Die doppelte Ueberraschung.

[152] Vierzehn Tage flossen ruhig hin.

Hetzer war heimgekehrt. Der Prinz Paul hatte ihn mit großer Auszeichnung aufgenommen, und mit einem kostbaren Brillantringe beschenkt. In einem langen Briefe an Rosa billigte er Alles, was sie der Prinzessin wegen bisher gethan habe, rühmte die seltene Feinheit ihres Verstandes, und bat sie, ihren großen Einfluß zur Vermittlung in seiner Herzensangelegenheit zu benützen. Ein Schmuck von ausgezeichneter Pracht unterstützte seine Bitte.

An die Prinzessin schrieb er, was nur immer eine wahnsinnige Liebe zu sagen vermag, empfahl ihr Geduld, Ausdauer, sorgfältige Pflege ihrer Gesundheit, und schwor bei dem Heile seiner Seele, eher zu sterben, als einer Andern seine Hand zu reichen, ja nicht einmal eine Andere zu berühren.

Den ersten Theil des Schwures werden alle meine[152] Leser, die den Ehrenpunkt darin nicht verkennen, mit mir für aufrichtig halten, der zweite Theil aber, das Nichtberühren einer Andern, hat einen so verzweifelten Anstrich, daß auch wir billig zweifeln müssen, ob er auch nur vierundzwanzig Stunden lang gehalten wurde.

Im Falle nun wir recht haben, würde wohl der Prinz dagegen unrecht haben, wenn er von der Entschuldigung einer gewissen jungen schönen Dame Gebrauch machen wollte, welche auf die Frage ihrer vertrauten Freundin: »ob sie denn keinen innern Vorwurf fühle, so oft sie mit eben jenem Munde, der ihrem Gemahle am Altare ewige Treue gelobte, ihren Geliebten küsse?« – mit der heitern Miene der Unbefangenheit antwortete: »Es war eine vorlaute Anmassung des Mundes, einem andern Theile meines Leibes eine Verbindlichkeit aufzulegen, wozu er dessen Zustimmung nicht vorher erholt hatte. Nach der Meinung der berühmtesten Naturphilosophen hat kein Theil des Leibes einen Vorzug vor dem andern; keiner kann und darf sich zum Vormunde des andern aufdringen, weil jeder für seinen Wirkungskreis gleich wichtig ist; darum müßte, nach dem fernern Dafürhalten aller Rechtsgelehrten, mein Gemahl, sollte er sich durch mein Verhalten beschädiget finden, von meinem Munde, der sich diese Eigenmächtigkeit erlaubte, und doch im Treubruche mit dem Beispiele vorangeht, den angeblich gebührenden Schadenersatz verlangen.

[153] Schlichter hatte inzwischen nach dem Rathe seines Freundes Schab eine Broschüre in den Druck gegeben, unter dem Titel: ›Geschichte des unglücklichen Falles der durchlauchtigsten Prinzessin Eleonora über eine Meerrettigwur zel auf dem Balle bei der Hoftheater- und Kammersängerin Rosa, nebst einer getreuen Abbildung dieser Meerrettigwurzel, nach der Natur gezeichnet.‹«

Wie hier etwas nach der Natur gezeichnet werden konnte, was in der Natur nicht, sondern nur im Gehirne des Leibarztes existirte, möchte wohl Manchem ein Räthsel scheinen, der die Unverschämtheit der Bücherspekulanten nicht näher kennt.

Die Bilderspekulanten treiben es noch ärger. Sie liefern Phantasieportraite berühmter oder berüchtigter Männer aus eigener Fabrike, welche dem Originale so ähnlich sehen, wie eine Meergrundel einem Sonnenadler.

In Madrid und andern Städten Spaniens sieht man häufig an den Kirchthüren Zettel angeschlagen, auf welchen die Worte zu lesen sind: Heute wird eine Seele aus dem Fegfeuer erlöst!

Da dieß eine reine Glaubenssache ist, Niemanden schadet, und dennoch andächtige Gesinnungen erreget, so hab' ich nichts dagegen einzuwenden. Aber dabei bleibt es in diesem Lande nicht immer, wie meine verehrten Leser sogleich vernehmen werden.

In der Stadt Toledo befindet sich eine kleine Kirche,[154] Namens San-Gines. Eine kleine Treppe führt in dieser zum obern Theile des Gebäudes, wo man seitwärts, in einer Vertiefung in der Mauer, einen Kasten von weißem Blech erblickt. In diesem Kasten ruht eine Seele, welche weder in das Fegfeuer noch in den Himmel kommen konnte; der Geistliche wollte sie daher auch nicht in der Kirche dulden, und wies ihr diesen Raum in der Mauer an. Täglich werden Gebete zu ihrem Heile gesprochen, und man ist allgemein überzeugt, daß sie nach 20 Jahren so glücklich seyn werde, Eintritt in das Fegfeuer zu erhalten. Auch dieß geht noch an; aber daß sich Jemand gefunden hat, der ein Abbild dieser Seele zeichnete, und einem Gebete zur Erlösung derselben vordruckte, das ist ein denkwürdiges Unternehmen.

Schlichter sendete elegant gebundene Exemplare dieser Broschüre an den ganzen Hof, an den Adel, an die hohen Staatsbeamten, an die fremden Diplomaten, und wohlhabendsten Bürger; die Exemplare an Rosa besorgte, seinem Versprechen gemäß, Herr Schab.

