73. Freylich manche harte Versuchung

[273] Und von dieser muß ich dir auch noch ein Bischen erzählen, mein Sohn! dir zur Warnung, damit du sehest, welch' ein entsetzlich Ding vor einen ehrliebenden Mann es ist: Sich in Schulden zu vertiefen, die man nicht tilgen kann; sieben ganzer Jahre unter dieser zentnerschweren Last zu seufzen; sich mit tausend vergeblichen Wünschen zu quälen; in süssen Träumen spanische Schlösser zu bauen, und allemal mit Schrecken zu erwachen; eine lange lange Zeit auf Hülfe welche nur seine Fantasie gebrütet, und zuletzt verstohlner Weise gar auf – eigentliche Wunder zu hoffen. Denk' dir da den armen Erdensohn, welcher dergestalt todtmüde von all' dem vergebenen Dichten und Trachten, Sinnen und Sorgen, endlich an allem verzweifeln, und gewiß glauben muß: Gottes Vorsehung selbst habe nun einmal beschlossen, denselben ins Koth zu[273] treten; ihn vor aller Welt zu Spott und Schande zu machen, und die Folgen seiner Unvorsichtigkeit vor den Augen aller seiner Feinde büssen zu lassen. Wenn denn unterweilen gar der Gedanke in ihm aufsteigt: Gott wisse nichts von ihm, u.d. gl. – Da denke, denke mein Sohn! Der Verführer feyert bey solchen Gelegenheiten gewiß nicht; und mir war's oft ich fühlte seine Eingebungen, wenn ich etwa den ganzen Tag umhergelaufen und Menschenhülfe vergeblich gesucht hatte – dann schwermüthig, oder vielmehr halb verrückt, der Thur nachschlich – mit starrem Blick in den Strom hinuntersah, wo er am tiefsten ist – O dann deucht' es mir, der schwarze Engel hauche mich an: »Thor! stürz! dich hinein – du haltst's doch nicht mehr aus. Sieh' wie sanft das Wasser rollte! Ein Augenblick, und dein ganzes Seyn wird eben so sanft dahinwogen. Dann wirst du so ruhig schlafen – o so wohl, so wohl! Da wird für dich kein Leid und kein Geschrey mehr seyn, und dein Geist und dein Herz ewig in süssem Vergessen schlummern«. – »Himmel! Wenn ich dürfte«! dacht' ich dann. »Aber, welch ein Schauer – Gott! welch' ein Grausen durchfährt alle meine Glieder. Sollt' ich dein Wort – sollte meine Ueberzeugung vergessen? – Nein! packe dich, Satan! – Ich will ausharren, ich hab's verdient – hab' alles verdient«. Ein andermal stellte mir der Bösewicht des jungen Werthers Mordgewehr auf einer sehr vortheilhaften Seite vor. »Du hast zehnfach mehr Ursach' als dieser – und er war doch auch kein Narr, und hat sich noch Lob und Ruhm damit erworben, und wiegt sich nun im milden Todesschlummer?[274] – Doch wie? – Pfui eines solchen Ruhms«! Noch ein andermal sollt' ich meinen Bündel aufpacken, und davon laufen. Mit meiner noch übrigen Baarschaft könnt' ich denn in irgend einem entfernten Lande schon wieder etwas neues anfangen; und zu Hause würden Weib und Kinder gewiß auch gutherzige Seelen finden. »Was? Ich, davon laufen? – Mein zwar unsanftes, aber getreues Weib, und meine unschuldigen kleinen Kinder im Stich lassen – meinen Feinden ihre Winkelprophezeyungen zu ihrer größten Freude wahr machen? – Ich, ich sollte das thun? In welcher Ecke der Erde könnt' ich eine Stunde Ruhe geniessen – wo mich verbergen, daß der Wurm in meinem Busen, daß die Rache des Höchsten mich nicht finden könnte«? – »Nein! Nein! nicht so«; hob dann wieder eine andre Stimm' in meinem Innwendigen an; »aber Weib und Kinder mitnehmen, und irgend einen Ort aussuchen, wo der Baumwollengewerb noch nicht florirt, und wo man ihn doch gern einrichten möchte – da könntest du dein Glück bauen; verstehst ja die rohe Frucht sowohl als das Garn – kannst jene selber karten, kämmen, spinnen, und dieses sieden, spuhlen, zetteln – bist sogar im Stand, ein Spinnrad, eine Kunkel zu machen – und also die Leuthe vollends alles zu lehren. Dann kehrst du nach einigen Jahren geehrt und reich zurück in dein Vaterland, zahlst deine Schulden – Kapital und Zinse«! – Aber dann bedacht' ich mich wieder eines Bessern: »Wie, was? O du Lügengeist! Schon vor dreyßig Jahren hast du mir, so wie heute, von lauter guten Tagen vorgeschwatzt, mir einen[275] güldnen Berg nach dem andern gezeigt – und mich immer betrogen, immer in tiefere Labyrinthe verwickelt – mich zum Narren gemacht – und itzt möchtest du mich gar zum Schelmen machen? Wie? Ich sollte auch noch meinem Geburtsland schaden, seinen Brodkorb verschleicken? Nein, nein! in deinem Schooß will ich leben und sterben, da alles erwarten, thun was ich kann, und für das übrige weiter den Himmel walten lassen. Stell' ich mir nicht meine Sachen vielleicht gar zu schrecklich vor? Gott! wenn mich meine Sünden so quälten wie meine Schulden! Aber, ich weiß daß du nicht so streng' bist wie die Menschen. Doch, laß sie machen, ich hab's verdient. Nur bitt' ich, ewige Güte! von jenem argen Feind laß mich nicht länger quälen, nicht über mein Vermögen versucht werden«! So bekam ich von Zeit zu Zeit wieder guten und festen Muth. Aber das währte dann nicht länger, bis sich ein neuer Fall ereignete, wo ich mich abermals des Gedankens nicht erwehren konnte: Itzt ist's aus! Da ist kein Kraut mehr für ein unheilbares Uebel gewachsen. Aber auch dann bestuhnd's mehr in der Einbildung als in der Wirklichkeit.

