Im Wetter auf der Heimfahrt

[569] Am Dienstagnacht des Winters von 1833–34 gegeben

17. Sept. 1834


O du lieber wilder Regen

O du lieber Sturm der Nacht,

Da der Finsternis entgegen

Ich mein Licht nach Haus gebracht.


Sturm du warst ein Bild des Lebens,

Licht du warst der Liebe Bild

Das im Drang des Widerstrebens

Leuchtet unter Jesu Schild.


Doch ich bebe, zieht so brausend

Spät der Sturm mir noch durchs Haar,

Treibt das welke Laub mir sausend

Noch im Kreis um den Altar.


Meine Lampe flackert, lecket,

Rußt die blanke Leuchte an,

Zuckend hin und her geschrecket

Zeigt ihr Schein mir irre Bahn.


Gleich' ich doch dem armen Schwimmer,

Der zum teuren Ziele ringt,

Den verführt von falschem Schimmer

Bald das wilde Meer verschlingt.


Alles hab' ich sinken lassen,

Sinken alle Lust der Welt,

Eines treu ans Herz zu fassen,

Was mich über Meer erhält.


Eine Gott gefallne Blüte

Trägt und hebt mein brennend Herz,

Treib o Woge die verglühte

Asche endlich heimatwärts.[570]


Aber diese Blüte kühlet

Ewig mir die heiße Glut,

Nie verzehrt, die in mir wühlet,

Mich der Flamme irre Wut.


O ertränk' mich wilder Regen,

Schleudre mich du Sturm der Nacht

Einem scharfen Fels entgegen,

Daß mein schwerer Traum erwacht.


Wind und Wasser um mich zanken,

Auf den Bahnen wankt das Licht,

Schwarze Wolken der Gedanken

Stürzen vor das Weltgericht.


Soll ich fliehen, soll ich bleiben,

O unnennbar liebes Gut!

Wolle mich zum Ziele treiben,

Wo die ganze Hoffnung ruht.


Alles, was, im Sturm zu schiffen

Einst mein banger Arm umfaßt,

Treibt um mich, der selbst ergriffen

Schwebt ohn' Steuer und ohn' Mast.


Eines ist mir nur geblieben,

Eines, das ich nie verlor,

Ein unsterblich treues Lieben

Reißt mich überm Meer empor.


Heil dir, die des Sturmes Zügel

Mir mit Kinderhänden lenkt,

Und die reinen Himmelsflügel

Segelnd durch die Nacht hin schwenkt.


Immergrüne Dornenkrone

Die die Rosen seelwärts flicht,

Daß der Leib aufschreit, o schone!

Und der Geist in Wonne bricht.[571]


Ja ich trag' dich dicht am Herzen,

Du zerreißest mir die Brust,

Doch die Nesselglut der Schmerzen

Deckt mir eine heil'ge Lust.


Selig, gehst du treu zur Seiten,

Schweb' ich durch die Wetternacht,

Ist es doch ein süßes Leiden,

Wenn die fromme Lippe lacht.


O unnennbar lebend Sterben,

Himmelsbrot in Erdennot,

Lachen in uns selbst die Erben,

Macht der Tod die Wangen rot.


Tagsanbruch im Augenbrechen,

Glühnden Durst machst du zum Trank,

Dornen blühn, wenn Rosen stechen,

Erdenheil ist himmelskrank.


Wer bist du? mit müden Händen

Fasset dich ein letzter Traum,

Als die Nacht sich wollte wenden

Tratst du hell ihr auf den Saum.


Lichtes Sprosse – Himmelsleiter,

Füßchen steig' allein nicht auf,

Öffne doch die Türe weiter,

Treibe meinen müden Lauf.


O süß Kind, Geliebte, Schwester,

Schatten, Leben, Leid und Lust,

Alle Vöglein haben Nester,

Und mein Herz hat eine Brust.


An der Türe angekommen

Sprachst du mir ein freundlich Wort,

Hättst mich gerne aufgenommen,

Doch mein Richter trieb mich fort.[572]


Kann ich einst zu ruhn verdienen

Mit dir unter einem Dach,

Summen über uns die Bienen

Auferstehungsblumen wach.


Blumenaug' im Morgengrauen

Traumberauscht von Tränentau

Wirst du nach dem Bruder schauen

Perlen wiegend auf der Au.


Wirst süß duftend nicken, blicken

Flüstern zu des Gärtners Hand,

Sollst den Armen mit mir pflücken

Hab' zum Tod ihn treu erkannt.


Ja wenn ich erst kann verdienen,

Unter deinem Dach zu ruhn,

Ist der Morgen schon erschienen

Andres bleibt mir noch zu tun.


Muß noch einsam ringend steuern

Durch die wilde Wetternacht,

Bis zu allen Fegefeuern

Mir dein Flügel Kühlung facht.


O zu selig, daß ich Armer

Stehe in so edler Pein,

Daß ich ewig den Erbarmer

Seh' in des Gerichtes Schein.


Und so bin durch Wind und Wogen

Ich wie ein verlornes Kind

Durch die Blumen hingezogen,

Daß ich dir ein Sträußlein bind',


Und der Strauß den ich gepflücket

Ist das sturmverwirrte Lied,

Würd' er an dein Herz gedrücket,

Dann wär' er dem Herrn erblüht.[573]


Als ich ihr dies Lied gelesen

Ward ich arm und todeskrank,

Ach und bin noch nicht genesen

Denn ich trank den Zaubertrank.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 569-574.
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