Alart

[539] Es hatte P.. S.. jüngst sich vorgenommen, seinen Hund,

Den treu- und muthigen Alart, recht völlig einmahl satt zu machen;

Er warf, des Endes, manchen Bissen von dem, was auf der Tafel stund,

Nebst weiß- und schwartzem Brodt ihm zu. Alart riß den geschloss'nen Rachen

Bey jedem Wurf schnell von einander, schlang den erhaschten Bissen nieder,

Ohn' ihn zu kauen und zu schmecken, und schloß den heissen Rachen wieder,

Mit starrem Blick nach mehr sich seynend. Ich sah Alarts Betragen an,

Daß er von aller Niederlichkeit der ihm gegönnten guten Bissen,

Weil er sie ungekäut verschlang, nicht das geringste muste wissen.

Ach, dacht' ich bey mir mit Betrübniß, ach leider! daß fast jedermann

Mit dem uns zugeworf'nen Guten, so uns der Schöpfer hier beschehrt,

Und oft in reichem Maaß uns gönnet, recht eben, wie Alart, verfährt!

An statt uns an Gesundheit, Klugheit, Geld, Ehr', und noch viel andern Gaben,

Die Gott uns oft so reichlich schenckt, in fröhlichem Genuß zu laben,[540]

An statt des grossen Gebers Güte und Macht und Weisheit zu entdecken;

An statt, für die empfang'nen Gütter, erkenntlich, froh und fromm zu seyn;

So schligen wir, ohn' Danck und Anmuth, was uns geschenckt, stets hungrig ein,

Weil wir, in unterlass'nem Dencken, nicht hören, sehen, fühlen, schmecken.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 539-541.
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