71. Das Saamenkorn meiner Authorschaft

[267] Um diese Zeit kam einst ein Mitglied der moralischen Gesellschaft zu L. in mein Haus, da ich eben die Geschichte von Brand und Struensee durchblätterte, und etwas von meinen Schreibereyen auf dem Tisch lag. »Das hätt' ich bey dir nicht gesucht«, sagte er, und fragte: Ob ich denn gern so etwas lese, und oft dergleichen Sächelgen schreibe? »Ja«! sagt' ich: »Das ist[267] neben meinen Geschäften mein einziges Wohlleben«. Von da an wurden wir Freunde, und besuchten einander zum öftersten. Er anerbot mir seine kleine Büchersammlung; ließ sich aber übrigens in ökonomischen Sachen noch lieber von mir helfen, als daß er mir hätte beyspringen können, obschon ich ihm so von Weitem meine Umstände merken ließ. In einem dieser Jahre schrieb die erwähnte Gesellschaft über verschiedene Gegenstände Preißfragen aus, welche jeder Landmann beantworten könnte. Mein Freund munterte mich auch zu einer solchen Arbeit auf; ich hatte grosse Lust dazu, machte ihm aber die Einwendung: Man würde mich armen Tropfen nur auslachen. »Was thut das«? sagte er: »Schreib du nur zu, in aller Einfalt, wie's kommt und dich dünkt«. Nun, da schrieb ich denn eben über den Baumwollengewerb und den Credit, sandte mein Geschmiere zur bestimmten Zeit neben vielen andern ein; und die Herren waren so gut, mir den Preiß von einer Dukate zuzukennen: Ob zum Gespötte? Nein, wahrlich nicht. Oder vielleicht in Betrachtung meiner dürftigen Umstände? Kurz, ich konnt' es nicht begreifen, und noch viel minder, daß man mich itzt gar von ein paar Orten her einlud, ein förmliches Mitglied der Gesellschaft zu werden. »O behüte Gott«! dacht' ich und sagt' ich Anfangs: »Das darf ich mir nur nicht träumen lassen. Ich würde gewiß einen Korb bekommen. Und wenn auch nicht – ich mag so geehrten Herren keine Schande machen. Ueber kurz oder lang würden sie mich gewiß wieder ausmustern«. Endlich aber, nach vielem hin und her[268] wanken, und besonders aufgemuntert durch einen der Vorsteher, Herrn G. bey dem ich sehr wohl gelitten war, wagt' ich's doch, mich zu melden; und kann übrigens versichern, daß mich weniger die Eitelkeit als die Begierde reitzte, an der schönen Lesecommun der Gesellschaft um ein geringes Geldlein Antheil zu nehmen. Indessen gieng' es wie ich vermuthet hatte, und gab's nämlich allerley Schwierigkeiten. Einige Mitglieder widersetzten sich, und bemerkten mit allem Recht: Ich sey von armer Familie – dazu ein ausgerißner Soldat – ein Mann von dem man nicht wisse wie er stehe – von dem wenig ersprießliches zu erwarten sey, u.s.f. Gleichwohl ward ich durch Mehrheit der Stimmen angenommen. Aber erst itzt reute mich mein unbesonnener Schritt, als ich bedachte: Jene Herren sagten ja nichts als die pur lautere Wahrheit, und könnten noch einst wohl damit triumphiren. Inzwischen mußt' ich's itzt gelten lassen, und tröstete mich bisweilen mit dem eben auch nicht ganz uneigennützigen Gedanken: Das eint' und andre Mitglied könnte mir im Verfolg, zu manchen wichtigen Dingen nützlich seyn.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 267-269.
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