Die Erde

[564] 1.

Wenn wir zu besehn beginnen,

Worauf unsre Welt beruht;

Fallen gleich in unsre Sinnen

Erde, Wasser, Luft und Gluht,

Die wir, weil wir sie nicht kennen,

Die vier Elemente nennen:

Da doch, wenn mans recht ermisst,

Alles stets in allem ist.


2.

Aber dieß noch ausgesetzet,

Und der Ordnung nach zu gehn,

So man für die beste schätzet,

Lasset uns die Erde sehn,

Nicht nach ihren Königreichen,

Ländern, Städte, Flüß- und Teichen,

Sondern die Beschaffenheit

Ihrer Gröss' und Festigkeit.


3.

Daß, nebst vielen andern Kreisen,

Sie auch ein Planete sey,

Stehet leichtlich zu erweisen,

Denn sie hat so mancherley

Eigenschaften, Kräft' und Gaben,

So die andern Irrstern' haben.

Die sind fest und sonder Licht;

Sie ist dunckel, hart und dicht.
[565]

4.

Es mag nicht geleugnet werden,

War auch schon den Alten kund,

Daß der grosse Bau der Erden

Und sein Klumpe Circkel-rund.

Aus des Mondes Finsternissen

Kann mans überzeuglich schliessen,

Drin sie nehmlich bey der Nacht

Einen runden Schatten macht.


5.

Hieraus dienet wohl zu mercken,

Daß des Höchsten Wunder-Hand,

Wie in allen Seinen Wercken

Unergründlichen Verstand,

Auch in dieser Ründe, zeiget.

Was vollkommen rund gebeuget,

Ist, nach Ordnung der Natur,

Die vollkommenste Figur.


6.

Alle Theil' in einem Kreise

Sind in einer gleichen Ruh,

Sencken sich auf gleiche Weise

Nach dem Mittel-Puncte zu,

Wodurch sie einander nützen,

Sich zwar drengen, doch auch stützen,

Daß die grosse Last der Welt

Sich so in sich selber hält.
[566]

7.

Ferner dienet diese Ründe,

Daß, wenn etwa Meer und Fluth

Aufgebracht durch Sturm und Winde,

Es viel minder Schaden thut;

Sondern es muß gleich mit Haufen

Von der runden Erde laufen;

Weil die Welt sonst von dem Meer

Schon vorlängst verschlungen wär'.


8.

Nichts, als grauser Berge Thürme,

Würden, nicht für Thier' allein,

Auch für Menschen, für Gewürme,

Sämtlich unersteiglich seyn,

Falls die Welt, mit ihrer Schwere,

Statt der Ründe, eckicht wäre.

Ja sie könnte sich nicht drehn,

Noch in gleicher Wage stehn.


9.

Vier und funfzig hundert Meilen

Ist der Umkreis unsrer Welt,

Der, wenn wir den Durchschnitt theilen,

Siebzehn hundert zwantzig hält,

Die, vermehrt mit beyden Zahlen,

Auf neun tausend tausend mahlen

Zwey mahl hundert tausend acht

Und noch achtzig tausend macht.
[567]

10.

Dieses ist der Erden Fläche

Gröss', und ihrer Meilen Zahl.

Die begreifet Flüsse, Bäche,

Meere, Wüsten, Berge, Thal,

Inseln, Klippen, Aecker, Wälder,

Reiche, Städte, Wiesen, Felder,

Das verbrannt- und kalte Land,

Was bekannt und unbekannt.


11.

So groß ist die äuss're Seite

Unsrer Welt, wenn man sie misst,

Welche bey der innern Weite

Noch nicht zu vergleichen ist.

Denn wenn ich die gantze Grösse

Mit des Durchschnitts Sechstheil messe,

Uebertrifft sie jene Zahl

Noch viel tausend tausend mahl.


12.

Wenn die Ründe dieser Erden

Und die unterird'sche Welt

Könnte flach gemachet werden,

Zu Provintzen, Wald und Feld,

Und sich deren Dick' und Tiefe

Auf zwo Teutsche Meil' beliefe;

So wüchs' ihre Gröss' und Zahl

Hundert drey und viertzig mahl.
[568]

13.

Ist es also zu erweisen,

Daß der Bauch der Unter-Welt

Noch zu so viel Erden-Kreisen

Raum in seiner Schooß enthält.

