Das Nachtmahl des Ruhms und – der Liebe.

[65] Kurz vor dem Beginnen der Oper war in demselben Gasthofe, welchen Rosa bewohnte, der *** Gesandte, Graf L****, abgestiegen, den sie auf ihrer Kunstreise von Berlin nach Wien in Karlsbad kennen gelernt hatte.

Von dem Wunsche beseelet, jene Hoffnungen mit einem glücklichen Erfolge gekrönt zu sehen, die er an dem genannten böhmischen Stapelplatze verschwiegener Genüsse im Sommer des vorigen Jahres gewagt hatte, besuchte er Rosa noch während der Darstellung auf der Bühne, und bat um die hohe Gunst, an diesem Abende ihr Gast seyn zu dürfen.

Mit welchen Augen der arme Fritz diesen Coulissenbesuch betrachtete, der als Theatergraf den wirklichen Grafen auf eine vertrauliche Weise mit Rosa sprechen, ja sogar ihr in die Ohren flüstern sah, mag sich jeder unglückliche Liebhaber gleichwohl selbst denken, und den widerlichen Anblick mit den grellsten Farben der Eifersucht ausmalen.

Die kühne Zudringlichkeit des Gesandten darf übrigens die Leser nicht befremden. Er kam gerade von Paris, wo eben eine französische Uebersetzung von Rosa's Gardinenseufzern Furor machte die mit auserlesenen neuen Abenteuern die Klatschsucht reichlich fütterte. Der berüchtigte [66] Tarif der Liebe war ihm bekannt; er glaubte also mit Recht, aller unnöthigen Zartheit und girrenden Bewerbung gänzlich überhoben, und nur auf die Bezeichnung der Tarifsnummer angewiesen zu seyn, wornach er seine Wünsche erfüllet wissen wolle.

»Darf ich um eine Stunde bitten?« fragte der Gesandte.

»Welche ist Ihnen gefällig?« erwiederte Rosa die Frage mit der größten Unbefangenheit.

»Vor Mitternacht wird es wohl nicht füglich seyn können; ich dächte also von 2 bis 3 Uhr nach Mitternacht.«

»Einverstanden! der Preis ist Ihnen bekannt?«

»Ja; wäre nicht eine Minderung zu vermitteln?«

»Sie scherzen, Herr Graf, Sie werden doch um den Preis nicht markten wollen!«

Der Inspizient gab das Zeichen, und Rosa verließ den Käufer.

An der langen, hufeisenförmigen Tafel saßen de geladenen Herren und Damen, und ließen sich's weidlich schmecken. Rosa blieb nicht auf ihrem Stuhle, sondern ging die Reihen entlang, mit Jedem und Jeder freundliche Worte wechselnd.

Sie hatte ihren Platz am untern Ende der Tafel, zwischen ihren beiden Gesellschaftsfräulein gewählt, welche sie umgaben, wie Trabanten eine Sonne.

Eine rauschende Tafelmusik im nahen, hellbeleuchteten[67] Tanzsalon verbreitete die heiterste Stimmung, und wenn bisweilen ein lockender Walzer ertönte, schlich manches Pärchen von der Tafel weg, um die Wonne zu genießen, Arm in Arm, Herz an Herz, dahin zu schweben, und in seligen Träumen sich zu wiegen.

Der Walzer ist ein verruchter Tanz, und mit Recht nennen ihn die strengen Moralisten sündhaft. Die Gewohnheit macht leider gegen Manches blind, was selbst Blinde schon in der Erzählung finden könnten. Walzen heißt der Sinnlichkeit vorsätzlich alle Thore und Thüren öffnen, und wer ein liebes Weibchen oder hübsches Töchterlein mit Andern walzen läßt, dem legt der Teufel in kurzer Zeit ein Ei in die Wirthschaft.

Erforschen Sie einmal aufrichtig ihr Gewissen, meine verehrten Leser, was Sie denn im Alter von 20 bis 30 Jahren gefühlt haben, oder noch fühlen, wenn eine üppige Schöne in Ihren Armen durch den weiten Raum des Saales walzte, wenn ihre Augen eine gesteigerte Gluth sprühten, der lilienweise Busen wie eine Springfluth wogte, und das gejagte Blut durch alle Adern tobte?

