Ueberraschung.

[71] Plötzlich rauschten die Flügel der Mittelthüre des Speisesaales auf, und sechs männliche und sechs weibliche Genien, in ihrer Mitte vier Mohren, die einen großen Korb, in der Form eines geschlossenen Bienenkorbes trugen, traten in den Saal, und führten vor Rosa einen Huldigungstanz nach dem Takte ihrer Handtrommeln aus, accompagnirt von den Rohrpfeifen der Mohren.

Diese berührten, nach dem Schlusse des Tanzes, den Boden mit ihren Stirnen, gleichsam als Sklaven, während die Genien den Korb öffneten, und aus diesem ein für Rosa bestimmtes Prachtgeschenk nahmen, bestehend aus[71] einem großen Käfige, geflochten aus Draht vom feinsten, gediegenen Golde, der kostbare Kerker einer Nachtigall, die sich schüchtern und geblendet von dem Glanze zahlloser Wachskerzen, in eine Ecke duckte. Oben auf dem breiten, flachen Ringe, der zur Handhabe dient, standen aus farbigen Edelsteinen gebildet die Worte:


»Du beschämst sie!«


Selbst in der an täglich neuen Erfindungen so überaus sinnreichen Stadt Paris, war keiner von ihren begeisterten Anbetern auf eine so originelle Huldigung verfallen, wovon Rosa, obgleich durch Vergötterungen aller Art schon längst verwöhnt, dennoch auf eine sehr angenehme Weise überrascht wurde. Sie entließ die Genien und Mohren, welche den Zeig- und Mittelfinger auf die Lippen legten, wenn man sie um den Namen ihres Gebieters fragte, reichlich beschenkt, und empfing nun die Lobpreisungen der beschauenden Gäste mit innerlichem Wohlbehagen.

Vergebens zerbrach sie sich den Kopf, wer wohl der galante Sender dieses prächtigen Geschenkes seyn könne. Nur der Fürst, meinte sie, könne ihr diesen großen Beweis seiner Huld vorbereitet haben, denn der Käfig konnte nicht im nächsten Kaufmannsgewölbe auf gut Glück einen Käufer erwartet haben; gegen diese Vermuthung sprach der überaus hohe Werth desselben, und die geringe Wahrscheinlichkeit eines Absatzes.

Niemand war dieses prächtige Geschenk weniger angenehm,[72] als dem Gesandten, der wie ein Geier sein schönes Lämmchen umkreisete, fürchtend, es möchte der unbekannte Geber ihm noch die sichere Beute entreißen.

Sein eifersüchtig spähendes Auge entdeckte auf dem Pförtlein des Käfiges die Worte eingegraben:


»Ewig Die Unübertrefflich Anmuthsvolle Reizende Dame!«


Den inneren Aerger bekämpfend, wies er Rosa diese Worte mit der Betheuerung, daß sie ihm aus dem Herzen geschrieben seyen.

»Liebchen, die Stunde naht,« – flüsterte er ihr bald darauf zu, – »wie kannst Du auf eine schickliche Weise Dich aus der Gesellschaft entfernen?«

»Nichts leichter als dieß,« erwiederte Rosa; »die Idee ist uns schon von den Genien und Mohren gegeben worden, wir dürfen sie also nur benützen. Veranstalten Sie schnell eine Maskerade; der Vorstand der Bühne wird der Gesellschaft gerne auf einige Stündchen die Plünderung seiner Garderobe erlauben; sprechen sie mit ihm. In meinem Kabinete hab' ich eine Auswahl von Kostümen. Ich will als Ninette in der diebischen Elster erscheinen; man sagt, dieses Kostüm kleide mich allerliebst. Einige Minuten treib ich im Gewühle mich herum; lassen Sie mich nicht aus den Augen; hinter den Sitzen der Musiker führt eine Tapetenthüre in den Korridor, und von dort auf mein Zimmer.[73] Wir werden belauscht werden; ich empfehle Ihnen das strengste Schweigen! Nun schnell an's Werk!«

»Göttin!« rief der Gesandte halblaut, und flog zum Vorstande der Bühne.

Dieser wollte das Vergnügen der Gesellschaft nicht stören, und hoffte durch seine Bereitwilligkeit sich Rosa verbindlich zu machen, indem er zur Erhöhung der gesellschaftlichen Unterhaltung beitrug. Der Gesandte spendete Geld mit vollen Händen an die Garderobediener des Theaters, und so war in einer halben Stunde bereits eine gewaltige Ladung vollständiger Anzüge im Gasthofe. Die Damen erhielten zur Umkleidung ein eigenes Zimmer, und benützten es sogleich zur Vermummung, wovon man sich einen köstlichen Spaß versprach.

Rosa sah als Ninette so wunderschön aus, daß sie sogleich von Jedermann erkannt wurde; denn es war nicht wohl möglich, daß irgend eine Dame mit dieser holdseligen Gestalt wetteifern konnte. Sie mengte sich in das Gewühl, und ergötzte sich nicht wenig an den Anstrengungen der galanten Herren, ihr die auserlesensten Schmeicheleien zu sagen. Der Gesandte trollte ihr als Doktor Bartolo in einiger Entfernung nach.

Der Gott Saturn kam ihr mit der Sense, den Flügeln und dem Stundenglase in der Hand entgegen.

»Du bist ein trauriger Mahner an die Vergänglichkeit[74] der irdischen Güter,« sprach ihn Rosa an: »bringe mir ja keine böse Stunde!«

»Hüte Dich nur vor der zweiten Stunde nach Mitternacht!« erwiederte eine dumpfe Stimme. Rosa verbarg mühsam ihre Bestürzung unter einem erkünstelten Lachen, und wandte sich ab von der unheimlichen Gestalt.

Da faßte sie plötzlich ein reich gekleideter Don Juan rückwärts um die Mitte des Leibes, neigte sich über ihre Schulter und trällerte die Melodie des Liedchens aus Mozarts Don Juan: »Findest Du ein Mädchen auf offener Straße« etc. im sonoren Bariton.

»Um Verzeihung,« versetzte Rosa scherzend, »ich bin kein Mädchen auf offener Straße, sondern auf dem Balle; Sie müssen also schon so gefällig sein, sich ein anderes Liedchen oder ein anderes Mädchen zu wählen!« Mit diesen Worten entschlüpfte sie dem kühnen Mädchenjäger.

In diesem Augenblicke schlug es 2 Uhr auf der unter der Orchestergallerie angebrachten Uhr.

»Zeit ist's!« flüsterte ihr der Gesandte zu.

»Folgen Sie mir!« war Rosa's Antwort.

Rosa wendete sich auf Umwegen zur Tapetenthüre, und riß sie hastig auf; da stand drohend der alte Saturn vor ihr.

»Geh nicht!« rief er ihr feierlich zu, und schritt an der Schweigenden vorüber in den Saal.

[75] Rosa ging aber doch, und gleich darauf der Gesandte als Doktor Bartolo.

Wehmüthig lehnte sich Saturn an eine nahe Marmorsäule des Saales, und seufzte: »Arme Rosa, wie tief bist Du gefallen!«

»Du irrst Dich, Gott der Zeit!« lispelte eine süße Stimme, und eine weiche Hand ruhte vertraulich auf seiner Schulter.

Rosa war's, die eben wieder die Tapetenthüre schloß, den mürrischen Saturn und den lebenslustigen Don Juan bei den Armen faßte, und mit Beiden auf einem Erkertische unter allerlei neckenden Plaudereien warme Limonade trank.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 71-76.
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