Rosa's Portrait.

[25] Rosa zählte noch nicht achtzehn Frühlinge ihres Lebens, und hatte doch schon seit zwei Jahren Deutschland, Italien, Frankreich und England zu den Füßen ihrer Schönheit und ihres Talentes gesehen. Die ersten Geister ihres Jahrhunderts zogen an ihrem Siegeswagen; Dichter, Maler, Bildhauer und Tonsetzer wetteiferten sie zu verherrlichen. Eine Sündfluth von Sonetten brach über alle Zeitschriften herein, und die eifrigsten politischen Kannegießer[25] überschlugen die wichtigsten Artikel ihres Geschmackes, um die Kritiken der Gesangesleistungen Rosa's zu lesen.

In Busennadeln, in Ringen, auf Pfeifenköpfen und Tassen von Porzellan, auf Hals- und Taschentüchern, auf Dosen, auf den Arbeitskästchen der Damen, in Almanachen mit Goldschnitten, vor allen Bilderkramläden u.s.w. war Rosa's Bild zu finden, gemalt, in Kupfer gestochen, auf Stein gezeichnet, illuminirt, in Schattenrissen, auch als Büste aus cararischem Marmor in Lebensgröße auf den Mahagonyschränken der Vermöglichen, oder aus Gußeisen im verjüngten Maßstabe für Jedermann. Wer nur im Mindesten Anspruch auf Kunstsinn machen wollte, mußte im Besitze dieses Bildes seyn; das wunderschöne Mädchen, die wundervolle Sängerin, hatte alle Sinne verwirrt, alle Herzen bezaubert.

Ein junger, angehender Verleger kam auf den glücklichen Einfall, ein Buch herauszugeben unter dem Titel: »Rosa's Triumphe.« Er sammelte Alles, was seit Rosa's erstem Auftreten in der Kunstwelt in allen Zeitschriften des In- und Auslandes über sie erschienen war; eine Skizze ihres Lebens, ihrer Herkunft, der ersten jugendlichen Aeußerungen ihres großen Talentes, des Ganges der ferneren Ausbildung, ihrer Gewohnheiten und Neigungen, u.s.w. schloß sich unmittelbar an die Vorrede über den gegenwärtigen Stand der Gesangeskunst in Deutschland;[26] dann folgten sämmtliche bisher erschienenen kritischen Beurtheilungen ihrer Rollen, worin sie aufgetreten war, und endlich die vorzüglichsten Gedichte, womit ihr die Dichter gehuldiget hatten; die Erzeugnisse der Dichterlinge mußten nothwendigerweise von dieser Sammlung ausgeschlossen bleiben, sollte sie nicht zu einem Foliobande anschwellen.

Von diesem Werke, das einem allgemein gefühlten Bedürfnisse entgegen kam, wurden ungeachtet zweier Nachdrücke, von literarischen Schnapphähnen versucht, in fünf Monaten 16000 Exemplare verkauft Die Hauptzierde dieses Werkes war ein höchst gelungenes Bild Rosa's als Muse des Gesanges. Der große Gewinn, welchen dieses Werk dem Verleger brachte, der für die Zusammenstellung selbst nur ein sehr geringes Honorar bezahlte, erregte in manchen von diesen Herren den bittersten Neid, zugleich aber auch den Wunsch, durch ein interessantes Gegenstück einen ähnlichen Fischzug Petri auf dem stürmischen Meere des Buchhandels zu machen, das alle andern Meere an der Menge und Stärke der Rückströmungen übertrifft.

Innerhalb vier Wochen erschien also ein elegant gedrucktes Büchlein in Duodez, unter dem lockenden Titel: »Rosa's Gardinenseufzer,« – mit einem hübschen Kupfer und einer niedlichen Vignette.

