Paris

[233] Der erste Eindruck bleibt doch immer der stärkste. Die Wahrheit dieses Satzes finden Helden, Künstler und Jungfrauen bestätiget, jene vor der Welt, diese bei Veränderung ihres Standes. Der gefeierten Rosa ging's auch nicht besser. Sie wurde zwar von den Kunstenthusiasten wie eine Königin empfangen; allein welche große Sängerin, oder welche Sängerin, die groß zu seyn wähnet, begnüget sich mit königlichen Huldigungen! Jede Begeisterung ist ein aufgereitzter Zustand, ein Rausch, der nothwendig eine Abspannung nach sich zieht, die bei jeder Wiederholung die Erregbarkeit mindert.

Rosa traf Rossini in Paris, und trat in sechs Prachtrollen auf. Rossini dirigirte das Orchester. Unstreitig gewinnt die Oper eines großen Compositeurs, wenn er die Darstellung selbst leitet. Nur wer ein Wert geschaffen hat, kennt alle Nüancen desselben, und weiß sie zur rechten Zeit und an der rechten Stelle geltend zu machen. Der Erfolg war über allen Ausdruck brillant. An dem Schauspiele fand Rosa wenig Geschmack und die Ansicht der Lady Morgan bestätiget, welche darüber äußert: »Die[233] Diction der französischen Acteurs ist gleich dem Rhythmus der Sprache, gänzlich ohne Nachdruck. Sie haben keine besondern Töne für Gefühl und Leidenschaft; ihre Scala hat, wie die chinesische Musik, weder scharf noch matt. Eine Art singender Nasentöne, mit einem schnellen Murmeln erhöhter Stimme abwechselnd, umschließt den ganzen Umfang ihres Ausdrucks. Ihr Trauerspiel scheint sowohl in Composition als Vortrag den ganzen Mangel ihrer Sprache zu offenbaren, und zu beweisen, daß sie nicht die Sprache der Poesie und der Musik ist.«

Rosa erneuerte hier die frühern Bekanntschaften, und knüpfte neue an. Alte Ludwigsritter aus der vorrevolutionären Zeit, weiland Napoleon'sche Reichsmarschälle, Pairs und Deputirte, reiche Banquiers und deren Söhne, schlichte Bürger mit einigen Tonnen Goldes Vermögen, Leute aus allen Ständen fanden sich ein, die Rosa's Tarif der Liebe auswendig lernten, um in der Wahl nicht zu irren. Dabei mied Rosa auch jede Unterscheidung der politischen Farben; ob der Zahlende auf der linken oder rechten Seite, im rechten oder linken Centrum in der Deputirtenkammer, oder ob er gar nicht sitze, darnach fragte sie nicht, sondern sie zählte nur. Diese Goldernten setzte sie in Wechsel um, die sie nach Hause schickte, um vor jeder Beraubung sicher zu seyn.

Einladungen zu Lustpartien in die Umgebungen nahmen kein Ende, und sie war oft in peinlicher Verlegenheit,[234] welcher sie den Vorzug geben sollte. Immer aber mußten ihre beiden Gesellschaftsfräulein sie begleiten, und auch nicht einen Augenblick von ihrer Seite gehen.

Manche Herren gaben sich oft alle erdenkliche Mühe, auf irgend einem einsamen Landhause, wie z.B. in dem öden Versailles, Rosa durch allerlei listige Versuche von ihren Gefährtinnen zu trennen; vergebens! Bisweilen erlaubte sich schon einer oder der andere, ihr sehr spitzig zu bemerken, daß sie nach ihrer nichtsweniger als verheimlichten Lebensweise eben nicht nöthig hätte, so auffallend die Spröde zu spielen, worauf sie dann immer zu erwiedern pflegte: »unter allen Verhältnissen müsse man stets zuerst das Schickliche bedenken, und diese Wahrheit dürfte wohl einem galanten Franzosen vor allen andern einleuchten.« Damit beruhigten sich die Ungeduldigen.

Eines Morgens fuhr Rosa mit einem altgläubigen Bourbon, Kammerherr des Königs, nach Schloß Vincennes, zu dessen Castellan Ludwig XI. seinen Barbier, Olivier, der Teufel benannt, gemacht hattet. Unter der Regierung dieses Königes wurden zuerst Staatsgefangene in die Kerker von Vincennes gebracht. Es ist merkwürdig, daß dieser Ludwig, eines der größten je lebenden Ungeheuer, zuerst den Titel: »Allerchristlichster König,« annahm, und Majestät genannt ward, »peu connu jusqu' alors,« – sagt Hainault.