Wer begreift nun mit den Sinnen

Eigentlich des Raums von innen

Zustand und Beschaffenheit,

Grösse, Weit' und Festigkeit?


14.

Welcher Geist wird wohl verstehen,

Welcher Witz ermisst den Platz?

Welche Klugheit kann ersehen

Den daselbst verschloss'nen Schatz?

Nein, kein Sterblicher ergründet,

Was sich da verdeckt befindet,

Und kein Mensch kömmt auf die Spur

Der verborgenen Natur.


15.

Viele trachten zu verheelen,

Daß sie nichts davon verstehn;

Drum sie freventlich erzählen,

Lästern, und sich nicht entsehn,

Gröblich so heraus zu plumpen:

Unser Erd-Kreis sey ein Klumpen,

Worin, ausser Sand und Stein,

Nichts könn' anzutreffen seyn.
[569]

16.

Da doch bloß die äuss're Rinde

(Wessen man sich auch vermisst)

Noch von keinem Menschen-Kinde

Jemahls durchgegraben ist.

Keinem ist es noch gelungen,

Daß er tiefer eingedrungen,

Als vielleicht zum halben Theil

Einer Teutschen Viertel-Meil'.


17.

Wollte man dem wiedersprechen,

Weil ein Bergwerck tiefer geht;

Rechne man: Daß von den Flächen

Unsre Rechnung hier entsteht,

Und nicht von der Berge Gründen:

Weil wir mehrentheils befinden,

Daß man nur Metalle gräbt,

Wo sich ein Gebirg erhebt.


18.

Sehn wir also, daß die Grüfte,

Daß der allertiefste Schacht,

Daß der Hölen Tief' und Klüfte,

Die so wohl der Mensch gemacht,

Als der selbst zerborst'nen Schlünde,

Von der Erden äuss'rer Rinde

Nicht den zehnten Theil durchdringt,

Wie unglaublich es auch klingt.
[570]

19.

Sprecht, wie würd' es sich doch schicken,

Wenn ein Fürst sein Fürstlich Haus

Nur von aussen wollte schmücken,

Und nur Koth, Staub, Stein und Graus

In die Zimmer tragen hiesse,

Sie nicht sehn, noch brauchen liesse?

Eben so ist es bestellt

Mit der unterird'schen Welt.


20.

Viel Verständige vermeynen

Daß wir einer innern Welt

Hohl, wie uns die Himmel, scheinen:

Daß des Himmels hohles Zelt

Oben so, wie unser Erde,

Rund sey, und bewohnet werde,

Daß der Wechsel in die Höh'

Ins unendliche gescheh'.


21.

Daß der Schöpfer aller Sachen

Durch die wirckende Natur

Nichts vergeblich wollen machen,

Zeiget jede Creatur;

Kann daher vom Grund der Erden,

Festiglich bewiesen werden,

Daß sie, wie die Ober-Welt,

Tausend Wunder in sich hält.
[571]

22.

Wie ich nun auf unsrer Fläche

Winde, Wolcken, Regen, Schnee,

Seen, Felder, Berge, Bäche,

Kräuter, Thier' und Wälder seh;

So sind in der Erden Rinden

Mit Verwund'rung auch zu finden,

Gleichwie droben, Dunst und Fluth,

Ja so gar Blitz, Dampf und Gluht.


23.

Hier sind in der grösten Menge

Schwefel-Adern, Kieß, Metall,

Eisen- Bley- und Kupfer-Gänge,

Ertz, Cinnober, Berg-Krystall,

Marmor-Gruben, Silber-Minen,

Chrysolithen und Rubinen,

Bunte Steine, güld'ner Sand,

Ja Smaragd und Diamant.


24.

Spalten, Gänge, Hölen, Grüfte

Bald von Erde, bald von Stein,

Schlünde, Löcher, Ritzen, Klüfte,

Welche theils verschlossen seyn,

Theils sich bis zur Fläch' erstrecken,

Und sich unserm Aug' entdecken,

Wasser, das im Duncklen fliesst

Und des Tages nie geniesst.
[572]

25.

Flüsse, die mit starckem Sausen,

Mit abscheulicher Gewalt,

Und mit stürmerischem Brausen

Aus dem duncklen Aufenthalt

Ihrer hohlen Schlünde schiessen,

Wirbel, die im Circkel fliessen,

Deren Macht sich drehend schwingt,

Und, was sie berührt, verschlingt.