Das Kupfer stellte ein elegantes Bett vor, dessen Gardinen so weit geschlossen waren, daß man nur vier Füße[27] gewahrte, wovon zwei auf den Fersen, und zwei auf den Spitzen der Zehen ruhten. Die Vignette zeigte eine vom Winde entblätterte Rose, und jedes der vielen in der Luft umherflatternden Blätter den Namen eines beglückten Anbeters, wenigstens der öffentlichen Meinung nach. Wer den Geschmack der Weltkinder auch nur beiläufig kennt, wird es mir auf's Wort glauben, daß die Pressen Tag und Nacht ächzen mußten, um die Nachfrage befriedigen zu können, besonders weil die Polizeibehörden, ohne Subscribenten, Pränumeranten, Zahler oder Borger zu sein, dennoch die stärksten Abnehmer waren. Um diese unwillkommene Klasse von Lesern zu entfernen, ließ der Verleger einen andern Titel zum Werke drucken: »Die Wege des Fleisches, ein Erbauungsbuch für alle Stände,« – und nun ging das Büchlein wieder reißend ab, ohne in der Benennung der Wahrheit etwas zu vergeben, und ohne die Aufmerksamkeit der Wächter für öffentliche Sittlichkeit zu reizen.

Natürlich fand dieser Verleger noch besser seine Rechnung bei diesem Unternehmen, als der erste; die scandaleusen Histörchen; welche in diesem Büchlein ohne alle Schonung der Namen aufgetischt waren, ergötzten nicht bloß die Mittelsorte der gewöhnlichen Leser, sondern selbst in den vornehmen Salons, worin Müßiggang und Klatschsucht im thätigsten Einklange wirken, machte man sich ein besonderes Vergnügen, ein wichtiges Geschäft daraus, Rosas Abentheuer zu besprechen, und die Damen überboten sich einander[28] in der Geschicklichkeit, die Scenen noch deutlicher auszumalen, und mit drastischen Zusätzen ihrer eigenen Erfindungskraft zu bereichern.

Tausende in der Hauptstadt, die nun Zeugen werden sollten von Rosa's Triumphen, hatten dieß Büchlein gelesen; der Fürst, die Hofherren und Hofdamen, der ganze Adel, die Offiziere, die Beamten, die leselustige Bürgerklasse, und fast in jeder Bedientenstube, auf den Tischen der lüsternen Kammermädchen, u.s.w. waren Rosa's Gardinenseufzer zu finden, obgleich sie noch Keiner von allen Genannten gehört hatte. Man kann sich denken, mit welcher gespannten Neugier die ganze Hauptstadt der längst ersehnten Ankunft der großen Künstlerin entgegen sah, von der sie so viel gehört und gelesen.

Die Dichter hatten bereits Huldigungssonette vorräthig, die Recensenten bogenlange Kritiken über Rollen in Stücken, in welchen Rosa wie sie vorläufig vermutheten, auf der ersten Stadtbühne vielleicht auftreten würde. Die lüsternen Herrchen, alt und jung, zählten ihre Dukaten, wie einst König David seine Soldaten, was ihm, wie wir aus dem alten Testamente wissen, nicht gut anschlug, und bauten Luftschlösser auf Geld und gute Worte, verführt von dem bereits erwähnten Tarif der Liebe, welcher am Schlusse von Rosa's Gardinenseufzern mit einer annähernden Berechnung seines zweijährigen Ertrages, der auf 237,452 fl.[29] 45 kr. veranschlagt war, den würdigen Schlußstein des Ganzen bildete.

Rechnungsverständige mögen es zwar auffallend finden, daß dieser Ertrag nicht aus einer runden Summe bestehe, da doch der Tarif für die Gunstbezeugungen nur Ansätze in runden Summen enthalte, wie wir schon früher gelesen haben; allein der boshafte Verfasser hatte bei der Berechnung die zufälligen Auslagen für Briefe, die Trinkgelder für überbrachte Summen, die Provision für Wechsel, die sie vor der Verfallzeit verkaufte, und den Verlust bei nicht vollwichtigen Goldstücken mit so gewissenhafter Genauigkeit in Abzug gebracht, daß man sich versucht fühlte, auf die Wahrheit seiner Angaben zu schwören; denn gerade durch das bestimmteste Detail läßt sich der Uneingeweihte in die Ränke der Verläumdung am leichtesten bethören.

