Die auf ein starckes Ungewitter erfolgte Stille
Job. XXXVII, 5 – 11.

[269] Gott donnert mit Seinem Donner gräulich, und thut grosse Dinge. – Die dicken Wolcken scheiden sich, daß helle werde, und durch den Nebel bricht Sein Licht.


Nachdem die Sonne jüngst, seit zweymahl funfzehn Tagen,

Die neu-beblühmte Welt beständig angelacht;

Schwamm alles, was man sah, in Wollust und Behagen.

Die Gluht, die alles hell, die alles lebhaft macht,

Befloß so Stadt als Land, bedeckte See und Flüsse.

Sie senckte sich so tief in Tellus Schooß hinein,

Daß Feld und Felsen glüht'; es gläntzte Sand und Stein;

Man kennete fast nicht die feuchten Wolcken-Güsse,

Bis endlich sich einmahl, bey schwühlen Mittags-Stunden,

Ein kleines Wölckchen zeigt', und, in dem Augenblick,

Sich auszuspannen schien. Die Luft ward plötzlich dick;

Das Licht ward allgemach vom Schatten überwunden;

Es stieg ein grauer Duft und Nebel in die Höh';

Des Tages Gold erbleicht'; es schwand das heitre Blau;

Die dicke, dunckle Luft beschattete die See;

Die Bäche schienen schwartz, die Flüsse braun und falbe;

Der gantze Luft-Kreis ward von Duft und Regen schwer;

Kein Vogel war zu sehn, die auch schon scheuche Schwalbe[270]

Schoß nur allein, jedoch gantz niedrig, hin und her.

Es ließ, als wollte sie in Erd' und Fluth, vor Schrecken

Vor dem, was in der Luft ihr drohte, sich verstecken.

Solch eine Stille füllt' und druckte recht die Welt,

Daß man, wie sich kein Blatt, kein Kraut, vor Schrecken, rührte,

Vor Furcht selbst unbewegt, mit starren Augen, spürte.

Es schien selbst die Natur erstaunet und entstellt,

Vor Warten und vor Furcht der Dinge,

Die sie bedroheten, bis plötzlich ein Orcan

Die bange Stille brach, indem der Lüfte Bahn,

Wie eine wilde Fluth, schnell an zu rauschen fienge.


Von allen Winden ward der Erd-Kreis überfallen;

Ein Wirbel füllete die Luft mit Sand und Staub;

Es schien der Wald ein Meer, drin grüne Wellen wallen;

Die Zweige heulten recht; es brausete das Laub;

Es ward schnell hin und her geschüttelt, hier geschwenckt,

Dort in einander wild vermischet und verschränckt.

Bald wurden der gepeitschten Blätter Wogen,

Mit sausendem Geräusch', empor geführt,

Bald plötzlich unter sich gezogen,

Daß oft der Wipfel selbst die lose Wurtzel rührt'.

Hier borst' und brach ein dick-belaubter Ast,

Dort kracht' und stürtzt', vom Wirbel aufgefasst,

Ein tief-bewurtzelter bejahrter Eich-Baum nieder.

Der Blätter Heer, von Zweigen abgestreift,

Flog durch die graue Luft recht gräßlich hin und wieder.

Es schien, daß Boreas noch stets die Kräfte häuft';

Viel' Erlen wurden umgekehrt,

Drey Tannen in die Luft gerissen,

Und lange, welches unerhör't,

Entsetzlich hin und her geschmissen.[271]

Die Wolcken, so das Firmament umzogen,

Und oft die Sonne deckten, flogen,

Wie schwer sie gleich, als Pfeile fort,

Und schwärtzeten bald den, bald jenen Ort.


Aus der gepreßten Fluth geschwärtzten Flächen

Sah man der Wellen Schaum, wie weisse Flammen, brechen,

Die, um den starren Strand mit Nachdruck zu bestürmen,

Sich Himmel-hoch, wie steile Felsen, thürmen.

Ein fürchterliches Braun färbt die erzürnte Fluth,

Die Luft ein gräßlich Grau. Man sieht das Wasser schäumen;

Die Wellen heben an, erschrecklich sich zu bäumen;

Es wütet, wallt und wanckt die gantze Wasser-Welt;

Sie brauset nicht, sie brüllt, da sie bald steigt, bald fällt.