26.

Heisse Dünste, dunckle Flammen,

Feuriger verzehr'nder Duft,

So die Theilchen treibt zusammen

Von der Schwefel-reichen Luft,

Und mit solcher Macht und Krachen

Dieser Luft sucht Luft zu machen,

Daß oft mancher Ort der Welt

Bricht und in den Abgrund fällt.


27.

Da wann Gluth und Fluht sich mischen,

Und aus deren Streit und Kampf

Mit ergrimmtem Rauschen zischen

Dünste, Blähungen und Dampf,

Sich ein Sturm und Wirbel zeuget,

Dessen Wüten aufwärts steiget,

Alles, was er trifft, verheert,

Und das unterst' oben kehrt.
[573]

28.

Kurtz, es ist der Bauch der Erden

Gantz mit Wundern angefüllt,

Und kann nicht gezählet werden,

Was ihr dunckler Schooß verhüllt.

Viele Weisen, die drauf achten,

Und die Seltenheit betrachten,

Geben gantz erstaunet für,

Sie sey ein beseeltes Thier.


29.

Dem zu Folge sie denn schliessen,

Dieser Ströhm' und Quellen Fluth,

Die sich durch die Welt ergiessen,

Sey des Erden-Cörpers Blut,

Welches in sehr grosser Menge

Durch die vielen Wasser-Gänge,

Als durch so viel Adern, dringt,

Und der Welt die Nahrung bringt.


30.

Wie das Hertz die lauen Säfte,

So ihm stetig eingeflösst,

Durch uns unbekannte Kräfte

Bald empfängt, bald von sich stösst;

So sey in des Meeres Gründen

Solch ein Welt-Hertz auch zu finden,

Das sich eben so bewegt,

Und uns Ebb' und Fluth erregt.
[574]

31.

Ihres Cörpers Fleisch soll Leimen,

Ihre Knochen, Fels und Stein,

Und das Laub auf Sträuch- und Bäumen

Ihre Zier und Haare seyn;

Unsre Luft, die aus dem Boden

Stetig duftet, sey ihr Oden;

Ihr Geseufz' sey Sturm und Wind,

So man oft mit Furcht empfind't.


32.

Dies' und andere Gedancken

Sind zwar Anfangs anzusehn,

Als ob sie aus allen Schrancken

Der vernünft'gen Schlüsse gehn.

Denn solch einer Last das Leben

Geist und Sinne zuzugeben,

Die todt scheint, wie Holz und Stein,

Scheinet lächerlich zu seyn.


33.

Aber daß die Welt nicht gehet,

Daß sie keinen Schritte thut,

Daß sie nicht auf Füssen stehet,

Daß sie, wie es scheinet, ruht,

Und ihr seltenes Bewegen

Ist dem Satze nicht entgegen,

Der so grosse Kreis der Welt

Sey ein Thier, wie schon gemeld't.
[575]

34.

Kann man auch mit Recht verneinen,

Daß die Schnecke sich nicht regt,

Ob sie gleich sich nicht mit Beinen,

Und fast unvermerckt, bewegt?

Allen Fischen fehlts an Füssen;

Doch steht daraus nicht zu schliessen,

Daß sie, weil sie sonder Bein,

Keine Thiere können seyn.


35.

Sollten wir, die wir die Erden

Voller Vorurtheil besehn,

Nicht betrogen können werden,

Und im Urtheil uns vergehn?

Bloß weil keiner je gespüret,

Wie und wann die Welt sich rühret;

Folgern wir zum Tag hinein,

Sie müss' unbeweglich seyn.


36.

Gleich der Laus, so auf der Stirne,

Als auf einer Kugel, läuft,

Und die doch vom nahen Hirne

Das geringste nicht begreift,

Sondern (falls sie dächte) dencket,

Daß nur sie sich regt und lencket,

Und das Haupt, wie wir die Welt,

Unbeweglich glaubt und hält.
[576]

37.

Da doch gegen unsre Grösse

Eine Laus noch nicht so klein,

Als wir armen Erden-Klösse

Gegen unsern Erd-Kreis seyn.

Sollten wir denn auch nicht können

Uns vom Pfad der Wahrheit trennen,

Da wir wircklich oft geirrt,

Wann der Zweifel uns verwirrt?