Der hohen Preise wegen stand Mancher zwischen seinen Wünschen und seinen Dukaten wie Herkules am Scheidewege; er machte sich von der Waare ganz außerordentliche Begriffe, weil der Preis dafür zu solchen Erwartungen berechtigte, wie es im gewöhnlichen Verkehre zu gehen pflegt, wo man gleichfalls in den meisten Fällen von der Höhe des Preises auf die Güte der Waare schließt, obgleich so manche Täuschung geeignet wäre, das Aufgeben einer solchen Ansicht zu erleichtern. Die Franzosen besitzen ein Sprichwort, welches das ökonomische Deutschland mit den Worten frei übersetzt hat: »In der Nacht sind alle Kühe schwarz[30] Diesen Spruch steckte nun dieser und jener in den Mund, gleichsam als einen Talisman gegen die peinliche Lust, an den Zauberköder dieser neuen Armide zu beißen.

Man konnte mit aller Gewißheit prophezeihen, daß jeder Herkules und jeder Scheideweg wie Nebelgebilde vor den Strahlen des nahenden Gestirnes verschwinden würde, da schon der Ruf allein von Rosa's Schönheit hinreichend war, zu so großen Opfern geneigt zu machen, wie der Tarif sie als Bedingung feststellte; denn die Wirklichkeit übertraf selbst die kühnste Phantasie.

Rosa besaß von den dreimal neun Reizen, welche ein spanischer Dichter zur weiblichen Schönheit für erforderlich hält, sechs und zwanzig, und die wahren Kenner unter meinen verehrten Lesern werden sich an meinen Geschmack anschließen, wenn ich ihnen gestehe, daß blaue Augen zu schwarzen Haaren mich reizender dünken, als schwarze Augen zu schwarzen Haaren.

Jener spanische Dichter will nämlich an einer schönen Dame folgende 27 Schönheiten finden:


drei weiße: die Haut, die Zähne und die Hände;

drei schwarze: die Augen, die Augenwimpern und die Augenbraunen;

drei rothe: die Lippen, die Wangen und die Nägel;

drei lange: den Leib, die Haare und die Hände;

drei kurze: die Zähne, die Ohren und die Beine;

[31] drei große: den Busen, die Stirne und den Raum zwischen den beiden Augenbraunen;

drei schmale: die Taille, die Hände und die Füße;

drei dicke: die Arme, die Schenkel und das Dickbein;

drei dünne: die Finger, die Haare und die Lippen.


Alle diese Reize vereinte Rosa in dem schönsten Ebenmaße, mit Ausnahme der Farbe der Augen, ein Umstand; den ich gerade für die Krone ihrer übrigen Reize halte.

Seidenweiche Haare, mit dem Glanzgefieder des Raben wetteifernd, floßen in üppiger Fülle den Rücken hinunter; auf dem schlanken, zarten Halse, dessen blendende Weiße den Schwanenflaum beschämte, ruhte das Engelsköpfchen, das wunderschöne Antlitz mit dem feinen griechischen Profile; Amoretten wiegten sich in den Grübchen der rosenumhauchten Wangen, und die zauberischen Lippen schienen aus dem letzten Kusse gebildet zu sein, welchen Venus von dem Munde des Adonis sog, bevor ihm der vom eifersüchtigen Mars entsendete wilde Eber die tödtliche Hüftwunde schlug. Mit dem matten Schimmer der Perlen kann ich Rosa's Zähne nicht vergleichen, welche wie weiße Rosen im Morgenthaue zwischen den von Frühstrahlen der Sonne gerötheten Hecken, funkelten.

Wie soll ich nun Rosa's Busen schildern, wenn schon ihre Zähne mich um Worte verlegen machten?

Um nicht aus Schwäche des Pinsels hinter der Wahrheit[32] zu bleiben, muß ich gleichwohl mit fremden Federn mich schmücken.