Mann zwischen regen Höh'n und nimmer stillen Bergen

Manch flücht'ger Thal sich voller Wirbel zeiget,

Und, eh' man sich's versieht, beschäumt selbst aufwärts steiget;

Erschrickt ein schwindelnd Aug' ob solcher nahen Noth.

Von jeder Welle scheint ein feuchter Tod,

Der unvermeidlich ist, uns gräßlich anzublecken,

Und seinen schwartzen Arm schon nach uns auszustrecken.

Dem, der dieß hör't, vergeht Empfinden, Hören, Sehn;

Man fühlet, gantz erstarrt, das Haar zu Berge stehn.

Nichts kann, wie so gar nichts der Mensch, uns überführen,

Als wenn wir die Gewalt der Elemente spüren.


Der Ost-Wind rast' indeß mit unsichtbarer Macht;

Dem stürmte, voller Wuth, der strenge West entgegen.

Es stieß der Süd-Wind sich, gehüllt in dickem Regen,

Mit dem erzürnten Geist der frost'gen Mitter-Nacht.

Brach dieser jenes Wuth: so hielt der dieses Lauf,[272]

Mit heulendem Gezisch, Gepfeif und Brüllen, auf.

Ein jeder strebt' ergrimmt, des andern Wuth zu schwächen:

Darüber musten nun die stärcksten Mauren brechen.

Was hoch war, sprang wie Glas, wie schwer es gleich, wie groß,

Indem sie Thürme selbst aus ihren Klammern huben,

Und, unter Schutt und Stein und Graus, das Feld begruben.


Drauf brach das Wetter selbst noch erst, mit Schrecken, los:

Oft hörte man erstarrt, mit abgebroch'nen Knallen,

Die Schläge, Staffel-weis', von oben abwärts fallen,

Und, mit Erschütterung der starck-gedruckten Erden,

Noch immer schrecklicher, noch immer schwerer werden.

Der Donner rollt' und kracht'. Blitz, Ströme, Strahlen, Schlossen

Vermischten ihre Wuth; die rothen Flammen flossen,

Und wallten überall, als wie ein feurig Meer,

In der geborst'nen Luft entsetzlich hin und her,

Worin, zu gleicher Zeit, mit ungestümen Wogen,

Verdickte Regen-Ström' und gantze Flüsse flogen,

Die öfters Boreas so durch einander trieb,

Daß die Gestalt nicht einst vom Wasser überblieb,

Indem es, wie gepeitscht, des Tages Licht verhüllte,

Und mit gantz weissem Schaum die schwartzen Lüfte füllte.

Ein steter Wolcken-Bruch stürtzt' eine dicke Fluth,

Mit brausendem Geräusch, von oben durch die Gluht,

Daß beydes rauscht und zischt, beströmt' das trockne Feld,

Verschluckte das Getraid'; ein all-erschütternd Krachen

Brach allenthalben aus; es zitterte die Welt;

Die Berge wanckten recht; es riß die schwartze Luft

Die düstern Pforten auf; sie schien ein weiter Rachen,[273]

Voll Flammen, Dampf und Gluht, ja eine Höllen-Gruft,

In deren lichtem Pful und ungeheuren Tiefe

Ein schütternd Strahlen-Heer, deß Licht erschrecklich hell,

Bald rund, bald Schlangen-weis', und unbeschreiblich schnell,

Mit zackigter Bewegung, liefe.

Gleich schloß sich diese Kluft so plötzlich wieder,

Und schlug der Sterblichen erschrock'ne Augen-Lieder

Mit dicker Dunckelheit und so Pech-schwartzer Nacht,

Daß es noch ungewiß,

Ob Licht, ob Finsterniß

Dem Hertzen gröss're Furcht gemacht.

Da blitzt es kurtz, hier auch, wann's dorten zehnfach wittert,

Und hier, im langen Blitz, der gantze Luft-Kreis zittert.


Noch strahlte Blitz auf Blitz, mit fürchterlichem Schein;

Der Donner rollte noch, mit gräßlichem Gebrülle.