38.

Können wir den Sinnen trauen?

Müssen wir uns öfters nicht

Vom Geruch betrogen schauen?

Triegt nicht oftmahls das Gesicht?

Kann man es nicht klar beweisen,

Wenn wir auf dem Wasser reisen?

Scheints nicht, daß wir stille stehn,

Und die Ufer rückwärts gehn?


39.

Ein recht langsames Bewegen

Kann der Menschen Aug' nicht sehn,

Und ein gar zu schnelles Regen

Kann es gleichfalls nicht verstehn.

Lasst (ein Beyspiel beyzubringen)

Nur ein brennend Höltzgen schwingen!

Wird der regen Spitze Schein

Nicht ein stiller Circkel seyn?
[577]

40.

Auch die schärfsten Augenblicke

Können nicht durch Cörper gehn,

Sondern prallen gleich zurücke,

Weil sie nur den Umkreis sehn,

Ja, der Umkreis selbst verschwindet,

Und die seh'nde Kraft erblindet,

Wenn die Sonne sich verhehlt,

Und ihr Glantz den Augen fehlt.


41.

Aefft nicht öfters unser' Ohren

Ein Geräusch, ein Wiederhall?

Wer die Däuung hat verlohren,

Dem schmeckt Honigseim wie Gall'.

Wer mit einer Kugel spielet,

Und mit doppeln Fingern fühlet,

Lernt, da ihm deucht eins wie zwey,

Daß auch Fühlen trüglich sey.


42.

Zeigen also unsre Sinnen,

Die nach aller Augenschein

Unsers Witzes Lehrerinnen,

Des Verstandes Meister, seyn,

Daß wir nicht einmahl erlesen,

Auch des kleinsten Körnchens Wesen

Recht zu kennen, noch die Spur

Der drin wirckenden Natur.
[578]

43.

Da wir alles, was wir wissen,

Durch der Sinnen Sinnlichkeit

Fassen und begreifen müssen,

Wird man ohn' Vermessenheit

Sich nicht unbetrieglich nennen,

Und ohnfehlbar schätzen können,

Sondern glauben, daß vom Schein

Wir leicht zu betriegen seyn.


44.

Wer nun zweyerley Gedancken

In dergleichen Sachen hegt,

Und in ihm ein stetes Wancken

Wechsels-weise sich erregt,

Der wird weniger ja fehlen,

Solche Meynung zu erwählen,

Die von Gottes Gröss' und Pracht

Ihm den grösten Eindruck macht.


45.

Nun ist ja nicht zu verneinen,

Falls man es recht überlegt,

Daß es grössre Wunder scheinen,

Wenn man glaubet und erwegt,

Daß GOTT solche grosse Thiere

Hab' erschaffen und regiere,

Als wenn man den Kreis der Welt

Nur für einen Klumpen hält.
[579]

46.

Dieses aber ausgesetzet,

Lasst uns etwas näher gehn,

Und, wie uns die Erd' ergetzet

Und erhält, mit Ernst besehn,

Ihre Wirckungen betrachten,

So auf Frucht als Nutzen achten,

Wie sie uns die Kost beschert,

Uns erfreut, erquickt und nährt.


47.

Wann des Himmels Saamen fliesset,

Und in ihren milden Schooß,

Durch den Regen, sich ergiesset;

Grünet jeder Erden-Kloß.

Thal und Hügel, Wies' und Anger

Wird durchs feuchte Feuer schwanger,

Und gebiehret, durch das Naß,

Blüht' und Früchte, Laub und Gras.


48.

Die gebähren nachmahls wieder,

Wenn das Thier-Reich sie verzehrt,

Aller Thier und Menschen Glieder.

Ists denn nicht der Mühe werth,

Dieses Wunder zu erwegen,

Wie durch Wärm' und feuchten Regen

Aus der Erden unsre Kost,

Ja selbst Blut und Cörper, sprosst?
[580]

49.

Sollte man mit Recht nicht können

Ochsen, Ziegen, Schaf' und Küh'

Küchen, welche wandeln, nennen,

Worin Gras, ohn' unsre Müh,

Distillirt wird uns zur Speise,

Welches sonst auf keine Weise,

Mühte man sich noch so sehr,

Für uns Menschen brauchbar wär'?


