich hatte ein Paar Bekannte, die mir wohl schon hundertmal aus der Noth geholfen; aber die Furcht, sie endlich zu ermüden, machte daß ich bald immer zuletzt zu ihnen kehrte; und dann, hätt' ich ihnen ein einzigmal nicht Wort gehalten, so wäre mir auch diese Hülfsquelle auf immer versiegt; ich trug darum zu ihr wie zu meinem Leben Sorg'. Uebrigens trauten's mir nur wenige von meinen Nachbarn und nächsten Gefreundten zu, daß ich so gar bis an die Ohren in Schulden stecke; vielmehr wußt' ich das Ding so ziemlich geheim zu halten, meinen Kummer und Unmuth zu verbergen, und mich bey den Leuthen allzeit aufgeräumt und wohlauf zu stellen. Auch glaub' ich, ohne diesen ehrlichen Kunstgriff wär' es längst mit mir aus gewesen. Freylich hatt' ich – wer sollte es glauben? – auch meine Neider, von denen ich gar wohl wußte, daß sie allen Personen die mit mir zu thun hatten, fleißig ins Ohr zischten – was sie doch unmöglich mit Sicherheit wissen konnten. Da hieß es dann z.E. »Er steckt verzweifelt im Dreck. – Lange hält' er's nicht mehr aus. – Wenn er nur nicht einpackt, oder Weib und Kinder im Stich läßt. – Ich fürcht' ich fürcht'. – Will aber nichts gesagt haben; wenn er's nur nicht inne wird,« u.s.f. Zu mir kamen dann diese Kerls als die beßten Freunde, förschelten und frägelten mich aus, und thaten so mitleidig, als wenn sie mir mit Gut und Blut helfen wollten, wenn[265] ich nur auch Zutrauen zu ihnen hätte; jammerten über die bösen Zeiten, über die Stümpler u.d. gl. Wie ich's doch bey meinem kleinen verderbten Händelchen mit meiner grossen Haushaltung mache? u.s.f.u.f. Einst (ich weiß nicht mehr recht, ob aus Schalkheit oder Noth?) sprach ich einen dieser Uriane um ein halbdutzend Duplonen nur auf einen Monath an. Mein Heer hatte hundert Ausflüchte, schlug mir's am End' rund ab, und raunt' es dann doch in jedes Ohr das ihn hören wollte: Der B** hat gestern Geld von mir lehnen wollen. Der machte dann freylich einige meiner Creditoren ziemlich mißtrauisch. Andre hingegen sagten: »Ha! Er hat doch noch immer Wort gehalten; und so lang er das thut, soll er immer offene Thür bey mir finden. Er ist ein ehrlicher Mann«. Also eben jene vielen falschen Freunde waren es, welche mir die meiste Mühe machten, denen ich mich nicht entdecken durfte, wenn ich nicht völlig capput seyn wollte. Ich hatte schon A. 71 oder 72. meine Weberey, obgleich mit ziemlichem Verlust ab mir geladen; das brachte mir eben auch nicht den beßten Ruf; denn mein Baumwollenbrauch wurde dadurch geringer – also mein Baumwollenherr unzufrieden und mürrisch. Desto eher sollt' ich die alten Baumwollenschulden bezahlen, und konnt' es doch desto weniger. So verstrich ein Jahr nach dem andern. Bald flößte mir mein guter Geist frischen Muth und neue Hoffnung ein, daß mir doch noch einst durch die Zeit zu helfen seyn werde: Nur allzuoft aber verfiel ich wieder in düstere Schwermuth; und zwar, die Wahrheit zu gestehen, meist wenn ich[266] zahlen sollte, und doch weder aus noch ein wußte. Und da ich mich, wie schon oft gesagt, keiner Seele glaubte entdecken zu dürfen, nahm ich in diesen muthlosen Stunden meine Zuflucht zum Lesen und Schreiben; lehnte und durchstänkerte jedes Buch das ich kriegen konnte, in der Hoffnung etwas zu finden das auf meinen Zustand paßte; fieng halbe Nächte durch weisse und schwarze Grillen, und fand allemal Erleichterung, wenn ich meine gedrängte Brust aufs Papier ausschütten konnte; klagte da meine Lage schriftlich meinem Vater im Himmel, befahl ihm alle meine Sachen, fest überzeugt, Er meine es doch am beßten mit mir; Er kenne am genauesten meine ganze Lage, und werde noch alles zum Guten lenken. Dann ward der Entschluß fest bey mir, die Dinge, die da kommen sollten, ruhig abzuwarten wie sie kommen würden; und in solcher Gemüthsstimmung gieng ich allemal zufrieden zu Bette, und schlief wie ein König.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 264-267.
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