Die Weiber fühlen auch, und wohl nicht minder tief und heftig, als die Männer, und sind ihre Leidenschaften bis zu Wünschen gediehen, so bedarf es nur einer Gelegenheit, sie erfüllen zu können, und wer sucht, der findet. Hierin nämlich in der Ausmittlung einer Gelegenheit, sind die Weiber ganz besonders sinnreich, und uns[68] Männern bei weitem überlegen, die wir uns oft in den meisten Fällen gar nicht zu helfen wissen. Der weiblichen Schlauheit in Liebes-Intriguen verdanken wir die geistvollsten galanten Novellen der Italiener und Spanier, die denn doch immer die Meister in der Liebe bleiben, was man auch von den Franzosen in diesem Punkte rühmen mag.

Sie wissen nun, daß die walzenden Damen eben solche Gedanken unter ihren verführerischen Locken brüten, als Sie, meine verehrten Leser, und Ihre Gedanken will ich aus Diskretion nicht an das Licht der Oeffentlichkeit ziehen, obwohl ich es könnte, denn Ihre Gedanken werden auf ein Haar den meinigen gleichen. Folgen Sie also meinem wohlgemeinten Rathe, meine Herren, und lassen Sie Ihre Frauen nie walzen, und Ihre Töchter nur mit den Bräutigamen derselben, wenn diese schwach genug sind, nicht nach Ihrer klügern Vorsicht zu handeln.

Da sitzt oft so ein alter, gichtbrüchiger, oder ein junger, bequemer Ehegemahl in einem Seitenzimmer des Tanzsaales am Schachbrette, und gibt seinem Gegner triumphirend ein Matt, während indeß, durch eine wundersame Sympathie, zwischen seiner tanzenden Gattin oder Tochter und ihrem Tänzer ein ähnliches Spiel, mit gleichem Ausgange, verabredet, oder auf einem schicklichen Spielplatze bereits gespielt wird.

Wohl kann ich es mir nicht verhehlen, daß ich durch[69] den guten Rath des Walzerverbotes alle liebenswürdigen Tänzerinnen mir zu Feindinnen gemacht habe; allein der Wahrheit wegen will ich gerne leiden, ohne deßwegen der schönen Hoffnung zu entsagen, die Zürnenden durch meine übrigen guten Eigenschaften wieder vollkommen zu versöhnen. Ich habe ja nur von der gefährlichen Natur der Walzer gesprochen, unter welchen übrigens die sogenannten Sehnsuchts- und qualifizirten Schwindsuchtswalzer den mißvergnügten Ehemännern als ein lustiges Hausmittel gegen weibliche Tyrannei sehr zu empfehlen sind, obgleich ich jeden Ballbesuch an und für sich mit den wichtigsten Gründen hätte mißrathen können, doch der Baum fällt nicht auf einen Streich!

Der gefürchtetste unter den Recensenten der Hauptstadt, Namens Hetzer, nahte sich der Festgeberin Rosa, als sie eben auf einem Balkone sinnend in die lichte Sternennacht hinausschaute, und überreichte ihr ein Taschenbuch mit den Worten: »Schöne Rosa, die Verhältnisse unserer Bühne sind Ihnen gänzlich unbekannt. Sie kennen eben so wenig den Charakter des Vorstandes der Bühne, als der Künstler und Künstlerinnen, in deren Umgebung Sie vielleicht längere Zeit wirken werden. Es kann Ihnen daher eine Enthüllung aller dieser Geheimnisse, der reinsten Wahrheit getreu, nur sehr angenehm seyn. In diesem Taschenbuche finden Sie eine Denkschrift, die Ihnen über das Verborgenste den befriedigendsten Aufschluß gibt; ich habe sie verfaßt, um Ihnen[70] damit einen kleinen Beweis meiner Theilnahme und Verehrung zu geben, und auf eigene, vieljährige Beobachtungen und Erfahrungen, so wie auf erwiesene Thatsachen gestützt. Ihr Charakter ist mir Bürge genug, daß eine Bitte um Diskretion wohl überflüssig seyn dürfte.«

Rosa nahm mit dem lebhaftesten Danke das Taschenbuch, versicherte ihn ihrer vollen Erkenntlichkeit, und verschloß es sogleich in eine Schatulle, um in den nächsten Morgenstunden sich mit dem Inhalte desselben vertraut zu machen.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 65-71.
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