Vierundzwanzigstes Kapitel

[340] Ich hatte gegen das Ende meiner Beschäftigung etwas im Gebüsche rauschen hören, und da ich sah, daß es Georg der Diener war, der am Teiche stand und die Fische fütterte, rief ich ihn herein, um ihm Unterricht auf der Laute zu geben. Als ich ihn die ersten Töne und einige Akkorde gelehrt hatte, begriff er es gar bald, und wünschte nur, daß er besser singen könnte. Ich bat ihn, leise und gelinde eine Melodie zu singen; er weigerte sich auch nicht lange, und sang folgendes Lied mit einem wehmütigen Tone:


Ein Fischer saß im Kahne,

Ihm war das Herz so schwer,

Sein Liebchen war gestorben,

Das glaubt' er nimmermehr.


Und bis die Sternlein blinken,

Und bis zum Mondenschein

Harrt er, sein Lieb zu fahren

Wohl auf dem tiefen Rhein.


Da kömmt sie hergegangen

Und steiget in den Kahn,

Sie schwanket in den Knieen,

Hat nur ein Hemdlein an.


Sie schwimmen auf den Wellen

Hinab in tiefer Ruh,

Da zittert sie und wanket;

O Liebchen, frierest du?


Dein Hemdlein spielt im Winde,

Das Schifflein treibt so schnell;

Hüll dich in meinen Mantel,

Die Nacht ist kühl und hell.


Sie strecket nach den Bergen

Die weißen Arme aus,

Und freut sich, wie der Vollmond

Aus Wolken sieht heraus.[340]


Und grüßt die alten Türme,

Und will den hellen Schein

Mit ihren zarten Armen

Erfassen in dem Rhein.


O setze dich doch nieder,

Herzallerliebste mein!

Das Wasser treibt so schnelle,

O fall nicht in den Rhein.


Und große Städte fliegen

An ihrem Kahn vorbei,

Und in den Städten klingen

Der Glocken mancherlei.


Da kniet das Mädchen nieder

Und faltet seine Händ

Und seine hellen Augen

Es zu dem Himmel wendt.


Lieb Mädchen, bete stille,

Schwank' nicht so hin und her,

Der Kahn, er möchte sinken,

Das Wasser treibt so sehr.


In einem Nonnen-Kloster

Da singen Stimmen fein

Und in dem Kirchenfenster

Sieht man den Kerzenschein.


Da singt das Mädchen helle

Die Metten in dem Kahn,

Und sieht dabei mit Tränen

Den Fischerknaben an.


Der Knabe singt mit Tränen

Die Metten in dem Kahn,

Und sieht dabei sein Mädchen

Mit stummen Blicken an.


So rot und immer röter

Wird nun die tiefe Flut,[341]

Und weiß und immer weißer

Das Mädchen werden tut.


Der Mond ist schon zerronnen,

Kein Sternlein mehr zu sehn,

Und auch dem lieben Mädchen

Die Augen schon vergehn.


Lieb Mädchen, guten Morgen!

Lieb Mädchen, gute Nacht!

Warum willst du nun schlafen?

Da schon die Sonn erwacht.


Die Türme blinken helle,

Und froh der grüne Wald

Von tausend bunten Stimmen

In lautem Sang erschallt.


Da will er sie erwecken,

Daß sie die Freude hör,

Er sieht zu ihr hinüber

Und findet sie nicht mehr.


Und legt sich in den Nachen

Und schlummert weinend ein,

Und treibet weiter weiter

Bis in die See hinein.


Die Meereswellen brausen

Und schleudern ab und auf

Den kleinen Fischernachen,

Der Knabe wacht nicht auf.


Doch fahren große Schiffe

In stiller Nacht einher,

So sehen sie die beiden

Im Kahne auf dem Meer.


Die Tränen standen ihm dabei in den Augen, und als ich ihn fragte, warum er so traurig sei und das Lied ihn so bewege, sagte er:

»Die Weise ist von des einen Pächters Tochter; sie sang es oft,[342] ich war dem Mädchen gut, und sie ist nun gestorben; es ist mir nur immer, als trieb ich auch in die weite See.«

Ich spielte ihm einige naive lustige Lieder, um ihn zu trösten, denn das Naive ist der Trost einfacher Seelen. Dann gab ich ihm einiges, was er lernen sollte, und ging nach Godwi.

Ich fand Flametta bei ihm: es schien uns in ihrer Gegenwart allen wohlzusein. Das Mädchen ist so fest, so rein und kalt wie Marmor, und dabei doch so unendlich beweglich und lebendig. Ihre Figur ist vollkommen die der Atalanta, und ich habe eine große Liebe für diese Figur. Es ist mir, als könne man sie noch erbitten, und als habe sie in dem Charakter ihrer Gestalt einen überwindlichen Gegensatz.

Sie kam, um Godwi eine kleine dramatische Arbeit vorzulegen, und um seine Erlaubnis und Unterstützung bei der Aufführung zu bitten; auch bat sie uns, an allen männlichen Rollen zu ändern, wo es uns gut dünke, weil sie, so sagte sie lächelnd, dies Geschlecht täglich weniger begreife.

Godwi sagte scherzend: »Das ist doch schon ein Beweis, daß Sie über dieses Geschlecht studieren, und Sie werden es vielleicht einstens wohl gar umfassen.«

Wir nahmen uns dann vor, ihr Gedicht zu lesen, und Godwi gab ihr die Erlaubnis, eine kleine Summe für die Aufführung anzuwenden. Sie bat sehr um unser Mitspielen, wir konnten es ihr nicht versagen, und versprachen, bald zu kommen, sie möge nur einstweilen die Zubereitungen vollenden. Das Gedicht hieß: Vertumnus und Pomona.

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 340-343.
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