Der Sturm bricht los.

[170] »Wer an den Galgen gehört, ersäuft nicht!« lautet ein altes, gutes, deutsches Sprichwort, das auch bei Antonio keine Ausnahme machte. Als er aus dem Reisewagen entsprang, und in den Abgrund stürzte, fiel er, ohne an eine vorragende Klippe zu streifen, senkrecht in das Wasserbeet der Tiefe hinunter.

Im Kloster hatte er schon als Chorknabe Gelegenheit gefunden, sich in der, bereits im Hause seiner Eltern, – Fischerleute – erlernten Schwimmkunst immer mehr zu üben, und bekanntlich macht die Uebung den Meister. Er gewann daher bald wieder das Ufer, trocknete seine Kleider an einem Meiler, übernachtete bei dem Köhler, und wanderte mit Tagesanbruch auf das Stammschloß des Exministers Grafen von Spindel, der ihn mit der größten Herzlichkeit aufnahm, als er von einem Racheplan hörte, der unfehlbar gelingen müsse.

Unter dem Vorwande, diesen nach allen Seiten zu[170] überlegen, schloß sich die Frau Gräfin jederzeit mit Antonio in ihr Kabinet ein, so oft ihr Gemahl auf die Jagd ging, wahrscheinlich um durch fortgesetztes Ueberlegen für das lange Entbehren dieser geistigen Beschäftigung sich schadlos zu halten.

Aber diese Herrlichkeit dauerte nur wenige Tage, da eines Abends Signora Chiaretti in dem Wagen eines Landpfarrers wohlbehalten ankam. Vom Kammerdiener des Erbprinzen über die Grenze des Reiches gewiesen, überschritt sie dieselbe eine Stunde seitwärts, und traf den alten Herrn Pfarrer eben auf dem Felde unter seinen Arbeitsleuten. In ihrem Kleiderpäckchen hatte sie gar klüglich ihr Gold versteckt, um es wo möglich bei der nächsten Gelegenheit auf eine sinnige Weise zu vermehren. Dieß gelang ihr nun auch bei dem alten Herrn Pfarrer, der einem aufgetischten Mährchen von gewaltsamer Entführung und gelungener Flucht gutmüthig Glauben schenkte, sie einlud, einige Tage auf seinem Pfarrhofe der nöthigen Ruhe zu pflegen, und sie endlich für die praktische Beantwortung einiger erheblicher Zweifel über den wesentlichen Unterschied zwischen dem Cölibate und Nichtcölibate, der ihm bei seiner kürzlich gestorbenen steinalten Köchin, nie recht klar werden wollte, reichlich beschenkte, und in seinem eigenen Wagen nach dem Stammschlosse des Grafen von Spindel fahren ließ.

Wer erinnert sich hier nicht an Hetzers Denkschrift,[171] die er unserer Rosa übergab, und worin er viel zu günstig von dem Charakter dieser listigen Italienerin urtheilte? Allein welcher Mann vermag sich einer erschöpfenden, durch nichts zu täuschenden Kenntniß der Weiberherzen zu rühmen? Sie verläugnen zwar nie ihre innerste Natur, wissen sich aber nach den Umständen zu richten, und beobachten das bekannte eilfte Gebot mit aller Strenge, welches lautet: »Laß dich bei Uebertretung der zehn andern nicht ertappen!«

Auf des Exministers Stammschlosse hätten die Bewohner nun füglich ein Lustspiel von Kotzebue aufführen können: »Das getheilte Herz, oder: die respektable Gesellschaft

Antonio theilte nämlich sein Herz zwischen der Gräfin und Chiaretti; er wollte keine von Beiden schmachten lassen, da die besondern Vorzüge jeder Einzelnen die möglichste Berücksichtigung verdienten. Anfangs versuchte Antonio die Macht des Geheimnisses, und erklärte jeder unter vier Augen, sie sey die Auserkorene, und er fühle nichts für die Andere; Beide aber waren so diskret, das Harte einer solchen Ausschließung nicht zu billigen, wollten auch durch ein blindes Vertrauen auf Antonio's Versicherungen, diesem nicht den Triumph vergönnen, Beide getäuscht zu haben. Sie willigten also in die Theilung, und wußten sich so durch Eintracht und Zusammenwirken die geheimen Wonnen ungewöhnlich zu versüßen.[172]

Die Pausen zwischen Genuß und Ruhe wurden benützt, dem Exminister reichhaltigen Stoff zur Anklageakte zu liefern, die er gegen Rosa schmiedete. Durch dieses verläumderische Machwerk hoffte der gefallene Günstling sich wenigstens zu rächen, wenn es ihm auch nicht gelingen sollte, wieder einen politischen Einfluß zu gewinnen. Um Rosa zu verderben, die er für die Veranlasserin seines Sturzes hielt, opferte er den häuslichen Frieden der fürstlichen Familie auf.

Am Hofe regte sich noch gemeines Dienstgezücht, durch die Verwendung des früherhin allesvermögenden Kabinetsministers untergebracht, dem sein Gold die Lügenzunge löste; was noch fehlte, ergänzten Antonio und Chiaretti, unterstützt von dem Grimme der so furchtbar getäuschten Gräfin, die an der Wiege ihres bausbackigen Stallbübchens stündlich an den erlittenen Schimpf erinnert wurde.

Endlich ward die von diesen vier Personen unterzeichnete Schandbill an die Fürstin abgesendet.

Der wichtigste Klagepunkt bezeichnete Rosa nicht blos als eine im höchsten Grade unsittliche Person, sondern beschuldigte sie sogar geradezu eines sträflichen Umganges mit dem Fürsten und dem Erbprinzen zugleich. Die Unterzeichneten erboten sich übrigens, ihre Aussagen mit einem feierlichen Eide zu bekräftigen, und erhielten schon[173] nach zehn Tagen die Weisung, zu einer bestimmten Frist am fürstlichen Hoflager einzutreffen, wo sie das Weitere erfahren würden.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 170-174.
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