Allein, im Augenblick, nahm eine sanfte Stille

Die fast betäubte Welt gemach von neuem ein;

Die Wolcken theilten sich; so Duft, als Nebel, schwand;

Das holde Sonnen-Licht, des weissen Tages Quelle,

Goß eine See von Glantz auf das benetzte Land,

Und macht', im Augenblick, so Welt als Himmel helle.


Die Wiesen funckelten; es gläntzte Feld und Wald;

Ja selbst die Sonne wies', in tausend feuchten Spiegeln,

Auf dem genetzten Laub', die flammende Gestalt.

Die Bluhmen haucheten, an den bewachs'nen Hügeln,

In doppelt-schönem Schmuck, den lieblich-süssen Duft,

Wie edlen Balsam aus, und fülleten die Luft.

Das Land-Volck kommt gemach aus den bemooßten Hütten.

Zu Anfang bleibet es an Zäun- und Hecken stehn,

Schaut allenthalben hin, und wenn sie endlich sehn,

Daß Weitzen, Obst und Dach noch nicht so viel gelitten,[274]

Als sie, in Angst, geglaubt, und daß sie Wind und Fluth

Nicht viel beschädiget, ist alles wohlgemuth,

Und lebt von neuem auf, wie man im Lentzen thut.


Da wendet man das Heu; hie mäh't, da bindet man,

Ja das Gefilde lebt, so weit man sehen kann.

Es hebt die gelbe Saat die Halmen in die Höh',

Was eingeknickt, fängt an, aufs neu' gesteift, zu schwellen,

Und wall't, wie eine See, mit sanft-bewegten Wellen.

Des milden Himmels Saft liegt gläntzend auf dem Klee,

Als wie ein feuchtes Glas, indem das glatte Vieh,

Wenn es, mit schlanckem Hals', oft bis an Bauch und Knie,

Im Klee und Bluhmen geht, von den gespalt'nen Füssen

Die duncklen Zeichen lässt. Die hellen Bäche fliessen,

Und wallen sanft dahin; sie bilden Bäum' und Büsche,

Im holden Gegen-Schein, so deutlich, daß man kaum

Das schwimmende Gebüsch, den feuchten Schatten-Baum,

Von dem gewachs'nen kennt. Die Schuppen-vollen Fische,

Wann sie, dem Ansehn nach, auf hohen Wipfeln schweben,

Sieht man, den Vögeln gleich, in blauen Lüften leben.

Des Schilfs beweglich Laub, wie schwancke Degen-Klingen,

Die, wo die Fluth sich endet, stehn,

Und sich, mit lispelndem Getön',

Zum Schmuck und Lust des Landes, schwingen,

Belustig't das Gesicht; zumahl wann, wie ein Glas,

Das jüngst gefall'ne Himmels-Naß

Auf dem gesteiften Laub, wo sich's gemählig bieget,

Wie Diamant'ne Kugeln lieget,

In welchen sich, samt den beblühmten Hügeln,

Die Wiesen, Büsch' und Bäume spiegeln,

Daß alles gläntzt und lacht.[275]

Die Lüfte sind belebt

Von seltsam spielenden geschwinden jungen Fliegen,

Die Hitz' und Nässe zeugt. Bald steigt, bald fällt, bald schwebt

Die Meng', indem sie sich bald theilen und bald fügen.

Es lässt, ob kämpfe stets dieß neu-belebte Wölckchen;

Bald öffnet es sich schnell; bald schliesset es sich dicht.

Aufs Dunckle scheinet es, wie Gold-Staub; und im Licht'

Ein falbes, sumsendes und lebendiges Wölckchen.

Die schnellen Vögel schwingen

Die feuchten Fittigen von Zweig' auf Zweig', und singen,

Aus einem neuen Ton, so lieblich, hell und schön,

Daß solche Stimmen uns fast an die Seele gehn.

Mit wenigem, es scheint Luft, Wiese, Wald und Feld

Ein altes Eden noch, und eine neue Welt.


Elpin, den itzt die Lust, wie vor der Schrecken, triebe,

Besang, mit frohem Muth, des Schöpfers Eigenschaft:

Es ist die helle Sonn' ein Bild von Gottes Liebe,

So wie des Donners Grimm die Probe seiner Kraft.

Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 269-276.
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