50.

Wird nicht, durch des Schöpfers Güte,

Unser' Erde wunderbar

Zweige, Knospen, Blätter, Blühte,

Frucht und Saamen alle Jahr?

Thier und Menschen zu ernähren,

Muß die Erde stets gebähren.

Sie verjünget die Gestalt;

Alles wird, nur sie nicht, alt.


51.

Auch die unfruchtbarsten Plätze,

Ja die dickste Wüsteney,

Zeigen, durch verborg'ne Schätze,

Daß sie unerschöpflich sey,

Ihre Güter uns zu geben.

Wärme, Fruchtbarkeit und Leben

Zieht sie aus der Sonnen Gluht,

Etwa wie ein Schwamm die Fluth.
[581]

52.

Wer erstaunt nicht für Ergetzen,

Wer verstummet nicht für Lust

Bey der Erden Frühlings-Schätzen?

Scheint nicht unser Hertz und Brust

Sich für Wollust aufzublähen,

Wann wir riechen, schmecken, sehen,

Wie aus schlechtem Staub und Kieß

Blühte, Frucht und Laub entsprieß'?


53.

Denn das gantze Rund der Erden

Könnt' ohn' ihre Festigkeit

Nicht von uns bewohnet werden.

Ohne die Beschaffenheit

Müsten wir zu Grunde sincken,

Ja im Koth und Schlamm ertrincken,

Da wir nun auf ihren Höhn

Ohn' Gefahr und Sorgen gehn.


54.

Wäre sie zu fest hingegen

Und nicht körnicht, feucht und naß;

Wüchsen, solcher Härte wegen,

Weder Bäume, Laub noch Gras.

Was da lebte, müste sterben,

Pflantzen, Thier und Mensch verderben.

Nehmet denn mit Danck in Acht

Unsers Schöpfers weise Macht!
[582]

55.

Wer begreift der Erden Kräfte,

Wer kann doch die Art verstehn,

Wie dergleichen Wunder-Säfte,

Durch so kleine Röhrchen gehn,

Durch so dünne Stengel steigen,

Solche schöne Farben zeugen,

Drob das Hertz recht wird entzückt,

Wenn man ihren Schmuck erblickt?


56.

Was nun ihr ursprünglich Wesen

Und den ersten Zeug angeht,

Ist wohl keiner so belesen

Und so klug, der recht versteht,

Wie der wahre Stoff der Erden

Kann und muß begriffen werden.

Keiner weis, begreift und kennt

Die Natur im Element.


57.

Dennoch, wann ichs recht besehe,

Scheinet dieses wahr zu seyn,

Daß ein Element bestehe

Nicht aus einem Zeug allein,

Sondern aus den dreyen Gründen,

So in der Natur zu finden,

Die ein Weiser kennen muß,

Schwefel, Saltz, Mercurius.
[583]

58.

Schwefel ist ein feurigs Wesen,

Voller Luft und Fettigkeit,

Deren Tugend auserlesen,

Herrlich von Beschaffenheit.

Dieser wircket unaufhörlich;

Weil sein Balsam unzerstörlich:

Dessen Saame, wenn er reift,

Leben, Wärm' und Licht begreift.


59.

Diese Wärme, Licht und Leben,

Welche jeder Creatur

Dauer samt dem Wesen geben,

Sind das Werckzeug der Natur,

Sind die Seelen aller Kräfte,

Sind die Flammen-reichen Säfte,

Deren unsichtbare Gluht

Ewig wircket, nimmer ruht.


60.

Daß nun dieser Schatz bestehe,

Und die feurige Natur

Nicht verbrenne, nicht vergehe;

Nährt der kräftige Mercur

Die sonst Nahrungs-losen Flammen.

Sind sie also stets zusammen,

Und ihr unauflöslichs Band

Mildert den zu starcken Brand.
[584]

61.

Diese der geschaffnen Dinge

Eingepflantzte Feuchtigkeit

Ist, daß sie durch alles dringe,

Aus dem ersten Stoff bereit,

Und die Lebens-vollen Säfte

Hegen so vollkomm'ne Kräfte,

Daß sie jedes Wesen tränckt,

Und ihm reiche Nahrung schenckt;


62.