Nicht ohne schmerzliche Thränen betrat der Kammerherr[235] die Schwelle dieses Schlosses; es hatte ja ein edler Sprosse des ihm so theuern bourbon'schen Stammes, der liebenswürdige Herzog von Enghien, innerhalb dieser Mauern sein junges Leben durch einen gewaltsamen Tod verloren.

»Zur Rechten des engen Vorplatzes,« schrieb Rosa damals an die Prinzessin Eleonore, –, »zeigte man uns das kleine Zimmer, welches der Herzog von Enghien während seines kurzen traurigen Aufenthaltes in der Veste bewohnte. Zur Linken bot ein größeres Gemacht, worin seine schnelle Verurtheilung Statt gefunden, einen höchst düstern und ergreifenden Anblick dar. Das Tageslicht war gänzlich ausgeschlossen, und das Zimmer wie für ein Leichenbegängnißgemach eingerichtet, une chapelle expiatoire; es ward Tag und Nacht von einer Lampe erhellt, die von der Mitte der Decke herabhing. Die Wände waren mit weißem, schwarz eingefaßtem Tuche behangen; eine niedere Ottomane von demselben Stoffe befand sich längs des Bodens. In der Mitte stand ein Todtengerüst mit einem sammetnen Behange, reich mit Gold gestickt, und den Wappen und Siegeszeichen des Hauses Condé. Es bedeckte einen kleinen Sarg, der Alles enthielt, was in dem Graben von dem tapfern d'Enghien gesammelt werden konnte, – einige Gebeine. Ein Stein, auf den sein Haupt gefallen seyn soll, lag daneben.«

»Im Hintergrunde dieses traurigen Ortes hing ein[236] massives silbernes Kreuz. Zwölf ungeheure Wachskerzen, in großen silbernen Armleuchtern, brannten an jeder Seite. Zur Rechten stand ein Altar, ein Crucifix, die heiligen Gefäße, und die ganzen Geräthschaften der katholischen Ceremonien. Hier wird täglich eine Messe für die Seele des Verstorbenen gelesen. Hier hatte die Herzogin von Angoulème den vorhergegangenen Tag am Heiligthum ihrer gewohnten Andacht ihre Gebete dargebracht.«

An dem Tage aber, da Rosa diesen erinnerungsschweren Ort besuchte, kniete eine ganz verschleierte Dame auf dem Betschemmel. Der Kammerherr vermuthete, die Dame möchte wohl die Prinzessin von Rohan-Rochefort seyn, für welche der Herzog im Leben eine zärtliche Neigung fühlte, und die auch mit ihm zu Ettenheim im Badischen gelebt hatte.

Er hatte sich jedoch getäuscht, die berühmte B* war's, eine Dame von sehr hohem Stande, aber sehr leichtfertigen Gesinnungen.

Sie verließ zu gleicher Zeit mit Rosa diesen unheimlichen Ort stiller Andacht; unter den Kastanienbäumen auf dem Glacis stellte der Kammerherr, wie zufällig, Rosa der B* vor, die sie sogleich erkannte und umarmte, kurz alle möglichen Artigkeiten an sie verschwendete, als wären sie schon seit Jahren die innigsten Freundinnen gewesen. B* erschöpfte sich in Lobeserhebungen über Rosa's herrlichen Gesang, über ihr unübertreffliches Spiel, und betheuerte,[237] daß es ihr unmöglich wäre, auch nur einen ihrer Darstellungen zu versäumen.

Rosa mußte in den Wagen der B* steigen, der Kammerherr, Rosa's Begleiter, in den Wagen der Sängerin, wo auch ein mit Orden bedeckter Cavalier, der Gefährte der B*, Platz nahm.

B* schloß nun ihr ganzes Herz auf, und machte Rosa mit ihren Liebschaften bekannt.