Eines Tags da ich eben auch etliche Gulden zu borgen vergebens herumgelaufen, einer meiner Gläubiger mich mit entsetzlicher Rohheit anfuhr, und mir sonst alles fatal und überzwerch gieng – und ich dann ganz melancholisch nach Haus kam – meiner Frau nach Gewohnheit nichts sagen noch klagen durfte, wenn ich nicht hundert bittere Vorwürf' in mich schlüken wollte – gedacht' ich, wie sonst schon oft, meine Zuflucht[276] zum Schreiben zu nehmen – konnt' aber nichts hervorbringen, als verworrene Klaglieder, welche beynahe an Lästerungen gränzten. Dann wollt' ich mich mit Lesen eines guten Buchs beruhigen, und auch das gelang mir nicht. Ich gieng also zu Bette, wälzte mich bis um Mitternacht auf meinem Küssen herum, und ließ meine Gedanken weit und breit durch die ganze Welt gehn. Bald kam mir da auch der Sinn an meinen lieben seligen Vater: »Auch dein Leben, du guter Mann«, dacht' ich, »gieng, so wie das meine, unter lauter Kummer und Sorgen hin, die ich, Ach! dir nicht wenig vergrösserte, da ich so wenig Antheil an deiner Last genommen. – Vielleicht ruht gar dein geheimer Fluch auf mir? – O entsetzlich! – Nun, wie es immer sey, einmal muß ein Entschluß genommen seyn: Entweder meinem elenden Leben – Nein! Gott! Nein Das steht in deiner Hand. – – Oder mich meinen Gläubigern auf Gnad' und Ungnad' hin zu Füssen zu werfen. Aber Nein! o wie hart! Das kann ich unmöglich. – Oder ja mich entfernen, davonlaufen so weit der Himmel blau ist. Ach! meine Kinder! Da würd' mir das Herz brechen«. – Während diesen Fantasien fiel mir der menschenfreundliche Lavater ein; augenblicklich entschloß ich mich an ihn zu schreiben, stuhnd sofort auf, und entwarf folgenden Brief, den ich zum Denkmal meiner damaligen Lage hier beyrücke.[277]

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 273-278.
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