Sonett

[110] O schwerer heißer Tag, ihr leichtes Leben

Schließt müde weinend seine Augenlider,[110]

Schon senkt der Schlaf das tauende Gefieder,

Um solche Schönheit kühl ein Dach zu weben. –


Von ihren Lippen leise Worte schweben,

»Du Liebe süßer Träume kehre wieder!«

Da läßt sich ihr der Traum der Liebe nieder,

Um ihres Schlummers kranke Lust zu heben. –


»Du Traum! – ich bin kein Traum, spricht er mit Bangen,

O laß uns nicht so holdes Glück versäumen!«

Da weckt er sie, und wollte sie umfangen. –


Sprecht! Wessen bin ich? Wer hat mich besessen?

Ich lebte nie – war eines Weibes Träumen –

Und nimmer starb ich, – Sie hat mein vergessen.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 110-111.
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Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)