»Ich habe zwar einen hübschen, artigen jungen Mann,« – sagte sie unter Anderem, – »aber er ist erstaunlich flatterhaft, und gibt mir dadurch ein böses Beispiel. Mann und Weib haben gleiche Rechte. Die Ehe ist ein Vertrag. Bricht ihn der eine Theil, so ist der andere nicht mehr schuldig, ihn zu halten, und kann thun, was er mag. Ich gestehe Ihnen daher offen, liebe Rosa, daß ich in der Mitte vieler Anbeter mich sehr wohl befinde, einer allein ist gar zu langweilig, aber die guten Eigenschaften von vielen Einzelnen bilden zusammen ein Ganzes, das eben so ergötzt, wie ein Blumenstrauß. Uebrigens ist vorzüglich die Jugend der Maßstab meiner Wahl. Wer schon durch die Schule des Lebens gegangen ist, schmiegt sich selten mehr einer fremden Denkweise an. Gegenwärtig ist ein junger Mensch von 18 Jahren mein erster Liebhaber, ein wahrer Halbgott; er ist zwar von gemeinem Stande, Jäger bei dem Fürsten N., allein wann hat die Liebe sich jemals um den Stand bekümmert? Mein Gemahl ist[238] sehr eifersüchtig; er weiß eben, daß er Veranlassung genug gibt, es mit gutem Grunde zu seyn. Ich glaube, er würde mich vergiften, wenn er meine kleine Galanterien erführe. Sie sehen, daß ich recht aufrichtig mit Ihnen bin; schenken Sie mir doch auch Ihr Vertrauen, und erzählen Sie mir, um uns die Rückfahrt zu kürzen, einige Scenen aus Ihrem Leben, das, wie allgemein verlautet, ja wie ich sogar schon gelesen habe, sehr reich an den interessantesten Abentheuern seyn soll« –

Während Rosa einige Sagen aus ihrem Leben lächelnd zum Besten gibt, erlaube ich mir einige Bemerkungen über die von B* so eben geäußerten Ansichten.

Die Ehe ist allerdings ein Vertrag, der für beide Theile, die ihn geschlossen haben, auf gleiche Weise verbindlich ist. Dieser Vertrag besteht in doppelter Beziehung, in bürgerlicher und in moralischer. Wird der bürgerliche Vertrag gebrochen, so sprechen die Richter, und dem verletzten Theile wird sein gutes Recht; wird aber der moralische Vertrag, die gelobte Treue, gebrochen, so mag der betrogene Theil, wenn er das Aufsehen nicht scheut, und übrigens die nöthigen Beweismittel bei zubringen weiß, gleichwohl Klage stellen, und Scheidung verlangen; er hat aber keineswegs das Recht, gerade so Unrecht zu begehen, wie der eheberechtigte Theil, indem eine unmoralische Handlung des einen Gatten niemals dem Andern die Befugniß einräumen kann, das Gleiche zu thun. Selbst[239] wenn Mann und Frau gesetzlich geschieden sind, so bleibt jeder Umgang auf vertrautem Fuße mit einer dritten Person unsittlich, und den bestehenden Gesetzen entgegen, es sey denn, daß eine neue Ehe könne geschlossen werden. Die leichten Grundsätze der B* gehören sohin dem modernen Tone an, können aber nie die Billigung rechtlich gesinnter und sittlich guter Menschen erhalten. –

Rosa mußte bei B* speisen, deren Gatte an diesem Tage Hofdienste hatte.

Im niedlich dekorirten Schlafkabinete lagen drei Gedecke. B*, darauf hinweisend, sagte: »für Sie, für mich, und – für meinen Emil. Sie scheinen fragen zu wollen, wer denn dieser Emil sey? Nun ja, mein lieber Jäger ist's! Ich will doch sehen, was Sie zu meinem Geschmacke sagen!«

Bald darnach ging die Thüre auf, und Emil trat herein. Er trug eine geschmackvolle Jägeruniform, die ihm auf dem schlanken Leibe wie angegossen stand. Eine Fülle der schönsten goldnen Locken floß über seinen Nacken und seine Schultern hinab, und fächelten den frischen, rosigen Wangen Kühlung zu. So schön auch seine großen blauen Augen waren, so hätte doch ein Kenner aus dem matten Glanze derselben den Geliebten der B* erkannt.

B* stellte ihren rechten Fuß auf einen reichgestickten Schemmel; Emil ließ sich auf das linke Knie nieder, und küßte dreimal die Spitze ihres Schuhes. Die Verwunderung [240] Rosa's bemerkend, flüsterte ihr B*, während Emil bescheiden in den Hintergrund trat, leise zu: »Sie sehen, daß ich ihn gut erzogen habe; er ist nicht blos mein Geliebter, sondern auch Liebessclave!« Sie winkte ihm, sich an den Tisch zu setzen, schellte ihrer vertrauten Kammerfrau, und ließ auserlesene Speisen und Weine bringen.