Bald darauf erhielt Schlichter eine Schachtel mit einem Briefe: es hieß, ein, Herr in einem blauen Oberrocke habe sie gebracht.

Hastig öffnete Schlichter den Brief und las:
[155]

»Euer Wohlgeboren!«


»Die durchlauchtigste Prinzessin Eleonora dankt für die durch Ihr Werk über Höchstderen Unfall bewiesene, ausgezeichnete Theilnahme, und bittet Sie, die mitfolgende Veranlassung desselben als ein geringes Zeichen der Anerkennung an Ihrer Uhrkette zu tragen, und zwar zum fortwährenden Andenken an die Huld der Prinzessin. Mit der größten Hochachtung unterzeichnet


Ihre

ergebene Dienerin

Rosa


Diese Veranlassung war – eine der größten Meerrettigwurzeln, die man weit und breit finden konnte, in Crizot gefaßt, dem Golde täuschend ähnlich, mit einem Ringe versehen, um sie an die Uhrkette befestigen zu können.

Schlichter hielt diese Meerrettigwurzel für den neuesten Pariser Berlokengeschmack, und hatte nichts Eiligeres zu thun, als die Bestimmung der Geberin zu vollziehen, indem er sie an seine Uhrkette hing. Da Schlichter ein kurzer, rund gebundener Mann war, so reichte dieses moderne Anhängsel bis auf sein rechtes Knie hinab, und berührte, im schnellen Gange des stets Geschäftigen, gar oft auch, und zwar ziemlich unsanft, sein linkes Knie. Die Erinnerung an die Geberin versüßte ihm jedoch diese kleine Unbequemlichkeit, und da Jedermann über diese sonderbare[156] Gabe seine Verwunderung ausdrückte, so war er den ganzen Tag über in den meisten Kaffee- und Weinhäusern zu finden, um das Vergnügen zu haben, sich an dem Staunen der Beschauer zu ergötzen.

Wie sehr ärgerte sich aber der glückliche Schlichter, als er einige Tage darauf von der Obersthofmeisterin der Prinzessin ein sehr verbindliches Danksagungsschreiben nebst einer goldenen Uhr empfing, indem es ihm nun klar wurde, wie sehr man ihn mystifizirt hatte.

Daß sein Wallfischbauchgenoß Schab der Urheber dieses Spaßes sey, daran zweifelte er keinen Augenblick, und beschloß ihn mit gleicher Münze zu bezahlen.

Er schickte daher den Bedienten eines guten Freundes, einen verschmitzten Burschen, zu allen Gärtnern, wie man dort die Gemüsehändler nennt, die in der Hauptstadt, und im Umkreise von einer Stunde zu finden waren, und ließ bei denselben ihren ganzen Vorrath von Meerrettigwurzeln für den Herrn Schab mit dem Auftrage bestellen, am nächsten Tage Morgens acht Uhr mit der bestellten Waare vor der Wohnung des Schab zu erscheinen.

Schon um sieben Uhr Morgens saß Schlichterin einem Kaffeehause gegenüber am Fenster, schmauchte mit schadenfroher Gemüthlichkeit sein Pfeifchen, und sah die Meerettigwurzellieferauten, Männer, Weiber und Kinder, mit Körben, Kisten, Fässern und Säcken, im großen Zuge die lange Straße herankommen.[157]

Niemand kam aus Schab's Hause, der die Vorräthe verlangte; mit dem Schlage acht Uhr trat also einer der Entschlossensten in Schab's Wohnung, und meldete ihm die Ankunft seiner Bestellungen.

Schab sprang mit gleichen Füßen aus dem Bette, und an's Fenster, gegen welches schon alle Nasenspitzen der unten Harrenden gerichtet waren; als er aber den Freund Schlichter gegenüber so herzlich lachen sah, daß ihm der Kaffee, welchen er eben trank, in braunen Thränen aus den Augen floß, so wußte er gleich, wem er diesen Schabernack zu verdanken habe.

Es waren der Gemüsehändler zu viele, um sie durch Entdeckung des Possens, oder durch eine geringe Vergütung beschwichtigen zu können; auch wäre dadurch Schlichters Plan vollkommen gelungen.

Ohne seine innere Empfindung zu verrathen, handelte Schab um den genauesten Preis, und kaufte sämmtliche Vorräthe zum großen Erstaunen des Herrn Schlichter, der gar zu gerne Streit gesehen hätte, um zum Schlichten desselben herbeigerufen zu werden.

Da nun weit und breit kein Meerrettig mehr zu haben war, so reizte gerade dieser Umstand den Appetit darnach, und die Nachfrage wurde augenblicklich so groß, daß Schab alle seine Vorräthe mit bedeutendem Gewinn wieder absetzte.

Schlichter hatte sich also zum Vortheile seines Freundes[158] an diesem gerächt, und blieb dennoch selbst im Nachtheile; denn Jedermann sprach von der sonderbaren Meerrettigwurzel an seiner Uhrkette, und er durfte zu seinem größten Leidwesen weder den ächten Brief noch die erhaltene goldene Uhr vorzeigen, ohne selbst zu verrathen, daß er früherhin getäuscht worden sey.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 152-159.
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