So die eingebohrnen Flammen,

Als den wurtzelichten Saft

Hält mit festem Leim zusammen

Des geschaffnen Saltzes Kraft,

Dessen trocknes Wunder-Wesen

Nur allein dazu erlesen,

Daß es Gluht, Fluth, warm und kalt

Unzertrennt zusammen halt'.


63.

Durch dieß Saltz besteht und währet,

Was der Schwefel zeugt und macht,

Und Mercur erquickt und nähret.

Alles, was hervor gebracht,

Könnte ferner nicht bestehen,

Sondern müste gleich vergehen,

Bünd' dieß Trockne der Natur

Nicht den Schwefel und Mercur.
[585]

64.

Diese sind der Zeug der Sachen,

Draus Natur, der Geist des Lichts.

Alle Dinge weis zu machen.

Nichts würd'; alles würde nichts,

Wären Wasser, Saltz und Flammen

Nicht stets unzertrennt zusammen.

Daß, was ist, beständig sey,

Macht dieß stets vereinte Drey.


65.

Aber das muß von der Erden,

Die man sehn und fühlen kann,

Nicht so roh verstanden werden.

In derselben findet man

Diesen Balsam eingepräget,

Den sie als Behalter heget,

Da die Theilchen nichts sonst seyn,

Als ein klein zerriebner Stein;


66.

Die sich Wunder-würdig fügen,

Und sehr enge, dicht und fest

Oefters auf einander liegen,

Von dem innern Geist gepresst.

Wann die Winckel und die Ecken

An und in einander stecken,

Stammt aus der Beschaffenheit

Aller Cörper Festigkeit.
[586]

67.

Tausend Bildungen zu nehmen,

Die man fühlet und erblickt,

Sich zu allem zu bequemen,

Ist der Erden Stoff geschickt.

Hundert-tausend-fach gestaltet,

Bald verjünget, bald veraltet,

Bald getrennt, bald vereint,

Daß er recht ein Proteus scheint.


68.

Was wir Elemente nennen,

Wird aus dieser Quell erzeugt,

Und man wird nicht leugnen können,

(Ob das Ansehn gleich betreugt)

Wenn sie recht betrachtet werden,

Dieser wahre Stoff der Erden

Sey ein Saltz, worin die Gluht

Untermischt ist mit der Fluth.


69.

Ob gleich Saltz die erste Stelle

In der Erden Cörper hat,

Und was feucht ist oder helle

Nach ihm in geringerm Grad;

Sencket dennoch Feur und Wasser,

Da das heisser, dieses nasser,

So wie sie vermischet seyn,

Ihr den reinsten Saamen ein.
[587]

70.

Dieser Saame, der sich flösset,

Und in Schooß der Erden fällt,

Wo ihn kocht und fortwärts stösset

Der erwärm'nde Geist der Welt,

Daß er aufwärts auf der Erde

Ein besondrer Cörper werde,

Zeuget alles, was entsteht,

Wächset, bauret und vergeht.


71.

Wie das aber recht geschehe,

Sieht man zwar, doch fasst mans nicht.

Ich aufs wenigste gestehe,

Daß mit hier die Kraft gebricht,

Und will lieber dieß bekennen,

Als mich von der Wahrheit trennen.

Denn nur Stoltz und Eitelkeit

Suchen falsche Dunckelheit.


72.

Also haben wir besehen,

Und, so weit es sich erstreckt,

Unsrer Erde Tief und Höhen,

Stand und Eigenschaft entdeckt.

Da nun alle Erden-Klösse

Von des Schöpfers Wunder-Grösse

Unzählbare Zeugen seyn;

Lasset auch uns Seiner freun!
[588]

73.

Sprich, verwildertes Gemüthe,

Kömmt dieß alles ungefehr,

Oder aus der Macht und Güte

Eines weisen Wesens, her?

Sprich: Verdienen solche Wercke

Nicht einmahl, daß man sie mercke?

Wers Geschöpfe nicht betracht't,

Schändet seines Schöpfers Macht.


74.

Wenn wir auf die Erde treten,

Wenn ihr fester Grund uns trägt,

Wird, den Schöpfer anzubeten,

Unser Geist mit Recht bewegt,

Da er folgend's Lied erfindet:

GOTT, der Du die Welt gegründet,

So lang' Erd' und Himmel steht,

Sey Dein ew'ger Nam' erhöht!


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 564-589.
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