Emil mußte auf Verlangen der B* erzählen, wie er sie kennen gelernt, auf welche Weise sie ihn eingeweiht, und wie er sich dabei benommen habe. Der schüchterne Emil und Rosa waren in gleichgroßer Verlegenheit, und dunkle Schamröthe übergoß ihre Wangen, wie behutsam auch Emil die Worte zum Vortrage wählte. B* ergötzte sich an Emils und Rosa's Mienen, und half nach, so oft jener stockte, oder nicht mehr genau sich zu erinnern wußte.

»Ist es möglich,« – dachte sich Rosa, – »daß eine Dame von so hohem Stande so tief sinken kann? Genügt ihr das Bewußtseyn ihres schuldvollen Lebens nicht, muß sie auch noch Fremde zur Zeugschaft laden? Das Aergste spricht man von mir, und wie unglücklich würde ich seyn, wenn ich auch nur in der entferntesten Beziehung dieser Messaline gliche!«

Rosa war in einer peinlichen Lage, aus der sie zum Glücke vom Zufall gerissen wurde.

Die Kammerfrau meldete einen Garde-Hauptmann,[241] einen von den vielen begünstigten Liebhabern der B*. Schon hörte man seine Tritte aus den vor dem Kabinete liegenden Zimmern; B* wollte ihren Verdacht nicht durch die Gegenwart des fürstlichen Jägers rege machen.

Emil mußte also ein ganz gewöhnliches Mittel wählen, sich unsichtbar zu machen, nämlich: unter das Bettgestell kriechen. Der Garde-Hauptmann bemerkte sogleich die drei Gedecke, und äußerte darüber sein Befremden.

»Wo ist denn der dritte Gast?« fragte er, ziemlich unruhig.

»Ist sie Ihnen denn nicht auf der Treppe begegnet, die Vicomtesse Ch***? So eben verließ sie uns.«

»Nein!«

»Nun, so haben Sie einander um einige Minuten verfehlt.«

Der Garde-Hauptmann nahm nun Emils Platz ein, betrug sich aber sehr anständig, so auch B*, die, diesem Liebhaber gegenüber, die Züchtige spielen zu wollen schien.

So mochte ungefähr eine Stunde verflossen seyn, die der neue Gast mit interessanten Klatschhistörchen wegzuplaudern wußte, als plötzlich ein Wagen vor dem Palaste hielt.

B* sprang an's Fenster. »Himmel, mein Mann kommt vom Hofe zurück! fort, um Gotteswillen fort! Er bringt mich um, wenn er Sie bei mir findet!«[242]

»Um den Ruf einer Dame zu retten, darf sich ein wackerer Offizier schon verstecken,« – erwiederte der Garde-Hauptmann, – »darum will ich mich auch sogleich unter das Bettgestell. –«

»Nur das nicht,« rief B* in höchster Verlegenheit aus, während der Andere schon Miene machte, seinen Plan auszuführen, – »mein Mann würde Sie auf der Stelle entdecken.«

Die Kammerfrau stürzte ganz bleich herein.

»So eben hörte ich, wie mein gnädigster Gebieter am Fuß der Treppe zum Haushofmeister sagte: Ist nicht so eben ein Offizier gekommen, um meiner Gemahlin einen Besuch zu machen? worauf der Gefragte erwiederte: er habe Niemand bemerkt.«

Die Kammerfrau entfernte sich, wendete aber an der halbgeöffneten Thüre noch einmal das Haupt, und flüsterte zurück: »So eben steigt er die Treppe herauf!«

Nun war die Gefahr am größten, man darf sagen: unabwendbar.

»Rosa, wissen Sie mir keine Hülfe, keinen Rath?«

Unter das Bettgestell konnte er nicht mehr sich flüchten, weil dieser Platz schon besetzt war; ein Sprung zum Fenster hinaus ging nicht an, weil die Straße unter demselben eine der besuchtesten war, die Höhe übrigens 2 Stockwerke betrug; der welsche Kamin war mit einem eisernen Gitter gesperrt, und ein zweiter Ausgang nicht vorhanden. Dem[243] Genie ist jedoch nichts unmöglich, und je größer die Schwierigkeiten scheinen, desto durchgreifender tritt es auf.

Rosa besann sich kaum drei Sekunden lang; die Geistesgegenwart muß schneller wirken, als der Blitz.