Marino sagt im 8ten Gesange des Adone, der den Titel: »i trastulli,« führt, von der Liebesgöttin in der 78ten Stanze:


»Vedeansi accese entro la guancie belle

Dolci fiamme di rose e di rubini,

E nel ben sen per entro un mar di latte

Tremolando nutar due poma intatte.«1


Mit Recht mögen sich Viele wundern, daß ich als ein armer Dichter verborgene Schönheiten zu schildern wage, deren Anschauung nach Rosa's Tarif der Liebe nur dem Golde vergönnt war. Obgleich ich nun geradezu mit einer Berufung auf die freilich nicht sehr glaubwürdige Angabe des Büchleins: »Rosa's Gardinenseufzer« das aufgeschlagen vor mir liegt, und woraus ich gelegenheitlich einige Mittheilungen mir erlauben werde, antworten könnte, so will ich doch auch meinen Lesern und Leserinnen die Gewissensfrage ans Herz legen: »ob es denn so ganz undenkbar sey, daß ein Dichter und zugleich weit verzweigter Recensent bisweilen allerlei Reize von Bühnenengeln wenigstens beschauen dürfe, deren Enthüllung andern Menschenkindern[33] nur in dem Falle gestattet ist, wenn ihre Finger vergoldet sind? Näher kann ich mich nicht ausdrücken, weil ich es für eine Sünde halte, aus der Schule zu schwatzen.«

Nicht minder kühn als jener Jüngling zu Sais, dessen That Schiller warnend besang, fühlte ich wohl den Muth in mir, nun auch den Schleier vom Heiligthume zu reißen, an dem die Schwingen der Phantasie mich jetzt vorübertragen. Doch ferne sey es von mir, mit roher Hand der Ahnung vorzugreifen, und an das himmlische Asyl der Liebe ein irdisches Winkelmaaß zu legen; Phantasiearme mögen Salomons hohes Lied als Leitfaden nachlesen.

Rosa's Füßchen hielten die Mitte zwischen den kleinsten Pariser- und Chinesen-Damenfüßen; die seinen zierlichen Waden schienen die beiden untersten Stufen einer Jakobsleiter zu sein, die zum Himmel führet; ihre ganze Gestalt glich der Venus zu Knidus, jenem unsterblichen Meisterstücke des Praxiteles, der in der 104ten Olympiade mit seinem Ruhme ganz Griechenland erfüllte.

Die höchste aller Schönheiten Rosa's, so wie aller Damen, die Augen, hab' ich dem letzten Pinselstriche an meinem Portraite der gefeierten Sängerin vorbehalten. Als Gott den ersten Menschen gemacht hatte, hauchte er ihm eine unsterbliche Seele ein; da schlug er die Augen auf, und darum glaube ich, daß die Seele in den Augen thront.[34]

So viel ich noch aus der Jugendzeit meines verwahrloßten Studiums der Botanik mich erinnere, von welcher ich nur jene Blumen kennen lernen wollte, womit die Dichter ihre Schöpfungen schmücken, haben wir in Deutschland 16 verschiedene Arten von Vergißmeinnicht.

Denken Sie sich nun in Rosa's blauen Augen die wechselnde Anmuth der 16 einzelnen Arten in einen Strahlenpunkt verschmolzen, und diese beiden Gestirne am Himmel der Liebe, von Petrarca an seiner Laura einst unerreichbar besungen, von dem bezaubernden Liebreize eines überaus gebildeten Geistes beseelt, so werden Sie leicht begreifen, daß sie überall Siegerin seyn mußte, wohin ihre magischen Blicke drangen.

Bevor ich nun die Heldin dieses Werkes selbstthätig in die Lesewelt einführe, muß ich nun auch noch ihr Inneres berühren, das heißt, um nicht von Uebelwollenden mißverstanden zu werden, ihren Charakter, ihr Gemüth. Zu diesem Zwecke muß ich die Geduld meiner verehrten Leser und Leserinnen noch auf einige Augenblicke in Anspruch nehmen, mit dem Versprechen einer spätern, gewiß genügenden Vergütung dieses freundlichen Opfers.

Fußnoten

1 »Man sah auf den schönen Wangen süße Flammen von Rosen und Rubinen glühen, und im Busen, in eine Milchmeere, zwei unberührte Aepfel zitternd schwimmen.«


Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 1, Stuttgart 1829, S. 35.
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