»Ziehen Sie schnell Ihren Degen, Herr Hauptmann, stürzen Sie dem Herrn des Hauses entgegen, und schreien Sie mit wüthenden Geberden: ›Wo ist der Elende? Ich durchbohre ihn!‹ Rennen Sie noch auf den Gängen umher, in die nächstgelegenen Gemächer, scheinbar alles durchstöbernd. Lassen Sie sich durch Niemand aufhalten und zur Rede stellen, sondern drängen Sie Alles zur Seite, und auf diese Art verlassen Sie das Haus. Der Gemahl wird dann glauben, Sie hätten einen Gegner aus Wuth bis in die Gemächer seines Pallastes verfolgt. Das Uebrige überlassen Sie mir. Sie aber, meine Gnädigste, fallen sogleich in Ohnmacht!«

Kaum hatte Rosa die Ordre gegeben, als sie auch schon vollzogen war. B* fiel in Gott vergnügt über diese Hülfe in der äußersten Noth in Ohmacht; Rosa beschäftigte sich, sie in's Leben zu rufen, während der erstaunte Gebieter, den ich schlechtweg Herr B* nennen will, in das Zimmer trat.

Rosa erzählte ihm nun ein recht abentheuerliches Mährchen von einer versuchten Verführung der Schwester des Emil, die dieser den Klauen des Garde-Hauptmanns[244] entrissen habe, wodurch der in seinen wollüstigen Hoffnungen Getäuschte in rasende Wuth gerathen sey.

Emil habe sich in B*'s Pallast geflüchtet, und unter dem Bettgestelle versteckt.

B* ließ Emil den unbehaglichen Schlupfwinkel verlassen.

»Ach, Dich kenne ich ja schon länger, wackerer Junge! Ich bin ja fast täglich im Hause Deines Herrn. Du gefällst mir, Du mußt in meine Dienste treten. Ich habe dieserwegen schon vor acht Tagen mit Deinem Fürsten gesprochen, der Dich mir aus Freundschaft abtritt. Du sollst der Leibpage meiner Frau werden; auf Dich kann ich mich ganz verlassen. Wer für die Ehre seiner Schwester wacht, verdient auch in andern Verhältnissen ähnlicher Art alles Vertrauen. Du kannst gleich heute Deinen Dienst antreten; ich speise ohnehin bei dem Fürsten, und werde dann die Sache in's Reine bringen.«

So plauderte er, ohne sich viel um die Gemahlin zu bekümmern, die in ihrer Scheinohnmacht kaum einen Freudenschrei über diese günstige Wendung, und besonders über den eigenen Leibpagen unterdrücken konnte.

Das Sprechen hinderte ihn nichts, Rosa mit lüsternen Augen zu betrachten, und nach den auserlesensten Lobeserhebungen ganz leise um ein Nachtstündchen bitten.

Rosa wollte ihre Freundschaft für die B* nicht bis zur Verkürzung ihres eigenen Interesses treiben, jedoch den [245] Schein dieses Edelmuths bewahren. Indem sie also mit halb abgewandtem Antlitze ein freundliches: Ja! ihm zunickte, sprach sie: »Sie theilen den allgemeinen Irrthum hinsichtlich meines Charakters. Möge Ihnen meine Versicherung des Gegentheiles genügen!«

B* verstand sie sogleich, und bat sie, ihm diesen kleinen Scherz zu verzeihen.

Endlich kam die B* zu sich, hörte mit der größten Theilnahme das aufgewärmte Mährchen, suchte die Anstellung eines Leibpagen als eine unnöthige Vermehrung des Dienstpersonals abzulehnen, gab jedoch zuletzt doch nach, und blieb noch eine Stunde mit Rosa und Emil allein, als B* zur Tafel des Fürsten gefahren war.

»Nur Ihre Geistesgegenwart hat mich gerettet, – nahm B* das Wort, – empfangen Sie dafür, liebe Rosa, meinen innigsten Dank, und dieses kleine Andenken.«

Hiermit überreichte sie der Rosa ein kostbares Halsgehänge von Brillanten, daß diese von der äußerst reichen B* ohne viele Umstände annahm. Bald darauf fuhr sie nach Hause.

Nach dem Theater trat der Leibpage seine Dienste bei der B* an, und Rosa gab dem Gemahle derselben Veranlassung, ihr 20,000 Franken zu bezahlen.

Sie trat noch in zwei Rollen auf, blieb dann noch einige Tage in Paris, um gegebene Verheissungen zu erfüllen, setzte die Goldernte in gute Wechsel um, die sie in die[246] Heimath schickte, und begab sich mit ihrem ganzen Gefolge und Eilpferden nach

Quelle:
Friedrich Wilhelm Bruckbräu: Mittheilungen aus den geheimen Memoiren einer deutschen Sängerin. Zwei Theile, Band 2, Stuttgart 1829, S. 233-247.
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